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Verlängerung der Überstellungsfrist nach Kroatien
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der am … geborene Kläger, afghanischer Staatsangehöriger, reiste nach eigenen Angaben am 30.09.2016 über Kroatien in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 14.10.2016 einen Asylantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt). Er gab an, seinen Bruder in Kroatien verloren zu haben, dieser sei im Camp … und habe dort Asyl beantragt. Seine Cousine sei in Deutschland anerkannt worden. Deutschland sei für Flüchtlinge sehr gut, er könnte hier weiterstudieren. Er sei auf die finanzielle Unterstützung durch die Cousine angewiesen.
Einem auf die Eurodac-Treffermeldung vom 30.09.2016 gestützten Wiederaufnahmegesuch des Bundesamtes vom 25.11.2016 gaben die kroatischen Behörden mit Schreiben vom 24.01.2017 unter Bezugnahme auf Art. 13 Abs. 1 VO (EU) Nr. 604/2013 (im Folgenden: Dublin-III-VO) statt.
Mit Bescheid vom 09.03.2017 wurde vom Bundesamt der Antrag als unzulässig abgelehnt (Ziffer 1), festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 2), die Abschiebung nach Kroatien angeordnet (Ziffer 3) und das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 6 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Der Asylantrag sei gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG unzulässig, da Kroatien gemäß Art. 13 Abs. 1 Dublin-III-VO für die Prüfung zuständig sei. Abschiebungsverbote nach Art. 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG lägen nicht vor. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in Kroatien seien nicht so, dass der Antragsteller dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK oder Art. 4 EU-GRCharta ausgesetzt sei. Auch eine individuelle Gefahr für Leib oder Leben sei weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die Deutschland zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO veranlassen könnten, seien ebenfalls nicht ersichtlich. Der Antragsteller und seine in Deutschland lebende Cousine seien nicht aufeinander angewiesen. Außerdem habe der Kläger in Kroatien einen Bruder. Schließlich sei die Behandlung in Kroatien grundsätzlich nicht schlechter als in Deutschland. Die Grundversorgung des Antragstellers sei in Kroatien gesichert. Die Asylsuchenden hätten während des gesamten Asylverfahrens (gegebenenfalls bis zur gerichtlichen Entscheidung) ein gesetzliches Recht auf Unterbringung in Aufnahmezentren, in denen sie drei Mahlzeiten am Tag erhielten. Die materielle Versorgung sei in diesen Zentren sichergestellt. Sozialarbeiter des kroatischen Roten Kreuzes seien werktags dort anwesend und böten soziale Betreuung, aber auch die Versorgung mit Bedarfsartikeln wie beispielsweise Kleidung, Hygieneartikeln, Lebensmitteln oder Schuhen an. Asylbewerber hätten einen Anspruch auf Verpflegung, Versorgung und finanzielle Unterstützung. Es gebe zwei Aufnahmezentren, die vom Innenministerium geführt würden, eines in Kutina, primär für vulnerable Personen, und eines in Zagreb. Asylbewerbern stehe laut Gesetz eine medizinische Notversorgung zu, die Kosten würden vom Staat getragen. Die Abschiebungsanordnung beruhe auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG, die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes auf § 11 Abs. 2 AufenthG.
Der Bescheid wurde dem Kläger am 14.03.2017 gegen Empfangsbestätigung ausgehändigt.
Mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom „27.02.2017“, beim Verwaltungsgericht Bayreuth eingegangen am 20.03.2017, hat der Kläger Klage erhoben und beantragt,
den Bescheid vom 09.03.2017 aufzuheben.
Das Bundesamt hat mit Schriftsatz vom 28.03.2017 beantragt,
die Klage abzuweisen.
Mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 05.04.2017 begründete der Kläger seine Klage wie folgt: Die Aufnahmeanfrage an Kroatien sei unter Verstoß gegen die Aufklärungspflicht gemäß § 24 AsylG erfolgt, weil die vom Kläger beim Bundesamt angegebenen Durchreiseländer offenbar unvollständig und dennoch weitere Nachfragen zum Reiseverlauf unterblieben seien. Ein illegaler Grenzübertritt nach Kroatien im Sinne des Art. 13 Abs. 1 Dublin-III-VO liege nicht vor, weil im Zeitraum August 2015 bis Mitte 2016 auf der sogenannten „Balkanroute“ die Durchreise teilweise staatlich organisiert bzw. gefördert und die Grenzübergänge nicht kontrolliert worden seien. Zur Auslegung des Begriffs des irregulären Grenzübertritts im Sinne des Art. 13 Abs. 1 Dublin-III-VO sei ein Vorabentscheidungsersuchen der Republik Slowenien vom 14.09.2016 anhängig. Die Zuständigkeit Kroatiens werde daher zurückgewiesen, vielmehr sei aufgrund der Sondersituation im Herbst 2015 von einem tatsächlich ausgeübten Selbsteintritt Deutschlands auszugehen. Auch in den Monaten von Frühjahr bis Sommer 2016 sei die Durchreise durch etliche Balkanstaaten geduldet und nicht irregulär erfolgt. Eine Rücknahme des tatsächlich erfolgten Selbsteintritts wäre treuwidrig.
