Bundessozialgericht, Beschluss vom 15.05.2017, Az. B 9 SB 8/17 B

9. Senat | REWIS RS 2017, 10971

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Gegenstand

Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache - Schwerbehindertenrecht - GdB-Feststellung - Gewichtung von Einzel-GdB-Werten innerhalb eines Funktionssystems - Gesamt-GdB - richterliche Tatsachenfeststellung und -würdigung - Darlegung rechtlicher Grenzen


Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 23. November 2016 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

1

I. Mit Urteil vom 23.11.2016 hat das [X.] einen Anspruch des [X.] auf Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von mindestens 80 ab dem 25.2.2008 anstelle des anerkannten GdB von 50 verneint, weil nach den überzeugenden Darlegungen des Sachverständigen P. im Gutachten vom [X.] die psychischen Erkrankungen des [X.] weiterhin mit einem GdB von 50 zu würdigen seien. Entgegen der Ansicht des [X.] sei innerhalb des psychiatrischen Komplexes der höchste GdB von 50 für die andauernde Persönlichkeitsänderung nach [X.] nicht mit Rücksicht auf die rezidivierende depressive Störung mit einem GdB von 20 und die somatoforme Störung mit einem GdB von 30 anzuheben. Eine Erhöhung sei nach [X.] 2 der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit ([X.]) 2008 bzw nach Teil [X.] 3b der Anlage zu § 2 zur [X.] ([X.]) nur im Rahmen der Gesamtwürdigung der verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen zulässig. Hierbei sei in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedinge, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderungen größer werde (vgl [X.] 2 der [X.] 2008 bzw Teil [X.] 3c der Anlage zu § 2 [X.]). Im Gegensatz dazu gehe es vorliegend um eine einzige Funktionsbeeinträchtigung des [X.], nämlich dessen psychische Erkrankungen, deren Auswirkungen auf die Teilhabe im Leben in der Gesellschaft (siehe § 69 Abs 1 [X.]) in ihrer Gesamtheit mit einem Einzel-GdB von 50 zu bewerten seien. Der Einzel-GdB für die psychischen Erkrankungen bilde auch den [X.], da dieser durch die somatischen Erkrankungen nicht angehoben werde. Denn deren Einzel-GdB seien jeweils nicht höher als 10 zu bewerten.

2

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger beim BSG Beschwerde eingelegt. Er macht eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 [X.]), weil das [X.] bei der Gesamtwürdigung den Einzel-GdB innerhalb eines Funktionssystems, hier: Gehirn einschließlich Psyche, ausgehend von dem höchsten Einzel-GdB dieses Funktionssystems den [X.] dieses Funktionssystems nicht angehoben habe. Aufgrund der vorliegenden andauernden Persönlichkeitsänderung nach [X.] mit einem Einzel-GdB von 50 sei der [X.] hier höher zu bewerten, wenn auch die komorbiden Erkrankungen einer rezidivierenden depressiven Störung mit einem Einzel-GdB von 20 und die anhaltende somatoforme Schmerzstörung mit einem Einzel-GdB von 30 zu berücksichtigen seien. Im Übrigen sei der Kläger aufgrund seiner entschädigungsbedingten schweren seelischen Erkrankung nach einem Leistungsfall vom [X.] voll erwerbsgemindert, sodass für den Teilbereich Beruf eine schwere [X.] Anpassungsschwierigkeit vorliegt.

3

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, da keiner der in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe ordnungsgemäß dargetan worden ist (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).

4

1. Grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 [X.] hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Ein Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums angeben, welche Rechtsfragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung erforderlich ist, und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss ein Beschwerdeführer mithin Folgendes aufzeigen: (1.) eine bestimmte Rechtsfrage, (2.) ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, (3.) ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit sowie (4.) die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der angestrebten Entscheidung, also eine Breitenwirkung (vgl [X.] § 160 [X.] 17; [X.], 158 = [X.] 1500 § 160a [X.] 11; [X.] § 160a [X.] 7, 13, 31, 59, 65). Diesen Anforderungen genügt die vorliegende Beschwerdebegründung nicht.

