Oberlandesgericht Düsseldorf, Urteil vom 12.01.2006, Az. I - 8 U 90/05

8. Zivilsenat | REWIS RS 2006, 5661

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Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das am 29.06.2005 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Duisburg wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Kläger in zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Kläger in darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte n vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten .

Entscheidungsgründe

G r ü n d e :

I.

Die Klägerin ist die Ehefrau und Erbin des am 26.09.2003 verstorbenen Herrn R… B… (nachfolgend: Patient). Der zum damaligen Zeitpunkt knapp 49 Jahre alte Patient wurde am 15.08.2000 zur Durchführung einer radikalen Prostatektomie wegen eines Adenokarzinoms der Prostata in der Urologischen Klinik des J…-K… O…-St… aufgenommen. Der Eingriff wurde am 18.08.2000 von dem Beklagten zu 2) mittels eines perinealen Zugangs (Dammschnitt) durchgeführt. Postoperativ trat Stuhl über den angelegten Urinkatheter aus, weshalb am 23.08.2000 ein doppelläufiger Sigma-Anus-praeter angelegt wurde und eine Revision, Spülung und Drainage der perinealen Wunde erfolgte. Intraoperativ stellte man einen fingerkuppengroßen Defekt des Mastdarms mit einer Stuhlfistel fest. Nachfolgend trat eine ausgedehnte Oberbauchperitonitis auf, später kam es zu einer Störung der Lungenfunktion und schließlich aufgrund einer Kreislaufinstabilität zu einem dialysepflichtigen Nierenversagen. Bis zum 16.10.2000 befand sich der Patient auf der Intensivstation, danach bis zu seiner Entlassung am 27.10.2000 erneut auf der peripheren Station der Urologischen Klinik.

Der Patient hat behauptet, die Operation sei nicht indiziert gewesen und der Beklagte zu 2) habe die Darmperforation durch unsorgfältiges Vorgehen verursacht. Postoperativ sei auf den Stuhlaustritt viel zu spät reagiert worden und auch die weitere Revisionsoperation sei zu spät durchgeführt worden. Außerdem hat der Patient den Beklagten Aufklärungsversäumnisse vorgeworfen. Wegen der seiner Meinung nach auf diese Versäumnisse zurückzuführenden Beeinträchtigungen – im Wesentlichen eine Stressinkontinenz ersten Grades mit der Notwendigkeit, Vorlagen zu tragen, sowie der Zustand nach Anlage eines Anus praeter – hat der Patient ein Schmerzensgeld gefordert, das er in Höhe von mindestens € 46.000 für angemessen gehalten hat. Außerdem hat er die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für sämtliche materiellen und künftigen immateriellen Schäden aus der behaupteten Fehlbehandlung begehrt. Nach dem Tod des Patienten hat seine Ehefrau den Prozess fortgesetzt und behauptet, die Miterben hätten ihr übergegangene Ansprüche des Patienten aus der Fehlbehandlung abgetreten. Den Feststellungsantrag wegen der künftigen imateriellen Schäden haben die Parteien übereinstimmend für erledigt erklärt.

Das Landgericht hat die Klage nach Beweisaufnahme abgewiesen, weil Behandlungsfehler nicht festzustellen seien und nach Aussage der vernommenen Ärzte kein Zweifel an einer ordnungsgemäßen Aufklärung des Patienten bestehe. Wegen der Einzelheiten wird auf die Feststellungen in der angefochtenen Entscheidung verwiesen. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung der Klägerin, die eine fehlerhafte Beweiswürdigung rügt. Durch das Sachverständigengutachten seien nicht alle entscheidungserheblichen Fragen geklärt worden; auch sei der Sachverständige teilweise von falschen Tatsachen ausgegangen, teils seien die von ihm getroffenen Aussagen unzutreffend. Die vom Landgericht für ausreichend gehaltene Aufklärung sei weniger als vierundzwanzig Stunden vor dem Eingriff erfolgt und schon deshalb nicht ausreichend; auch sei der Patient nicht darüber aufgeklärt worden, welche Maßnahmen vorzunehmen wären, falls sich herausstellt, dass der Tumor größer ist, als präoperativ angenommen.

