Bundessozialgericht, Urteil vom 21.06.2011, Az. B 4 AS 118/10 R

4. Senat | REWIS RS 2011, 5594

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

(Überprüfungsantrag - Rücknahme einer rechtswidrigen Kürzung des Arbeitslosengeld II wegen Krankenhausverpflegung - zeitliche Beschränkung der Rücknahme gem § 330 Abs 1 SGB 3 - andere Auslegung des Rechts in ständiger Rechtsprechung des BSG - abweichende bundeseinheitliche Verwaltungspraxis aller Grundsicherungsträger)


Leitsatz

Die zeitlich eingeschränkte Rücknahme rechtswidrig belastender Verwaltungsakte über SGB 2-Leistungen mit Wirkung für die Vergangenheit (in entsprechender Anwendung des § 330 SGB 3) setzt auch für die Leistungsbereiche der Bundesagentur für Arbeit eine abweichende bundeseinheitliche Verwaltungspraxis sämtlicher Grundsicherungsträger voraus (Fortführung von BSG vom 15.12.2010 - B 14 AS 61/09 R = SozR 4-4200 § 40 Nr 1).

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des [X.] vom 25. Juni 2010 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt im Wege des [X.] höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.] für die [X.] vom 6.3. bis 19.5.2006.

2

Die 1977 geborene Klägerin befand sich vom 20.2. bis 19.5.2006 in vollstationärer, anschließend bis zum [X.] in tagesklinischer Behandlung. Für die [X.] vom 6.3. bis 30.9.2006 bewilligte der [X.] ihr Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Abzug einer Ersparnis für die häusliche Verpflegung in Höhe von 120,75 Euro monatlich (Bescheid vom 18.5.2006). Der Bewilligungsbescheid vom 18.5.2006 enthielt den Hinweis, dass "der Regelsatz um 35 vom Hundert gekürzt" werde, "da die volle Verpflegung durch das Krankenhaus gewährleistet" sei. Dieser Abzug sei im Berechnungsbogen als "Sonstiges Einkommen" angegeben. Mit dem Änderungsbescheid vom 27.6.2006 korrigierte der [X.] den Einbehalt für die [X.] vom 20.5. bis [X.] auf 73,58 Euro monatlich wegen der teilstationären Behandlung und bewilligte ab [X.] erneut die volle Regelleistung. Beide Bescheide wurden bestandskräftig.

3

Die Klägerin beantragte mit Schreiben vom 5.11.2008 unter Bezugnahme auf Urteile des [X.] ([X.] AS 22/07 R und [X.] AS 46/07 R) zur nicht möglichen Berücksichtigung der Kosten einer häuslichen Ersparnis für auswärtige Verpflegung ohne Erfolg die Überprüfung des Bescheids vom 18.5.2006 und Nachzahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gemäß § 44 [X.] (Bescheid vom 5.11.2008; Widerspruchsbescheid vom 8.12.2008).

4

Im erstinstanzlichen Klageverfahren hat das [X.] den ablehnenden Bescheid vom 5.11.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8.12.2008 aufgehoben und den [X.]n - entsprechend dem Antrag der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem [X.] - verurteilt, den Bescheid vom 18.5.2006 zurückzunehmen und der Klägerin für die [X.] vom 20.2. bis 19.5.2006 die volle Regelleistung nach dem [X.] zu gewähren (Urteil vom 25.9.2009). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das [X.] ausgeführt, die Rücknahme der rechtswidrigen Bewilligung sei nicht gemäß § 40 Abs 1 Satz 2 Nr 1 [X.] iVm § 330 Abs 1 [X.]I ausgeschlossen. Hierzu müsse festgestellt werden können, dass der Bescheid, dessen Rücknahme im Streit stehe, mit einer Rechtsnorm begründet werde, die später in ständiger Rechtsprechung anders ausgelegt werde. Eine solche Rechtsnorm könne das Gericht nicht erkennen, weil Grundlage des Bescheids vom 18.5.2006 die seinerzeitigen Hinweise der [X.] ([X.]) zu § 9 [X.] gewesen seien, nach denen ohne rechtliche Grundlage angeordnet worden sei, dass bereitgestellte Verpflegung mit einem Wert von [X.] der Regelleistung zu berücksichtigen sei. Dies sei damit begründet worden, dass der Bedarf des Hilfebedürftigen insoweit als gedeckt anzusehen sei. Nach Ansicht des B[X.] habe es für [X.] zumindest in den Jahren 2006 und 2007 an einer legitimierenden Rechtsnorm gefehlt. Insofern könne der Verwaltungsakt nicht auf einer Rechtsnorm beruhen, die später in ständiger Rechtsprechung anders ausgelegt worden sei.

