Bundesgerichtshof, Urteil vom 06.12.2022, Az. VI ZR 73/21

6. Zivilsenat | REWIS RS 2022, 8214

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Gegenstand

Bemessung der Höhe der Hinterbliebenenentschädigung


Leitsatz

1. Die Bemessung der Höhe der Hinterbliebenenentschädigung ist grundsätzlich Sache des nach § 287 ZPO besonders frei gestellten Tatrichters. Er hat die konkrete seelische Beeinträchtigung des betroffenen Hinterbliebenen zu bewerten und hierbei die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles zu berücksichtigen. Ähnlich wie beim Schmerzensgeld sind dabei sowohl der Ausgleichs- als auch der Genugtuungsgedanke in den Blick zu nehmen.

2. Maßgebend für die Höhe der Hinterbliebenenentschädigung sind im Wesentlichen die Intensität und Dauer des erlittenen seelischen Leids und der Grad des Verschuldens des Schädigers. Dabei lassen sich aus der Art des Näheverhältnisses, der Bedeutung des Verstorbenen für den Anspruchsteller und der Qualität der tatsächlich gelebten Beziehung indizielle Rückschlüsse auf die Intensität des seelischen Leids ableiten.

3. Der in dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD genannte Betrag in Höhe von 10.000 € (BT-Drucks. 18/11397, S. 11) bietet eine Orientierungshilfe für die Bemessung der Hinterbliebenenentschädigung, von der im Einzelfall sowohl nach unten als auch nach oben abgewichen werden kann. Er stellt keine Obergrenze dar.

4. Die Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld diente dem Zweck, den Hinterbliebenen für immaterielle Beeinträchtigungen unterhalb der Schwelle einer Gesundheitsverletzung einen Anspruch auf angemessene Entschädigung in Geld einzuräumen. Der dem Hinterbliebenen im Einzelfall zuerkannte Betrag muss deshalb im Regelfall hinter demjenigen zurückbleiben, der ihm zustände, wenn das von ihm erlittene seelische Leid die Qualität einer Gesundheitsverletzung hätte.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 7. Zivilsenats des [X.] vom 23. Februar 2021 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin nimmt den beklagten Haftpflichtversicherer auf Zahlung eines [X.]es in Anspruch.

2

Am 13. Dezember 2018 wurde der 81-jährige Vater der Klägerin bei einem Verkehrsunfall getötet. Der Fahrer des bei der Beklagten versicherten Pkw hatte bei der Ausfahrt von einem Parkplatz den vorfahrtsberechtigten Pkw des [X.] der Klägerin übersehen. Der Vater der Klägerin verstarb noch am Unfallort. Die volle Haftung der Beklagten dem Grunde nach steht zwischen den Parteien außer Streit. Der Unfallgegner wurde mit rechtskräftigem Strafbefehl wegen fahrlässiger Tötung mit Strafvorbehalt verwarnt.

3

Zwischen der Klägerin und ihrem Vater bestand eine enge emotionale Verbundenheit. Die Klägerin verfügte über sämtliche Vollmachten ihres [X.], außerdem war sie die erste Ansprechpartnerin, wenn es für ihren Vater "etwas zu regeln" gab. Jedenfalls bis zur mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz litt die Klägerin unter Schlafstörungen, die zumindest auch auf den plötzlichen Unfalltod ihres [X.] zurückzuführen sind.

4

Vorgerichtlich zahlte die Beklagte der Klägerin ein [X.] in Höhe von 3.000 €. Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die Zahlung eines in das Ermessen des Gerichts gestellten weiteren [X.]es, mindestens jedoch 7.000 €.

5

Das [X.] hat die Beklagte unter Klageabweisung im Übrigen zur Zahlung von 3.500 € verurteilt. Auf die Berufung der Klägerin hat das [X.] das landgerichtliche Urteil abgeändert, soweit die Klage abgewiesen worden war, und die Beklagte zur Zahlung von weiteren 3.500 € verurteilt. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

I.