Die Kläger in beantrag t ,

das Urteil des Landgerichts Duisburg vom 29.06.2005 „aufzuheben“ und

1.              die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung (03.04.2002);

2.              festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihr den materiellen Schaden zu ersetzen, der dem Patienten R… B… aus der Fehlbehandlung entstanden ist, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen.

Die Beklagte n beantrag en ,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigen das angefochtene Urteil.

Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Der Klägerin stehen ererbte Ansprüche des Patienten R… B… auf Zahlung von Schmerzensgeld (§ 831 bzw. § 823 Abs. 1, jew. i.V. mit §§ 847 (a.F.), 1922 BGB) sowie auf Ersatz materieller Schäden (pVV, § 831 BGB bzw. § 823 Abs. 1, jew. i.V. mit § 1922 BGB) – sei es aus eigenem Erbrecht oder abgetretenem Recht der Miterben – nach den Feststellungen des Landgerichts nicht zu.

1.

Dass der Patient im Krankenhaus der Beklagten zu 1) fehlerhaft behandelt wurde, steht nicht fest. Nach allgemeinen Grundsätzen hat ein Patient (bzw. sein Rechtsnachfolger) im Rahmen eines Arzthaftungsprozesses darzulegen und zu beweisen, dass dem in Anspruch genommenen Krankenhausträger oder behandelnden Arzt ein zumindest fahrlässiger Behandlungsfehler zur Last zu legen ist, der eine bestimmte gesundheitliche Beeinträchtigung hervorgerufen hat. Diese tatsächlichen Voraussetzungen für eine Haftung hat das Landgericht nicht festgestellt. Hieran ist der Senat gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gebunden; es liegen keine konkreten Anhaltspunkte vor, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten:

a)

Die Frage nach der Operationsindikation ist durch das erstinstanzlich eingeholte Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. M… zweifelsfrei beantwortet: Da aufgrund der präoperativen Befunde davon ausgegangen werden konnte, dass ein auf die Prostata beschränkter Tumor vorlag, war die Indikation zur radikalen Prostatektomie bei einem erst 49jährigen Patienten ohne gravierende, das Eingriffsrisiko erhöhende Vorerkrankungen gut begründet. Prof. Dr. M… hat dabei deutlich gemacht, dass aus der maßgeblichen Sicht ex ante der Eingriff für einen operativ tätigen Urologen die Therapie der Wahl war. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist der Sachverständige dabei nicht von einem falschen Sachverhalt ausgegangen, sondern er hat die präoperativen Befunde, so, wie sie sich aus den Behandlungsunterlagen ergeben, zugrunde gelegt. Zwar war die präoperative Einschätzung – wie sich nachträglich herausgestellt hat – objektiv unzutreffend; dies lässt allerdings nicht auf einen Fehler bei der Befunderhebung schließen. Der Sachverständige hat erläutert, dass gewisse Diskrepanzen zwischen der präoperativ angenommenen geringeren Tumorausdehnung und dem postoperativ objektivierten ausgedehnteren Befall (Understaging) aufgrund der Unvollkommenheit der präoperativen diagnostischen Möglichkeiten relativ häufig vorkommen; derart große Diskrepanzen, wie sie hier vorlagen sind zwar selten, kommen jedoch auch vor.

