Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 02.02.2012, Az. 4 C 14/10

4. Senat | REWIS RS 2012, 9543

© Bundesverwaltungsgericht, Foto: Michael Moser

BAURECHT GEBIETSERHALTUNGSANSPRUCH GEBIETSUNVERTRÄGLICHKEIT

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Zur Zulässigkeit eines Krematoriums als Anlage für kulturelle Zwecke im Gewerbegebiet


Leitsatz

1. Ein als Gemeinbedarfsanlage betriebenes Krematorium mit Abschiedsraum ist eine Anlage für kulturelle Zwecke i.S.d. § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO.

2. Ein Krematorium mit Abschiedsraum verträgt sich nicht mit der Zweckbestimmung eines Gewerbegebiets und kann daher nicht im Wege der Ausnahme gemäß § 31 Abs. 1 BauGB zugelassen werden.

3. Zur Bewältigung der gegenläufigen Nutzungskonflikte, die mit der Ansiedlung eines Krematoriums mit Abschiedsraum verbunden sind, bedarf es einer Planung i.S.d. § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB.

Tatbestand

1

Streitgegenstand ist eine Baugenehmigung zur Errichtung eines Krematoriums mit [X.] in einem Gewerbegebiet, die die Beklagte der [X.] im Wege der Ausnahme gemäß § 31 Abs. 1 BauGB i.V.m. § 8 Abs. 3 Nr. 2 [X.] erteilt hat.

2

Die Grundstücke des [X.] und der [X.] liegen im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, der das hier betroffene Gebiet als Gewerbegebiet festsetzt. Das Grundstück der [X.] liegt am nördlichen Rand des Gewerbegebiets und grenzt an ein Waldgebiet mit Wiese und Aufforstungen an. Die technischen Bereiche des Krematoriums sind dem Gewerbegebiet zugewandt, während die Bereiche für Besucher, insbesondere der [X.] in Richtung des Waldgebiets liegen. Die Zufahrt zum Krematorium erfolgt über eine Straße außerhalb des Gewerbegebiets. Das Krematorium ist mittlerweile errichtet und in Betrieb.

3

Das Verwaltungsgericht hat die Klage gegen die Baugenehmigung abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des [X.] zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Das Vorhaben sei nicht schon als Gewerbebetrieb nach § 8 Abs. 2 [X.] allgemein zulässig, weil es der Zweckbestimmung des Gebiets widerspreche. Ein Krematorium mit [X.] sei jedoch eine Anlage für kulturelle Zwecke i.S.d. § 8 Abs. 3 Nr. 2 [X.], wobei diese Vorschrift nur solche Anlagen erfasse, die - wie hier - dem Gemeinbedarf dienten. Die Anwendbarkeit des § 8 Abs. 3 Nr. 2 [X.] werde nicht dadurch ausgeschlossen, dass ein Krematorium mit [X.] wegen des Bedürfnisses, das Abschiednehmen von den Verstorbenen in ein kontemplatives Umfeld einzubetten, dem Leitbild eines Gewerbegebiets widerspreche. Gründe der Pietät und die Notwendigkeit eines kontemplativen Umfelds zwängen nicht dazu, Krematorien mit Pietätsräumen von vornherein ausnahmslos, ungeachtet ihrer konkreten Lage und Nachbarschaft in Gewerbegebieten als gebietsunverträglich auszuschließen. Abschiedsräume in [X.] seien mit Kapellen und Betsälen vergleichbar, deren ausnahmsweise Zulässigkeit in Gewerbegebieten unbestritten sei. Von derartigen Anlagen unterscheide sich ein Krematorium im Wesentlichen durch den hinzutretenden gewerblich-technischen Charakter. Dieser sei mit der allgemeinen Zweckbestimmung eines Gewerbegebiets für sich gesehen sogar eher vereinbar als etwa eine kirchliche Anlage. Die ausnahmsweise Zulässigkeit des Krematoriums sei auch nicht durch § 15 Abs. 1 [X.] ausgeschlossen. Durch den gewählten Standort des Krematoriums, seine bauliche Gestaltung und die Ausrichtung der Bereiche für den Publikumsverkehr sei eine pietätvolle Bestattung gewährleistet, die mit der werktäglichen Geschäftigkeit des Gewerbegebiets verträglich sei. Die angefochtene Baugenehmigung verstoße auch nicht gegen das Rücksichtnahmegebot.

