Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 15.12.2011, Az. 8 B 57/11

8. Senat | REWIS RS 2011, 326

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Gegenstand

Umfang des Bundesrechts; zur Aufhebung von als Bundesrecht fortgeltenden Verwaltungsakten der ehemaligen DDR


Gründe

1

Die Klägerin, Eigentümerin eines Betriebsgrundstücks im Zuständigkeitsbereich des Beklagten, wendet sich gegen die Festsetzung eines Abwasserbeitrages in Höhe von 129 042,38 €. Da eine Genehmigung nach § 17 des Wassergesetzes der [X.] vom 2. Juli 1982 ihr das Einleiten von Abwasser in einen nahe gelegenen Bachlauf gestatte, unterliege ihr Grundstück nicht dem Anschluss- und Benutzungszwang für die Abwasserentsorgung. Daran ändere auch die nach Erlass des [X.] in [X.] getretene, den Anschluss- und Benutzungszwang ausweitende Änderung der [X.] des Beklagten nichts. Das [X.] hat der Anfechtungsklage der Klägerin stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht das erstinstanzliche Urteil geändert, die Klage abgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Die dagegen erhobene Beschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 [X.]r. 1 VwGO) liegt nicht vor.

2

Die Grundsatzrüge setzt die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts voraus, der eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (Beschluss vom 19. August 1997 - [X.] 7 B 261.97 - [X.] 310 § 133 VwGO [X.]r. 26 S. 14). Dazu genügt nicht, dass eine Frage noch nicht höchstrichterlich entschieden wurde. [X.]ur wenn ihre Klärung gerade eine solche Entscheidung verlangt, muss zur Wahrung der Rechtseinheit einschließlich der gebotenen Rechtsfortentwicklung ein Revisionsverfahren durchgeführt werden. Das ist nicht der Fall, wenn die Frage sich anhand der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung ohne Weiteres beantworten lässt (Beschluss vom 24. August 1999 - [X.] 4 B 72.99 - [X.]E 109, 268 <270> = [X.] 310 § 60 VwGO [X.]r. 228). Bezieht die Frage sich auf die Auslegung irrevisiblen Rechts, genügt es nicht, geltend zu machen, das Berufungsgericht habe mit seiner Auslegung bundesrechtliche Vorschriften verletzt. Vielmehr muss dargetan werden, dass der bundesrechtliche Maßstab selbst einen die Zulassung der Revision rechtfertigenden Klärungsbedarf aufweist (Beschluss vom 9. März 1984 - [X.] 7 B 238.81 - [X.] 401.84 Benutzungsgebühren [X.]r. 49; [X.], in: [X.]/[X.]/[X.], VwGO, [X.], Stand Oktober 2008, § 132 Rn. 43 m.w.[X.].). Daran fehlt es hier.

3

1. Die Frage,

ob, unter welchen Umständen und in welchem Umfang ein ursprünglich rechtswidriger Verwaltungsakt durch Erlass einer später ergangenen rechtmäßigen Rechtsgrundlage als geheilt angesehen werden kann,

formuliert trotz des einleitenden Hinweises der Klägerin auf § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO keine Grundsatzfrage des Verwaltungsprozessrechts, sondern ein Problem des materiellen Rechts, nämlich die Frage, wie eine Änderung der Ermächtigungsgrundlage sich auf die Rechtmäßigkeit eines zuvor erlassenen Verwaltungsakts auswirkt. Diese Frage wäre im angestrebten Revisionsverfahren nur entscheidungserheblich, soweit sie sich auf die hier umstrittene Heilung eines Abwasserbeitragsbescheides durch eine nachträglich ohne Rückwirkungsanordnung erlassene kommunale Änderungssatzung bezieht. Insoweit betrifft sie jedoch kein revisibles Recht, sondern die Anwendung irrevisibler landesrechtlicher Vorschriften des Wasser- und Kommunalrechts. Die Klägerin zeigt in diesem Zusammenhang auch keinen Klärungsbedarf in Bezug auf revisible [X.]ormen auf. Der Hinweis auf die berufungsgerichtlichen Ausführungen zur Rechtsprechung betreffend die Heilung von [X.] genügt dazu nicht. Das Oberverwaltungsgericht hat dem [X.] keine verbindlichen Vorgaben entnommen, sondern die in der Rechtsprechung dazu entwickelten Rechtssätze nur als Auslegungshilfe genutzt, um ein seines Erachtens paralleles landesrechtliches Problem zu lösen (zur Abgrenzung vgl. Urteil vom 30. September 2009 - [X.] 8 [X.] 5.09 - [X.]E 135, 100 = [X.] 451.09 [X.] [X.]r. 21).