Die präoperative Diagnostik war nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. M… ausreichend und nicht zu beanstanden. Weitere bildgebende Verfahren (Computertomografie bzw. Kernspintomografie) hätten nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit neue Aspekte ergeben. Erhebliche Einwendungen gegen die Beurteilung des Sachverständigen, die dieser auf eine Lehrbuchmeinung gestützt hat, hat die Klägerin nicht erhoben. Die bloße Behauptung, die Aussage des Sachverständigen sei unrichtig, gibt keine Veranlassung, erneute Feststellungen zu dieser Frage zu treffen, weil konkrete Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit des Sachverständigengutachtens nicht ersichtlich sind. Wegen der nur geringen Wahrscheinlichkeit eines Lymphknotenbefalls war es auch nicht fehlerhaft, auf eine Lymphadenektomie zu verzichten, zumal sich herausgestellt hat, dass die Lymphknoten nicht befallen waren, der Tumor dennoch bereits die Kapsel überschritten hatte und in die Samenblasen infiltriert war.

b)

Auch hinsichtlich der Durchführung der Operation ergeben sich aus dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. M… keine Anhaltspunkte für einen Behandlungsfehler. Das Vorgehen des Beklagten zu 2) bei dem Eingriff war nicht zu beanstanden; die Läsion des Rektums – wobei letztlich offen bleibt, ob diese durch eine direkte Perforation bei der Abpräparation der Prostata entstanden ist, oder ob es sich, was sowohl Prof. Dr. M… als auch der ursprünglich tätig gewordene Sachverständige Prof. Dr. R… für möglich halten, um eine sekundäre Darmläsion infolge einer Nekrose handelt – war eine nicht sicher zu vermeidende Komplikation. Lücken im Operationsbericht, die möglicherweise auf ein unsorgfältiges intraoperatives Vorgehen schließen ließen, bestehen nach den Ausführungen des Sachverständigen nicht. Dass eine mögliche Mikroläsion intraoperativ nicht erkannt wurde, ist nicht ungewöhnlich und lässt nicht den Rückschluss auf einen Fehler zu.

Der Vorwurf der Klägerin, der Beklagte zu 2) habe nicht weiter operieren dürfen, nachdem sich herausgestellt habe, dass sich der Patient im Stadium 4 befunden habe, entbehrt jeder Grundlage. Die gesamte Ausdehnung des Tumor wurde erst bei der pathologisch-anatomischen Untersuchung des Operationspräparates festgestellt; der Operationsbericht spricht dagegen insoweit nur von „periprostatische(n) Narben und Verwachsungen bzw. von fraglichen Tumorinfiltraten“. Im Übrigen ist unklar, wann es dazu gekommen ist, was schließlich zu der Läsion des Rektums geführt hat. Es kann deshalb auch nicht davon ausgegangen werden, dass dem Patienten die Darmläsion erspart geblieben wäre, wenn der Zweitbeklagte auf eine vollständige Ausräumung des Tumors verzichtet hätte.

c)

Aufgrund einer nicht zu beanstandenden Beweiswürdigung hat das Landgericht ausgeführt, es lasse sich nicht feststellen, dass bereits vor dem 23.08.2000 Stuhl aus der Katheteraustrittstelle ausgetreten sei. Die Aussage der Zeugin H… B… vermag den Inhalt der Behandlungsdokumentation, der gestützt wird durch die Aussagen des als Zeugen vernommenen Pflegepersonals, nicht zu erschüttern. Hierzu hat die Klägerin in der Berufung auch nichts vorgebracht. Danach ist davon auszugehen, dass die Stuhlfistel erst in der Nacht zum 23.08.2000 klinisch manifest wurde. Vor diesem Zeitpunkt bestanden nach Prof. Dr. M… auch keine hinreichenden Anhaltspunkte für das Vorliegen einer solchen Komplikation; diagnostische Versäumnisse sind nicht erkennbar. Der Sachverständige hat im Übrigen deutlich gemacht, dass die Therapie nicht anders gewesen wäre, wenn die Stuhlfistel ein oder zwei Tage früher festgestellt worden wäre.