5

Das L[X.] hat das Urteil des [X.] aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom [X.]). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, die von der Klägerin monierte Bewilligungsentscheidung beruhe auf einer von der ständigen Rechtsprechung später anders ausgelegten Rechtsnorm iS des § 330 Abs 1 [X.]I. Zwar hätten die Grundsicherungsträger - wie auch hier der [X.] - in ständiger und einheitlicher Praxis entsprechend den Durchführungshinweisen der [X.] mit dem Bedarfsdeckungsargument die Regelleistung gekürzt. Es sei jedoch nicht entscheidend, dass sich die Leistungsträger nicht explizit auf § 11 [X.] gestützt, sondern die Anrechnung über den [X.] und somit in einer Gesamtschau der anwendbaren Normen (§§ 9, 11, 20 [X.]) vorgenommen hätten. Auch wenn die Gesamtheit der als Rechtsgrundlage in Betracht kommenden Normen von der Rechtsprechung anders ausgelegt werde als in einheitlicher Praxis der Grundsicherungsträger, handele es sich um die Auslegung einer Norm iS von § 330 Abs 1 [X.]I. Insoweit steht der Anwendung der Vorschrift nicht entgegen, dass das B[X.] im Ergebnis überhaupt keine gesetzliche Grundlage für die Verfahrensweise der Leistungsträger gesehen habe. Auch insoweit werde der einheitlichen Auslegung der Vorschriften des [X.] durch die Leistungsträger eine Grenze aufgezeigt. Damit habe die höchstrichterliche Rechtsprechung klargestellt, dass die Auslegung sämtlicher in Betracht kommender Vorschriften des [X.] keine Rechtsgrundlage für die von den Grundsicherungsträgern vorgenommene Handhabung ergebe und somit eine von den Hinweisen der [X.] abweichende Auslegung vorgenommen.

6

Mit ihrer vom L[X.] zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 330 Abs 1 Satz 1 Alt 2 [X.]I, dessen Anwendungsbereich erst eröffnet sei, wenn die Entscheidung auf einer Rechtsnorm beruhe. Bereits an dieser Voraussetzung mangele es, weil die streitgegenständliche Kürzung des [X.] willkürlich erfolgt sei. Durch den Bescheid vom 18.5.2006, mit dem der [X.] auf den Begriff des "Regelsatzes" Bezug genommen habe, habe er unmissverständlich klargestellt, dass er nicht etwa die Normen des [X.], sondern § 28 [X.]II anwende. In der Begründung des Bescheids habe er sich ausdrücklich von der Kürzung, die im Berechnungsbogen als "Sonstiges Einkommen" aufgeführt werde, distanziert. Dies werde dadurch bestätigt, dass der [X.] den Freibetrag für Versicherungen in Höhe von pauschal 30 Euro tatsächlich nicht berücksichtigt habe. Die Vorschrift des § 9 [X.] scheide als Rechtsgrundlage für die Leistungskürzung aus, weil sich aus dieser nichts ergebe, was im Entferntesten eine Abweichung von § 20 Abs 2 Satz 1 [X.] rechtfertigen könne. Auch die §§ 11, 20 [X.] seien nicht anwendbar. Mindestvoraussetzung dafür, dass eine Entscheidung als "auf eine Norm" gestützt gelten könne, sei, dass eine solche Norm identifizierbar sei. Das Berufungsgericht verstoße gegen § 31 [X.]B I, indem es die Rechtsnormen, derer es bedürfe, um eine Rechtsauffassung zu stützen, in einen nicht weiter definierten Bereich verlagere, der sich aus einer "Gesamtschau der anwendbaren Normen" ergebe, ohne dies in irgendeiner Weise zu konkretisieren.

