Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.12.2021, Az. 5 StR 312/21

5. Strafsenat | REWIS RS 2021, 535

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Gegenstand

Einziehung im Sicherungsverfahren: Erfordernis eines Antrags der Staatsanwaltschaft


Leitsatz

Die Einziehung im Sicherungsverfahren ist seit dem Inkrafttreten der Neufassung von § 413 StPO zum 1. Juli 2021 im gleichen Umfang wie im Strafverfahren möglich; ein besonderer Antrag der Staatsanwaltschaft ist hierfür nicht erforderlich.

Tenor

1. Auf die Revision der Beschuldigten wird das Urteil des [X.], [X.], vom 8. April 2021 aufgehoben, soweit gegen die Beschuldigte die Einziehung angeordnet worden ist.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat die Beschuldigte in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht und „gemäß § 74 [X.] … als Tatmittel“ eine Schreckschusswaffe, dazu gehörige Munition sowie zwei Dosen Pfefferspray eingezogen. Die mit der Sachrüge begründete Revision führt zu dem aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg und ist im Übrigen im Sinne von § 349 Abs. 2 [X.] unbegründet.

2

1. Der Senat entnimmt dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe noch hinreichend den Beleg der Zueignungsabsicht im Fall II. 4 der Urteilsgründe.

3

2. Die Einziehungsentscheidung kann hingegen nicht bestehen bleiben. Das [X.] hat die Einziehung der im Eigentum der Beschuldigten stehenden Tatmittel auf § 74 [X.] gestützt, ohne zu bedenken, dass diese Rechtsfolge bei – wie hier – schuldlos Handelnden nur nach § 74b Abs. 1 Nr. 1 [X.] angeordnet werden kann (vgl. [X.], Beschlüsse vom 2. November 2017 – 3 [X.], [X.], 235; vom 6. August 2019 – 3 StR 46/19, [X.], 371; vom 22. Juni 2021 – 5 [X.] jeweils mwN). Die [X.] hat insoweit weder die erforderlichen Feststellungen getroffen noch das ihr zustehende Ermessen ausgeübt. Darauf beruht die Einziehungsentscheidung (§ 337 Abs. 1 [X.]).

4

3. Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung der Einziehungsentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache in diesem Umfang (§ 354 Abs. 2 [X.]). Die Feststellungen sind hiervon nicht betroffen und bleiben deshalb bestehen (vgl. § 353 Abs. 2 [X.]); sie dürfen um solche ergänzt werden, die den bisherigen nicht widersprechen.

5

4. Dem Antrag des [X.], entsprechend § 354 Abs. 1 [X.] die Einziehung entfallen zu lassen, weil es diesbezüglich an einem Antrag gemäß § 435 Abs. 1 Satz 1 [X.] und damit einer Verfahrensvoraussetzung fehle (in diesem Sinne zuletzt [X.], Beschluss vom 22. Juni 2021 – 5 [X.]), vermag der Senat hingegen nicht zu folgen.

6

a) Mit Wirkung zum 1. Juli 2021 ist durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 25. Juni 2021 ([X.]) § 413 [X.] dahingehend geändert worden, dass nunmehr auch im Sicherungsverfahren die Einziehung ohne gesonderten Antrag nach § 435 Abs. 1 Satz 1 [X.] möglich ist.

7

aa) Nach der bisherigen ständigen Rechtsprechung des [X.] war die Einziehung nach §§ 73 ff. [X.] davon abhängig, dass die Staatsanwaltschaft zusätzlich einen gesonderten Antrag nach § 435 Abs. 1 Satz 1 [X.] gestellt hatte; weder Ausführungen in der Antragsschrift, dass bestimmte Gegenstände der Einziehung unterliegen, noch einen entsprechenden Antrag in der Hauptverhandlung sah die Rechtsprechung als hierfür ausreichend an (vgl. [X.], Beschlüsse vom 2. November 2017 – 3 [X.], [X.], 235; vom 12. Dezember 2017 – 3 [X.], [X.], 559; vom 9. Mai 2019 – 5 [X.], [X.] 2020, 36). Dies wurde insbesondere daraus abgeleitet, dass in § 413 [X.] nur Maßregeln der Besserung und Sicherung als mögliche Verfahrensgegenstände eines [X.] benannt wurden (vgl. [X.], aaO).

