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Sozialgerichtliches Verfahren - Gerichtkostenfreiheit - Erstattungsstreit - Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende - gemeinsame Einrichtung der Grundsicherungsträger
Die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende sind in Erstattungsstreitigkeiten mit anderen Trägern von Gerichtskosten befreit; die Kostenfreiheit gilt auch für die im sozialgerichtlichen Verfahren beteiligtenfähigen gemeinsamen Einrichtungen der Grundsicherungsträger.
Auf die Erinnerung wird die Schlusskostenrechnung der Kostenbeamtin des [X.]im Verfahren B 5 R 47/21 R aufgehoben.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
I. Der Erinnerungsführer wendet sich gegen den Ansatz von Gerichtsgebühren.
Der Erinnerungsführer, eine gemeinsame Einrichtung iS des § 44b Abs 1 Satz 1 SGB II, begehrte im zugrunde liegenden Rechtsstreit die Erstattung des Arbeitslosengelds II, das er einer Versicherten des beklagten Rentenversicherungsträgers während einer Rehabilitationsmaßnahme gezahlt hatte. Die Klage blieb auch in der Berufungsinstanz ohne Erfolg. Die Revision des [X.]gegen das Berufungsurteil wies der 5. [X.]des BSG zurück (Urteil vom [X.]- B 5 R 47/21 R). Gleichzeitig legte er dem Erinnerungsführer die Kosten des Revisionsverfahrens auf. Der Streitwert wurde auf 1099 Euro festgesetzt (Beschluss vom 7.4.2022). Die [X.]der Geschäftsstelle des BSG stellte dem Erinnerungsführer mit Schlusskostenrechnung vom [X.]gemäß [X.]7130 der Anlage 1 zu § 3 Abs 2 GKG (Kostenverzeichnis - KV) eine 5,0-Gebühr aus einem Streitwert von 1099 Euro in Höhe von 390 Euro in Rechnung.
Der Erinnerungsführer beruft sich mit seiner Erinnerung, der die [X.]nicht abgeholfen hat, auf seine Kostenbefreiung nach § 64 Abs 3 Satz 2 Halbsatz 1 SGB X.
II. 1. Über die Erinnerung entscheidet der 5. [X.]des BSG als Kostensenat (§ 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 [X.]iVm § 66 Abs 1 Satz 1 GKG und Teil A Abschnitt 1 Rd[X.]5 Ziffer 10 Satz 1 des Geschäftsverteilungsplans des BSG für das Jahr 2023). Die senatsintern zuständige Berichterstatterin hat gemäß § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 [X.]iVm § 66 Abs 6 Satz 2 GKG das Verfahren dem [X.]übertragen. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, weil die Rechtsfrage nach dem Verhältnis der Regelung in § 64 Abs 3 Satz 2 Halbsatz 2 SGB X zu derjenigen in § 197a Abs 3 SGG für die hier betroffenen Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende höchstrichterlich noch nicht geklärt ist.
2. Die zulässige Erinnerung (§ 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 [X.]iVm § 66 Abs 1 GKG) ist begründet. Die Erhebung von Gerichtskosten beim Erinnerungsführer verletzt das Kostenrecht. Dieser ist im zugrunde liegenden Rechtsstreit von Gerichtskosten befreit und könnte allenfalls von der Beklagten wegen etwaiger außergerichtlicher Kosten in Anspruch genommen werden.
a) [X.]ergibt sich aus § 2 Abs 3 Satz 1 GKG iVm § 64 Abs 3 Satz 2 Halbsatz 1 SGB X. Danach wird den Trägern der Grundsicherung für Arbeitsuchende im sozialgerichtlichen Verfahren unabhängig vom Verfahrensgegenstand eine Kostenbefreiung gewährt. Diese Kostenbefreiung erfasst den Erinnerungsführer. Zwar sind gemeinsame Einrichtungen iS des § 44b Abs 1 Satz 1 SGB II selbst nicht Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende iS des § 12 Satz 1 SGB I iVm § 6 Abs 1 Satz 1 SGB II; das sind die [X.]und die kommunalen Träger. Den gemeinsamen Einrichtungen ist jedoch die Wahrnehmung der Aufgaben nach dem [X.]kraft Gesetz (§ 44b Abs 1 Satz 2 Halbsatz 1 SGB II) übertragen (Grundsatz der Gesamtwahrnehmung, vgl zB [X.]vom 8.12.2022 - B 7/14 AS 25/21 R - [X.]4 <vorgesehen> Rd[X.]21 mwN). Sie erlassen die Verwaltungsakte und Widerspruchsbescheide (§ 44b Abs 1 Satz 3 SGB II). Im sich ggf anschließenden sozialgerichtlichen Verfahren sind sie beteiligtenfähig iS des § 70 [X.]1 SGG (vgl [X.]vom 18.1.2011 - B 4 AS 90/10 R - juris Rd[X.]11). Aufgrund ihrer besonderen Stellung partizipieren gemeinsame Einrichtungen an der Kostenfreiheit der Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach § 64 Abs 3 Satz 2 Halbsatz 1 SGB X, die andernfalls weitgehend leer laufen würde.