7

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des [X.] vom 25. Juni 2010 aufzuheben und die Berufung des [X.]n gegen das Urteil des [X.] vom 25. September 2009 zurückzuweisen.

8

Der [X.] beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Er verweist auf die Ausführungen im Urteil des L[X.].

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Klägerin ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das [X.] begründet. Mangels ausreichender Feststellungen des Berufungsgerichts kann der Senat nicht abschließend beurteilen, ob der Bescheid vom 5.11.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8.12.2008, mit dem der [X.] die Rücknahme des Bescheids vom 18.5.2006 abgelehnt hat, rechtmäßig war.

1. Das beklagte [X.] ist gemäß § 70 [X.] SGG beteiligtenfähig (vgl Urteile des Senats vom 18.1.2011, ua - B 4 [X.]/10 R - [X.] 4-4200 § 37 [X.]). Nach § 76 Abs 3 Satz 1 [X.] ist die gemeinsame Einrichtung als Rechtsnachfolger an die Stelle der bisherigen beklagten Arbeitsgemeinschaft getreten. Dieser kraft Gesetzes eintretende [X.] wegen der Weiterentwicklung der [X.] stellt keine im Revisionsverfahren unzulässige Klageänderung dar.

Der Senat hat ebenfalls bereits entschieden, dass keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Vorschrift des § 44b [X.] bestehen, weil der Gesetzgeber sich bei der einfachgesetzlichen Ausgestaltung innerhalb des von Art 91e Abs 1 und 3 GG eröffneten Gestaltungsspielraums bewegt ([X.]e vom 18.1.2011, ua - B 4 [X.]/10 R - [X.], aaO).

2. Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 5.11.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8.12.2008 (§ 95 SGG), mit dem der [X.] die Korrektur des den streitigen [X.]raum vom 6.3. bis 19.5.2006 betreffenden bestandskräftigen Bescheids vom 18.5.2006 und Nachzahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts abgelehnt hat. Die Klägerin hat ihr Klagebegehren durch den in erster Instanz gestellten Antrag auf diesen [X.]raum beschränkt.

3. [X.] vom 18.5.2006 war anfänglich, dh nach der im [X.]punkt seiner Bekanntgabe gegebenen Sach- und Rechtslage (vgl [X.] vom 1.12.1999 - [X.] RJ 20/98 R - [X.], 151, 153 = [X.] 3-2600 § 300 [X.]5), rechtswidrig iS des § 44 Abs 1 Satz 1 [X.] X. Zur Rücknahme anfänglich rechtswidriger Verwaltungsakte bestimmt § 40 Abs 1 Satz 1 [X.] iVm § 44 Abs 1 Satz 1 [X.] X, dass ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei dessen Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind (zur uneingeschränkten Anwendbarkeit des § 44 [X.] X auch im Bereich des [X.] vgl Urteil des Senats vom [X.] - B 4 AS 78/09 R - [X.] 4-4200 § 22 [X.] 36; vgl aber nunmehr § 40 Abs 1 Satz 2 [X.] idF des Gesetzes zur Ermittlung von [X.] und zur Änderung des [X.] und [X.] [X.] - vom 24.3.2011 <[X.]>).