Dass die Revisionsoperation am 23.08.2000 erst gegen Mittag erfolgt ist, war nach den Ausführungen des Sachverständigen für den weiteren Verlauf unerheblich. Auch insoweit zeigt die Klägerin, die die gegenteilige Auffassung vertritt, keine konkreten Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit des Sachverständigengutachtens auf. Insbesondere lässt sich ihrem Vortrag nicht entnehmen, welche ernsthafte Schädigung der Patient ihrer Auffassung nach durch eine um einige Stunden verzögerte Revisionsoperation erlitten haben soll.

d)

Ob die Durchführung der zweiten Revisionsoperation erst am 31.08.2000 fehlerhaft war, kann im Ergebnis dahin stehen. Der Sachverständige geht zwar bei einer „ex-post“-Betrachtung davon aus, dass die Indikation zur operativen Revision bereits am 29.08. oder 30.08.2000 bestand; bei seiner Anhörung vor dem Landgericht hat er dies allerdings als nicht zwingend bezeichnet. Darüber hinaus hat er erklärt, dass die Befunde der klinischen Untersuchung am 28.08.2000 eindeutig gegen das Vorliegen einer relevanten Peritonitis sprachen und auch am 29.08.2000 eindeutige Peritonitisanzeichen noch nicht vorhanden waren, weshalb die Verzögerung der Revision um allenfalls ein bis zwei Tage verständlich und nachvollziehbar sei. Jedenfalls ist dem Patienten aus dieser Verzögerung kein nachweisbarer Schaden entstanden. Der Sachverständige hat vielmehr dargelegt, dass ein ursächlicher Zusammenhang mit den aufgetretenen Komplikationen – insbesondere der massiven Obstruktion der Luftwege und dem Nierenversagen - und dem Zeitpunkt der Revisionsoperation aufgrund des zeitlichen Abstands nicht anzunehmen ist. Entsprechend hat sich auch der ursprünglich tätig gewordene Sachverständige Prof. Dr. R… geäußert.

2.

Das Landgericht hat auch mit Recht eine Verletzung der Aufklärungspflicht verneint. Der als Zeuge vernommene Arzt Dr. Sch… hat bekundet, er habe die in der bei den Behandlungsunterlagen befindlichen, vom Patienten unterschriebenen „Komplikationsliste“ angekreuzten Risiken mit dem Patienten besprochen, was der Sachverständige als ausreichend bezeichnet hat. Der Oberarzt Dr. M… hat dem Patienten auf Befragen erklärt, es gebe grundsätzlich auch die Möglichkeit, zu bestrahlen, und hat ihn für den Fall, dass weiterer Aufklärungsbedarf besteht, an den Radiologen verwiesen. Die von der Klägerin vermisste Aufklärung über eine primäre Hormonentzugstherapie war schon deshalb nicht erforderlich, weil diese angesichts der präoperativen Befunde keine ernsthafte Behandlungsalternative war, denn es handelt sich nicht um eine kurative Therapie. Eine entsprechende Aufklärung musste auch nicht vorsorglich für den Fall, dass der Tumor größer ist als präoperativ angenommen, erteilt werden.

Soweit die Klägerin rügt, die Aufklärung sei angesichts der Schwere des Eingriffs nicht rechtzeitig erfolgt, verhilft dies der Klage ebenfalls nicht zum Erfolg. Grundsätzlich ist eine am Vortag erfolgte Aufklärung noch rechtzeitig. Jedenfalls muss der verspätet aufgeklärte Patient substantiiert darlegen, dass ihn gerade die verspätete Aufklärung in seiner Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt hat. Dies ist weder vorgetragen, noch ersichtlich.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revisionszulassung ist nicht veranlasst .

Die Beschwer der Kläger in liegt über € 20.000.

Der Streitwert wird auf (bis zu) € 56.000 festgesetzt.

Meta

I - 8 U 90/05

12.01.2006

Oberlandesgericht Düsseldorf 8. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: U

Zitier­vorschlag: Oberlandesgericht Düsseldorf, Urteil vom 12.01.2006, Az. I - 8 U 90/05 (REWIS RS 2006, 5661)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2006, 5661

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