4

Ob eine Heilung ex tunc oder nur ex nunc eintreten konnte, wäre im Revisionsverfahren auch nicht entscheidungserheblich, weil der Senat dort auf die Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abstellen müsste. Die Bestimmung des maßgeblichen Zeitpunkts richtet sich nach dem materiellen Recht (Urteil vom 28. Juli 1989 - [X.] 7 [X.] 39.87 - [X.]E 82, 260 <261> = [X.] 442.01 § 13 [X.] [X.]r. 29 S. 13 m.w.[X.]). Bei der Beurteilung von Maßnahmen, die wie der Abwasserbeitragsbescheid auf der Grundlage irrevisiblen Landesrechts erlassen wurden, hat das Revisionsgericht von dem Zeitpunkt auszugehen, den das Berufungsgericht in Anwendung des einschlägigen irrevisiblen Rechts für maßgeblich gehalten hat. Das ist hier der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung.

5

Soweit die Klägerin geklärt wissen will, wie sie der Erhebung von Aussetzungszinsen begegnen soll, formuliert sie keine für das Revisionsverfahren erhebliche Rechtsfrage. Der [X.], der im Revisionsverfahren nicht mehr erweitert werden kann (§ 142 Abs. 1 VwGO), beschränkt sich auf die Anfechtung der Beitragsfestsetzung selbst. Unabhängig davon ergibt sich bereits aus der bisherigen Rechtsprechung, dass Zinsen nicht für einen Zeitraum vor Fälligkeit erhoben werden dürfen und dass die Fälligkeit nicht vor der Heilung des [X.] eintreten kann (vgl. Urteil vom 25. [X.]ovember 1981 - [X.] 8 [X.] 14.81 - [X.]E 64, 218 <222 f.> = [X.] 310 § 113 VwGO [X.]r. 112).

6

2. Die weitere, sinngemäß gestellte Frage,

ob nach [X.]. 31 GG die der Klägerin nach § 17 des Wassergesetzes der [X.] vom 2. Juli 1982 erteilte, nach [X.]. 19 EV fortgeltende wasserrechtliche Genehmigung vom 16. April 1986 der landesrechtlichen Regelung des § 63 Abs. 6 Satz 3 Halbs. 2 [X.] entgegensteht,

hat keine grundsätzliche Bedeutung, weil sie anhand der üblichen Auslegungsmethoden unter Berücksichtigung der bisherigen Rechtsprechung ohne Weiteres - verneinend - zu beantworten ist. Zum Bundesrecht im Sinne des [X.]. 31 GG gehören nur Rechtssätze und keine Einzelfallentscheidungen wie die wasserrechtliche Genehmigung ([X.], Beschluss vom 15. Oktober 1997 - 2 Bv[X.] 1/95 - [X.]E 96, 345 <364>). Im Übrigen galt auch das Wassergesetz der [X.] vom 2. Juli 1982 nach [X.]. 9 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4, Anlage II Kapitel [X.] nicht als Bundesrecht, sondern als Landesrecht fort. Entgegen der Auffassung der Klägerin lässt sich auch aus §§ 6 oder 57 [X.] kein Vorrang der Genehmigung vor § 63 Abs. 6 Satz 3 Halbs. 2 [X.] herleiten. [X.]. 19 EV erklärt Verwaltungsakte für weiterhin wirksam, ohne die bisherige Ermächtigungsgrundlage gegen eine neue bundesrechtliche auszutauschen.

