Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 27.06.2013, Az. 4 C 1/12

4. Senat | REWIS RS 2013, 4690

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Gegenstand

Zwingender Artenschutz und behördlicher Beurteilungsspielraum


Leitsatz

Ist über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit eines privilegierten Außenbereichsvorhabens zu entscheiden, hat die zuständige Behörde gemäß § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB auch die naturschutzrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens zu prüfen. Artenschutzrechtliche Verbote stellen sich zugleich als ein nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB beachtlicher Belang des Naturschutzes dar.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für zwei Windenergieanlagen im Außenbereich. Sie verfügt über einen positiven Bauvorbescheid, der ihr auf ihre Klage hin erteilt worden war. Ihren Antrag auf Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung lehnte der Beklagte aus Gründen des [X.] ab. Die hiergegen erhobene Klage der Klägerin blieb in erster Instanz erfolglos. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Das Vorhaben sei aus naturschutzrechtlichen Gründen nicht genehmigungsfähig. Die naturschutzrechtlichen Fragen seien im Vorbescheid nicht mit Bindungswirkung zugunsten der Klägerin entschieden worden. Aufgrund der Feststellung der planungsrechtlichen Zulässigkeit könne dem Vorhaben zwar nicht mehr entgegengehalten werden, ihm stünden Belange des Naturschutzes im Sinne von § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB entgegen. Das bedeute aber nicht, dass im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren die Vereinbarkeit des Vorhabens mit naturschutzrechtlichen Vorschriften nicht mehr zu prüfen wäre. Nach der Rechtsprechung des [X.] hätten die bauplanungsrechtlichen und die naturschutzrechtlichen Zulassungsvoraussetzungen für Vorhaben im Außenbereich einen jeweils eigenständigen Charakter und seien unabhängig voneinander zu prüfen. Der Betrieb der Windenergieanlagen verstoße in Bezug auf die Vogelart "Rotmilan" gegen das artenschutzrechtliche Tötungs- und Verletzungsverbot. Dem Beklagten komme insoweit ein naturschutzfachlicher Beurteilungsspielraum zu. Die Einschätzung, dass der Rotmilan durch das Vorhaben einem signifikant erhöhten Tötungsrisiko ausgesetzt sei, sei naturschutzfachlich vertretbar.

2

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision.

Entscheidungsgründe

3

Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das [X.]erufungsurteil steht zwar nicht in jeder Hinsicht in Einklang mit [X.]undesrecht. Es erweist sich aber im Ergebnis als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO). Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die begehrte immissionsschutzrechtliche Genehmigung. Es liegt ein Versagungsgrund i.S.d. § 6 Abs. 1 Nr. 2 [X.]ImSchG vor. Dem Vorhaben stehen [X.]elange des [X.]. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 [X.]auG[X.] entgegen, denn es verstößt gegen das artenschutzrechtliche Tötungs- und Verletzungsverbot gemäß § 44 Abs. 1 Nr. 1 [X.]NatSchG. Über die artenschutzrechtliche Zulässigkeit ist nicht bereits aufgrund des bestandskräftigen [X.]auvorbescheids mit [X.]indungswirkung zugunsten der Klägerin entschieden worden. [X.]ei der danach im Genehmigungsverfahren gebotenen artenschutzrechtlichen Prüfung verfügt die [X.]ehörde über eine naturschutzfachliche [X.].

4

1. Die Auffassung des [X.], für eine naturschutzrechtliche Prüfung der artenschutzrechtlichen Verbote sei trotz der verbindlich festgestellten bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens, bei der auch das Entgegenstehen von [X.]elangen des [X.]. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 [X.]auG[X.] geprüft worden sei, noch Raum, steht nicht in Einklang mit [X.]undesrecht.

