Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.04.2013, Az. VII ZR 44/12

VII. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 6750

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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
VII ZR 44/12
vom
11. April 2013
in dem Rechtsstreit

-
2 -

Der VII. Zivilsenat des [X.] hat am 11. April 2013
durch [X.]
Dr.
Kniffka
und die Richter Dr.
Eick,
[X.], Kosziol
und Prof.
Dr.
Jurgeleit
beschlossen:
Der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision wird
stattgegeben.
Der Beschluss des 19. Zivilsenats des Oberlandesgerichts
[X.]
vom 8. Dezember 2011
wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgeho-ben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an
das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Streitwert:
281.210,53

Gründe:
I.

Die Parteien streiten über die von der Klägerin begehrte Zahlung eines Vertragshändlerausgleichs
gemäß §
89b HGB analog.
Die Klägerin,
die mit Kraftfahrzeugen handelte, war mehrere Jahrzehnte als Vertragshändlerin für die Beklagte tätig. Das Vertragsverhältnis endete
durch
eine von der [X.] zum 31.
August
2001 erklärte Kündigung.
1
2

-
3 -

Die Klägerin verlangt
einen Vertragshändlerausgleich
in Höhe von

Die Klägerin will
ihrer Be-rechnung die letzten fünf Vertragsjahre zugrunde
legen, weil sie das letzte Ver-tragsjahr nicht für repräsentativ hält.
Durch Grundurteil vom 21. April 2004 hat das Berufungsgericht den An-spruch
dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und den Rechtsstreit an das [X.] zurückverwiesen.
Im [X.] hat das [X.] die Klage abgewiesen. Das Be-rufungsgericht hat die Berufung durch den angefochtenen Beschluss [X.]. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde verfolgt die Klägerin den [X.] weiter.

II.
1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Die Klägerin sei bei der An-spruchsberechnung nicht vom letzten Vertragsjahr (1. September 2000 bis zum 31.
August
2001) ausgegangen.
Sie habe auch nicht vorgetragen, warum die Neuwagenumsätze mit [X.] im letzten Vertragsjahr atypisch gewe-sen seien. Die vorgetragenen Zahlen über den Erlös der [X.] belegten, dass das [X.] im Vergleich
zu den [X.]n nicht atypisch
verlaufen sei. Der Hinweis auf allgemeine Kaufzurückhaltung und "ruinösen" Wettbewerb durch das Autohaus L. reiche nicht aus.
Die Klägerin habe auch zu ihrem Umsatz im Neuwagengeschäft mit [X.] nicht hinreichend
vorgetragen. Dies habe bereits das [X.] ausgeführt. Es sei darzulegen, dass und wann ein als [X.] in Ansatz gebrachter Kunde ein weiteres Neufahrzeug erworben habe. Die Kläge-3
4
5
6
7

-
4 -

rin habe auch nicht vorgetragen, dass und warum die von ihr benannte Zeugin [X.] die
behaupteten [X.] bestätigen könne.
Aus den mit der Klageschrift überreichten Listen (Anlagen 16 bis 21)
er-gebe sich nicht hinreichend, wer [X.] sei, weil nicht festgestellt wer-den könne, welche Verträge im letzten Vertragsjahr oder im Zeitraum von
vier Jahren vor dem letzten Vertragsjahr geschlossen worden seien. Es fehle insbe-sondere an Angaben zum Datum des Vertragsschlusses und dazu, ob es sich um einen Neuwagenkauf handele.
2.
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin
führt gemäß §
544 Abs.
7 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Zurückverwei-sung der
Sache an das Berufungsgericht, weil der angegriffene Beschluss den Anspruch der Klägerin
aus Art.
103 Abs.
1 GG auf rechtliches Gehör verletzt.
a) Zu Recht
macht die Nichtzulassungsbeschwerde
geltend, dass das Berufungsgericht [X.] offenkundig überspannt und es dadurch versäumt hat, den entscheidungserheblichen Sachvortrag der
Klägerin in der nach Art.
103 Abs.
1 GG gebotenen Weise zur Kenntnis zu nehmen und den angebotenen Zeugenbeweis zu erheben (vgl. [X.], Beschlüs-se vom
22.
Januar
2013 -
XI
ZR
471/11, juris, Rn.
7; vom
8.
November
2012

VII
ZR
199/11, juris, Rn.
8; vom 22.
August
2012
-
VII
ZR
2/11, juris, Rn.
14; vom 28.
Februar
2012
-
VIII
ZR
124/11, juris,
Rn.
5; vom 16.
November
2010

VIII ZR 228/08, juris, Rn. 14; jeweils m.w.[X.]).
aa) Das Berufungsgericht ist bei seiner Beurteilung im Ansatz
zu Recht
davon ausgegangen, dass zur Annahme einer Stammkundeneigenschaft von Kunden eines Kraftfahrzeug-[X.] in der Regel eine Nachbestellung innerhalb von fünf Jahren nach dem Erstkauf erforderlich ist ([X.], Urteile vom 13.
Juli
2011

