Bundesgerichtshof, Beschluss vom 22.06.2011, Az. AnwZ (Brfg) 12/11

Senat für Anwaltssachen | REWIS RS 2011, 5567

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Gegenstand

Widerruf der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft wegen Vermögensverfalls: Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden


Tenor

Der Antrag des [X.] auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des 1. Senats des Anwaltsgerichtshofs des Landes [X.] vom 19. November 2010 wird abgelehnt.

Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.

Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 50.000 € festgesetzt.

Gründe

1

1. Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf seiner Rechtsanwaltszulassung wegen Vermögensverfalls (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 [X.]). Der [X.] hat die Klage abgewiesen. Der dagegen gerichtete Antrag auf Zulassung der [X.]erufung hat keinen Erfolg.

2

2. Nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 [X.] ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu widerrufen, wenn der Rechtsanwalt in Vermögensverfall geraten ist, es sei denn, dass dadurch die Interessen der Rechtsuchenden nicht gefährdet sind. Dass sich der Kläger in Vermögensverfall befindet, hat der [X.] zutreffend festgestellt und wird mit dem Antrag auf Zulassung der [X.]erufung zu Recht nicht in Frage gestellt. Entgegen der Auffassung des [X.] bestehen bezüglich der weiteren Widerrufsvoraussetzung (Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden) weder ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 112c Abs. 1 Satz 1 [X.], § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) noch stellen sich insoweit rechtsgrundsätzliche Fragen (§ 112c Abs. 1 Satz 1 [X.], § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

3

a) Der Gesetzgeber geht, wie dem Wortlaut des § 14 Abs. 2 Nr. 7 [X.] zu entnehmen ist, grundsätzlich von einer Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden aus, wenn sich ein Rechtsanwalt in Vermögensverfall befindet. Auch wenn diese Regelung nicht im Sinne eines Automatismus zu verstehen ist, die Gefährdung daher nicht zwangsläufig und ausnahmslos schon aus dem Vorliegen des Vermögensverfalls folgt, wird diese im nach der gesetzlichen Wertung vorrangigen Interesse der Rechtsuchenden nur in seltenen Ausnahmefällen verneint werden können (st. [X.]srechtsprechung; vgl. nur [X.]eschlüsse vom 18. Oktober 2004 - [X.] ([X.]) 43/03, [X.], 511 und vom 8. Februar 2010 - [X.] ([X.]) 67/08, [X.]RAK-Mitt. 2010, 129 Rn. 11, jeweils m.w.N.). Eine solche Sondersituation hat der [X.] bejaht in einem Fall, in dem ein Rechtsanwalt seinen [X.]eruf bisher ohne jede [X.]eanstandung ausgeübt und den Insolvenzantrag selbst gestellt hatte, nach Auskunft des Insolvenzverwalters keine Anmeldungen von Gläubigern vorlagen, die aus Mandaten des Rechtsanwalts stammten, und vor allem dieser nicht mehr als selbständiger Einzelanwalt, sondern als angestellter Anwalt in einer größeren Sozietät tätig war und sich in seinem Arbeitsvertrag im Hinblick auf die durch § 14 Abs. 2 Nr. 7 [X.] geschützten [X.]elange der Rechtsuchenden erheblichen [X.]eschränkungen unterworfen hatte ([X.]eschluss vom 18. Oktober 2004, aaO S. 511 f.; siehe auch [X.]eschluss vom 8. Februar 2010, aaO Rn. 9). Hierbei hat der [X.] allerdings besonderen Wert auf die Überprüfung der Einhaltung der [X.]eschränkungen durch die Sozietätsmitglieder gelegt. Wesentlich war, dass - auch in [X.] (Urlaub, Krankheit oder sonstige Abwesenheit) - effektive Kontrollmöglichkeiten bestanden. Letztlich bedarf es insoweit immer einer ausreichend engen tatsächlichen Überwachung, die gewährleistet, dass der Rechtsanwalt nicht bzw. nicht unkontrolliert mit Mandantengeldern in [X.]erührung kommt ([X.]eschluss vom 8. Februar 2010, aaO Rn. 12; siehe auch [X.]eschlüsse vom 18. Oktober 2004, aaO, vom 5. Dezember 2005 - [X.] ([X.]) 13/05, NJW-RR 2006, 559 f. und vom 15. September 2008 - [X.] ([X.]) 109/06, juris Rn. 10).