Mit Beschluss vom 12.04.2017 (Az.: B 1 S 17.50304) lehnte das Verwaltungsgericht Bayreuth den Antrag des Klägers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage mit folgender Begründung ab:
„Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a AsylG ist ein Asylantrag dann unzulässig, wenn ein anderer Staat nach der Dublin-III-VO für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Nach § 34a AsylG wird in einem solchen Fall die Abschiebung ohne das Erfordernis einer vorherigen Androhung und Fristsetzung angeordnet, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Die Abschiebungsanordnung stellt sich als Festsetzung eines Zwangsmittels dar, die erst dann ergehen darf, wenn alle Voraussetzungen für die Abschiebung erfüllt sind. Dies ist in erster Linie die Zuständigkeit des anderen Staates. Daneben muss aber auch feststehen, dass die Abschiebung in den zuständigen Staat nicht - wenn auch nur vorübergehend - aus anderen Gründen rechtlich unzulässig oder tatsächlich unmöglich ist.
Die notwendigen Voraussetzungen liegen hier im Hinblick auf die beabsichtigte Abschiebung des Antragstellers nach Kroatien vor. Das Gericht schließt sich zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen den Gründen des angefochtenen Bescheides an und sieht von einer gesonderten Darstellung der Begründung ab (§ 77 Abs. 2 AsylG analog).
Ergänzend ist zur Sache sowie zum Vorbringen des Antragstellers noch Folgendes auszuführen:
An der Zuständigkeit Kroatiens für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers bestehen keine ernstlichen Zweifel. Kroatien ist nach Art. 13 Abs. 1 Dublin III-Verordnung zuständig. Nach diesen Vorschriften ist für die Prüfung der Mitgliedstaat zuständig, dessen Grenze der Antragsteller aus einem Drittstaat kommend illegal überschritten hat bzw. - wenn sich dieser Mitgliedstaat nicht feststellen lässt - der erste Mitgliedstaat, in dem ein Asylantrag gestellt wurde. Der Antragsteller ist ausweislich der Eurodac-Abfrage der Antragsgegnerin am 20. Februar 2016 in Tovarnik/Kroatien als illegal Eingereister erfasst worden (Eurodac-Treffer: HR21255184) und hat in Zagreb am 5. April 2016 einen Asylantrag gestellt (Eurodac-Treffer: HR...01). Daher ergibt sich die Zuständigkeit Kroatiens sowohl aus dem Grenzübertritt als auch aus der Asylantragstellung. Soweit der Antragsteller vorbringt, die Durchreise auf der sog. Balkanroute sei im Zeitraum August 2015 bis 2016 durch Behörden sogar gefördert worden, weshalb dies zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts Deutschlands führen müsse, erschließt sich dem Gericht nicht, unter welchem Gesichtspunkt ein solches bloßes Gewährenlassen die Zuständigkeit Kroatiens entfallen lassen sollte. Im Übrigen ist rein faktisch davon auszugehen, dass im Zeitpunkt der Einreise des Antragstellers die Zeit der „offenen Grenzen“ definitiv vorbei war. Darüber hinaus würde selbst eine kurzzeitige faktische Nichtanwendung der Dublin-Regeln nicht zu einer für das Gericht normativ beachtlichen Außerkraftsetzung der Dublin-Verordnung führen, da diese gemäß Art. 288 Abs. 2 AEUV verbindlich ist und unmittelbar in jedem EU-Mitgliedstaat gilt (so überzeugend VG U.v. 23. Februar 2017 - 5 K 1560/16.A -, unter Verweis auf BVerwG, Urteil vom 22. März 2016 - 1 C 10/15). Insoweit kommt es auf die im Eilverfahren aufgeworfenen Fragen nicht entscheidungserheblich an.
Gründe, die gegen eine Rückführung nach Kroatien, das der Übernahme zugestimmt hat, sprechen könnten, sind nicht ersichtlich bzw. wurden vom Antragsteller nicht substantiiert vorgetragen. Ein Asylbewerber kann der Überstellung in den für ihn zuständigen Mitgliedstaat nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegen treten. Hinweise für systemische Mängel in Bezug auf das Asylverfahren in Kroatien, die einen Vollzug des Dublin-III-Verfahrens und eine Abschiebung dorthin hindern könnten, sind jedoch nicht ersichtlich. Das Gericht schließt sich der bislang ergangenen Rechtsprechung der erstinstanzlichen Gerichte vollumfänglich an, wonach nicht (ansatzweise) erkennbar ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Kroatien systemische Schwachstellen aufweisen würden, welche die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 EUGRCh mit sich bringen (so zuletzt VG Cottbus, U.v. 23. Februar 2017 - 5 K 1560/16.A -, unter Verweis auf VG Düsseldorf, U.v. 26. März 2015 - 8 K 460/15.A -, VG Köln, B.v. 5. September 2016 - 3 L 2056/16.A -, VG Saarlouis, B.v. 15. September 2016 - 5 L 1291/16 -, VG München, B.v. 11. November 2016 - M 7 S 16.50775 -, alle juris). Der Dokumentation „Sozialleistungen für Asylsuchende und Flüchtlinge in ausgewählten EU-Mitgliedstaaten“ vom 8. Juli 2016 ist zu entnehmen, dass ab dem ersten Tag der Unterbringung Sachleistungen und finanzielle Unterstützung erfolgt. Die Asylantragsteller erhalten medizinische Versorgung. Aus den umfangreichen Darstellungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) der Republik Österreich vom 18. August, 10. und 24. November 2016 (Länderinformationsblatt Kroatien) lassen sich unter keinem Gesichtspunkt systemische Mängel im Verfahren und in der Unterbringung herleiten (siehe hierzu auch: United States Department of State, Croatia 2016 human rights report, 3. März 2017, S. 8). Es ist daher davon auszugehen, dass die kroatischen Behörden den Antrag des Antragstellers gemäß den geltenden Bestimmungen prüfen. Weshalb die (örtliche) Nähe des Antragstellers zu seiner Cousine höher zu bewerten sein soll als zu seinem minderjährigen, sich in Kroatien befindlichen Bruder, ist nicht erkennbar. Eine evtl. finanzielle Unterstützung kann auch über Ländergrenzen hinweg erfolgen.