Der [X.] ist mit dem Bewilligungsbescheid vom 18.5.2006 davon ausgegangen, dass er die Regelleistung wegen der Verpflegung während des Krankenhausaufenthalts ab [X.] um [X.] kürzen könne. Insofern hat das [X.] jedoch mit Urteil vom 18.6.2008 entschieden, dass für die vorgenommene anteilige Kürzung der Regelleistung jedenfalls im hier streitigen [X.] keine Rechtsgrundlage existierte ([X.] AS 22/07 R - [X.], 70 ff = [X.] 4-4200 § 11 [X.]1, Rd[X.]4). Die im Krankenhaus bereitgestellte Verpflegung könne nicht als Einkommen nach § 11 [X.] berücksichtigt werden. Selbst wenn man davon ausginge, dass die Gewährung von Verpflegung eine Einnahme in Geldeswert gemäß § 11 Abs 1 Satz 1 [X.] darstelle, sei aufgrund des Wortlauts und der Struktur des § 13 [X.] jedenfalls zu fordern, dass in der [X.] selbst ausdrücklich geregelt werde, "wie das Einkommen im Einzelnen zu berechnen sei". Insofern habe die [X.] im streitigen [X.]raum jedoch keinerlei Rechtsgrundlage oder auch nur interpretatorischen Anhalt für den konkreten Rechenschritt enthalten, die Regelleistung um [X.] zu kürzen ([X.]). Auch sei nach dem Leistungssystem des [X.] und wegen des bedarfsdeckenden und pauschalierenden Charakters der Regelleistung eine individuelle Bedarfsermittlung bzw abweichende Bestimmung der Höhe der Regelleistung weder zu Gunsten noch zu Lasten des [X.] vorgesehen ([X.] vom 18.6.2008 - [X.] AS 22/07 R - [X.], 70 ff = [X.] 4-4200 § 11 [X.]1, Rd[X.] 22).

4. Der Senat kann mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des [X.] aber nicht beurteilen, ob die von dem beklagten Grundsicherungsträger geltend gemachten Ausnahmen für die Rücknahme eines anfänglich rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit vorliegen. Insofern bestimmt § 40 Abs 1 Satz 2 [X.] [X.], dass die Vorschriften des [X.] über die Aufhebung von Verwaltungsakten (§ 330 Abs 1, 2, 3 Satz 1 und 4) entsprechend anwendbar sind. Nach § 330 Abs 1 [X.]I ist ein Verwaltungsakt, wenn er unanfechtbar geworden ist, nur mit Wirkung für die [X.] nach der Entscheidung des [X.] oder ab dem Bestehen der ständigen Rechtsprechung zurückzunehmen, wenn die in § 44 Abs 1 Satz 1 [X.] X genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsakts vorliegen, weil er auf einer Rechtsnorm beruht, die nach Erlass des Verwaltungsaktes für nichtig oder für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt (erste Alternative) oder in ständiger Rechtsprechung anders als durch die [X.] ausgelegt worden ist (zweite Alternative).

Wegen der nur "entsprechenden Anwendbarkeit" des [X.]I dürfen die Vorschriften des [X.]I nicht wörtlich genommen werden, sondern sind an die besonderen Verhältnisse im Bereich des [X.] anzupassen ([X.] in Eicher/Spellbrink, [X.], 2. Aufl 2008, § 40 Rd[X.] 7). Trotz des Umstandes, dass § 330 Abs 1 [X.]I auf die Auslegung durch die "[X.]" Bezug nimmt, ist die Regelung daher auf alle Träger im Bereich des [X.] grundsätzlich anwendbar. Eine eingeschränkte, nur auf bestimmte Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende bezogene Anwendbarkeit des § 330 Abs 1 [X.]I lässt sich weder dem Wortlaut des § 40 [X.] noch den Gesetzesmaterialien (vgl BT-Drucks 15/1516 [X.]) entnehmen. Insofern haben die beiden für das Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des [X.] bereits entschieden, dass § 330 Abs 1 [X.] über § 40 Abs 1 Satz 2 [X.] [X.] sowohl für die [X.] als Trägerin der Leistungen nach § 6 Abs 1 Satz 1 [X.] [X.] als auch für die kommunalen Träger für Leistungen nach § 6 Abs 1 Satz 1 [X.] 2 [X.] gilt (vgl [X.] vom [X.] - B 4 AS 78/09 R - [X.], 155 = [X.] 4-4200 § 22 [X.] 36 und [X.] vom 15.12.2010 - [X.] [X.]/09 R).