6

Nach Auffassung des [X.], dessen Urteil unter anderem in [X.], 332 veröffentlicht ist, steht der Klägerin für das durch den Unfalltod ihres [X.] erlittene seelische Leid eine angemessene Entschädigung aus § 10 Abs. 3 StVG zu. Maßstab für die Bemessung der geschuldeten Entschädigung sei die konkrete Beeinträchtigung. Durch den Verlust naher Angehöriger könnten seelische Beeinträchtigungen von besonderer Komplexität verursacht werden. Die Dauer von seelischem Leid sei nicht prognostizierbar. Wie beim Schmerzensgeld seien sowohl die Ausgleichs- als auch die Genugtuungsfunktion zu berücksichtigen. Der in der Kostenschätzung des Gesetzentwurfs genannte Betrag von 10.000 € stelle keine "Obergrenze", sondern einen "Anker" bzw. eine "Orientierungshilfe" für die Bemessung dar. Eine Auslegung des [X.]es als Minus gegenüber dem Anspruch auf Ersatz eines Schockschadens werde der Differenzierung zwischen körperlich/psychischem und seelischem Leid nicht gerecht. Es handele sich um zwei unterschiedliche, in keinem Stufenverhältnis stehende Ansprüche. Während das Schmerzensgeld wegen eines Schockschadens pathologische psychische Schmerzen ausgleichen solle, gehe es beim [X.] um die Abgeltung von Trauer und Betroffenheit der Seele. Andauernde seelische Schmerzen könnten aber eine gleichwertige oder sogar - je nach Dauer und Intensität - höhere Betroffenheit auslösen. Die Bemessung des [X.]es müsse sich außerdem in das stimmige Gesamtgefüge der [X.] und [X.] Rechtsprechung zum [X.]/[X.] einfügen. Das [X.] liege in vergleichbaren Fällen deutlich höher als 10.000 €. So würden im Nachbarland [X.] zwischen 10.000 € und 25.000 € [X.] gezahlt.

7

Unter Berücksichtigung dieser generellen Erwägungen sei die der Klägerin zustehende Entschädigung gemäß § 287 ZPO auf insgesamt 10.000 € zu bemessen.

II.

8

Diese Erwägungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht in jeder Hinsicht stand.

9

1. Aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden und von der Revision nicht angegriffen ist allerdings der Ausgangspunkt des [X.], wonach der Klägerin gegen die Beklagte wegen den Unfalltods ihres [X.] dem Grunde nach ein Anspruch auf Zahlung eines [X.]es aus § 18 Abs. 1 Satz 1, § 10 Abs. 3 StVG, § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.] zusteht. Da der Fahrer des bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs den Unfall und den dabei eingetretenen Tod des [X.] der Klägerin nach den Feststellungen des [X.] durch einen groben Verstoß gegen die Sorgfaltsanforderungen des § 10 [X.] verursacht hat, ergibt sich der Anspruch überdies aus § 823 Abs. 1, § 844 Abs. 3 [X.], § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.]. Nach den gleichlautenden Bestimmungen in § 844 Abs. 3 [X.] und § 10 Abs. 3 StVG, die mit dem Gesetz zur Einführung eines Anspruchs auf [X.] vom 17. Juli 2017 (BT-Drucks. 18/11397, [X.] I 2017, 2421) neu geschaffen worden sind, hat der Ersatzpflichtige dem Hinterbliebenen, der zur [X.] zu dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis stand, für das dem Hinterbliebenen zugefügte seelische Leid eine angemessene Entschädigung in Geld zu leisten.

2. Die Revision wendet sich aber mit Erfolg gegen die Bemessung der [X.] durch das Berufungsgericht.

a) Zwar ist die Bemessung der Höhe der angemessenen Entschädigung grundsätzlich Sache des nach § 287 ZPO beson[X.] frei gestellten Tatrichters. Sie ist vom Revisionsgericht nur darauf zu überprüfen, ob die Festsetzung Rechtsfehler enthält, insbesondere ob das Gericht sich mit allen für die Bemessung der [X.] maßgeblichen Umständen ausreichend auseinandergesetzt und sich um eine angemessene Beziehung der Entschädigung zu Art und Ausmaß des durch den Tod zugefügten seelischen Leids bemüht hat. Die Bemessung der [X.] kann in aller Regel nicht schon deshalb beanstandet werden, weil sie als zu dürftig oder als zu reichlich erscheint; insoweit ist es der Revision verwehrt, ihre Bewertung an die Stelle des Tatrichters zu setzen (vgl. zur Anwendbarkeit des § 287 ZPO: Gesetzentwurf der Fraktionen der [X.] und [X.], Entwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Anspruchs auf [X.], BT-Drucks. 18/11397 vom 7. März 2017, [X.]; [X.], [X.], 869, 876; [X.]/[X.], 8. Aufl., § 844 Rn. 106; zum Schmerzensgeld: Senatsurteile vom 22. März 2022 - [X.], [X.], 819 Rn. 7; vom 15. Februar 2022 - [X.], [X.], 712 Rn. 11; jeweils mwN).