b) [X.]der [X.]gilt unverändert, wenn diese wie hier an [X.]mit einem anderen Träger beteiligt sind. Abweichendes lässt sich insbesondere § 64 Abs 3 Satz 2 Halbsatz 2 SGB X iVm § 197a Abs 3 SGG nicht entnehmen. Das entspricht auch der ganz überwiegenden Auffassung im Schrifttum (vgl [X.]in Roos/Wahrendorf/Müller, SGG, 3. Aufl 2023, § 197a Rd[X.]56; Hauck in Zeihe, SGG, Stand Mai 2023, § 197a Rd[X.]17; [X.]in Hennig, SGG, Stand Mai 2018; § 197a Rd[X.]51; [X.]in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl 2023, § 197a Rd[X.]2a; [X.]in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl 2022, § 197a SGG, Stand 15.6.2022, Rd[X.]33; [X.]in Jansen, SGG, 4. Aufl 2012, § 197a Rd[X.]21; [X.]in Diering/Timme/Stähler, SGB X, 6. Aufl 2022, § 64 Rd[X.]8; unklar Roos/[X.]in Schütze, SGB X, 9. Aufl 2020, § 64 Rd[X.]25).
§ 64 Abs 3 Satz 2 Halbsatz 1 SGB X ordnet an, dass § 197a SGG unberührt bleibt. Nach dessen Abs 3 werden Gerichtskosten von den - nach § 64 Abs 3 Satz 2 Halbsatz 1 SGB X grundsätzlich kostenbefreiten - Trägern der Sozialhilfe einschließlich der Teilhabeleistungen nach Teil 2 des [X.]erhoben, soweit sie an [X.]mit anderen Trägern beteiligt sind. Die Regelung in § 197a Abs 3 SGG findet schon nach ihrem Wortlaut keine Anwendung auf die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Zu einer weitergehenden Auslegung wäre der [X.]allenfalls befugt, wenn nur hierdurch dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers Rechnung getragen werden könnte (vgl zu den Voraussetzungen und Grenzen verfassungskonformer Auslegung im Rahmen zulässiger richterlicher Rechtsfortbildung zB [X.]Beschluss vom [X.]- 2 BvR 1447/05 ua - [X.]118, 212, 234 - juris Rd[X.]91; [X.]Beschluss vom 6.6.2018 - 1 BvL 7/14 ua - [X.]149, 126 Rd[X.]73, jeweils mwN; vgl auch [X.]vom 30.1.2020 - B 2 U 19/18 R - BSGE 130, 25 = [X.]4-1300 § 105 [X.]8, Rd[X.]25 f mwN). Für den gesetzgeberischen Willen, in [X.]eine Ausnahme von der grundsätzlichen Kostenbefreiung der [X.]in sozialgerichtlichen Verfahren zu machen, gibt es jedoch keinen Anhaltspunkt.
Die Regelung im heutigen § 64 Abs 3 Satz 1 Halbsatz 1 SGB X war bereits bei Inkrafttreten des [X.]zum [X.]im Gesetz enthalten und privilegierte in der Ursprungsfassung die Träger der Sozialhilfe, Jugendhilfe und Kriegsopferfürsorge. Mit Wirkung zum 1.1.2005 wurde der Halbsatz 2 angefügt, demzufolge § 197a SGG unberührt bleibt (vgl Art 0 des Siebenten Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes <7. SGGÄndG> vom 9.12.2004 - [X.]3302). Zugleich wurde der letztgenannten Norm ein Absatz 3 angefügt, wonach die Sozialhilfeträger gerichtskostenpflichtig sind, soweit sie an [X.]mit anderen Trägern beteiligt sind (vgl Art 1 [X.]14a des 7. SGGÄndG). [X.]war, dass den Sozialgerichten mit Wirkung zum 1.1.2005 die [X.]für Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende und für Sozialhilfeangelegenheiten übertragen wurde (vgl Entwurfsbegründung zum [X.]in BT-Drucks 15/3169, [X.]zu A). Die Änderungen gingen auf eine Anregung des Bundesrates zurück (vgl Bericht des [X.]in BT-Drucks 15/3867 [X.]zu Art 0 und [X.]zu Art 1 [X.]14a). Dieser hatte das Anliegen formuliert, zur finanziellen Entlastung der Kommunen die Sozialhilfeträger in Anlehnung an die bisherige Regelung in § 188 Satz 2 VwGO von Gerichtskosten, insbesondere den Pauschgebühren nach § 184 SGG freizustellen; ausgenommen von der Freistellung sollten lediglich [X.]sein (vgl Stellungnahme des Bundesrates zum [X.]in BT-Drucks 15/3169 S 13 zu Art 1 [X.]14a - neu -). Das Zusammenspiel der Regelungen in § 64 Abs 3 Satz 2 Halbsatz 2 SGB X und § 197a Abs 3 soll damit sicherstellen, dass die Träger der Sozialhilfe vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit lediglich in [X.]zu Gerichtskosten herangezogen werden (vgl [X.]vom 28.1.2016 - B 13 SF 3/16 S - juris Rd[X.]9).