VIII ZR 17/09,
NJW 2011, 3438 Rn.
17; vom 26.
Februar
1997

VIII ZR 272/95,
[X.]Z 135, 14, 19 f.; vom 2.
Juli
1987 -
I [X.], NJW-RR 8
9
10
11

-
5 -

1988, 42 unter
[X.] b; Thume
in:
[X.]/Thume, Handbuch des gesamten Außendienstrechts, Band
3: Vertriebsrecht, 3. Aufl., [X.] Rn. 35).
Das greift die Beschwerde nicht an.
bb)
Das Berufungsgericht hat beanstandet, aus den von der Klägerin überreichten Anlagen zur Klageschrift (Anlagen 16 bis 21) ergebe sich nicht hinreichend, wer [X.] sei. Es fehlten insbesondere Angaben zum Datum des Vertragsschlusses und zu der Frage, ob es sich dabei um den Kauf eines Neuwagens handele.
Das wird dem Vortrag der Klägerin nicht gerecht, wonach die von ihr angebotene Zeugin [X.] nur solche Kunden in die mit der [X.] überreichten Listen eingetragen habe, die in den letzten fünf Jahren
vor Beendigung des Vertragshändlervertrages einen Neuwagen
-
in den
Listen gekennzeichnet als "NW"
-
bei der Klägerin gekauft hätten.
Die Zeugin
habe
dies, so hat die Klägerin vorgetragen, anhand früherer Umsätze überprüft;
sie
sei im Verkauf tätig gewesen und habe (meist) aus eigener Kenntnis gewusst, dass es sich um Stammkunden gehandelt habe.
In diesem Zusammenhang hat das Berufungsgericht
nicht gewürdigt, dass die Klägerin im Schriftsatz vom 29.
Dezember 2003 für die ersten Monate
des letzten Vertragsjahres nähere Angaben zu früheren Käufen
durch mehrere Kunden gemacht hat. In der Liste 20
betrifft dies die Geschäfte mit den "[X.], 1982, 1983, 1932, 1984, 1820, 1954, 1945, 1850 und 1987.
Die Klägerin hat dabei in den meisten Fällen (Geschäfte mit den "[X.], 1932, 1984, 1820, 1954, 1945)
konkret auf andere,
ihrerseits mit "[X.] bezeichnete [X.] Bezug genommen, die
sie
im Original
zu den Gerichtsakten gereicht
hat. Insbesondere anhand von Rechnungen erschließt sich herkömmli-cherweise das Datum des Vertragsschlusses. Die
von der Klägerin überreichten
Unterlagen sind
durch ein Versäumnis der Justiz vorzeitig
vernichtet worden.
Sofern
das Datum des Vertragsschlusses
nunmehr nicht mehr festgestellt [X.]

-
6 -

den kann, spricht alles dafür, dass dies
auf der von der Klägerin nicht zu ver-antwortenden
Aktenvernichtung
beruht.
cc)
Das Vorbringen der Klägerin
bietet
unter diesen
Umständen Anlass
für eine
Schätzungsvernehmung der Zeugin gemäß §
287 Abs.
1 Satz 2, Abs.
2 ZPO.
Das gilt auch für die mit Schriftsatz vom 8. Januar 2007 zusätzlich als Zeugen angebotenen [X.] ("[X.] und 1982).
Steht der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch, wie hier, dem Grunde nach fest und bedarf es lediglich der Ausfüllung der Höhe, darf von der Zubilligung eines Ausgleichsanspruchs grundsätzlich nicht schon deshalb ab-gesehen werden, weil es an ausreichenden Anhaltspunkten für eine Schätzung des gesamten [X.] (§
89b Abs.
1 Satz
1 Nr.
1 HGB analog) und des
damit einhergehenden Verlusts des [X.] (§ 89b Abs.
1 Satz
1 Nr.
2 HGB a.F. analog) fehlt
([X.], Urteil vom 12.
Januar
2000 -
VIII
ZR
19/99, [X.], 1413 unter III; [X.], Vertriebsrecht, 2.
Aufl., §
89b HGB Rn.
354). Auch wenn der Klägervortrag den Sachverhalt nicht vollständig erschöpft, ist zu prüfen, in welchem Umfang dieser eine hinreichende Grundlage für eine Schät-zung wenigstens eines in jedem Fall gegebenen Mindestausgleichsanspruchs bietet.
Eine Schätzung nach §
287 ZPO darf nur dann abgelehnt werden, wenn deren Ergebnis mangels greifbarer Anhaltspunkte völlig in der Luft hängen [X.] ([X.], Urteile
vom 6.
Dezember
2012 -
VII
ZR
84/10, NJW 2013, 525 Rn.
23; vom 22.
Mai
1984 -
III ZR 18/83, [X.]Z 91, 243, 257; jeweils
m.w.[X.]).
b) Das Berufungsgericht
hat zusätzlich
ausgeführt, das die Zeugin [X.] be-treffende
Beweisangebot hätte
den Anforderungen des § 373 ZPO nur entspro-chen, wenn die Klägerin substantiiert zum Inhalt der vorgelegten Listen ([X.] 16 bis 21 zur Klageschrift) vorgetragen hätte.
Das lässt besorgen, dass das Berufungsgericht von der Vorstellung geleitet war, die in den Anlagen 16 bis 21 zur Klageschrift
enthaltenen Informationen müssten erneut in der Klageschrift unterbreitet werden. Ein solches Verständnis wäre nicht richtig. Zwar können 13
14

