Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 15.01.2019, Az. 1 AZR 296/17

1. Senat | REWIS RS 2019, 11532

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 6. April 2017 - 11 Sa 1426/16 - aufgehoben, soweit es die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 12. Oktober 2016 - 3 Ca 827/16 - zurückgewiesen hat.

2. Auf die Berufung der Beklagten wird das vorgenannte Urteil des [X.] insgesamt abgeändert und die Klage abgewiesen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben der Kläger zu 10/11 und die Beklagte zu 1/11 zu tragen. Die Kosten der Berufung und der Revision hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über eine Zahlung nach einem Sozialplan.

2

Der im Juli 1956 geborene Kläger ist schwerbehinderter Mensch und war bei der [X.]eklagten am Produktionsstandort [X.] beschäftigt. Wegen dessen beabsichtigter Schließung vereinbarte die [X.]eklagte am 12. Juni 2014 mit der zuständigen [X.] einen Sozialtarifvertrag ([X.]) und einigte sich am 25. Juni 2014 mit dem [X.]etriebsrat auf einen Interessenausgleich sowie einen Sozialplan ([X.]). Dieser erstreckt nach seiner Nr. 1 den Inhalt des in Abschn. C. des [X.] geregelten Sozialplans auf die Arbeitsverhältnisse aller [X.]etriebsangehörigen. Nach Abschn. H. des [X.] werden dessen [X.] auf solche nach einem betrieblichen Sozialplan angerechnet und Doppelansprüche ausgeschlossen.

3

[X.]eide Vereinbarungen sehen für Arbeitnehmer der Jahrgänge 1949 bis 1959 ein individuelles Angebot zum Ausscheiden zum 31. Dezember 2014 gegen Zahlung einer Abfindung vor. Das Abfindungsangebot ist gemäß Nr. 1 [X.], Abschn. [X.]. 2.6 [X.] so zu bemessen, dass es „unter Anrechnung von Arbeitslosengeld 1 und [X.]ezügen aus der [X.] ab dem 60. Lebensjahr“ eine Absicherung iHv. [X.] des zuletzt bezogenen [X.] im Zeitraum vom 1. Januar 2016 bis zum frühestmöglichen Wechsel in die gesetzliche Rente sicherstellt (sog. „Nettoabsicherung“). Der sich für den abzusichernden Zeitraum ergebende Gesamtbetrag zuzüglich der Aufwendungspauschale für die freiwillige Kranken- und Pflegeversicherung ist unter Zuhilfenahme der dem Arbeitgeber bekannten und angezeigten [X.] auf eine [X.]ruttosumme hochzurechnen (sog. „[X.]ruttoisierung“). Nr. 1 [X.], Abschn. [X.]. 4.1 und 4.6 [X.] legen fest, dass es sich bei dem mit Abschluss des Aufhebungsvertrags entstehenden Abfindungsanspruch um einen [X.]ruttobetrag handelt, der unter [X.]eachtung der gesetzlichen Regelungen mit der Gehaltsabrechnung für Januar 2015 abzurechnen und auszuzahlen ist.

4

Der [X.]erechnung des Abfindungsangebots legte die [X.]eklagte den 1. Juni 2017 zugrunde. Zu diesem Zeitpunkt konnte der Kläger erstmals eine vorzeitige Altersrente für schwerbehinderte Menschen beziehen. Da das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 31. Dezember 2014 endete, zahlte die [X.]eklagte eine [X.]ruttoabfindung iHv. 18.100,00 Euro.

5

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, Abschn. [X.]. 2.6 [X.] benachteilige ihn wegen seiner Schwerbehinderung. Nicht schwerbehinderte Arbeitnehmer des identischen [X.] erhielten eine höhere Abfindung, da sie erst später als er in die gesetzliche Rente wechseln könnten. Zur Vermeidung einer mittelbaren Diskriminierung wegen [X.]ehinderung sei er nach der Entscheidung des Gerichtshofs der [X.] ([X.]) vom 6. Dezember 2012 (- [X.]/11 - [[X.]]) wie ein nicht schwerbehinderter Arbeitnehmer zu behandeln.

6

Der Kläger hat - soweit für die Revision noch von Interesse - beantragt,

        

die [X.]eklagte zu verurteilen, an ihn 16.755,70 Euro netto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen [X.]asiszinssatz seit dem 8. September 2015 zu zahlen.

7

Die [X.]eklagte hat Klageabweisung beantragt.