8

bb) Mit der zum 1. Juli 2021 in [X.] getretenen Änderung von § 413 [X.] wollte der Gesetzgeber auch die Einziehung im Sicherungsverfahren ermöglichen, weil es keinen sachlichen Grund dafür gebe, diese Rechtsfolge nicht auch als Nebenfolge in diesem Verfahren zu ermöglichen (BT-Drucks. 19/27654 [X.]). Der bisherige Gesetzestext von § 413 [X.] wurde deshalb um die Worte „sowie als Nebenfolge die Einziehung“ ergänzt.

9

b) Der Senat entnimmt dieser Änderung, dass die Einziehung im Sicherungsverfahren nicht von einer weitergehenden Verfahrensvoraussetzung abhängig sein soll als der rechtmäßigen Durchführung des [X.], insbesondere nicht mehr von einem gesonderten Antrag, wie ihn § 435 Abs. 1 Satz 1 [X.] vorsieht. Die Einziehung im Sicherungsverfahren ist demnach seit dem Inkrafttreten der Neufassung von § 413 [X.] zum 1. Juli 2021 im gleichen Umfang wie im Strafverfahren möglich; nicht erforderlich hierfür sind insbesondere ein darauf gerichteter ausdrücklicher Antrag der Staatsanwaltschaft in der Antragsschrift oder eine besondere Eröffnungsentscheidung des Gerichts.

aa) Zwar kann § 413 [X.] nach seinem neuen Wortlaut auch dahingehend verstanden werden, als müsste die Staatsanwaltschaft nunmehr hinsichtlich der Einziehung einen ebensolchen begründeten Antrag stellen wie bezüglich der Anordnung einer Maßregel der Besserung und Sicherung. Damit hätte sich aber im Vergleich zum früheren Rechtszustand wenig geändert, denn auch nach früherem Recht war ein Antrag nach § 435 Abs. 1 Satz 1 [X.] möglich. Die vom Gesetzgeber beabsichtigte Vereinfachung des Verfahrens liefe damit weitgehend ins Leere. Die Auslegung einer verfahrensrechtlichen Norm hat indes besonders das Ziel, dem Willen des Gesetzgebers bei der Verfahrensgestaltung nach Möglichkeit zum Erfolg zu verhelfen (vgl. [X.], Beschluss vom 24. Juni 1953 – [X.], [X.]St 4, 308 mwN).

bb) Dem Gesetzgeber ging es mit seiner Änderung um den Gleichlauf von Straf- und Sicherungsverfahren bei der Einziehung (näher BT-Drucks. 19/27654 [X.]). Dem wird eine Auslegung gerecht, wonach die Einziehung im Sicherungsverfahren beim Vorliegen der materiell-rechtlichen Voraussetzungen keinen anderen prozessualen Regeln folgt als im Strafverfahren, also von keinem gesonderten Antrag abhängt, sondern nur davon, ob der Beschuldigte wie ein Angeklagter in Antragsschrift, Eröffnungsbeschluss oder Hauptverhandlung auf die Möglichkeit dieser Rechtsfolge ausdrücklich hingewiesen wurde (vgl. [X.], Beschluss vom 22. Oktober 2020 – [X.]/20).

cc) Diese am gesetzgeberischen Willen orientierte Auslegung fügt sich auch in das systematische Regelungsgefüge der §§ 413 ff. [X.] einerseits und der §§ 435 ff. [X.] andererseits ein. Während die §§ 413 ff. [X.] das prozessuale Gegenstück zur materiell-rechtlichen Regelung in § 71 [X.] bilden (vgl. [X.], Urteil vom 28. Oktober 1982 – 4 [X.], [X.]St 31, 132), stellen die §§ 435 ff. [X.] das prozessuale Äquivalent für die selbständige Einziehung nach § 76a [X.] dar (vgl. MüKo-[X.]/[X.]/[X.], § 435 Rn. 1). Wie der Gesetzgeber durch die Änderung in § 413 [X.] deutlich gemacht hat, soll sich nunmehr die Anordnung der Einziehung im Fall der Durchführung eines [X.] nicht mehr nach den §§ 435 ff. [X.], sondern alleine nach den §§ 413 ff. [X.] richten. Ein selbständig geführtes Einziehungsverfahren nach §§ 435 ff. [X.] erschien dem Gesetzgeber in solchen Fällen entbehrlich, weil das Sicherungsverfahren weitgehend den für das Strafverfahren geltenden Regeln folgt (vgl. BT-Drucks. 19/27654 [X.]). Der damit beabsichtigte Gleichlauf von Straf- und Sicherungsverfahren bei der Einziehung setzt allerdings eine enge Verknüpfung der Einziehungsentscheidung mit den verfahrensgegenständlichen Anlasstaten voraus. Die selbständige Einziehung nach § 76a Abs. 1 Satz 1 [X.] iVm den §§ 73 ff. [X.] kann im Sicherungsverfahren deshalb nicht weiter gehen als in einem entsprechenden Strafverfahren.