4

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit der vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision: Die vom Oberverwaltungsgericht vorgenommene Auslegung des Begriffs der Anlage für kulturelle Zwecke entspreche weder dem Wortlaut des § 8 Abs. 3 Nr. 2 [X.] noch der Systematik der [X.] noch dem Willen des Gesetzgebers. Es sei im Übrigen wenig überzeugend, die allgemeine Zulässigkeit des Vorhabens in einem Gewerbegebiet mangels Gebietsverträglichkeit zu verneinen, um dann im [X.] die Zulässigkeit mit der Begründung zu bejahen, es widerspreche nicht der Zweckbestimmung des Baugebiets.

Entscheidungsgründe

5

Die Revision ist begründet. [X.] nicht zu beanstanden ist zwar die Auffassung des [X.], dass ein als Gemeinbedarfsanlage betriebenes Krematorium mit Abschiedsraum eine Anlage für kulturelle Zwecke i.S.d. § 8 Abs. 3 Nr. 2 [X.] ist. Eine solche Anlage verträgt sich aber nicht mit der Zweckbestimmung eines Gewerbegebiets. Das Oberverwaltungsgericht verkennt die Anforderungen, die an das ungeschriebene Erfordernis der Gebietsverträglichkeit zu stellen sind. Das Urteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO). Die der [X.]eigeladenen erteilte [X.]augenehmigung war daher aufzuheben.

6

1. Die [X.]augenehmigung ist entgegen der Auffassung des [X.] rechtswidrig. Die [X.]eklagte hätte das Vorhaben der [X.]eigeladenen nicht gemäß § 31 Abs. 1 [X.]auG[X.] i.V.m. § 8 Abs. 3 Nr. 2 [X.] zulassen dürfen.

7

1.1 Mit [X.]undesrecht im Einklang steht allerdings die Auffassung des [X.], dass ein Krematorium mit Abschiedsraum unter den [X.]egriff der Anlage für kulturelle Zwecke i.S.d. § 8 Abs. 3 Nr. 2 [X.] fällt.

8

"Anlagen für kulturelle Zwecke" sind nicht auf die traditionellen [X.]ereiche der Kunst, Wissenschaft und [X.]ildung beschränkt. Die Zweckbeschreibung bezeichnet Anlagen, die in einem weiten Sinne einen kulturellen [X.]ezug aufweisen. Ein Krematorium mit Abschiedsraum hat einen kulturellen [X.]ezug, der in der gesellschaftlichen Vorstellung von dem Umgang mit dem Tod wurzelt. Ebenso wie eine kirchliche [X.]estattungsanlage einem kirchlichen Zweck dient (Urteil vom 18. November 2010 - [X.]VerwG 4 [X.] 10.09 - [X.]VerwGE 138, 166 Rn. 17), dient ein Krematorium als säkulare [X.]estattungseinrichtung einem kulturellen Zweck. Zur Feuerbestattung gehört nicht nur die [X.]eisetzung der Asche des Verstorbenen in einer Grabstätte, sondern auch der Vorgang der Einäscherung der Leiche. Die Einäscherung ist Teil des [X.]. Diese Form der [X.]estattung ist Ausdruck einer gesellschaftlich anerkannten [X.]estattungskultur, zu der es auch gehört, in einem kontemplativen Umfeld von den Verstorbenen Abschied nehmen zu können.

9

Der [X.]egriff der "Anlagen für kulturelle Zwecke", der nicht nur in § 8 Abs. 3 Nr. 2 [X.], sondern in zahlreichen [X.]estimmungen der [X.] Verwendung findet, ist ebenso offen angelegt wie die ebenfalls in § 8 Abs. 3 Nr. 2 [X.] und anderen [X.]estimmungen der [X.] genannten Anlagen für kirchliche, [X.], gesundheitliche und sportliche Zwecke. Die [X.] verwendet die [X.]egriffsgruppe als eine bewusst weit gefasste Kategorie. Sie ist für eine "dem Wandel der [X.]en" anpassungsfähige Auslegung offen (Urteil vom 17. Dezember 1998 - [X.]VerwG 4 [X.] 16.97 - [X.]VerwGE 108, 190 <197>). Damit sollen gerade auch neue Erscheinungsformen baulicher Vorhaben städtebaulich erfasst werden, um eine geordnete [X.]odennutzung und städtebauliche Entwicklung zu gewährleisten. Dass sich im Laufe der [X.] das [X.]egriffsverständnis und damit auch die Art der Anlagen ändern kann, die im jeweiligen Gebiet zulässig sind, ist vom Verordnungsgeber gewollt.