8

Das Arbeitsgericht hat der Klage, die erstinstanzlich noch auf die Zahlung von 39.381,62 Euro netto gerichtet war, stattgegeben. Hinsichtlich eines weiteren vom Kläger begehrten [X.]etrags iHv. 3.570,00 Euro brutto haben die Parteien nach erfolgter Zahlung durch die [X.]eklagte den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt. Das [X.] hat das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise abgeändert und - unter Abweisung der Klage im Übrigen - die [X.]eklagte zur Zahlung von 16.755,70 Euro ohne den Zusatz „netto“ verurteilt. Die [X.]eklagte verfolgt mit ihrer Revision das Ziel der vollständigen Klageabweisung weiter.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision der [X.] ist begründet. Dem Kläger steht die begehrte Zahlung einer Nettoabsicherung weder nach dem [X.] noch nach dem [X.] zu. Dies hat das [X.] verkannt.

I. Die Klage ist auf Auszahlung der Nettoabsicherung iSv. Nr. 1 [X.], Abschn. [X.]. 2.6 Abs. 1 [X.] gerichtet.

1. Nach dem für das arbeitsgerichtliche Urteilsverfahren geltenden zweigliedrigen [X.] wird der Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens durch den dort gestellten Antrag (Klageantrag) und dem ihm zugrunde liegenden Lebenssachverhalt (Klagegrund) bestimmt. Der Streitgegenstand erfasst alle Tatsachen, die bei einer natürlichen, vom Standpunkt der Parteien ausgehenden, den Sachverhalt seinem Wesen nach erfassenden Betrachtungsweise zu dem zur Entscheidung gestellten [X.] gehören, den der Kläger zur Stützung seines [X.] dem Gericht unterbreitet hat. Das Vorbringen des [X.] oder eigenes Verteidigungsvorbringen des Klägers gegenüber dem [X.] verändert den mit Antrag und Klagevorbringen festgelegten Streitgegenstand nicht ([X.] 21. November 2017 - 1 [X.] - Rn. 11 mwN).

2. Mit seinem Klageantrag hat der Kläger ausdrücklich eine [X.] verlangt. In Verbindung mit dem von ihm geschilderten Lebenssachverhalt ergibt sich, dass Streitgegenstand die Nettoabsicherung nach Nr. 1 [X.], Abschn. [X.]. 2.6 Abs. 1 [X.] ist und nicht eine nach Nr. 1 [X.], Abschn. [X.]. 2.6 Abs. 4, Ziff. 4 [X.] zu berechnende Bruttoabfindung. Zwar führt der Kläger zunächst aus, dass er einen Anspruch auf Zahlung der ihm bei diskriminierungsfreier Auslegung des [X.] und des [X.] zustehenden Abfindung geltend mache. Bei der näheren Konkretisierung des Klagebegehrens beschränkt er sich aber auf die Berechnung eines [X.] für die [X.] vom 1. Juni 2017 bis zu dem von ihm als zutreffend angesehenen Renteneintritt. Auf diesen Betrag beschränkte er die Klageforderung, weil es Sache der [X.] sei, einen Anspruch auf Nettoabsicherung „zu bruttoisieren“, also den Bruttobetrag zu berechnen und unter Berücksichtigung der entsprechenden Abzüge den verbleibenden Nettobetrag an ihn auszuzahlen. Danach ist Gegenstand der Klage zuletzt nur noch die bezifferte Nettoabsicherung für die [X.] vom 1. Juni 2017 bis zum 1. August 2019. Dieser Nettobetrag dient nicht bloß der Berechnung einer Bruttoforderung, sondern in ihr erschöpft sich die Klageforderung.

3. Das auf eine Nettoabsicherung gerichtete Klagebegehren konnte das [X.] nicht unter Hinweis auf die Rechtsprechung des [X.] ([X.] 17. Februar 2016 - 5 [X.] 981/15 - Rn. 5, [X.]E 154, 116) in einen Bruttozahlbetrag umwandeln. Durch das Streichen des Zusatzes „netto“ hat das [X.] nicht bloß verdeutlicht, was von Gesetzes wegen hinsichtlich der einen Arbeitnehmer treffenden Leistungspflicht für Steuer- und/oder Sozialabgaben gilt (§ 38 Abs. 2 EStG; § 28g SGB IV). Vielmehr hat es den Streitgegenstand ausgewechselt und auf eine Sozialplanforderung erkannt, die der Kläger nicht verlangt hat und die auch der Höhe nach nicht dem sich nach einer Nettoabsicherung von 16.755,70 Euro errechnenden Bruttobetrag entspricht.