Es spricht nichts dafür, dass eine vergleichbare Inanspruchnahme der [X.]gewollt war. Die Formulierung der Regelung in § 64 Abs 3 Satz 2 SGB X zeigt, dass der Gesetzgeber gerade hinsichtlich der Kostenbefreiung zwischen den Trägern der Sozialhilfe und denjenigen der Grundsicherung für Arbeitsuchende sprachlich klar differenziert. Bei Schaffung des [X.]unterblieb zunächst eine Erstreckung der Kostenbefreiung des § 64 Abs 3 Satz 2 Halbsatz 1 SGB X auf die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Entsprechend wurden die [X.]anfangs als kostenpflichtig in sozialgerichtlichen Verfahren angesehen (vgl aus der landessozialgerichtlichen Rechtsprechung zB [X.]Beschluss vom [X.]- L 2 SF 1028/05 - juris Rd[X.]5 mwN; [X.]Beschluss vom [X.]- L 5 SF 3/06 - juris Rd[X.]11 mwN). Mit Wirkung zum 1.8.2006 wurden ua die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende in die Regelung des § 64 Abs 3 Satz 2 Halbsatz 1 SGB X aufgenommen (vgl Art 6 [X.]1 Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom [X.]- [X.]1706). Erst seitdem sind sie von Gerichtskosten in sozialgerichtlichen Verfahren befreit (aA Groth, [X.]9/07, 536, 536; vgl aber inzwischen [X.]in Krasney/Udsching/Groth/Meßling, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 8. Aufl 2022, [X.]Rd[X.]108c). Eine gleichzeitige Anpassung der Regelung in § 197a Abs 3 SGG unterblieb. Sie ist auch seitdem nicht erfolgt, obwohl der Gesetzgeber mit Wirkung zum 1.1.2020 eine anderweitige Änderung des § 197a Abs 3 SGG im Hinblick auf das novellierte Teilhaberecht vorgenommen hat (vgl Art 20 Abs 2 [X.]4 [X.]vom 23.12.2016 - [X.]3234: Einbeziehung der Träger der Eingliederungshilfe).
Es mag sachlich gerechtfertigt sein, die [X.]in [X.]in kostenrechtlicher Hinsicht genauso zu behandeln wie die Träger der Sozialhilfe einschließlich der Teilhabeleistungen nach Teil 2 des SGB IX. Eine solche Änderung, etwa durch Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 197a Abs 3 SGG auf die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende, muss jedoch dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben.
3. [X.]dieses Beschlusses beruht auf § 66 Abs 8 GKG. |
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Düring |
Gasser |
Hannes |
Meta
29.11.2023
Beschluss
Sachgebiet: SF
§ 6 Abs 1 S 1 SGB 2, § 44b Abs 1 S 1 SGB 2, § 44b Abs 1 S 2 Halbs 1 SGB 2, § 64 Abs 3 S 2 Halbs 1 SGB 10, § 64 Abs 3 S 2 Halbs 2 SGB 10, § 197a Abs 1 S 1 SGG, § 197a Abs 3 SGG, § 2 Abs 3 S 1 GKG 2004, § 66 Abs 1 GKG 2004
Zitiervorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 29.11.2023, Az. B 5 SF 9/22 S (REWIS RS 2023, 10627)
Papierfundstellen: REWIS RS 2023, 10627
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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.
L 12 SF 224/19 E (LSG München)
Erinnerungen nach § 66 GKG
B 6 SF 3/17 S (Bundessozialgericht)
(Gerichtskostenfreiheit der Bundesagentur für Arbeit als Rechtsträgerin der die Vollstreckung für das Jobcenter betreibenden Stelle …
B 13 SF 3/16 S (Bundessozialgericht)
(Gerichtskostenbefreiung gem § 64 Abs 3 S 2 Halbs 1 SGB 10 für Träger der …
L 12 SF 106/17 E (LSG München)
Gerichtskostenbefreiung, Gerichtskostenfreiheit, Eingezahlte Gerichtskosten, Erstattungsstreitigkeit, Sozialleistungsträger, Landessozialgericht, Beiträge zur Sozialversicherung
B 5 SF 10/21 S (Bundessozialgericht)
Kostenprivilegierung behinderter Menschen vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit
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