Eine weite Auslegung der [X.]egriffsgruppe führt entgegen der Auffassung des [X.] nicht zu einer uferlosen Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Norm. Die begriffliche Offenheit des Tatbestands wird in zweifacher Hinsicht begrenzt. Aus dem systematischen und historischen Zusammenhang wird deutlich, dass Anlagen für kirchliche, kulturelle, [X.], gesundheitliche und sportliche Zwecke nur die in § 5 Abs. 2 Nr. 2 [X.]auG[X.] definierten [X.] sind. Die [X.] hat die [X.]egriffsgruppe von Anfang an auf [X.] beschränkt gesehen (Urteile vom 12. Dezember 1996 - [X.]VerwG 4 [X.] 17.95 - [X.]VerwGE 102, 351 <354> und vom 28. April 2004 - [X.]VerwG 4 [X.] 10.03 - [X.] 406.12 § 3 [X.] Nr. 15 S. 6). Darüber hinaus wirkt das Erfordernis der Gebietsverträglichkeit begrenzend, das vor allem jene Nutzungsarten betrifft, die die [X.] begrifflich verselbständigt und mehreren der [X.]augebietstypen in §§ 2 bis 9 [X.] zugeordnet hat ([X.]eschluss vom 6. Dezember 2000 - [X.]VerwG 4 [X.] 4.00 - [X.] 406.12 § 7 [X.] Nr. 4 S. 2).

1.2 [X.]ei dem streitigen Krematorium handelt es sich - wie als eingrenzendes Tatbestandsmerkmal vorausgesetzt - um eine Gemeinbedarfsanlage. Der [X.]egriff des Gemeinbedarfs wird in § 5 Abs. 2 Nr. 2 [X.]auG[X.] näher bestimmt. Danach sind [X.] solche baulichen Anlagen und Einrichtungen, die der Allgemeinheit dienen. [X.]eispielhaft werden Schulen und Kirchen sowie sonstigen kirchlichen, [X.]n, gesundheitlichen und kulturellen Zwecken dienende Gebäude und Einrichtungen aufgezählt. Der Allgemeinheit dient eine Anlage im Sinne von § 5 Abs. 2 Nr. 2 [X.]auG[X.], wenn sie, ohne dass die Merkmale des Gemeingebrauchs erfüllt zu sein brauchen ([X.]eschluss vom 18. Mai 1994 - [X.]VerwG 4 N[X.] 15.94 - NVwZ 1994, 1004 <1005>), einem nicht fest bestimmten, wechselnden Teil der [X.]evölkerung zugänglich ist. Gemeint sind Einrichtungen der Infrastruktur, die der Gesetzgeber dem Oberbegriff der "Einrichtungen und Anlagen zur Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen des öffentlichen und privaten [X.]ereichs" zugeordnet hat (Urteil vom 30. Juni 2004 - [X.]VerwG 4 [X.]N 7.03 - [X.]VerwGE 121, 192 <195> = [X.] 406.11 § 9 [X.]auG[X.] Nr. 101 S. 32 f.). Auf die Rechtsform des Einrichtungsträgers kommt es nicht entscheidend an (Urteil vom 12. Dezember 1996 a.a.[X.]). Die Trägerschaft kann auch in der Hand einer natürlichen oder juristischen Person des Privatrechts liegen. Auch eine staatliche Gewährleistungs- und Überwachungsverantwortlichkeit kann je nach ihrer konkreten rechtlichen Ausgestaltung geeignet sein, den vorausgesetzten Gemeinwohlbezug solcher Anlagen und Einrichtungen herzustellen, deren Leistungserbringung sich nach privatwirtschaftlichen Grundsätzen vollzieht und auf Gewinnerzielung ausgerichtet ist (Urteil vom 30. Juni 2004 a.a.[X.] f.).

Diese Maßstäbe hat das Oberverwaltungsgericht beachtet und in Auslegung von Landesrecht und damit für die revisionsgerichtliche [X.]eurteilung bindend (§ 137 Abs. 1, § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 560 ZPO) festgestellt, dass nach den [X.]estimmungen des [X.]estattungsgesetzes des [X.] eine hoheitliche Gewährleistungs- und Überwachungsverantwortlichkeit der [X.]eklagten besteht, die den erforderlichen Gemeinwohlbezug der Anlage herstellt und die zudem durch den zwischen der [X.]eklagten und der [X.]eigeladenen geschlossenen öffentlich-rechtlichen Vertrag vom 6. September 2006 abgesichert wird, der bestimmt, dass die [X.]eigeladene als [X.]eliehene hoheitliche Aufgaben wahrnimmt.