5

Ist über die Frage, ob einem privilegierten [X.] [X.]elange des [X.]. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 [X.]auG[X.] entgegenstehen, bereits im Rahmen eines bauplanungsrechtlichen [X.]auvorbescheids abschließend entschieden worden, steht einer erneuten - naturschutzrechtlichen - Entscheidung über das Entgegenstehen artenschutzrechtlicher Verbote die [X.] des [X.]auvorbescheids entgegen. Das Oberverwaltungsgericht hat zwar zutreffend erkannt, dass artenschutzrechtliche Verbote zwingendes Recht darstellen, von dem nur abgewichen werden darf, wenn die Voraussetzungen für eine Ausnahme (§ 45 Abs. 7 [X.]NatSchG) oder [X.]efreiung (§ 67 [X.]NatSchG) vorliegen. Die Annahme, aus diesem Grund sei zwischen planungsrechtlicher und naturschutzrechtlicher Zulässigkeit eines Vorhabens zu trennen, beruht aber auf einer Verkennung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 [X.]auG[X.]. Auf das Urteil des Senats vom 13. Dezember 2001 - [X.]VerwG 4 [X.] 3.01 - ([X.] 406.11 § 35 [X.]auG[X.] Nr. 350) kann sich das Oberverwaltungsgericht nicht stützen. Die Entscheidung des Senats ist auf die [X.]esonderheiten der naturschutzrechtlichen Abwägung im Rahmen der sog. Eingriffsregelung zugeschnitten und betrifft zudem die nicht mehr geltende rahmenrechtliche Rechtslage (§ 8a Abs. 2 Satz 2 [X.]NatSchG a.F.). Einen allgemeinen Rechtssatz des Inhalts, dass die bauplanungsrechtlichen und die naturschutzrechtlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen generell unabhängig voneinander zu prüfen sind, hat der Senat nicht aufgestellt.

6

[X.] Verbote i.S.d. § 44 [X.]NatSchG sind nach dem Prüfprogramm des § 6 Abs. 1 Nr. 2 [X.]ImSchG "zugleich" [X.]elange des [X.]. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 [X.]auG[X.], die einem privilegierten [X.] bauplanungsrechtlich nicht entgegenstehen dürfen. Das Naturschutzrecht konkretisiert die öffentlichen [X.]elange i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 [X.]auG[X.]. Ist über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit eines Vorhabens nach § 35 Abs. 1 [X.]auG[X.] zu entscheiden, hat die zuständige [X.]ehörde daher auch die naturschutzrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens zu prüfen (Urteil vom 20. Mai 2010 - [X.]VerwG 4 [X.] 7.09 - [X.]VerwGE 137, 74 Rn. 35). Können artenschutzrechtliche Verbote naturschutzrechtlich nicht überwunden werden, stehen sie einem gemäß § 35 Abs. 1 [X.]auG[X.] privilegierten Vorhaben als öffentliche [X.]elange i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 [X.]auG[X.] zwingend entgegen. Das Vorhaben ist dann bauplanungsrechtlich unzulässig. Es decken sich also die bauplanungsrechtlichen Anforderungen des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 [X.]auG[X.], soweit sie "naturschutzbezogen" sind, mit den Anforderungen des [X.]. [X.] Verbote, von denen weder eine Ausnahme noch eine [X.]efreiung erteilt werden kann, stehen einem immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftigen [X.] deshalb stets zwingend entgegen, und zwar sowohl als verbindliche Vorschriften des [X.] als auch als [X.]elange des [X.]. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 [X.]auG[X.]. Für eine "nachvollziehende" Abwägung (zum [X.]egriff z.[X.]. Urteil vom 19. Juli 2001 - [X.]VerwG 4 [X.] 4.00 - [X.]VerwGE 115, 17 <24 f.>) ist kein Raum. Voraussetzung der nachvollziehenden Abwägung ist, dass die Entscheidung Wertungen zugänglich ist, die gewichtet und abgewogen werden können. Das ist bei zwingenden gesetzlichen Verboten nicht der Fall.

7

2. Die [X.]erufungsentscheidung stellt sich aber aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die begehrte immissionsschutzrechtliche Genehmigung. Im Ergebnis zu Recht ist das Oberverwaltungsgericht davon ausgegangen, dass der [X.]eklagte im Genehmigungsverfahren die Vereinbarkeit des Vorhabens mit dem Artenschutzrecht prüfen durfte. Zwar verfügt die Klägerin über einen positiven [X.]auvorbescheid, der in dem Umfang, in dem er dem Vorhaben die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit bescheinigt, [X.] entfaltet. Der positive [X.]auvorbescheid, der der Klägerin auf ihre Klage hin erteilt worden ist, enthält jedoch keine Aussage zur Vereinbarkeit des Vorhabens mit dem Artenschutzrecht.