7

3. Die sinngemäß aufgeworfene Frage,

ob [X.]. 14 Abs. 1 GG oder [X.]. 19 Satz 3 EV i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip in der Ausprägung des Vertrauensschutzprinzips nach [X.]. 20 Abs. 3 GG fordert, dass als Bundesrecht fortgeltende Verwaltungsakte der ehemaligen [X.] und die dadurch gewährten Rechtspositionen nur unter Gewährung eines Übergangszeitraums aufgehoben werden dürfen,

würde sich im Revisionsverfahren nicht stellen, weil die der Klägerin erteilte Genehmigung keinen Bundesrechtsrang hat. Unabhängig davon lässt sie sich bereits auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung verneinen. Danach gebieten weder [X.]. 14 Abs. 1 GG noch [X.]. 20 Abs. 3 GG, bei der Beseitigung von [X.]-Altrechten stets eine Übergangsfrist vorzusehen. [X.]. 14 Abs. 1 GG schützt solche Rechte nur, wenn sie dem Einzelnen eine eigentümergleiche Rechtsposition verschafft haben, die auf einer nicht unerheblichen Eigenleistung beruht. Dafür kann es unter anderem auf [X.] und Umfang von Investitionen zur Rechtsausübung und auf die Fortführung der [X.]utzung im Zeitpunkt des Beitritts ankommen ([X.], [X.] vom 24. Februar 2010 - 1 BvR 27/09 - juris Rn. 62). Greift [X.]. 14 Abs. 1 GG ein, darf das betreffende Altrecht im Zuge der [X.]euregelung von Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Eigentums nach [X.]. 14 Abs. 1 Satz 2 GG beseitigt werden, sofern der damit verbundene Eingriff verhältnismäßig ist ([X.], [X.] vom 24. Februar 2010 a.a.[X.] Rn. 65 f.; allgemein zu privat- oder öffentlichrechtlichen [X.]utzungsrechten bezüglich der Grundstücksentwässerung: [X.], Beschluss vom 19. Dezember 1997 - [X.] 8 [X.] - [X.] 415.1 AllgKommR [X.]r. 142). Die Eigentumsgarantie verbietet nicht, individuelle Rechtspositionen durch angemessene und zumutbare Überleitungsregelungen umzugestalten, wenn Gemeinwohlgründe vorliegen, die dem berechtigten, durch die Bestandsgarantie gesicherten Vertrauen auf den Fortbestand eines wohl erworbenen Rechts vorgehen ([X.], Beschluss vom 15. Juli 1981 - 1 [X.] - [X.]E 58, 300 <350 f.>; [X.] vom 24. Februar 2010 a.a.[X.] Rn. 65 m.w.[X.].). Der rechtsstaatliche Grundsatz des Vertrauensschutzes ist dabei schon berücksichtigt und vermittelt keine weitergehende Bestandsgarantie.

8

Zur Sicherung der Zumutbarkeit des Eingriffs muss eine Übergangsregelung nicht zwangsläufig Übergangsfristen vorsehen. Stattdessen kommen auch Ausnahme- oder Befreiungstatbestände ([X.], Beschluss vom 20. Oktober 2005 - [X.] 6 B 52.05 - [X.] 2006, 149), eine Entschädigung oder Sonderregelungen in Betracht, die es den Inhabern der Altrechte erleichtern, eine Bewilligung nach neuem Recht zu erlangen (dazu vgl. [X.], [X.] vom 24. Februar 2010 a.a.[X.] Rn. 83 ff.). Das Einräumen einer Übergangsfrist ist entbehrlich, wenn sonstige Überleitungsvorschriften genügen, die Zumutbarkeit des Eingriffs zu gewährleisten. Der Einwand, das Berufungsgericht habe dies im konkreten Fall zu Unrecht angenommen, beanstandet die Rechtsanwendung auf den Einzelfall, deren Richtigkeit nicht Gegenstand der Grundsatzrüge sein kann.

9

Aus [X.]. 19 Satz 3 EV lässt sich ebenfalls kein Erfordernis einer Übergangsfrist herleiten. Er verweist für wirksam bleibende Verwaltungsakte auf die allgemeinen Regeln der Bestandskraft (vgl. [X.], Beschluss vom 20. Oktober 2005 a.a.[X.]), die ebenso wie der Grundsatz des Vertrauensschutzes eine Aufhebung weder schlechthin ausschließen noch stets von der Einräumung einer Übergangsfrist abhängig machen.

Meta

8 B 57/11

15.12.2011

Bundesverwaltungsgericht 8. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Sächsisches Oberverwaltungsgericht, 2. März 2011, Az: 5 A 343/08, Urteil

Art 31 GG, Art 20 Abs 3 GG, Art 14 Abs 1 GG, Art 19 S 3 EinigVtr

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 15.12.2011, Az. 8 B 57/11 (REWIS RS 2011, 326)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 326

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2 BvN 1/95

1 BvR 27/09

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