1.3 Ein Krematorium mit Abschiedsraum verträgt sich aber nicht mit der Zweckbestimmung eines Gewerbegebiets.

In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats ist das Oberverwaltungsgericht zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass ein Krematorium mit Abschiedsraum mangels Gebietsverträglichkeit nicht bereits gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.] in einem Gewerbegebiet allgemein zulässig ist ([X.]eschluss vom 20. Dezember 2005 - [X.]VerwG 4 [X.] - [X.] 406.12 § 8 [X.] Nr. 21).

Entgegen der Auffassung des [X.] ist ein Krematorium mit Abschiedsraum aber auch nicht im Wege der Ausnahme gemäß § 31 Abs. 1 [X.]auG[X.] i.V.m. § 8 Abs. 3 Nr. 2 [X.] in einem Gewerbegebiet zulässig. Der Rechtssatz des [X.], Gründe der Pietät und die Notwendigkeit eines kontemplativen Umfelds würden es nicht gebieten, Krematorien mit Pietätsräumen von vornherein ausnahmslos, ungeachtet ihrer konkreten Lage und Nachbarschaft in Gewerbegebieten als gebietsunverträglich auszuschließen, steht nicht in Übereinstimmung mit [X.]undesrecht. Das Oberverwaltungsgericht verkennt die Anforderungen, die an das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der Gebietsverträglichkeit zu stellen sind.

Die Zulässigkeit eines bestimmten Vorhabens innerhalb eines [X.]augebiets der [X.] richtet sich nicht allein nach der Einordnung des Vorhabens in eine bestimmte [X.]egriffskategorie (Nutzungs- oder Anlagenart), sondern auch nach der Zweckbestimmung des jeweiligen [X.]augebiets. Die Prüfung der Gebietsverträglichkeit rechtfertigt sich aus dem typisierenden Ansatz der [X.] der [X.]. Der Verordnungsgeber will durch die Zuordnung von Nutzungen zu den näher bezeichneten [X.]augebieten die vielfältigen und oft gegenläufigen Ansprüche an die [X.]odennutzung zu einem schonenden Ausgleich im Sinne überlegter Städtebaupolitik bringen. Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn die vom Verordnungsgeber dem jeweiligen [X.]augebiet zugewiesene allgemeine Zweckbestimmung den [X.]harakter des Gebiets eingrenzend bestimmt (stRspr, vgl. nur Urteile vom 18. November 2010 - [X.]VerwG 4 [X.] 10.09 - [X.]VerwGE 138, 166 Rn. 19 und vom 21. März 2002 - [X.]VerwG 4 [X.] 1.02 - [X.]VerwGE 116, 155 <158>; [X.]eschluss vom 28. Februar 2008 - [X.]VerwG 4 [X.] - [X.] 406.12 § 4 [X.] Nr. 19 Rn. 6 m.w.N.). Diesen rechtlichen Maßstab hat das [X.] in zahlreichen Fällen angelegt, in denen zu entscheiden war, ob ein Vorhaben nach der Art der Nutzung in dem jeweils festgesetzten [X.]augebiet allgemein (regelhaft) zulässig ist. Er gilt auch für die in einem [X.]augebiet ausnahmsweise zulässigen Nutzungsarten (Urteil vom 21. März 2002 a.a.[X.]). Zwischen der Zweckbestimmung des [X.]augebiets und den jeweils zugeordneten Nutzungsarten besteht ein funktionaler Zusammenhang, der für die Auslegung und Anwendung jeder tatbestandlich normierten Nutzungsart maßgeblich ist (Urteil vom 21. März 2002 a.a.[X.]; [X.]eschluss vom 28. Februar 2008 a.a.[X.] Rn. 7). Die nach den [X.] nur ausnahmsweise zulässigen Nutzungen können die Eigenart eines [X.]augebiets zwar auch prägen. Diesem Muster folgt beispielsweise die Entscheidung des Verordnungsgebers, die Immissionsverträglichkeit des Wohnens für bestimmte [X.]augebiete im Wege einer typisierenden [X.]etrachtung zu modifizieren und unter den Voraussetzungen des § 8 Abs. 3 Nr. 1 und § 9 Abs. 3 Nr. 1 [X.] ausnahmsweise eine eingeschränkte Wohnnutzung zuzulassen, weil typischerweise ein gebietsspezifischer [X.]edarf besteht. Den in § 8 Abs. 3 Nr. 2 [X.] genannten Anlagen fehlt es aber an einer funktionalen Ausrichtung auf den Zweck des jeweiligen [X.]augebiets. Solche Anlagen, die ohne nähere Umschreibung in fast allen [X.]augebieten der §§ 2 bis 9 [X.] allgemein oder ausnahmsweise zulässig sind, können nach Größe, betrieblicher Ausrichtung, räumlichem Einzugsbereich und [X.] von sehr unterschiedlicher Art sein.

