Bundessozialgericht, Beschluss vom 05.06.2014, Az. B 10 ÜG 29/13 B

10. Senat | REWIS RS 2014, 5036

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Gegenstand

(Nichtzulassungsbeschwerde - sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensmangel - Vertretung des beklagten Landes durch eine Richterin des entscheidenden Gerichts - Richterablehnung - Ablehnungsgesuch bis zur Beendigung der Instanz - Bestimmung des Rechtsschutzziels bei anwaltlichem Klageantrag - grundsätzliche Bedeutung - ausreichender nationaler Rechtsschutz gegen überlange Gerichtsverfahren - Nichtberücksichtigung des Vorverfahrens in § 198 Abs 6 Nr 1 GVG - Darlegungsanforderungen)


Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 16. August 2013 wird als unzulässig verworfen.

Der Kläger trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird auf 5000 Euro festgesetzt.

Gründe

1

I. Mit Urteil vom 16.8.2013 hat das [X.] einen Anspruch des [X.] auf Zahlung einer Entschädigung wegen überlanger Dauer eines sozialgerichtlichen Verfahrens von April 2005 bis Mai 2010 verneint; an diesem Verfahren (Klage des früheren Arbeitgebers des [X.] gegen eine Beitragsnachforderung des Rentenversicherungsträgers) war der Kläger zeitweise als Beigeladener beteiligt, da es in diesem Rechtsstreit auch um Beiträge für eine für sozialversicherungspflichtig gehaltene Beschäftigung ging.

2

Gegen die Nichtzulassung der Revision in der Entscheidung des [X.] vom 16.8.2013 hat der Kläger Beschwerde zum B[X.] eingelegt. In der Beschwerdebegründung werden sinngemäß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowie Verfahrensfehler des [X.] geltend gemacht.

3

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil kein Zulassungsgrund ordnungsgemäß dargetan worden ist (vgl § 160a Abs 2 S 3 [X.]).

4

Die Beschwerde hat keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt. Eine solche grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl [X.]-1500 § 160a [X.] mwN; Fichte in Breitkreuz/Fichte, [X.], 2. Aufl 2014, § 160a Rd[X.] 42).

5

Diesen Anforderungen wird die vorliegende Beschwerdebegründung nicht gerecht. Der Kläger hat nicht hinreichend substantiiert dargelegt, warum der von ihm aufgeworfenen Frage, ob die [X.] ausreichenden nationalen Rechtsschutz wegen überlanger Verfahrensdauer im Sinne der Europäischen Menschenrechtskonvention ([X.]) geschaffen habe, grundsätzliche Bedeutung iS von § 160 Abs 2 [X.] [X.] zukommen sollte. Der Kläger verlangt, jedenfalls bei Verfahren, in denen bereits vor Inkrafttreten des [X.] bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren ([X.]) eine Individualbeschwerde beim [X.] ([X.]) anhängig gemacht worden ist, auch die Dauer des vorangegangenen Verwaltungsverfahrens zu berücksichtigen. Insoweit hat er es aber versäumt, sich ausreichend mit der Rechtsprechung des [X.] auseinanderzusetzen. Der Kläger räumt selber ein, dass der [X.] ihn nunmehr selber im Verfahren über seine im Jahr 2010 dort erhobene Beschwerde auf den inzwischen in [X.] geschaffenen Rechtsbehelf gegen überlange Verfahrensdauer durch das [X.] verwiesen hat. Offenbar sieht der [X.] diesen Rechtsbehelf jedenfalls derzeit als ausreichend an, um die Rechte aus der [X.] zunächst auf [X.] zu gewährleisten. Aus diesem Grund hat der [X.] auch eine weitere Individualbeschwerde aus [X.], die eine überlange Dauer des Verwaltungsverfahrens und das Fehlen eines diesbezüglich wirksamen innerstaatlichen Rechtsbehelfs als Verstoß gegen Art 6 und Art 13 [X.] gerügt hatte, unter Hinweis auf das [X.] förmlich zurückgewiesen, weil er den innerstaatlichen Rechtsweg als nicht erschöpft angesehen hat. Laut dieser Entscheidung ist es angemessen und gerechtfertigt, auch von den Beschwerdeführern, die ihre Beschwerden vor Inkrafttreten des Gesetzes erhoben hatten, zu verlangen, dass sie den neuen innerstaatlichen Rechtsbehelf in Anspruch nehmen (vgl [X.] Entscheidung vom [X.] - 41394/11 - Juris mwN). Welchen grundsätzlichen Klärungsbedarf hinsichtlich des [X.] sein Fall darüber hinaus noch aufzeigen sollte, hat der Kläger nicht dargelegt. Ohnehin, und darauf geht seine Beschwerde ebenfalls mit keinem Wort ein, handhabt der [X.] bei seinen eigenen Entscheidungen die Berücksichtigung der Dauer des Verwaltungsverfahrens unterschiedlich (vgl die Nachweise bei [X.], [X.], 3. Aufl 2011, Artikel 6 Rd[X.]94). Daher hätte es jedenfalls im Einzelnen der Darlegung bedurft, warum die [X.] die Berücksichtigung des Verwaltungsverfahrens bei der Bestimmung der Dauer des Gerichtsverfahrens trotz der nicht einheitlichen Rechtsprechung des [X.] in jedem Fall zwingend erfordern sollte.