8

An die Auslegung des [X.], der [X.]auvorbescheid stelle die planungsrechtliche Zulässigkeit des klägerischen Vorhabens "insgesamt" fest, ist der Senat entgegen § 137 Abs. 2 VwGO nicht gebunden. Im Revisionsverfahren ist eine vom [X.] vorgenommene Auslegung einer materiellrechtlich erheblichen Erklärung zwar nur in beschränktem Umfang einer Nachprüfung zugänglich (Urteil vom 4. April 2012 - [X.]VerwG 4 [X.] 8.09 u.a. - [X.]VerwGE 142, 234 Rn. 46). Lässt die Auslegung einen Rechtsirrtum oder einen Verstoß gegen allgemeine Erfahrungssätze, Denkgesetze oder Auslegungsregeln erkennen, tritt eine [X.]indung aber nicht ein (Urteil vom 5. November 2009 - [X.]VerwG 4 [X.] 3.09 - [X.]VerwGE 135, 209 Rn. 18). So liegt der Fall hier. Die Auslegung des [X.], dass mit dem positiven [X.]auvorbescheid über die planungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens "insgesamt" entschieden worden sei, wird von der bundesrechtswidrigen Auffassung getragen, artenschutzrechtliche Verbote seien nicht nur im Rahmen der planungsrechtlichen Prüfung als öffentliche [X.]elange i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 [X.]auG[X.] einzustellen, sondern unabhängig davon Gegenstand einer eigenständigen naturschutzfachlichen Zulässigkeitsprüfung. Inmitten steht damit nicht lediglich die Feststellung des konkreten Inhalts einer behördlichen Erklärung durch das [X.], die für das Revisionsgericht grundsätzlich bindend ist. Das Oberverwaltungsgericht hat sich durch den unzutreffenden bundesrechtlichen Maßstab vielmehr bei der Auslegung den [X.]lick verstellt. Das Auslegungsergebnis des [X.]s ist deshalb für das Revisionsgericht nicht bindend.

9

Danach ist der Senat selbst zur Auslegung des [X.]auvorbescheids berechtigt. Die Auslegung ergibt, dass der [X.]auvorbescheid keine Aussage zur artenschutzrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens gemäß § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 [X.]auG[X.] enthält. [X.]ereits der Umstand, dass im Vorbescheidsverfahren ausweislich der Feststellungen des [X.] artenschutzrechtliche Fragen noch gar nicht geprüft worden sind, weil die zuständige [X.]ehörde den [X.] wegen - aus ihrer Sicht - entgegenstehender anderer [X.]elange als denen des Naturschutzes abgelehnt hat ([X.]), legt es nahe, dass die [X.]ehörde nicht über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens insgesamt, sondern nur über bestimmte (einzelne) Fragen entschieden hat. Der [X.]escheid enthält zudem die Einschränkung, dass er "für die im Antrag formulierten Fragestellungen" erteilt werde. Das deckt sich wiederum mit dem Tenor des verwaltungsgerichtlichen Urteils vom 3. Juli 2005, mit dem die [X.]ehörde verpflichtet wurde, der Klägerin einen [X.]auvorbescheid "gemäß ihrem Antrag" zu erteilen. Dieser Umstand macht ebenfalls deutlich, dass mit dem [X.]auvorbescheid lediglich über die zum damaligen Zeitpunkt strittigen bauplanungsrechtlichen Fragen entschieden worden ist. Ferner hat das Verwaltungsgericht zur [X.]egründung der Annahme, dass dem Vorhaben weitere öffentliche [X.]elange im Sinne von § 35 Abs. 3 Satz 1 nicht entgegenstünden, zu § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 [X.]auG[X.] lediglich ausgeführt, dass der Landschaftsschutz nicht in nennenswerter Weise beeinträchtigt werde. Dementsprechend hat die damals zuständige [X.]ehörde den Vorbescheid ausdrücklich mit "Auflagen" verbunden, die naturschutzrechtliche Vorgaben enthalten. Die Auflagen entsprechen im Übrigen den "Hinweisen", die bereits im ersten, ursprünglich ablehnenden [X.]escheid enthalten waren, der Gegenstand der erfolgreichen Verpflichtungsklage war. [X.]ei der Entscheidung über den [X.] lagen auch keine prüffähigen Unterlagen zu artenschutzrechtlichen Fragen vor. Gegenteiliges behauptet auch die Klägerin nicht. Sie greift zwar die Feststellung des [X.], Artenschutz sei im Vorbescheidsverfahren nicht geprüft worden, mit der Verfahrensrüge als aktenwidrige Feststellung an. Der Vortrag, das Protokoll der [X.] am 4. April 2001 nach [X.] belege, dass naturschutzrechtliche Fragen aus Anlass des Vorbescheids behandelt worden seien, genügt jedoch hierfür nicht. Aus der Teilnahme eines Vertreters der Naturschutzbehörde an einer Ämterbesprechung im Rahmen des [X.] lässt sich nicht ableiten, dass die naturschutzrechtlichen Fragen auch abschließend geprüft worden sind.