Von maßgeblicher [X.]edeutung für die Frage, welche Vorhaben mit der allgemeinen Zweckbestimmung eines [X.]augebiets unverträglich sind, sind die Anforderungen des jeweiligen Vorhabens an ein Gebiet, die Auswirkungen des Vorhabens auf ein Gebiet und die Erfüllung des spezifischen [X.] (Urteil vom 18. November 2010 a.a.[X.] Rn. 21). Entscheidend ist, ob ein Vorhaben dieser Art generell geeignet ist, ein bodenrechtlich beachtliches Störpotenzial zu entfalten, das sich mit der Zweckbestimmung des [X.]augebiets nicht verträgt. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass im Geltungsbereich eines ausgewiesenen [X.]augebiets grundsätzlich auf jedem [X.]augrundstück die nach dem Katalog der Nutzungsarten der jeweiligen [X.]augebietsvorschrift zulässige Nutzung möglich sein soll. Das typische Störpotenzial kann nicht nur im [X.], sondern auch in der Störempfindlichkeit eines Vorhabens liegen. Im Rahmen dieser [X.]eurteilung kommt es nicht auf die konkrete [X.]ebauung in der Nachbarschaft an. Unerheblich ist daher, dass das streitige Krematorium nach den tatsächlichen Feststellungen des [X.] zu § 15 Abs. 1 Satz 1 [X.] durch den gewählten Standort, seine bauliche Gestaltung und die Ausrichtung der auf Publikumsverkehr ausgerichteten [X.]ereiche eine pietätvolle [X.]estattung gewährleistet. Die Gebietsverträglichkeit ist der Einzelfallprüfung auf der Grundlage des § 15 Abs. 1 Satz 1 [X.] vorgelagert.

Ein Krematorium mit Abschiedsraum verträgt sich nicht mit der allgemeinen Zweckbestimmung eines Gewerbegebiets, das geprägt ist von werktätiger Geschäftigkeit. Gewerbegebiete dienen gemäß § 8 Abs. 1 [X.] vorwiegend der Unterbringung von nicht erheblich belästigenden Gewerbebetrieben. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass in ihnen gearbeitet wird. Nach dem Leitbild der [X.] ist ein Gewerbegebiet den produzierenden und artverwandten Nutzungen vorbehalten. Es steht Gewerbebetrieben aller Art und damit verschiedenartigsten betrieblichen [X.]etätigungen offen, die vom kleinen [X.]etrieb über Handels- und Dienstleistungsunternehmen bis zu industriellen Großbetrieben reichen können, sofern es sich um nicht erheblich belästigende Gewerbebetriebe handelt.

Ein Krematorium mit Abschiedsraum erweist sich in besonderer Weise als störempfindlich. Es stellt - ungeachtet der Immissionsträchtigkeit der Verbrennungsanlagen - ähnlich wie ein Friedhof einen Ort der Ruhe, des Friedens und des Gedenkens an die Verstorbenen dar. Die Privatisierung dieser Art der [X.]estattung mag bewirkt haben, dass Krematorien auch an Standorten außerhalb eines Friedhofs angesiedelt werden. Das ändert aber nichts an der Anforderung, dass eine [X.]estattung ein würdevolles und kontemplatives Umfeld erfordert. Wie auch das Oberverwaltungsgericht angemerkt hat, ist nicht zu erkennen, dass sich die gesellschaftlichen Anschauungen im Umgang mit dem Tod wesentlich gewandelt haben. Der übliche Umgebungslärm und die allgemeine Geschäftigkeit eines Gewerbegebiets stehen dazu im Widerspruch. Eine derartige Umgebung ist regelmäßig geeignet, den Vorgang der Einäscherung als Teil der [X.]estattung in einer Weise gewerblich-technisch zu prägen, die mit der kulturellen [X.]edeutung eines Krematoriums mit Abschiedsraum nicht vereinbar ist.