5

Der Kläger hält es für eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung,

        

ob im Rahmen der Gesamtwürdigung nach Teil [X.] 3a) bis d) auch Einzel-GdB innerhalb eines Funktionssystems, hier: Gehirn einschließlich Psyche nach Teil [X.] 2e) gebildet werden können, die dann - ausgehend von dem höchsten Einzel-GdB dieses Funktionssystems - zur Anhebung des [X.] dieses Funktionssystems führen können.

6

Es wird bereits nicht deutlich, inwiefern es sich bei dieser Frage um eine Rechtsfrage iS des § 160 Abs 2 [X.] handelt, also um eine Frage, die allein unter Anwendung juristischer Methodik beantwortet werden kann. Nicht dazu gehören Fragen, die Denkgesetze oder Erfahrungssätze bzw wissenschaftliche Erkenntnisse betreffen, die sich auf die Feststellung und Würdigung von Tatsachen beziehen (vgl dazu BSG [X.] 4-1500 § 160a [X.] 9).

7

Wie der Kläger in seiner Beschwerde selbst ausführt, ist die Bemessung des GdB nach der ständigen Rechtsprechung des BSG in drei Schritten vorzunehmen und grundsätzlich tatrichterliche Aufgabe ([X.] 4, 147, 149 f; [X.] 62, 209, 212 ff = [X.] 3870 § 3 [X.] 26 S 83 f; BSG [X.] 4-3250 § 69 [X.] 10), wobei das Gericht nur bei der Feststellung der einzelnen nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen (1. Schritt) ausschließlich ärztliches Fachwissen heranziehen muss. Bei der Bemessung der Einzel-GdB (2. Schritt) und des [X.] (3. Schritt) kommt es indessen nach § 69 [X.] maßgebend auf die Auswirkungen auf die Gesundheitsstörungen auf die Teilnahme am Leben in der Gesellschaft an. Bei diesem 2. und 3. Verfahrensschritt hat das [X.] über die medizinisch zu beurteilenden Verhältnisse hinaus weitere Umstände auf gesamtgesellschaftlichem Gebiet zu berücksichtigen. Diese Umstände sind in die als sogenannte antizipierte Sachverständigengutachten anzusehenden [X.] einbezogen worden. Dementsprechend sind die [X.] nach der ständigen Rechtsprechung des BSG im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren zu beachten (siehe BSG [X.] 4-3250 § 69 [X.] 9 Rd[X.] 25 mwN). Für die seit dem 1.1.2009 geltende Anlage "[X.]" ([X.]) zur [X.] gilt das Gleiche (BSG Beschluss vom 9.12.2010 - B 9 SB 35/10 B - Juris Rd[X.] 5). [X.] und [X.] setzen die Vorgaben um, wobei insbesondere auch medizinische Sachkunde zum Tragen kommt.

8

Da die Ermittlung des GdB zwar in einem rechtlichen Rahmen stattfindet, jedoch als solche die Feststellung von Tatsachen betrifft, hätte es näherer Darlegungen des [X.] dazu bedurft, woraus sich über die Vorschriften des § 69 [X.] iVm den [X.] hinaus rechtliche Grenzen ergeben sollen. Soweit der Kläger danach fragt, ob die von ihm angesprochene Gewichtung von [X.] bei der Bildung des [X.] rechtlich unzulässig ist, hat er unter Berücksichtigung dieser Umstände die höchstrichterliche Klärungsbedürftigkeit dieser vermeintlichen Frage nicht hinreichend dargetan. Die Klärungsbedürftigkeit ist zu verneinen, wenn die Rechtsfrage bereits höchstrichterlich beantwortet ist (vgl [X.] § 160 [X.] 51; [X.] § 160a [X.] 13, 65) oder wenn die Antwort unmittelbar aus dem Gesetz zu ersehen ist (vgl BSG [X.] 1300 § 13 [X.] 1; BSG [X.] 4-1500 § 160a [X.] 7), wenn sie so gut wie unbestritten ist (vgl [X.] § 160 [X.] 17), wenn sie praktisch außer Zweifel steht (vgl [X.], 40 = [X.] 1500 § 160a [X.] 4) oder wenn sich für die Antwort aus anderen höchstrichterlichen Entscheidungen bereits ausreichende Anhaltspunkte ergeben (vgl BSG [X.] 3-1500 § 146 [X.] 2; BSG [X.] 3-1500 § 160 [X.] 8).