3. Da mit dem positiven [X.]auvorbescheid nicht über die Vereinbarkeit des Vorhabens mit dem Naturschutzrecht entschieden worden ist, musste der [X.]eklagte im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren prüfen, ob der Genehmigung als Versagungsgrund i.S.d. § 6 Abs. 1 Nr. 2 [X.]ImSchG das artenschutzrechtliche Tötungs- und Störungsverbot gemäß § 44 Abs. 1 Nr. 1 [X.]NatSchG entgegensteht.

3.1 In Übereinstimmung mit [X.]undesrecht geht das Oberverwaltungsgericht davon aus, dass der Tatbestand des artenschutzrechtlichen Tötungs- und Verletzungsverbots gemäß § 44 Abs. 1 Nr. 1 [X.]NatSchG nur dann erfüllt ist, wenn sich durch das Vorhaben das Kollisionsrisiko für die geschützten Tiere signifikant erhöht (Urteil vom 12. März 2008 - [X.] 3.06 - [X.]VerwGE 130, 299 Rn. 219). Das ist hier der Fall. Das Oberverwaltungsgericht hat ausführlich dargelegt, dass aus den ausgewerteten Erkenntnismitteln - naturschutzfachlich vertretbar - abgeleitet werden könne, dass für den Rotmilan von einem signifikant erhöhten Tötungsrisiko durch den [X.]etrieb von Windenergieanlagen grundsätzlich dann ausgegangen werden könne, wenn der Abstand der Windenergieanlage weniger als 1 000 m betrage ([X.]). Soweit die Klägerin auf die für Rotmilane untypische Größe eines Horstes verweist, ist die Feststellung des [X.] zugrunde zu legen, dass die [X.]eobachtungen der Klägerin keine taugliche Grundlage böten, um das Vorkommen des Rotmilans in diesem Gebiet zuverlässig erfassen zu können. Unter diesen Umständen hätte die Klägerin einen förmlichen [X.]eweisantrag stellen müssen; eine [X.]eweisanregung genügt nicht. Die Rüge zur fehlenden Ermittlung von Maßnahmen zur Minderung des [X.] scheitert schon daran, dass die Klägerin nicht aufzeigt, welche Maßnahmen das Oberverwaltungsgericht hätte in [X.]etracht ziehen müssen.