II. Der Kläger kann nach Nr. 1 [X.] iVm. Abschn. [X.]. 2.6 Abs. 1 [X.] keine (Aus-)Zahlung der Nettoabsicherung beanspruchen. Dies ergibt die Auslegung des Sozialplans (vgl. zu den Auslegungsgrundsätzen [X.] 21. November 2017 - 1 [X.] - Rn. 15 mwN).

1. Gemäß Ziff. 1 [X.] iVm. Abschn. [X.]. 2.6 Abs. 1 [X.] wird das individuelle Abfindungsangebot so bemessen, dass es für einen bestimmten [X.]raum bis zum frühestmöglichen Wechsel in die gesetzliche Rente eine Absicherung iHv. [X.] des zuletzt bezogenen und sich nach Nr. 1 [X.], Abschn. [X.]. 2.5 Abs. 1 [X.] errechnenden Nettomonatseinkommens sicherstellt. Der aus dem gesamten [X.]raum ermittelte 80-prozentige [X.] sowie die Aufwendungspauschale für die freiwillige Kranken- und Pflegeversicherung nach Nr. 1 [X.], Abschn. [X.]. 2.6 Abs. 3 [X.] werden unter Zuhilfenahme der der [X.] bekannten und angezeigten Steuermerkmale nach Maßgabe der Nr. 1 [X.] iVm. Abschn. [X.]. 2.6 Abs. 4 [X.] auf einen Bruttoabfindungsbetrag hochgerechnet. Grundlage dafür sind das zu erwartende steuerpflichtige Bruttoarbeitsentgelt im Jahr 2015 in der Transfergesellschaft und die bekannten Steuerparameter des jeweiligen Mitarbeiters. Nr. 1 [X.] iVm. Abschn. [X.]. 4 [X.] regelt das Entstehen sowie die Fälligkeit des Abfindungsanspruchs. Die Regelung bestimmt weiterhin, dass es sich bei den [X.] um [X.] handelt und etwaige Steuern und Sozialabgaben von den Arbeitnehmern entsprechend der gesetzlichen Bestimmungen zu tragen sind.

2. Hiernach vermittelt der [X.] iVm. dem [X.] keinen Anspruch auf (Aus-)Zahlung der Nettoabsicherung. Sowohl nach seinem Wortlaut als auch nach seiner Systematik handelt es sich bei der Nettoabsicherung lediglich um eine Rechengröße, mit deren Hilfe und auf deren Grundlage eine dem Kläger anzubietende Bruttoabfindung zu berechnen ist. Erst diese unterliegt der Sozialversicherungs- und individuellen Steuerpflicht. Zwangsläufig ist der danach verbleibende Zahlbetrag dividiert durch die Anzahl der abzusichernden Monate rechnerisch nicht identisch mit dem monatlichen ([X.] ([X.] 21. November 2017 - 1 [X.] - Rn. 17 mwN).

III. Die vorstehenden Erwägungen gelten entsprechend, soweit der Kläger seinen Anspruch allein auf Abschn. [X.]. 2.6 Abs. 1 [X.] stützt. Dieser vermittelt keine weitergehenden Ansprüche und schließt zudem eine Doppelzahlung bei identischen Ansprüchen aus (Abschn. [X.]. 2 [X.]).

IV. [X.] beruht auf § 91 Abs. 1, § 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO.

        

    Schmidt    

        

    K. Schmidt    

        

    Ahrendt    

        

        

        

    Fasbender    

        

    Berg    

                 

Meta

1 AZR 296/17

15.01.2019

Bundesarbeitsgericht 1. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Bochum, 12. Oktober 2016, Az: 3 Ca 827/16, Urteil

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 15.01.2019, Az. 1 AZR 296/17 (REWIS RS 2019, 11532)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 11532


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 11 Sa 1426/16

Landesarbeitsgericht Hamm, 11 Sa 1426/16, 06.04.2017.


Az. 1 AZR 296/17

Bundesarbeitsgericht, 1 AZR 296/17, 15.01.2019.


Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

1 AZR 131/17 (Bundesarbeitsgericht)

Streitgegenstand - Abfindungsanspruch


1 AZR 787/16 (Bundesarbeitsgericht)

Streitgegenstand - Abfindungsanspruch


1 AZR 537/17 (Bundesarbeitsgericht)

Unzulässiges Teilurteil - Abfindungsanspruch - mittelbare Benachteiligung wegen Behinderung


1 AZR 842/16 (Bundesarbeitsgericht)

Sozialplanabfindung - Benachteiligung wegen des Alters - mittelbare Benachteiligung wegen Behinderung - Verzicht


11 Sa 1767/15 (Landesarbeitsgericht Hamm)


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.