9

Der Kläger hat sich unter Auseinandersetzung mit den [X.] nur ungenügend mit den einschlägigen rechtlichen Bestimmungen befasst, um den von ihm behaupteten Klärungsbedarf zu begründen. Er hat sich weder mit den Voraussetzungen eines Verschlimmerungsantrags nach § 48 SGB X noch mit den Voraussetzungen zu § 69 [X.] auseinandergesetzt. Er ist insbesondere nicht darauf eingegangen, dass der GdB zwar nach [X.] abgestuft festgestellt wird (§ 69 Abs 1 S 4 [X.] aF), jedoch ein bis zu fünf Grad geringerer Wert vom höheren Zehnergrad mit umfasst wird (§ 69 Abs 1 S 5 [X.] aF iVm § 30 Abs 1 S 2 Halbs 2 B[X.]). Bereits daraus könnte sich ergeben, dass ein GdB-Wert eine gewisse Bandbreite von [X.] umfasst. Wenn § 69 Abs 3 [X.] regelt, dass bei mehreren Beeinträchtigungen der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt wird, so liegt es nahe, dass die damit geforderte Gesamtschau auch eine Gewichtung der ermittelten [X.] erfordert (vgl dazu Teil [X.] 3 [X.]).

Ebenso wenig hat sich der Kläger näher mit der Rechtsprechung des BSG zur Feststellung des GdB befasst, um zu begründen, dass sich daraus keine ausreichenden Anhaltspunkte für die Beantwortung seiner Frage gewinnen lassen. Er ist zwar auf das Senatsurteil vom [X.] - B 9 SB 4/08 R ([X.] 4-3250 § 69 [X.] 10) - eingegangen. Er hat aber nicht berücksichtigt, dass das Fehlen einer ausdrücklichen Beantwortung der von dem Kläger aufgeworfenen vermeintlichen Rechtsfrage in der Rechtsprechung des BSG auch darauf hindeutet, dass die von dem Kläger kritisierte Gewichtung von [X.] vom BSG ohne Weiteres den Bereich der tatrichterlichen Würdigung zugeordnet und deshalb als solche revisionsgerichtlich nicht beanstandet worden ist. Dementsprechend setzt sich die Beschwerde auch nicht damit hinreichend auseinander, dass die Bildung von Einzel-GdB innerhalb eines Funktionssystems nur dann entscheidungserheblich zu einer Erhöhung des [X.] im konkreten Fall führt, wenn sich dadurch weitere Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ergäben.

Im Grunde kritisiert der Kläger mit den Ausführungen zu seiner (Rechts-)Frage die Beweiswürdigung des [X.] (vgl § 128 Abs 1 S 1 SGG), womit er gemäß § 160 Abs 2 [X.] 3 Halbs 2 SGG von vornherein keine Revisionszulassung erreichen kann. Entsprechendes gilt, soweit der Kläger eine unzutreffende Rechtsanwendung des [X.] rügen wollte (vgl [X.] § 160a [X.] 7 S 10).

2. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

3. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung [X.] zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG).

4. [X.] beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 Abs 1 SGG.

Meta

B 9 SB 8/17 B

15.05.2017

Bundessozialgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: SB

vorgehend SG Potsdam, 24. Juli 2014, Az: S 9 SB 89/09, Urteil

§ 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 128 SGG, § 69 Abs 1 S 1 SGB 9, § 2 VersMedV, Anlage Teil A Nr 3 Buchst b VersMedV, Anlage Teil A Nr 2 Buchst e VersMedV

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 15.05.2017, Az. B 9 SB 8/17 B (REWIS RS 2017, 10971)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 10971

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