4

b) Das Vorliegen einer solchen Ausnahme hat der [X.] im Ergebnis zutreffend verneint. Denn jedenfalls ist eine effektive Kontrolle der klägerischen Tätigkeit nicht hinreichend gesichert. Zwar ist der Kläger zwischenzeitlich in einer Partnerschaftsgesellschaft zweier miteinander verheirateter Sozien in M.     als angestellter Anwalt tätig. Auch hat er sich arbeitsvertraglich weit reichenden [X.]eschränkungen unterworfen. Ob insoweit die Situation in der Praxis der Sozietät in M.     den Anforderungen der [X.]srechtsprechung entspricht, kann dahinstehen. Denn die notwendige Überwachung ist deshalb nicht gewährleistet, weil der Kläger - insoweit nimmt der [X.] [X.]ezug auf die eigenen Angaben des [X.] im Termin vor dem [X.] am 19. November 2010 und die diesbezüglichen Feststellungen im angefochtenen Urteil - seinen [X.]eruf nicht nur in M.  , sondern zu einem wesentlichen Teil in [X.]       in den Räumen seiner ehemaligen Kanzlei ausübt. Diese wird jetzt von seiner Tochter und Verfahrensbevollmächtigten betrieben, die etwa 30 % des früheren [X.] des [X.] übernommen hat. Neben dem Praxisschild der Tochter befindet sich außen am Gebäude in [X.]      auch ein Schild der "Partnerschaftsgesellschaft Dr. P.       & Partner". Insoweit wickelt der Kläger in [X.]     Verkehr mit Mandanten der Partnerschaftsgesellschaft ab, ohne dass einer der Sozien örtlich zugegen wäre. Er akquiriert dort auch Mandate für seinen Arbeitgeber und seine Tochter. Wegen der [X.]esonderheit, dass der Kläger in [X.]     in den Räumen seiner früheren Kanzlei arbeitet, geschieht es ferner, dass "alte" Mandanten zu ihm kommen, mag er sie bisher auch - je nach Lage des Einzelfalls - dann an seinen Arbeitgeber oder seine Tochter verweisen. Der Umstand, dass sich der Kläger als Rechtsanwalt in einem wesentlichen Umfang außerhalb der Räume der Sozietät in M.     und damit ohne eine effektive Kontrolle durch die Sozietät betätigt, hindert die Annahme, dass eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden ausgeschlossen ist. Insoweit genügen die in der [X.]egründung des Zulassungsantrags angesprochenen Sicherungsmaßnahmen nicht.

5

Dass allein die zwischenzeitliche Eröffnung des Insolvenzverfahrens  und die damit verbundene Verfügungsbeschränkung des [X.] zugunsten des Insolvenzverwalters die Gefährdung nicht entfallen lassen, entspricht der ständigen [X.]srechtsprechung (vgl. nur [X.]eschlüsse vom 13. März 2000 - [X.] ([X.]) 28/99, [X.], 1228, 1229, vom 18. Oktober 2004, aaO, vom 25. Juni 2007 - [X.] ([X.]) 101/05, NJW 2007, 2924 Rn. 12, vom 31. Mai 2010 - [X.] ([X.]) 36/09, juris Rn. 6, 10) und wird mit dem Zulassungsantrag auch nicht in Frage gestellt, so dass dahinstehen kann, inwieweit nachträgliche Umstände im [X.]erufungszulassungsverfahren [X.]erücksichtigung finden können.

6

c) Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche [X.]edeutung. Eine solche kommt einem Rechtsstreit nur dann zu, wenn dieser eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deshalb das  abstrakte Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (vgl. nur [X.]GH, [X.]eschluss vom 27. März 2003 - [X.], [X.]GHZ 154, 288, 291 m.w.N.). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Die vom Kläger in diesem Zusammenhang vertretene Auffassung, bei verfassungskonformer Auslegung (Art. 12 Abs. 1 GG; Verhältnismäßigkeitsgrundsatz) sei die allein aus dem Gesetzeswortlaut entnommene These der Gemeinwohlgefährlichkeit des Vermögensverfalls fraglich, teilt der [X.] nicht. Insoweit besteht kein Klärungsbedarf; die Frage ist längst geklärt. Die Regelung in § 14 Abs. 2 Nr. 7 [X.] ist verfassungsgemäß; soweit danach eine Fortführung anwaltlicher Tätigkeit bei Vermögensverfall nur in Ausnahmefällen einer besonderen Absicherung vor den in solchen Fällen generell gegebenen Gefährdungen zu gestatten ist, verstößt dies weder gegen Art. 12 GG noch gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (st. [X.]srechtsprechung, vgl. nur [X.]eschlüsse vom 12. Februar 2001 - [X.] ([X.]) 7/00, juris Rn. 13, vom 17. Oktober 2005 - [X.] ([X.]) 73/04, NJW-RR 2006, 859 und vom 31. Mai 2010, aaO Rn. 3; siehe auch [X.]VerfG, [X.], 3057 zur [X.] des § 50 Abs. 1 Nr. 6 [X.]NotO).

7

3. [X.] beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 [X.] i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 194 Abs. 2 Satz 1 [X.].

Kessal-Wulf                                       [X.]Seiters

                                 Stüer                                         [X.]

Meta

AnwZ (Brfg) 12/11

22.06.2011

Bundesgerichtshof Senat für Anwaltssachen

Beschluss

Sachgebiet: False

vorgehend Anwaltsgerichtshof Hamm, 19. November 2010, Az: 1 AGH 70/10, Urteil

§ 14 Abs 2 Nr 7 BRAO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 22.06.2011, Az. AnwZ (Brfg) 12/11 (REWIS RS 2011, 5567)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 5567

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