b) Die Revision rügt aber zu Recht, dass die Erwägungen des [X.] zu den Grundlagen der Bemessung von Rechtsfehlern beeinflusst sind.

aa) Das Berufungsgericht ist allerdings zutreffend davon ausgegangen, dass bei der Festsetzung der [X.] nicht lediglich eine schematische Bemessung vorgenommen werden darf, sondern die konkrete seelische Beeinträchtigung des betroffenen Hinterbliebenen zu bewerten ist und hierbei die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles zu berücksichtigen sind. Die Bestimmungen in § 844 Abs. 3 [X.] und § 10 Abs. 3 StVG gewähren einen Anspruch auf Ersatz eines Nichtvermögensschadens (vgl. Senatsurteil vom 8. Februar 2022 - [X.], [X.], 1 Rn. 33; [X.], [X.], 869, 870, 872; [X.]/[X.], 8. Aufl., § 844 Rn. 105; [X.]., [X.], 2641, 2642). Sie sehen für immaterielle Nachteile - die seelischen Beeinträchtigungen, die durch den Verlust einer geliebten Person eintreten wie insbesondere Trauer und Niedergeschlagenheit (vgl. [X.]/[X.], 8. Aufl., § 844 Rn. 105, [X.], in: [X.], 4. Aufl., § 844 Rn. 133) - eine "angemessene Entschädigung in Geld" vor. Insoweit entsprechen sie den in § 253 Abs. 2 [X.], § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG geregelten Ansprüchen auf Ersatz immateriellen Schadens (vgl. [X.], [X.], 869, 875), für die die Pflicht des Tatrichters, die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles zu berücksichtigen, anerkannt ist (vgl. zu § 253 [X.]: [X.], Beschluss vom 16. September 2016 - [X.], [X.]Z 212, 48 ff.; Senatsurteile vom 22. März 2022 - [X.], [X.], 819 Rn. 8; vom 8. Februar 2022 - [X.], [X.], 635 Rn. 11 f.; zu § 15 AGG: Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung [X.] Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung, BT-Drucks. 16/1780, [X.]; [X.], [X.], 2970 Rn. 39). Dementsprechend verweist der Gesetzentwurf der Fraktionen der [X.] und [X.] vom 7. März 2017 (BT-Drucks. 18/11397, [X.]) ausdrücklich darauf, dass die Bestimmung der Anspruchshöhe den Gerichten überlassen werde, welche Erwägungen der Angemessenheit zu Grunde zu legen und § 287 ZPO anzuwenden hätten. Nach § 287 Absatz 1 Satz 1 ZPO entscheidet das Gericht über die streitige Frage, wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse belaufe, unter Würdigung aller Umstände.