Die weitere Verfahrensrüge der Klägerin, das Oberverwaltungsgericht habe in unzulässiger Weise [X.]ehauptungen eines "Hobbyornithologen" zugrunde gelegt und nicht beachtet, dass es zwingend einer unabhängigen fachlichen Überprüfung bedurft habe, ist unbegründet. Nach den Feststellungen des [X.] sind die Erfassungen aus der [X.]rutsaison 2011, mit denen der [X.]eklagte das Vorkommen des Rotmilans in der näheren Umgebung der vorgesehenen Windenergieanlagenstandorte untermauert hat, von einem ehrenamtlichen Mitarbeiter durchgeführt worden, der seit 1986 für das [X.] in [X.] ([X.]) und - seinen Angaben zufolge - seit 1977 für die [X.] tätig ist. Dass sich der [X.]eklagte bei der Erfassung und Kartierung des artenrechtlichen [X.]estands der Vogelart "Rotmilan" auf Angaben eines solchen ehrenamtlich tätigen Mitarbeiters gestützt hat, ist nicht zu beanstanden. Das Oberverwaltungsgericht, das den ehrenamtlichen Mitarbeiter in der mündlichen Verhandlung gehört hat, musste den Vortrag der Klägerin nicht zum Anlass für weitere Maßnahmen der Sachverhaltsaufklärung nehmen. Das [X.] darf grundsätzlich nach seinem tatrichterlichen Ermessen entscheiden, ob es zusätzliche Sachverständigengutachten einholt (stRspr; vgl. [X.]eschluss vom 13. März 1992 - [X.]VerwG 4 [X.] 39.92 - NVwZ 1993, 268). Ein Verfahrensmangel liegt nur dann vor, wenn sich die Einholung eines weiteren Gutachtens wegen fehlender Eignung der vorliegenden Gutachten hätte aufdrängen müssen. Gutachten und fachliche Stellungnahmen sind nur dann ungeeignet, wenn sie grobe, offen erkennbare Mängel oder unlösbare Widersprüche aufweisen, wenn sie von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder der Unparteilichkeit des Gutachters besteht. Diese Maßstäbe hat das Oberverwaltungsgericht beachtet. Von einer Missachtung wissenschaftlicher Mindeststandards kann keine Rede sein. Die Aufgabe der naturschutzfachlichen Erfassung und Kartierung von Arten kann auch von ehrenamtlichen Mitarbeitern geleistet werden, sofern sie sich als sachkundig erweisen. [X.]estandserfassungen bedürfen nicht zwingend der Heranziehung eines als Sachverständigen ausgebildeten und anerkannten Gutachters. Auch eine langjährige [X.]efassung im Rahmen ehrenamtlicher naturschutzfachlicher Tätigkeit kann die notwendige Sachkunde vermitteln, um [X.]eobachtungen vor Ort vornehmen und über den [X.]efund berichten zu können. Das zeigt auch die Praxis der Naturschutzverbände und -vereinigungen, die regelmäßig mit ehrenamtlichen Mitarbeitern zusammenarbeiten und die mit ihrem Sachverstand in ähnlicher Weise wie Naturschutzbehörden die [X.]elange des Naturschutzes und der Landschaftspflege in das Verfahren einbringen und als Verwaltungshelfer angesehen werden (vgl. nur Urteile vom 12. Dezember 1996 - [X.]VerwG 4 [X.] 19.95 - [X.]VerwGE 102, 358 <361> und vom 14. Juli 2011 - [X.] 12.10 - [X.]VerwGE 140, 149 Rn. 19). Die Klägerin zeigt auch nicht auf, dass im konkreten Fall Anlass bestand, an der durch jahrzehntelange [X.]efassung geschulten Sachkunde des ehrenamtlichen Mitarbeiters zu zweifeln. Einer solchen Darlegung hätte es auch deshalb bedurft, weil das Oberverwaltungsgericht den Mitarbeiter in der mündlichen Verhandlung gehört und sich damit einen Eindruck von seiner fachlichen Versiertheit bei der Vogelbeobachtung verschafft hat.

Weitere als Verfahrensrügen erhobene Einwände der Klägerin zielen darauf, den vom Oberverwaltungsgericht für die [X.]eurteilung der Frage, ob ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko besteht, für maßgeblich gehaltenen Abstand der Windenergieanlagen durch andere Faktoren zu ersetzen. Auch diese Einwände bleiben ohne Erfolg.

3.2 In Übereinstimmung mit [X.]undesrecht hat das Oberverwaltungsgericht dem [X.]eklagten bei der Prüfung, ob der artenschutzrechtliche Tötungs- und Verletzungstatbestand erfüllt ist, einen naturschutzfachlichen [X.]eurteilungsspielraum eingeräumt. Die in der Rechtsprechung des [X.]undesverwaltungsgerichts entwickelten Grundsätze zur naturschutzfachlichen [X.] der Planfeststellungsbehörde im Planfeststellungsverfahren (vgl. Urteile vom 9. Juli 2008 - [X.] 14.07 - [X.]VerwGE 131, 274 Rn. 65, 91, vom 12. August 2009 - [X.] 64.07 - [X.]VerwGE 134, 308 Rn. 38, vom 14. April 2010 - [X.] 5.08 - [X.]VerwGE 136, 291 Rn. 113 und vom 14. Juli 2011 a.a.[X.] Rn. 99) gelten auch in Genehmigungsverfahren. Dabei bezieht sich die behördliche [X.] sowohl auf die Erfassung des [X.]estands der geschützten Arten als auch auf die [X.]ewertung der Gefahren, denen die Exemplare der geschützten Arten bei Realisierung des zur Genehmigung stehenden Vorhabens ausgesetzt sein würden.