-
7 -

Anlagen lediglich zur Erläuterung des schriftsätzlichen Vortrags dienen, diesen aber nicht ersetzen ([X.], Urteil vom 2. Juli 2007 -
II ZR 111/05, [X.], 69 Rn.
25). Allerdings darf die Klägerin
auf
die vorgenannten Anlagen, die sie der Klageschrift beigefügt hat, Bezug nehmen, weil diese
aus sich heraus verständ-lich sind und dem Tatrichter keine unzumutbare Sucharbeit abverlangen. Es wäre [X.], wollte man den Prozessbevollmächtigten der Klägerin für ver-pflichtet halten, die in den
Anlagen
16 bis
21 enthaltenen Informationen noch einmal schreiben zu lassen, um sie dann erneut schriftsätzlich dem Gericht un-terbreiten zu können (vgl. [X.], Urteil vom 17.
Juli
2003 -
I
ZR
295/00, NJW-RR 2004, 639
unter II 3 a; siehe auch [X.], NJW 1994, 2483). Die Gerichte sind zwar nicht verpflichtet, umfangreiche ungeordnete Anlagenkonvolute von sich aus durchzuarbeiten, um so die erhobenen Ansprüche zu konkretisieren. Eine solche Fallgestaltung liegt im Streitfall im Hinblick auf die Anlagen 16
bis
21 zur Klageschrift
jedoch nicht vor.
3.
Der angefochtene Beschluss
beruht im Hinblick
auf
das
nach Ansicht
des Berufungsgerichts
maßgebliche
letzte Vertragsjahr (1.
September
2000 bis 31.
August
2001) auf der
Grundrechtsverletzung. Denn es ist -
was für die
An-nahme eines Beruhens bei Verfahrensfehlern
ausreicht ([X.], Urteil vom 20.
März
1995
-
II
ZR
198/94, NJW 1995, 1841
unter II 2; [X.]/
[X.], 4.
Aufl., § 545 Rn. 14)
-
nicht auszuschließen, dass das Berufungsge-richt zu einer abweichenden Entscheidung gelangt wäre, wenn es den von der
Klägerin
angebotenen Beweis für die Werbung von
Stammkunden erhoben hätte.
4. Die Aufhebung und Zurückverweisung gibt dem Berufungsgericht [X.],
seine Auffassung
zu überprüfen, wonach das letzte Vertragsjahr
reprä-sentativ
und deshalb maßgeblich
sei.
Der für den Ausgleichsanspruch gemäß §
89b Abs.
1 HGB analog maßgebliche Stammkundenumsatz
ist
durch Multipli-kation des [X.]umsatzes des letzten Vertragsjahres mit dem Prog-15
16

-
8 -

nosezeitraum zu ermitteln. Hat das letzte Vertragsjahr einen atypischen Ver-
lauf genommen, kann ein Durchschnittswert unter Heranziehung eines längeren Zeitraums gebildet werden ([X.], Urteile vom 2.
Juli
1987 -
I
ZR
188/85,
NJW-RR 1988, 42 unter [X.] b; vom 26.
Februar
1997 -
VIII ZR 272/95, [X.]Z 135, 14, 23; vom 28.
April
1999 -
VIII
ZR
354/97, [X.]Z 141, 248, 252;
vom 22.
März
2006 -
VIII
ZR
173/04, NJW-RR 2006, 1328 Rn.
20; vom 1.
Oktober
2008 -
VIII
ZR
13/05, NJW-RR 2009, 824 Rn.
20; vom 6.
Ok-tober
2010 -
VIII ZR 209/07, NJW 2011, 848 Rn.
26; MünchKommHGB/
von [X.], 3.
Aufl., §
89b Rn.
131; Thume, aaO, [X.] Rn. 39, 91). Das Berufungsgericht wird dabei
zu berücksichtigen haben, dass die Umsätze der Klägerin im Neuwagengeschäft nach ihrem Vortrag
im letzten Vertragsjahr

-
9 -

deshalb zurückgegangen seien, weil im Zuge einer von der [X.] Ende 1999/Anfang 2000 veranlassten Umstrukturierung kleinere Vertragshändler, wie die Klägerin, wegfallen sollten
und sie nach dem 30. April 2001 im Neuwagen-geschäft keinerlei Umsatz mehr
erwirtschaftet habe.
Kniffka
Eick
[X.]

Kosziol

Jurgeleit
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 30.03.2011 -
91 O 128/03 -

O[X.], Entscheidung vom 03.01.2012 -
19 [X.] -

Meta

VII ZR 44/12

11.04.2013

Bundesgerichtshof VII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.04.2013, Az. VII ZR 44/12 (REWIS RS 2013, 6750)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 6750

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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