bb) Wie das Berufungsgericht weiter zutreffend angenommen hat, sind bei der Bemessung der [X.] ähnlich wie beim Schmerzensgeld sowohl der Ausgleichs- als auch der Genugtuungsgedanke zu berücksichtigen. Die Entschädigung soll dem Hinterbliebenen einen gewissen Ausgleich bieten für die seelischen Beeinträchtigungen, die durch den Tod einer geliebten Person eintreten; auch wenn ein echter Ausgleich nicht möglich ist, soll mit der Entschädigung das mit dem Verlust des Angehörigen verbundene seelische Leid wenigstens gelindert werden (vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Anspruchs auf [X.], BT-Drucks. 18/11397, [X.], 8; [X.], [X.], 869, 872; [X.]/[X.], 8. Aufl., § 844 Rn. 4, 105; [X.], in: [X.], 4. Aufl., § 844 Rn. 180 ff.). Zugleich soll die [X.] aber auch dem Gedanken Rechnung tragen, dass der Schädiger dem Hinterbliebenen für das, was er ihm durch die Herbeiführung des Todes einer geliebten Person angetan hat, Genugtuung schuldet (vgl. [X.], Urteil vom 24. August 2022 - 14 U 22/22, [X.] 2022, 558 Rn. 49; [X.], Urteil vom 17. Mai 2019 - 3 O 108/18, [X.], 236, juris Rn. 81; [X.], Urteil vom 8. November 2019 - 5 O 758/19, [X.], 95, juris Rn. 20; [X.], [X.], 869, 872; [X.]/[X.], 8. Aufl., § 844 Rn. 4, 105; eine Genugtuungsfunktion ablehnend: [X.], in: [X.], 4. Aufl., § 844 Rn. 180 ff.; [X.]., in: FS-Schwintowski, 920, 947; [X.]., [X.], 385, 389; Jaeger, [X.], 1041, 1042; König, in: [X.]/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl., § 10 StVG Rn. 20; [X.], in: [X.], [X.], 28. Aufl., [X.]. 7 Rn. 23; [X.], [X.] 2018, 72, 78; [X.], r+s 2017, 449, 451; nur auf die Genugtuungsfunktion abstellend: [X.], [X.], 321, 325; Eichelberger, in: [X.], Stand: 01.09.2022, § 844 Rn. 215; [X.], in: [X.][X.]/[X.]/[X.], Straßenverkehrsrecht, 27. Aufl., 7. Teil, § 844 [X.] Rn. 221 ff.; [X.]/Höher, Ersatzansprüche bei Personenschaden, 13. Aufl., Rn. 310; [X.], [X.] 2017, 690, 692; [X.][X.], [X.], 401, 410; [X.], [X.] 2018, 69, 71). Da das Gesetz eine angemessene Entschädigung fordert, kann der [X.] nicht allein maßgebend für das Ausmaß der Leistung sein. Das alleinige Abstellen auf den [X.] ist unmöglich, weil sich immaterielle Schäden nicht und [X.] nur beschränkt in Geld ausdrücken lassen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 16. September 2016 - [X.], [X.]Z 212, 48 Rn. 46 f., 60; vom 6. Juli 1955 - [X.], [X.]Z 18, 149, juris Rn. 15, 17; Senatsurteil vom 8. Februar 2022 - [X.], [X.], 635 Rn. 12).

cc) Vor dem Hintergrund dieser Erwägungen sind maßgebend für die Höhe der [X.] im Wesentlichen die Intensität und Dauer des erlittenen seelischen Leids und der Grad des Verschuldens des Schädigers. Wie das Berufungsgericht zu Recht angenommen hat, lassen sich dabei aus der Art des [X.], der Bedeutung des Verstorbenen für den Anspruchsteller und der Qualität der tatsächlich gelebten Beziehung indizielle Rückschlüsse auf die Intensität des seelischen Leids ableiten (vgl. [X.], [X.], 869, 872, 876; [X.]/[X.], 8. Aufl., § 844 Rn. 106; [X.], [X.], 321, 325; [X.], [X.] 2018, 213, 217; [X.], [X.], 449, 451 f.).

dd) [X.] rechtlichen Bedenken begegnen aber die Erwägungen des [X.] zum Verhältnis der [X.] zum Schmerzensgeld wegen eines sogenannten Schockschadens.

(1) Das Berufungsgericht ist allerdings zutreffend davon ausgegangen, dass es sich bei dem [X.] einerseits und dem Schockschadensersatz andererseits um unterschiedliche Rechtsinstitute handelt (vgl. Senatsurteil vom 8. Februar 2022 - [X.], [X.], 1 Rn. 20, 33). Während der Anspruch auf Gewährung eines Schmerzensgeldes wegen eines Schockschadens aus § 7 Abs. 1, § 11 StVG, § 823 Abs. 1, § 253 Abs. 2 [X.] auf der Verletzung eines eigenen Rechtsguts beruht (vgl. auch Senatsurteil vom 26. Juli 2022 - [X.], [X.], 1309 Rn. 14), setzt der Anspruch auf [X.] aus § 10 Abs. 3 StVG, § 844 Abs. 3 [X.] keine über Trauer und seelisches Leid hinausgehende gesundheitliche Beeinträchtigung des Hinterbliebenen im Sinne einer eigenen Gesundheitsverletzung voraus. Die Einführung dieses Anspruchs diente gerade dem Zweck, den Hinterbliebenen auch für Beeinträchtigungen unterhalb dieser Schwelle einen Anspruch auf angemessene Entschädigung einzuräumen (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 22. März 2017 zur Herbeiführung der Beschlussfassung des [X.], BT-Drucks. 18/11615, [X.]). Dementsprechend knüpft das [X.] auf [X.] der Haftungsbegründung an die Verletzung eines fremden Rechtsguts, des in § 7 Abs. 1 StVG, § 823 Abs. 1 [X.] geschützten Lebens des Getöteten, an und sucht erst auf [X.] der Haftungsausfüllung den eigenen Gefühlsschaden der Hinterbliebenen zu entschädigen. Dass in beiden Fällen dem Erstverletzten nahestehende Personen eine finanzielle Entschädigung für eigene immaterielle Beeinträchtigungen erhalten, ändert nichts an ihrer unterschiedlichen dogmatischen Herleitung (vgl. Senatsurteil vom 8. Februar 2022 - [X.], [X.], 1 Rn. 33 mwN).