2. Das Urteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Die Rechtmäßigkeit der [X.]augenehmigung kann nicht über § 31 Abs. 2 [X.]auG[X.] hergestellt werden. Eine [X.] hat die [X.]eklagte nicht erteilt; sie könnte auch nicht erteilt werden.

Der Umstand, dass eine Anlage in einem [X.]augebiet weder allgemein zulässig ist noch im Wege einer Ausnahme zugelassen werden kann, steht einer [X.] zwar nicht von vornherein entgegen (Urteil vom 18. November 2010 a.a.[X.] Rn. 29). Es spricht viel dafür, dass das streitige Vorhaben Grundzüge der Planung berührt, wenngleich tatrichterliche Feststellungen hierzu fehlen. Eine [X.] scheitert hier aber jedenfalls daran, dass es zur [X.]ewältigung der gegenläufigen Nutzungskonflikte, die mit der Ansiedlung eines Krematoriums mit Abschiedsraum verbunden sind, einer Planung i.S.d. § 1 Abs. 3 Satz 1 [X.]auG[X.] bedarf.

Der Gesetzgeber stellt mit der Abweichung nach § 31 Abs. 2 [X.]auG[X.] ein Instrument zur Verfügung, das im Interesse der Einzelfallgerechtigkeit und der Wahrung der Verhältnismäßigkeit für Vorhaben, die den Festsetzungen eines [X.]ebauungsplans zwar widersprechen, sich mit den planerischen Vorstellungen aber gleichwohl in Einklang bringen lassen, ein Mindestmaß an Flexibilität schafft ([X.]eschluss vom 5. März 1999 - [X.]VerwG 4 [X.] 5.99 - [X.] 406.11 § 31 [X.]auG[X.] Nr. 39). Eine [X.] ist ausgeschlossen, wenn das Vorhaben in seine Umgebung nur durch Planung zu bewältigende Spannungen [X.] oder erhöht (Urteile vom 9. Juni 1978 - [X.]VerwG 4 [X.] 54.75 - [X.]VerwGE 56, 71 <79> und vom 19. September 2002 - [X.]VerwG 4 [X.] 13.01 - [X.]VerwGE 117, 50 <53 f.>). Generelle, d.h. typischerweise mit der Zulassung eines bestimmten Vorhabens verbundene Nutzungskonflikte, die eine auf die Standortfrage ausgerichtete Planung mit Abwägung gegenläufiger Interessen erforderlich machen, lassen sich nicht im Wege einer [X.] bewältigen. Was den [X.]ebauungsplan in seinen "Grundzügen", was seine "[X.]" verändert, lässt sich nur durch (Um-)Planung ermöglichen und darf nicht durch einen einzelfallbezogenen Verwaltungsakt der [X.]augenehmigungsbehörde zugelassen werden (Urteil vom 9. Juni 1978 a.a.[X.] S. 78). Die Änderung eines [X.]ebauungsplans obliegt nach § 2 [X.]auG[X.] der Gemeinde und nicht der [X.]auaufsichtsbehörde. Hierfür ist in § 3 ff. [X.]auG[X.] ein bestimmtes Verfahren unter [X.]eteiligung der [X.]ürger und der Träger öffentlicher [X.]elange vorgeschrieben, von dem nur unter den in § 13 [X.]auG[X.] genannten Voraussetzungen abgesehen werden kann (Urteil vom 4. August 2009 - [X.]VerwG 4 [X.]N 4.08 - [X.]VerwGE 134, 264 Rn. 12).