Die Rechtswidrigkeit des [X.] vom 18.5.2006 beruht auf einer anderen "Auslegung einer Rechtsnorm" in ständiger Rechtsprechung durch das [X.] iS des § 330 Abs 1 [X.]I. Eine "ständige Rechtsprechung" (vgl hierzu auch Fichte, NZ[X.]98, 1 ff) kann bereits entstehen, wenn das [X.] als Revisionsgericht in nur einer Entscheidung eine Rechtsfrage in einem bestimmten Sinne beantwortet hat und die Rechtsfrage damit "hinreichend geklärt" ist ([X.] vom [X.] [X.] - [X.] 3-4100 § 152 [X.] Rd[X.] 22; [X.] vom 29.6.2000 - B 11 [X.] 99/99 R - [X.] 3-4100 § 152 [X.]0 Rd[X.]8 f). Dies ist hier der Fall. Mit dem Urteil des 14. Senats des [X.] ([X.] AS 22/07 R, [X.], 70 ff = [X.] 4-4200 § 11 [X.]1) ist eine abschließende Klärung der Problematik der Berücksichtigung kostenfreier Verpflegung im Krankenhaus bei der Höhe der Regelleistung für die im Jahre 2006 geltende Rechtslage eingetreten. Dies wird auch darin deutlich, dass die [X.] in ihrer Geschäftsanweisung [X.] 28 vom 20.7.2008 "Anrechnung von Verpflegung während eines Krankenhausaufenthalts" zur Umsetzung dieser Entscheidung ausgeführt hat, dass Fälle aus der [X.] bis zum 31.12.2007, die noch im Widerspruchs- oder Klageverfahren seien, klaglos gestellt werden sollten.

Nicht erforderlich ist, dass bereits der Adressat eines Verwaltungsaktes dem Inhalt des rechtswidrigen Bescheids eine Norm entnehmen kann, auf die der Grundsicherungsträger seine Entscheidung stützt. Insofern weist die Klägerin in ihrer Revisionsbegründung zwar zu Recht darauf hin, dass der [X.] in dem Bewilligungsbescheid vom 18.5.2006 keine Rechtsgrundlagen benennt und mit dem Begriff des Regelsatzes eine unzutreffende Bezeichnung gewählt hat. Indes hat die Klägerin aber dem Gesamtinhalt des Bescheids und den sonstigen Umständen ohne Weiteres entnehmen können, dass es um die Kürzung der ihr gewährten Regelleistung wegen einer anderweitigen Bedarfsdeckung aufgrund der Verpflegung im Krankenhaus ging. Voraussetzung für die Annahme der anderen "Auslegung einer Rechtsnorm" iS des § 40 Abs 1 Satz 2 [X.] iVm § 330 Abs 1 [X.]I ist nicht, dass bereits aus dem Inhalt des Bescheids "eine solche Norm identifizierbar", dh für den Adressaten des Verwaltungsaktes erkennbar ist. Vielmehr ist darauf abzustellen, ob dem Verfügungssatz des Bescheids die Auslegung einer Rechtsnorm zugrunde liegt, von der die spätere Rechtsprechung des [X.] abweicht. Dies ist hier der Fall, weil der [X.] bei der Kürzung der Regelleistung für die [X.] des vollstationären Krankenhausaufenthalts offenbar davon ausgegangen ist, dass er die Regelleistung wegen eines verminderten Bedarfs nach § 20 [X.] - ähnlich der in § 28 Abs 1 Satz 2 [X.] XII idF vor Inkrafttreten des [X.] vom 24.3.2011 ([X.]) möglichen abweichenden Festlegung des Bedarfs des notwendigen Lebensunterhalts in der Sozialhilfe - verringert festlegen oder wegen verminderter Hilfebedürftigkeit nach § 9 [X.] reduzieren könne. Dabei hat er sich offenbar auf die fachlichen Hinweise der [X.] zu § 9 [X.] (Stand [X.]) gestützt, nach denen bereitgestellte Verpflegung mit einem Wert von [X.] der Regelleistung berücksichtigt wird, insoweit der Bedarf als gedeckt angesehen und eine Kürzung der Regelleistung vorgenommen wird (Rz 9.8, 9.14, 9.15 der Durchführungshinweise).