dd) Der nunmehrige Gesetzeswortlaut lässt sich vor diesem Hintergrund auch dahingehend auslegen, dass er die erweiterte Möglichkeit einer gerichtlichen Entscheidung aus staatsanwaltschaftlicher Perspektive beschreibt, aber nicht das Erfordernis eines Antrags als Verfahrensvoraussetzung der Einziehung. Denn bei der beabsichtigten Gleichstellung mit dem Strafverfahren wäre es nicht nur systemwidrig, einen solchen Antrag zu fordern, sondern auch unverständlich, weshalb er in das Ermessen der Staatsanwaltschaft gestellt würde („kann“). Die Eröffnung des [X.] durch das Gericht bietet – wie beim Strafverfahren – eine hinreichende Grundlage, um auch die mit den verfahrensgegenständlichen Anlasstaten zusammenhängenden Einziehungsfragen in demselben gerichtlichen Verfahren zu klären.

c) Die Änderung von § 413 [X.] zum 1. Juli 2021 wirkt sich auch auf laufende Verfahren aus. Fehlte es bislang in solchen Verfahren mangels Antrags nach § 435 Abs. 1 Satz 1 [X.] bezüglich der Einziehung an einer [X.], ist dieses Erfordernis mit Wirkung zum 1. Juli 2021 entfallen. Derartige Änderungen des Prozessrechts gelten unmittelbar für alle laufenden Verfahren und sind auch noch in der Revisionsinstanz beachtlich; insbesondere ist der Wegfall von [X.], sofern – wie hier – Vertrauensschutz nicht ausnahmsweise entgegensteht, regelmäßig so zu behandeln, als hätte von vorneherein kein Hindernis vorgelegen (vgl. näher KK-[X.]/[X.], 8. Aufl., § 354a Rn. 5 f. mwN).

5. An einer Entscheidung im [X.] ist der Senat nicht dadurch gehindert, dass der [X.] einen weitergehenden Antrag auf Entfallen der [X.] gestellt hat. Denn der Senat hat die Revision der Beschuldigten zur Einziehungsentscheidung nach § 349 Abs. 4 [X.] einstimmig für begründet erachtet, so dass kein Fall des § 349 Abs. 5 [X.] vorliegt. Ob das Revisionsgericht anschließend eine Entscheidung nach § 354 Abs. 2 [X.] oder (entsprechend) § 354 Abs. 1 [X.] trifft, ist hierfür unbeachtlich (vgl. [X.], Beschlüsse vom 10. Februar 2004 – 4 StR 24/04; vom 5. Mai 2009 – 3 [X.]/09).

6. An die bisher entgegenstehende Rechtsprechung der anderen Senate des [X.] ist der Senat infolge der dargestellten Gesetzesänderung nicht im Sinne von § 132 Abs. 2 GVG gebunden (vgl. [X.], Beschluss vom 21. März 2000 – 4 StR 287/99, [X.]St 46, 17, 19 mwN).

7. Aufgrund der Teilaufhebung und Zurückverweisung hat sich die mit der Revision erhobene Kostenbeschwerde erledigt (vgl. [X.]/[X.], [X.], 64. Aufl., § 464 Rn. 20).

[X.]     

      

[X.]     

      

[X.]

      

Köhler     

      

Resch     

      

Meta

5 StR 312/21

08.12.2021

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Görlitz, 8. April 2021, Az: 9 KLs 550 Js 21107/19

§ 413 StPO vom 25.06.2021, § 435 Abs 1 S 1 StPO, § 74 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.12.2021, Az. 5 StR 312/21 (REWIS RS 2021, 535)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 535

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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