6

Darüber hinaus fehlt es auch an der erforderlichen Darlegung der Entscheidungserheblichkeit der vom Kläger aufgeworfenen Frage. Laut seinem verfahrenseinleitenden Schriftsatz vom 25.1.2012 hat er selber das Verfahren beim [X.] von vornherein auf die Gewährung von Entschädigung wegen überlanger Dauer des bei den Sozialgerichten geführten Gerichtsverfahrens beschränkt und ausdrücklich betont, das vorangegangene Verwaltungsverfahren sei nicht Gegenstand des Gerichtsverfahrens in [X.].

7

Ebenso wenig hat der Kläger einen Verfahrensmangel hinreichend dargetan. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, es liege ein Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 [X.] 3 Halbs 1 [X.]), so müssen bei der Bezeichnung des [X.] (§ 160a Abs 2 S 3 [X.]) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des [X.] ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung der angefochtenen Entscheidung besteht. Gemäß § 160 Abs 2 [X.] [X.] kann der geltend gemachte Verfahrensmangel dabei nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 [X.] und auf eine Verletzung des § 103 [X.] nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das [X.] ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

8

Diese Darlegungserfordernisse erfüllt der Kläger nicht. Seinen Vorwurf, die Berufsrichter des erkennenden [X.]-Senats seien befangen gewesen, hat er nicht hinreichend substantiiert. Nach §§ 162, 202 [X.] iVm § 547 [X.] 3 ZPO stellt die Mitwirkung eines erfolgreich wegen Befangenheit abgelehnten [X.]s einen absoluten Revisionsgrund dar (vgl [X.], NJW 2001, 1502; [X.] in: [X.]/[X.]/[X.], [X.], 10. Aufl 2012, § 162 Rd[X.]0b mwN). Auch die willkürliche Ablehnung eines Befangenheitsgesuchs kann nach § 202 [X.] iVm § 547 [X.] ZPO einen absoluten Revisionsgrund begründen ([X.]-1100 Art 101 [X.] 3). Ein auf mögliche Befangenheit gestütztes Ablehnungsgesuch muss allerdings rechtzeitig bis zur Beendigung der jeweiligen Instanz geltend gemacht werden; wenn der betroffene [X.] seine richterliche Tätigkeit im konkreten Fall mit einer Sachentscheidung beendet hat, ist eine diesbezügliche Rüge prozessual überholt (B[X.] Beschluss vom [X.] - B 10 KG 9/04 B - Juris mwN).

9

Insoweit behauptet der Kläger aber selber nicht, rechtzeitig vor Erlass der angefochtenen Entscheidung ein Ablehnungsgesuch gestellt zu haben. Zwar trägt er vor, er habe erst nach Erlass des angefochtenen Urteils erfahren, dass die Vertreterin des Beklagten zusammen mit erkennenden [X.]n des Senats einen weiteren Senat des [X.] bilde, was nach seiner Ansicht einen Befangenheitsgrund darstelle. Indes legt er nicht substantiiert dar, warum er diese Tatsache - zumal als Rechtsanwalt - nicht schon vorher dem Original des [X.] des [X.] entnehmen konnte. Dieses war nach § 21e Abs 9 [X.] im Gericht zur Einsichtnahme aufzulegen und hatte nach § 21e Abs 1 [X.] die personelle Besetzung der Spruchkörper zu Beginn des Geschäftsjahres festzulegen. Es kommt nicht darauf an, ob - so die Behauptung des [X.] - daneben veröffentlichte Fassungen des [X.] ohne Nennung der zuständigen [X.] existierten. Denn einer Veröffentlichung des [X.] bedarf es nach § 21e Abs 9 [X.] überhaupt nicht und daher auch nicht in einer bestimmten Form.

Für die in diesem Zusammenhang ebenfalls geltend gemachte Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren ist ebenfalls nichts ersichtlich. Der aus Art 2 Abs 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Anspruch auf ein faires Verfahren ist nur verletzt, wenn grundlegende Rechtsschutzstandards, wie das Gebot der Waffengleichheit zwischen den Beteiligten, das Verbot von widersprüchlichem Verhalten oder von Überraschungsentscheidungen nicht gewahrt werden ([X.]-1500 § 118 [X.] 3 mwN). Zu diesen Voraussetzungen hat die Beschwerde nichts von Belang vorgetragen.