Es liegt eine andere "Auslegung einer Rechtsnorm" iS des § 40 Abs 1 Satz 2 [X.] iVm § 330 Abs 1 [X.] vor, weil sich der 14. Senat des [X.] in seiner Entscheidung vom 18.6.2008 ([X.] AS 22/07 R - [X.], 70 ff = [X.] 4-4200 § 11 [X.]1) nach Erörterungen zur nicht möglichen Berücksichtigung der "anderweit bereitgestellten Vollverpflegung" als Einkommen nach § 11 [X.] mit der im [X.] nicht zulässigen abweichenden Bestimmung der Regelleistungshöhe befasst. Dies beinhaltet eine - gegenüber der Interpretation der [X.]n - abweichende Auslegung der §§ 9, 20 [X.] ([X.] Rd[X.] 22 ff). Auch wenn die - nachfolgende - ständige Rechtsprechung zu dem Ergebnis gelangt, dass keine der von dem Sozialleistungsträger herangezogenen Normen Grundlage für eine Kürzung der Regelleistung sein kann, beruht die angefochtene Verwaltungsentscheidung auf einer dieser Rechtsnormen iS des § 330 Abs 1 [X.]I.

5. Die Anwendbarkeit des § 330 Abs 1 Satz 1 [X.]I für eine zeitlich nur eingeschränkte Rücknahme könnte jedoch daran scheitern, dass eine einheitliche Verwaltungspraxis der Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende zur Berücksichtigung der Krankenhausverpflegung bei den [X.]-Leistungen vor der Entscheidung des [X.] ([X.] AS 22/07 R - [X.], 70 ff = [X.] 4-4200 § 11 [X.]1) nicht bestand.

Zwar enthält das Berufungsurteil die Feststellung, dass die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende - wie auch hier der [X.] - in ständiger und einheitlicher Praxis entsprechend den Durchführungshinweisen der [X.] die Regelleistung mit dem Bedarfsdeckungsargument gekürzt hätten. Indem das [X.] mit dieser Feststellung zum Inhalt der Durchführungshinweise der [X.] unmittelbar auf die Praxis der Grundsicherungsträger schließt, geht es jedoch von unzutreffenden rechtlichen Maßstäben zur Annahme einer von der Rechtsprechung des [X.] geforderten bundeseinheitlichen Verwaltungspraxis aller Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende im [X.] aus. Die Rechsprechung des [X.] zum Arbeitsförderungsrecht, nach der einer Ablehnung [X.] eine generelle und grundsätzlich in allen gleichgelagerten Fällen praktizierte Handhabung der maßgeblichen Vorschrift zugrunde liegen müsse und sich die geforderte einheitliche Praxis der [X.] bereits aus dem betreffenden Runderlass bzw der Dienstanweisung nachvollziehen lasse ([X.] vom 29.6.2000 - B 11 [X.] 99/99 R - [X.] 3-4100 § 152 [X.]0 Rd[X.]7), kann nur eingeschränkt herangezogen werden.

Das [X.] beachtet insofern nicht ausreichend, dass bei der von § 40 Abs 1 Satz 2 [X.] angeordneten, nur entsprechenden Anwendbarkeit des § 330 Abs 1 [X.]I die besondere Struktur der Trägerschaft im [X.] zu berücksichtigen ist. Hierzu haben die beiden für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des [X.] in jüngeren Entscheidungen im Zusammenhang mit den Leistungen kommunaler Träger nach § 6 Abs 1 Satz 1 [X.] 2 [X.] und einer tatsächlich nicht einheitlichen Verwaltungspraxis dieser Träger betont, dass für eine Heranziehung der einschränkenden Regelung des § 330 Abs 1 [X.]I eine bundeseinheitliche Verwaltungspraxis sämtlicher Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende im [X.] vorliegen müsse (vgl hierzu im Einzelnen [X.] vom 15.12.2010 - [X.] [X.]/09 R; [X.] vom [X.] - B 4 AS 78/09 R - [X.], 155 = [X.] 4-4200 § 22 [X.] 36 Rd[X.]7). Umfasst hiervon ist auch die Leistungserbringung durch Optionskommunen nach § 6a [X.].

