Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.10.2003, Az. 1 StR 300/03

1. Strafsenat | REWIS RS 2003, 1197

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[X.]/03vom15. Oktober 2003in der [X.] zur vorsätzlichen [X.] 2 -Der 1. Strafsenat des [X.] hat am 15. Oktober 2003 gemäߧ 349 Abs. 4 StPO [X.] Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 18. Februar 2003 mit den Feststellun-gen aufgehoben.2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auchüber die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkam-mer des [X.] zurückverwiesen.Gründe:Das [X.] hat den Angeklagten wegen Anstiftung zur vorsätzli-chen Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 50 [X.]. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen undmateriellen Rechts rügt, hat mit der Sachrüge Erfolg; eines [X.] auf [X.] bedarf es daher nicht. Hinsichtlich der Prozeßvoraussetzun-gen wird auf die zutreffenden Ausführungen des [X.] [X.]. I.Nach den Feststellungen des [X.] war der Angeklagte [X.] neurochirurgischen Abteilung der [X.]in R .- 3 - - früher das [X.]. Wegen eines Bandscheiben-vorfalls begab sich die Nebenklägerin Kr. im August 1996 zur operati-ven Behandlung in die dem Angeklagten unterstellte Abteilung. Durch eine zu-vor erfolgte Kernspintomographie waren bei ihr ein schwerer Bandscheiben-vorfall im Bandscheibenfach L 4/L 5 der Lendenwirbelsäule und ein leichterBandscheibenvorfall im darunterliegenden Bandscheibenfach L 5/[X.] festge-stellt worden. Der schwere Bandscheibenvorfall sollte operativ behandelt wer-den. Die zweite Oberärztin Frau [X.] führte mit einem jungen [X.] durch. Von ihr unbemerkt operierte sie in der darunterliegendenEtage L 5/[X.] und entfernte den kleinen Bandscheibenvorfall. Am nächstenTag traten bei der Patientin Lähmungserscheinungen der unteren Extremitätenauf, die auf eine Beeinträchtigung von Nervenfasern hinwiesen. Ursache [X.] konnte ein Frührezidiv sein - dabei handelt es sich umeinen erneuten Vorfall im selben Fach - oder das Fortbestehen des ursprüngli-chen Vorfalls nach Verwechslung der Etage. [X.] und eine Computertomographie durch den Radiologen [X.]ergaben eindeutig die Verwechslung der Etage. Dies wurde von ihm und derOberärztin ohne Zweifel erkannt und auch in der Krankenakte dokumentiert.[X.] informierte den Angeklagten als ihren Chefarzt und fragte ihn,schockiert über ihren Kunstfehler, um Rat. Er riet ihr zu folgender [X.], die auch ausgeführt wurde: Sie solle der Patientin den Fehler [X.] und ihr die Notwendigkeit einer nochmaligen [X.] nicht operierten Fach L 4/L 5 mit einem Frührezidiv erklären. Dann solle [X.] der zweiten [X.] den schweren Bandscheibenvorfall entfernen undaußerdem den rechten Wirbelhalbbogen am darunterliegenden Lendenwirbel5. Im zweiten [X.]sbericht solle sie angeben, sie habe ein Frührezidiv,vorbenannten Wirbelhalbbogen und bei dieser Gelegenheit auch den [X.] entfernt. Entsprechend wahrheitswidrig aufgeklärt, erteiltedie Patientin ihre Einwilligung zur zweiten [X.]. Von dem Umstand, daßschon vor der [X.] die Entfernung des rechten [X.] L 5/[X.]beschlossen war, erfuhr sie nichts. Daß diese Entfernung medizinisch [X.], hat das [X.] zugunsten des Angeklagten mangels möglicher an-derweitiger Feststellungen angenommen.Im Rahmen der Strafzumessung stellt die Kammer fest, daß die Neben-klägerin in Kenntnis des wahren Sachverhalts in die medizinisch zwingend in-dizierte zweite [X.] eingewilligt hätte und die [X.] im Ergebnis so-wohl ihrem Willen als auch ihrem Interesse entsprach ([X.]). [X.] die Kammer fest, die Patientin hätte - wäre sie über den Sachverhalt zu-treffend unterrichtet worden - möglicherweise auch einer zweiten [X.]durch Frau [X.] aufgrund der Notwendigkeit und Dringlichkeit zugestimmt.Möglicherweise hätte sie aber auch bei Kenntnis des von Frau Dr. K. [X.] begangenen schweren Fehlers darauf bestanden, von einem anderenArzt operiert zu werden. Von einer mutmaßlichen Einwilligung der [X.] jedoch weder der Angeklagte noch die Oberärztin [X.] ausgegangen([X.]). II.Die Urteilsfeststellungen tragen den Schuldspruch wegen Anstiftung zueiner vorsätzlich begangenen rechtswidrigen Körperverletzung nicht (§§ 223,26 StGB).1. Zutreffend geht das [X.] im rechtlichen Ansatz davon aus, daßärztliche [X.] nur durch eine von [X.] nicht beeinflußteEinwilligung des Patienten gemäß § 228 StGB gerechtfertigt sind (BGHSt 16,- 5 -309). Es hat daher rechtsfehlerfrei angenommen, daß die durch Täuschungherbeigeführte Einwilligung - über die Ursache der notwendig gewordenenzweiten [X.] - unwirksam war, d.h. keine rechtfertigende Wirkung entfal-ten konnte.2. Soweit die Kammer sich mit einer "mutmaßlichen Einwilligung" befaßt,ist offenkundig eine hypothetische Einwilligung gemeint. Um einen [X.], der dem mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht, der nicht be-fragt werden kann, geht es hier erkennbar nicht (vgl. zum Begriff BGHSt 35,246).3. Hinsichtlich einer hypothetischen Einwilligung sind die Urteilsfeststel-lungen im objektiven Bereich lückenhaft. Das [X.] hätte sich nicht mitder Feststellung begnügen dürfen, der Angeklagte und [X.]seien von einer"mutmaßlichen" - richtigerweise hypothetischen - Einwilligung der Patientin indie konkret durchgeführte [X.] durch die Oberärztin bei [X.] nicht ausgegangen. Damit ist lediglich für die subjektive [X.] belegt, daß der Angeklagte zu einer vorsätzlichen, rechtswidrigen Tatanstiften wollte.Die Rechtswidrigkeit entfällt aber, wenn der Patient bei [X.] in die tatsächlich durchgeführte [X.] eingewilligt hätte.Der nachgewiesene Aufklärungsmangel kann nur dann zur Strafbarkeit wegenKörperverletzung und wegen der Akzessorietät auch nur dann zur Strafbarkeitder Anstiftung zu dieser Tat führen, wenn bei ordnungsgemäßer Aufklärung [X.] unterblieben wäre (BGHR StGB § 223 Abs. 1 Heileingriff 2; [X.]/[X.] StGB 26. Aufl. § 223 Rdn. 40; [X.], 34 - [X.] 29. Juni 1995 - 4 StR 760/94 -; im Zivilrecht [X.], 1397; [X.] 1991, 2344). Dies ist dem Arzt nachzuweisen. Verbleiben Zweifel, so ist- 6 -nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" zugunsten des Arztes davon auszuge-hen, daß die Einwilligung auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung erfolgt wäre([X.], 34; [X.], Arztstrafrecht in der Praxis, 3. Aufl. 2003,Rdn. 132).Die Kausalität des [X.] hat das [X.] offengelas-sen. Bei der Kausalitätsprüfung ist auf das konkrete Entscheidungsergebnisdes jeweiligen Patienten abzuheben. Es kommt nicht darauf an, daß er [X.] hätte operieren lassen müssen oder daß ein vernünftiger Patient ein-gewilligt hätte ([X.], 1397; [X.] aaO). Das [X.] hätte [X.] dürfen, ob die Nebenklägerin in Kenntnis des wahren Sachverhaltsmöglicherweise auch in eine [X.] durch Frau [X.] eingewilligt, mögli-cherweise aber auch darauf bestanden hätte, von einem anderen Arzt operiertzu werden. Es hätte auch nicht offenlassen dürfen, ob die Nebenklägerin [X.] beschlossenen Entfernung des [X.] zugestimmt hätte,selbst wenn diese Entfernung medizinisch indiziert gewesen sein sollte. [X.] zweite [X.] im Ergebnis ihrem Willen und Interesse entspricht, reichtnicht aus. Eine "in dubio" Entscheidung durch das Revisionsgericht kommtnicht in Betracht, weil weitere Feststellungen zur hypothetischen Einwilligungmöglich erscheinen. [X.] die neue Hauptverhandlung sieht der Senat Anlaß zu folgendemHinweis:- 7 -Bei einer Befragung der Geschädigten zur hypothetischen Einwilligungist deren Äußerung und Begründung einer Würdigung zu unterziehen. [X.] erkennen lassen, daß die Entscheidung der Patientin zum damaligenZeitpunkt aus ihrer Sicht bei Aufdeckung des wahren Sachverhalts eine nach-vollziehbare und mögliche Schlußfolgerung ist ([X.], 34).Nack Wahl Schluckebier Kolz Elf

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1 StR 300/03

15.10.2003

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.10.2003, Az. 1 StR 300/03 (REWIS RS 2003, 1197)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2003, 1197

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