Ein Krematorium mit Abschiedsraum in einem Gewerbegebiet löst Nutzungskonflikte aus, die sich nur im Wege einer Abwägung bewältigen lassen. Wie dargelegt zeichnet sich ein Krematorium mit Abschiedsraum durch die [X.]esonderheit der Gleichzeitigkeit von [X.] und Störempfindlichkeit aus. Das führt zu bodenrechtlich relevanten Spannungen, die nur durch Planung zu lösen sind. Ungeachtet der Immissionsträchtigkeit der Anlage - mit [X.]lick auf den Schutz der Gesundheit - entstehen bodenrechtliche Spannungen vor allem dadurch, dass ein Krematorium mit Abschiedsraum in einer Umgebung anzusiedeln ist, die eine würdevolle [X.]estattung erlaubt. Der Schutz der [X.]estattung und des Totengedenkens fordert Rücksichtnahme durch die Nachbarschaft; zugleich ist Rücksichtnahme auf Nachbarn gefordert. Eine Koordination dieser widerstreitenden [X.]elange lässt sich sachgerecht nur im Wege einer Abwägung unter Würdigung der öffentlichen und nachbarlichen Interessen sicherstellen. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage des Standorts und seiner Anbindung. Diese Frage sowie die Frage nach [X.] fordert planerische Gestaltungsfreiheit unter [X.]eachtung des Verfahrens der Öffentlichkeitsbeteiligung. Der Gesetzgeber stellt für diese städtebauliche Konfliktlage auch spezifische Festsetzungsmöglichkeiten zur Verfügung. Die Art der baulichen Nutzung kann nicht nur durch die Festsetzung von [X.]augebieten im Sinne der [X.] erfolgen ([X.]eschluss vom 13. Juli 1989 - [X.]VerwG 4 [X.] 140.88 - [X.] 406.11 § 236 [X.]auG[X.] Nr. 1 S. 5 - juris Rn. 11). Auch "Flächen für den Gemeinbedarf" legen die Art der baulichen Nutzung fest ([X.]eschluss vom 23. Dezember 1997 - [X.]VerwG 4 [X.] - [X.] 406.11 § 9 [X.]auG[X.] Nr. 86 - juris Rn. 7). § 9 Abs. 1 Nr. 5 [X.]auG[X.] eröffnet nicht nur die Möglichkeit, sondern verweist auch auf die Notwendigkeit einer gesonderten Festsetzung einer Gemeinbedarfsanlage im Fall eines städtebaulich relevanten Nutzungskonflikts. Sofern durch städtebauliche Gründe gerechtfertigt, hat die Gemeinde überdies die Möglichkeit, ein sonstiges Sondergebiet gemäß § 11 Abs. 1 [X.] festzusetzen.

3. Die rechtswidrige [X.]augenehmigung verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger kann sich auf bauplanungsrechtlichen Nachbarschutz berufen. Die Festsetzung von [X.]augebieten durch einen [X.]ebauungsplan hat nachbarschützende Funktion zugunsten der Grundstückseigentümer im jeweiligen [X.]augebiet (Urteile vom 16. September 1993 - [X.]VerwG 4 [X.] 28.91 - [X.]VerwGE 94, 151 und vom 23. August 1996 - [X.]VerwG 4 [X.] 13.94 - [X.]VerwGE 101, 364; [X.]eschluss vom 18. Dezember 2007 - [X.]VerwG 4 [X.] 55.07 - [X.] 406.12 § 1 [X.] Nr. 32 Rn. 5). Ein Nachbar im [X.]augebiet kann sich auch dann gegen die Zulassung einer gebietswidrigen Nutzung wenden, wenn er - wie hier - durch sie selbst nicht unzumutbar beeinträchtigt wird.

Meta

4 C 14/10

02.02.2012

Bundesverwaltungsgericht 4. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 25. Oktober 2010, Az: 7 A 1298/09, Urteil

§ 31 Abs 2 BauGB, § 8 Abs 3 Nr 2 BauNVO, § 1 Abs 3 S 1 BauGB

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 02.02.2012, Az. 4 C 14/10 (REWIS RS 2012, 9543)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 9543

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

4 C 6/20 (Bundesverwaltungsgericht)

Gebietsverträglichkeit eines Feuerwehrgerätehauses; Anlagen für Verwaltungen


4 C 5/18 (Bundesverwaltungsgericht)

Zulässigkeit einer Schank- und Speisewirtschaft im allgemeinen Wohngebiet


28 K 5593/21 (Verwaltungsgericht Düsseldorf)


AN 3 K 16.02050 (VG Ansbach)

Unzulässigkeit eines Lagerplatzes im eingeschränkten Gewerbegebiet


4 C 10/09 (Bundesverwaltungsgericht)

Zulassung einer Krypta in einer Kirche im Industriegebiet; Störempfindlichkeit; Glaubensvorstellungen; Gründe des Wohls der Allgemeinheit


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.