(2) Es ist revisionsrechtlich auch nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht den in dem Gesetzentwurf der Fraktionen der [X.] und [X.] genannten Betrag in Höhe von 10.000 € (BT-Drucks. 18/11397, [X.]1) als Orientierungshilfe und nicht als Obergrenze für die Bemessung der [X.] angesehen hat (so auch [X.], Urteil vom 24. August 2022 - 14 U 22/22, [X.] 2022, 558 Rn. 47; [X.], Urteil vom 5. Mai 2022 - 18 U 168/21, [X.], 1109, juris Rn. 36 f.; [X.], Beschluss vom 31. August 2020 - 12 U 870/20, NJW 2021, 168 Rn. 12 f., jeweils mwN; [X.], Urteil vom 8. November 2019 - 5 O 758/19, [X.], 95, juris Rn. 17, 19; [X.], Urteil vom 17. Mai 2019 - 3 O 108/18, [X.], 236, juris Rn. 79 ff.; [X.], Beschluss vom 23. Oktober 2018 - 3 O 219/18, SVR 2020, 142, juris Rn. 1). Dieser Betrag wird lediglich im allgemeinen Teil der Gesetzesbegründung im Rahmen der nach § 1 Abs. 3, § 2 des Gesetzes zur Einsetzung eines [X.] ([X.]) gebotenen Darstellung des Erfüllungsaufwands des Gesetzes genannt und ausdrücklich als [X.] bezeichnet, der zur damaligen [X.] von den Gerichten bei der Tötung eines Angehörigen als Entschädigung für sogenannte [X.] zugesprochen worden sei. Ein im allgemeinen Teil der Gesetzesbegründung im Rahmen der Gesetzesfolgenbewertung genannter und ausdrücklich als [X.] bezeichneter Wert kann aber keine verbindliche Aussage über die Angemessenheit der [X.] im konkreten Fall treffen, deren Bestimmung der Gesetzgeber im besonderen Teil der Gesetzesbegründung ausdrücklich den Gerichten unter Berücksichtigung der Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles überantwortet hat (vgl. [X.], Urteil vom 5. Mai 2022 - 18 U 168/21, [X.], 1109, juris Rn. 28 ff.). Ungeachtet der Frage seiner tragfähigen Herleitung (krit. [X.], in: [X.], 2. Aufl., Stand [X.], § 844 [X.] Rn. 155; [X.], [X.], 688, 691; Jaeger, [X.], 1041, 1053 ff.; [X.], [X.], 321, 325) kann er vielmehr nur eine Orientierungshilfe bieten, von der im Einzelfall sowohl nach unten als auch nach oben abgewichen werden kann (vgl. [X.], Urteil vom 24. August 2022 - 14 U 22/22, NJW-RR 2022, 1472 [X.] 2022, 558 Rn. 47; [X.], Urteil vom 5. Mai 2022 - 18 U 168/21, [X.], 1109, juris Rn. 36 f.; [X.], Urteil vom 21. Dezember 2020 - 12 U 711/20, [X.], 320, juris Rn. 33 f.; Beschluss vom 31. August 2020 - 12 U 870/20, NJW 2021, 168 Rn. 12 ff.; [X.], Urteil vom 8. November 2019 - 05 O 758/19, [X.], 95, juris Rn. 19; [X.], Urteil vom 17. Mai 2019 - 12 O 4540/18, [X.], 464, juris Rn. 34; [X.], Urteil vom 17. Mai 2019 - 3 O 108/18, [X.], 236, juris Rn. 79; [X.]/[X.]/[X.], [X.], 26. Aufl., [X.]. 4 Rn. 227; [X.], in: [X.]/[X.]/[X.], [X.], 1. Aufl., Teil 1, § 1 Rn. 101; König, in: [X.]/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl., § 10 StVG Rn. 20; [X.], in: [X.]/[X.], Gesamtes Verkehrsrecht, 3. Aufl., § 10 StVG Rn. 13; [X.], in: [X.], 19. Aufl., Rn. 340; [X.], in: [X.] [X.], Stand: 01.08.2022, § 844 Rn. 46; [X.], in: [X.], [X.], 81. Aufl., § 844 Rn. 25; [X.], in: HK-[X.], 11. Aufl., § 844 Rn. 17; [X.]., [X.], 601, 602; [X.], in: [X.], Stand: 01.01.2022, § 10 Rn. 32; [X.], [X.] 2018, 72, 76; [X.], [X.] 2019, 93, 105; aA wohl [X.], Beschluss vom 23. Oktober 2018 - 3 O 219/18, SVR 2020, 142, juris Rn. 1; [X.], [X.] 2020, 64, 72; unklar [X.], [X.], 1640, 1642; [X.], in: [X.], [X.], 28. Aufl., [X.]. 7 Rn. 26; [X.]/[X.], [X.], 445, 448).