Diese Anforderungen an die Feststellung einer bundeseinheitlichen Verwaltungspraxis betrifft also auch Leistungen in Trägerschaft der [X.] nach § 6 Abs 1 Satz 1 [X.] [X.]. Insofern kann nicht allein aufgrund dienstlicher Hinweise der [X.] eine einheitliche Praxis aller Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende angenommen werden. Hierzu hat das [X.] in seinem - erst nach gesetzgeberischer Anordnung der entsprechenden Anwendbarkeit des § 330 Abs 1 [X.]I in § 40 Abs 1 Satz 2 [X.] [X.] ergangenen - Urteil vom 20.12.2007 zur Struktur und Aufgabenwahrnehmung durch die Arbeitsagenturen nach § 44b [X.] ausgeführt, dass weder für die Agenturen für Arbeit noch für die kommunalen Träger eine eigenverantwortliche Aufgabenwahrnehmung gewährleistet sei (2 BvR 2433/04, 2 BvR 2434/04 - [X.]E 119, 331 ff). In den Arbeitsgemeinschaften seien unabhängige und eigenständige Entscheidungen über die Aufgabenwahrnehmung durch den jeweiligen Verwaltungsträger in weitem Umfang weder vorgesehen noch möglich. § 44b Abs 1 Satz 1 [X.] bestimme, dass die Aufgaben in den Arbeitsgemeinschaften einheitlich wahrgenommen würden. Diese einheitliche Aufgabenwahrnehmung zwinge die beiden Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende, sich in wesentlichen Fragen der Organisation und der Leistungserbringung zu einigen. Die Mitarbeiter der Arbeitsgemeinschaften würden einheitlich über die von beiden Trägern zu gewährenden Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende, insbesondere auch die zentralen Fragen wie der Erwerbsfähigkeit und Hilfebedürftigkeit, entscheiden ([X.] aaO).

Wegen der nur abgestimmt möglichen Aufgabenwahrnehmung in den bis zum 31.12.2010 bestehenden Arbeitsgemeinschaften ist insbesondere für diese (aber nach der Rechtsprechung des [X.] auch für Optionskommunen) die hier vom [X.] nicht vorgenommene Feststellung einer einheitlichen tatsächlichen Umsetzung der für die Arbeitsgemeinschaften nicht bindenden Durchführungshinweise der [X.] bzw einer gleichgelagerten Handhabe erforderlich. Es muss insofern auch für die Leistungen in Trägerschaft der [X.] (§ 6 Abs 1 Satz 1 [X.] [X.]) eine ausdrückliche Feststellung vorliegen, dass in der regelmäßigen Praxis sämtlicher Grundsicherungsträger tatsächlich entsprechend diesen Hinweisen verfahren wird (vgl [X.] in [X.], GK-[X.], § 40 Rd[X.] 29 Stand Oktober 2008; aA wohl [X.] in JurisPK-[X.], 2. Aufl 2007, § 40 Rd[X.] 27). Bleiben Zweifel an der Einheitlichkeit der Handhabung, geht dies zu Lasten des Trägers der Grundsicherung (vgl Eicher in [X.], [X.]I, § 330 Rd[X.]9, Stand Mai 2007 auch ausführlich zur notwendigen engen Konkretisierung der Regelung; vgl hierzu auch [X.] vom [X.] [X.] 2/06 R - [X.] 4-4300 § 330 [X.] 4 Rd[X.]6).

6. Vor diesem Hintergrund wird das Berufungsgericht noch tatsächliche Feststellungen zur Verwaltungspraxis der Träger der Grundsicherung einschließlich der Optionskommunen zur Berücksichtigung von Krankenhausverpflegung vor der Entscheidung des [X.] ([X.] AS 22/07 R - [X.], 70 ff = [X.] 4-4200 § 11 [X.]1) zu treffen haben. Diese Feststellungen sind dem [X.] als Revisionsgericht nicht möglich.