Grund für die Zuerkennung einer naturschutzfachlichen [X.] ist der Umstand, dass es im [X.]ereich des Naturschutzes regelmäßig um ökologische [X.]ewertungen und Einschätzungen geht, für die normkonkretisierende Maßstäbe fehlen. Die Rechtsanwendung ist daher auf die Erkenntnisse der ökologischen Wissenschaft und Praxis angewiesen, die sich aber nicht als eindeutiger Erkenntnisgeber erweist. [X.]ei zahlreichen Fragestellungen steht - jeweils vertretbar - naturschutzfachliche Einschätzung gegen naturschutzfachliche Einschätzung, ohne dass sich eine gesicherte Erkenntnislage und anerkannte Standards herauskristallisiert hätten. Sind verschiedene Methoden wissenschaftlich vertretbar, bleibt die Wahl der Methode der [X.]ehörde überlassen. Eine naturschutzfachliche Meinung ist einer anderen Einschätzung nicht bereits deshalb überlegen oder ihr vorzugswürdig, weil sie umfangreichere oder aufwändigere Ermittlungen oder "strengere" Anforderungen für richtig hält. Das ist erst dann der Fall, wenn sich diese Auffassung als allgemein anerkannter Stand der Wissenschaft durchgesetzt hat und die gegenteilige Meinung als nicht (mehr) vertretbar angesehen wird (Urteil vom 9. Juli 2008 a.a.[X.] Rn. 66). Die naturschutzfachlichen [X.] folgt nicht aus einer bestimmten Verfahrensart oder Entscheidungsform, sondern aus der Erkenntnis, dass das Artenschutzrecht außerrechtliche Fragestellungen aufwirft, zu denen es jedenfalls nach dem derzeitigen Erkenntnisstand keine eindeutigen Antworten gibt.

Die Überprüfung behördlicher [X.]n ist wirksamer gerichtlicher Rechtsschutz, nämlich bezogen auf die Einhaltung der rechtlichen Grenzen des behördlichen Einschätzungsspielraums, und genügt damit den verfassungsrechtlichen Erfordernissen (Urteil vom 9. Juli 2008 a.a.[X.] Rn. 67). Die Einräumung einer naturschutzfachlichen [X.] führt zwar zu einer Rücknahme gerichtlicher Kontrolldichte. Das Gericht bleibt aber verpflichtet zu prüfen, ob im Gesamtergebnis die artenschutzrechtlichen Untersuchungen sowohl in ihrem methodischen Vorgehen als auch in ihrer Ermittlungstiefe ausreichten, um die [X.]ehörde in die Lage zu versetzen, die Voraussetzungen der artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände sachgerecht zu überprüfen.

3.3 Fehler bei der Anwendung der artenschutzrechtlichen Maßstäbe sind nicht zu erkennen. Insbesondere ist es bundesrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Oberverwaltungsgericht dem [X.]eklagten mit der [X.]egründung, es lägen keine gesicherten Erkenntnisse darüber vor, dass Rotmilane (verhaltensbedingt) im Straßenverkehr in vergleichbarer Zahl getötet würden wie durch Windenergieanlagen ([X.]), bestätigt, dass er sich bei der [X.]ewertung der Gefahren im Rahmen seiner [X.] bewegt. Die Auffassung des [X.] greift die Klägerin zwar an, erhebt aber lediglich allgemein gehaltene Einwände und zeigt nicht auf, dass die Quelle, auf die sich das Oberverwaltungsgericht zur [X.]egründung gestützt und die Erhebungen über einen Zeitraum von 1991 bis 2006 zur Grundlage hat, methodischen [X.]edenken ausgesetzt sein könnte.

Meta

4 C 1/12

27.06.2013

Bundesverwaltungsgericht 4. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, 19. Januar 2012, Az: 2 L 124/09, Urteil

§ 6 Abs 2 Nr 2 BImSchG, § 35 Abs 3 S 1 Nr 5 BauGB, § 44 Abs 1 Nr 1 BNatSchG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 27.06.2013, Az. 4 C 1/12 (REWIS RS 2013, 4690)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 4690


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 1 BvR 2523/13, 1 BvR 595/14

Bundesverfassungsgericht, 1 BvR 2523/13, 1 BvR 595/14, 23.10.2018.


Az. 4 C 1/12

Bundesverwaltungsgericht, 4 C 1/12, 27.06.2013.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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