(3) Die Revision wendet sich aber mit Erfolg gegen die Annahme des [X.], die Bemessung der Höhe der [X.] könne unabhängig von der Höhe des Schmerzensgeldes erfolgen, das dem Hinterbliebenen zustände, wenn das von ihm erlittene seelische Leid die Qualität einer Gesundheitsverletzung hätte; die [X.] sei im Ausgangspunkt insbesondere nicht niedriger als das Schmerzensgeld zu bemessen.

Die Einführung eines Anspruchs auf [X.] diente dem Zweck, den Hinterbliebenen für immaterielle Beeinträchtigungen unterhalb der Schwelle einer Gesundheitsverletzung einen Anspruch auf angemessene Entschädigung in Geld einzuräumen. Die Entschädigung soll seelisches Leid lindern, das diese Schwelle nicht erreicht (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 22. März 2017 zur Herbeiführung der Beschlussfassung des [X.], BT-Drucks. 18/11615, [X.]; Gesetzentwurf der Fraktionen der [X.] und [X.], Entwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Anspruchs auf [X.], BT-Drucks. 18/11397, [X.], 14; [X.] 18/234, 23801 B; [X.], [X.], 869, 872, 876; [X.], [X.] 2028, 213, 217; [X.], [X.], 2641, 2645; [X.], [X.], 385, 389). Dementsprechend wird in dem Gesetzentwurf darauf hingewiesen, dass bei der Anspruchsbemessung die Höhe des Schmerzensgeldes bei [X.] zwar eine gewisse Orientierung geben könne, dabei allerdings zu berücksichtigen sei, dass der Anspruch auf [X.] keine Rechtsgutsverletzung voraussetze (vgl. BT-Drucks. 18/11397, [X.]); der für die Tötung Verantwortliche habe dem Hinterbliebenen unabhängig vom Nachweis einer medizinisch fassbaren Gesundheitsbeeinträchtigung eine Entschädigung für dessen seelisches Leid zu leisten (vgl. BT-Drucks. 18/11397, [X.]).