Der Senat weist aber darauf hin, dass eine überschlägige Auswertung der instanzgerichtlichen Rechtsprechung Anhaltspunkte dafür ergibt, dass eine einheitliche Praxis der Träger der Grundsicherung zur Berücksichtigung der tatsächlichen Verpflegung im Krankenhaus vor der Entscheidung des [X.] ([X.] AS 22/07 R - [X.], 70 ff = [X.] 4-4200 § 11 [X.]1) tatsächlich nicht bestanden haben dürfte. Vielmehr ergeben sich Hinweise darauf, dass die [X.]-Träger die tatsächliche Ersparnis der Verpflegungskosten sowohl als (fiktives) Einkommen berücksichtigt (vgl [X.] Urteil vom 19.5.2008 - [X.] A[X.]/08; [X.] Urteil vom 20.4.2006 - [X.] AS 229/05; [X.] Rheinland-Pfalz Urteil vom 25.4.2008 - L 3 AS 6/07; [X.] Niedersachsen-Bremen Beschluss vom 28.2.2008 - L 9 AS 7/08 ER; [X.] Urteil vom [X.] AS 900/07; [X.] Nordrhein-Westfalen Urteil vom 3.12.2007 - L 20 AS 2/07; [X.] Urteil vom 12.10.2007 - [X.] AS 737/05) als auch - wie vorliegend - eine abweichende Bedarfsfestsetzung bei der Regelleistung vorgenommen haben (vgl [X.] [X.] Urteil vom [X.] - [X.] 1557/06, info also 2007, 75 ff = [X.]/[X.] 2007, 342 ff; [X.] Urteil vom [X.] - [X.] AS 9826/06; [X.] Urteil vom 9.1.2007 - [X.] AS 2026/06; [X.] Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 25.2.2008 - L 19 [X.]/08 [X.]; [X.] Urteil vom [X.] (2) [X.]/06). Die Berücksichtigung der tatsächlichen Verpflegung als Einkommen oder als bedarfsmindernder Faktor hat aber grundsätzlich andere leistungsrechtliche Folgen, weil sich [X.] nur bei einer Berücksichtigung als Einkommen - weitere Einkünfte unterstellt - Auswirkungen auch auf die Höhe der kommunalen Leistungen ergeben können (vgl § 19 Abs 1 Satz 3 [X.]). Bei der Variante der [X.] Berücksichtigung der tatsächlichen Verpflegung wurde zudem von den Trägern der Grundsicherung für Arbeitsuchende auch nicht nur der Minderungsbetrag in Höhe von [X.] der Regelleistung, sondern vereinzelt auch ein solcher von [X.] der Regelleistung berücksichtigt (vgl Sächsisches [X.] Urteil vom 6.12.2007 - L 3 AS 69/07; [X.] Urteil vom [X.] - [X.] 3882/06). Ob diese Handhabung im Einzelfall der regelmäßigen Praxis der jeweiligen Grundsicherungsträger entsprochen hat, wird das [X.] noch festzustellen haben.

Das [X.] wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Meta

B 4 AS 118/10 R

21.06.2011

Bundessozialgericht 4. Senat

Urteil

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Freiburg (Breisgau), 25. September 2009, Az: S 9 AS 6261/08, Urteil

§ 40 Abs 1 S 1 SGB 2, § 40 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB 2, § 330 Abs 1 S 1 SGB 3, § 44 Abs 1 S 1 SGB 10, § 6 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB 2 vom 30.07.2004, § 6 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB 2 vom 30.07.2004, § 11 Abs 1 S 1 SGB 2 vom 14.08.2005, § 20 Abs 1 SGB 2 vom 30.07.2004

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 21.06.2011, Az. B 4 AS 118/10 R (REWIS RS 2011, 5594)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 5594

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Arbeitslosengeld II - Einkommensberücksichtigung - Stromkostenerstattung nach Jahresabrechnung - Nichtberücksichtigung von Einnahmen aus Einsparungen im …


B 4 AS 49/13 R (Bundessozialgericht)

(Grundsicherung für Arbeitsuchende - Einkommensberücksichtigung - Zufluss von Erwerbseinkommen und Kindergeld - Absetzung des Grundfreibetrages …


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