Soweit der Kläger darüber hinaus die zeitweise Vertretung des beklagten [X.] durch eine [X.]in des [X.] rügt, kann der Senat offenlassen, ob der Verzicht des [X.] auf Zurückweisung dieser Bevollmächtigten einen Verfahrensmangel nach § 73 Abs 5 iVm Abs 3 [X.] begründet. Die Beschwerde hat jedenfalls nicht dargetan, warum die angefochtene Entscheidung auf der behaupteten Verletzung des § 73 Abs 5 [X.] beruhen könnte. Allein der Vortrag, das [X.] habe die Argumentation der Beklagtenvertreterin wortwörtlich übernommen, ist ungeeignet, ein solches Beruhen darzulegen, solange die Beschwerde nicht die entsprechenden Ausführungen des Urteils in der Sache mit zulässigen [X.] angreift.

Mit seiner Rüge, das [X.] habe sein Entschädigungsbegehren wegen der verzögerten Entscheidungen über seine Begehren auf Kostenerstattung anlässlich der Beteiligung als Beigeladener an den Ausgangsverfahren vor dem [X.] und dem [X.] unterschlagen, wirft er dem [X.] einen Verstoß gegen die Vorschrift des § 123 [X.] vor. Danach entscheidet das Gericht über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein. Bei einem von einem Rechtsanwalt oder einem anderen qualifizierten Prozessbevollmächtigten gestellten Klageantrag ist allerdings in der Regel anzunehmen, dass dieser das Gewollte richtig wiedergibt (vgl [X.] in: [X.]/[X.]/[X.], [X.], 10. Aufl 2012, § 123 Rd[X.] 3 mwN).

Den Streitgegenstand seiner Entscheidung hat das [X.] den verfahrenseinleitenden Schriftsätzen des [X.] vom 16. und 25.1.2012 und den darin enthaltenen Klageanträgen entnommen. Die Beschwerde legt nicht stichhaltig dar, warum das [X.] sich hätte veranlasst sehen sollen, an dieser eindeutigen Bestimmung seines [X.] durch den Kläger zu zweifeln. Das [X.] war insbesondere nicht verpflichtet, die nachfolgenden umfangreichen und teilweise unübersichtlichen Einlassungen des [X.] daraufhin durchzusehen, ob er sein anfänglich formuliertes Klageziel um die Behandlung seiner Anträge auf Kostenerstattung oder anders erweitern wollte, ohne als Rechtsanwalt klar erkennbar einen geänderten Klageantrag zu stellen.

Soweit der Kläger eine weitere Verletzung von § 123 [X.] mit dem Vorwurf geltend macht, das [X.] habe zu Unrecht nicht über seinen Antrag auf Entschädigung wegen der Dauer des beim [X.] geführten [X.] selber entschieden, so legt er nicht dar, warum der erkennende Senat des [X.] für diesen neuen Streitgegenstand, der seine eigene Verfahrensführung betrifft, trotz § 41 [X.] 7 ZPO überhaupt zuständig sein und sich deshalb zu einer Entscheidung im Rahmen des laufenden Klageverfahrens hätte gehalten sehen können. Ohnehin hat der Kläger seinen entsprechenden Schriftsatz lediglich mit Rüge überschrieben, also wiederum nicht unmissverständlich einen geänderten Klageantrag für das laufende Verfahren formuliert, wie es das [X.] von ihm als Rechtsanwalt erwarten durfte.

Mit seinem Vorwurf, das [X.] sei von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen und habe seine Äußerungen falsch interpretiert, wendet sich der Kläger gegen die Beweiswürdigung des Gerichts. Dabei übersieht er aber, dass die Nichtzulassungsbeschwerde nach § 160 Abs 2 [X.] [X.] von vornherein nicht auf eine Verletzung des § 128 [X.] gestützt werden kann.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 [X.]).

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 197a Abs 1 S 1 [X.] iVm § 154 Abs 2 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 197a Abs 1 S 1 [X.] iVm § 47 Abs 2 und 3, § 52 Abs 2, § 63 Abs 2 S 1 GKG.

Meta

B 10 ÜG 29/13 B

05.06.2014

Bundessozialgericht 10. Senat

Beschluss

Sachgebiet: False

vorgehend SG Lübeck, 20. Mai 2008, Az: S 8 KR 133/05, Urteil

§ 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG, § 73 Abs 3 SGG, § 73 Abs 5 SGG, § 123 SGG, § 128 SGG, § 162 SGG, § 202 SGG, § 41 Nr 7 ZPO, § 547 Nr 3 ZPO, § 21e Abs 9 GVG, § 198 Abs 1 S 1 GVG, § 198 Abs 6 Nr 1 GVG, Art 6 MRK, Art 13 MRK

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 05.06.2014, Az. B 10 ÜG 29/13 B (REWIS RS 2014, 5036)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 5036

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