Zur Vermeidung von Wertungswi[X.]prüchen muss deshalb der dem Hinterbliebenen im Einzelfall zuerkannte Betrag im Regelfall hinter demjenigen zurückbleiben, der ihm zustände, wenn das von ihm erlittene seelische Leid die Qualität einer Gesundheitsverletzung hätte (vgl. BT-Drucks. 18/11397, [X.]; [X.] 18/234, 23801 B, [X.]; [X.], Beschluss vom 31. August 2020 - 12 U 870/20, NJW 2021, 168 Rn. 18; [X.], Urteil vom 8. November 2019 - 05 O 758/19, [X.], 95, juris Rn. 19; [X.], Urteil vom 17. Mai 2019 - 3 O 108/18, [X.], 236, juris Rn. 80; [X.], [X.], 321, 324; [X.], [X.], 869, 872, 876; [X.], [X.], 2641, 2645; [X.], [X.] 2018, 213, 217; [X.], Das [X.], [X.]17; [X.], in: [X.], 2. Aufl., Stand: [X.], § 844 [X.] Rn. 156 f.; [X.], in: [X.][X.]/[X.]/[X.], Straßenverkehrsrecht, 27. Aufl., 7. Teil, § 844 [X.] Rn. 229; Weinland, in: [X.], 2. Aufl., Stand: 01.12.2021, § 5 [X.] Rn. 27; [X.], [X.] 2018, 69, 72 unter Ziffer [X.]; aA [X.], in: Prütting/Wegen/Weinreich, [X.], 17. Aufl., § 844 Rn. 22; [X.], in: HK-[X.], 11. Aufl., § 844 Rn. 17). Wie dieses [X.] im Einzelfall gewahrt wird, unterliegt der tatrichterlichen Beurteilung.

ee) Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht schließlich angenommen, das [X.] müsse sich der Höhe nach in das Gesamtgefüge der [X.] Rechtsprechung zum [X.] und [X.] einfügen. Die Frage, welcher Betrag "angemessen" ist, um das dem Hinterbliebenen zugefügte seelische Leid gemäß § 844 Abs. 3 [X.], § 10 Abs. 3 StVG in Geld zu entschädigen, kann - wie bei der Bemessung des einem Geschädigten gemäß § 253 Abs. 2 [X.] zustehenden Schmerzensgelds - nur in Ansehung der in [X.] geltenden Lebensverhältnisse und der [X.] Gesamtrechtsordnung beantwortet werden. Abgesehen von den unterschiedlichen Lebensverhältnissen ist der Ersatz materieller und immaterieller Schäden in den [X.] Staaten rechtlich unterschiedlich ausgestaltet. Ein Vergleich mit dem Recht anderer Länder ist wenig aussagekräftig, wenn er nicht die gesamte Rechtsordnung in den Blick nimmt, sondern sich auf die punktuelle Herausnahme und isolierte Betrachtung einzelner Schadenspositionen und Einzelaspekte der verschiedenen Regulierungssysteme beschränkt ([X.], [X.], 869, 873).

III.

Das Berufungsurteil war aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich die rechtsfehlerhaften Erwägungen des [X.] zur Bemessungsgrundlage auf die Höhe der zuerkannten [X.] ausgewirkt haben. Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO). Die Bemessung der Höhe der angemessenen Entschädigung in Geld ist dem Tatrichter vorbehalten (vgl. zum Schmerzensgeld Senatsurteil vom 15. Februar 2022 - [X.], [X.], 712 Rn. 29 mwN).

[X.]    

        

von Pentz    

        

[X.]

        

Klein    

        

Böhm    

        

Meta

VI ZR 73/21

06.12.2022

Bundesgerichtshof 6. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, 23. Februar 2021, Az: 7 U 149/20, Urteil

§ 844 Abs 3 BGB, § 10 Abs 3 StVG, § 18 Abs 1 S 1 StVG, § 287 ZPO, § 115 Abs 1 S 1 Nr 1 VVG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 06.12.2022, Az. VI ZR 73/21 (REWIS RS 2022, 8214)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 8214 MDR 2023, 295-296 REWIS RS 2022, 8214 NJW 2023, 1438 REWIS RS 2022, 8214

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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VI ZR 161/22 (Bundesgerichtshof)

Bemessung der Höhe der Hinterbliebenenentschädigung


18 U 168/21 (Oberlandesgericht Köln)


VI ZR 3/21 (Bundesgerichtshof)

Ersatzansprüche eines Dritten bei Tötung: Erstreckung des Haftungsausschlusses für Arbeitsunfälle auf den Anspruch auf Hinterbliebenengeld


4 StR 300/21 (Bundesgerichtshof)

Adhäsionsentscheidung bei Totschlag: Zuerkennung von Hinterbliebengeld bei Nachweis einer tatsächlich gelebten sozialen Beziehung; Bindung an …


24 U 541/24 e (OLG München)

Hinterbliebenengeld, Mitverschulden, Landgerichte, Berufungsrücknahme, Rotlichtverstoß, Näheverhältnis, Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, Beerdigungskosten, Schmerzensgeldansprüche, Gefährdungshaftung, Bemessung, Rücknahme …


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