Die Entscheidung der Antragsgegnerin, dass keine außergewöhnlichen Gründe vorliegen, die sie veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO auszuüben, ist nicht zu beanstanden. Anhaltspunkte für das Vorliegen von Abschiebungsverboten sind vor dem Hintergrund, dass systemische Mängel im Asylsystem Kroatiens zu verneinen sind, nicht ersichtlich und wurden vom Antragsteller auch nicht geltend gemacht.“
Nach Bekanntgabe dieses Beschlusses teilte das Bundesamt der Republik Kroatien mit, dass nunmehr der 12.10.2017 das neue Fristende sei.
Mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 06.11.2017 machte der Kläger geltend, der angefochtene Bescheid sei aufzuheben, weil die Überstellung seit dem 13.10.2017 unzulässig sei.
Mit weiterem Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 09.11.2017 teilte der Antragsteller eine Adresse in … als seine aktuelle Anschrift mit.
Mit Schriftsatz vom 16.11.2017 widersprach die Regierung von Oberfranken - Zentrale Ausländerbehörde (im Folgenden: ZAB) der Anschriftenänderung. Der Kläger halte sich seit 13.11.2017 wieder in der Aufnahme- und Rückführungseinrichtung II in … auf. Gemäß § 61 Abs. 1d AufenthG sei er auch verpflichtet, dort seinen Wohnsitz zu nehmen.
Das Bundesamt erwiderte auf das Vorbringen des Klägers mit Schriftsatz vom 27.11.2017, die Überstellungsfrist habe sich verlängert und ende nunmehr am 24.07.2018.
Zur Begründung wurde auf folgende Unterlagen verwiesen:
- E-Mail der ZAB an das Bundesamt vom 11.07.2017: Der Antragsteller sei seit dem 10.05.2017 erneut untergetaucht und somit wieder amtlich unbekannten Aufenthalts. Vor diesem Hintergrund werde um Mitteilung gebeten, wann die Überstellungsfrist ende.
- Faxmitteilung des Bundesamtes an die Republik Kroatien vom 27.06.2017: Die bereits organisierte Überstellung müsse vorübergehend ausgesetzt werden, weil der Antragsteller flüchtig sei.
- Mitteilung des Bundesamtes an die ZAB vom 11.07.2017: Die Überstellungsfrist ende nunmehr gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin-III-VO am 24.07.2018.
Mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 05.12.2017 beantragte der Kläger gemäß § 80 Abs. 7 VwGO, die aufschiebende Wirkung der Klage aufgrund der veränderten aktuellen Sach- und Rechtslage anzuordnen.
Daraufhin ordnete das Verwaltungsgericht Bayreuth mit Beschluss vom 16.01.2018 (Az.: B 6 S 17.51188) nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gegen die Abschiebungsanordnung unter Änderung des Beschlusses vom 12.04.2017 mit folgender Begründung an:
„1. Der zulässige Antrag ist begründet.
Gemäß § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache Beschlüsse über Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO jederzeit ändern oder aufheben. Gemäß § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO kann jeder Beteiligte die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
Seit dem Erlass des Beschlusses vom 12.04.2017 haben sich die Umstände in einer Weise verändert, dass nunmehr die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gegen die Abschiebungsanordnung gerechtfertigt erscheint. Nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes lediglich gebotenen summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage besteht jetzt Grund zu der Annahme, dass die Abschiebungsanordnung mit Ablauf der Überstellungsfrist von sechs Monaten rechtswidrig geworden ist, weil diese nicht wirksam verlängert wurde.
1.1 Gemäß Art. 29 Abs. 1 Dublin-III-VO erfolgt die Überstellung des Antragstellers aus dem ersuchenden Mitgliedstaat in den zuständigen Mitgliedstaat spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat oder nach der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese gemäß Art. 27 Abs. 3 Dublin-III-VO aufschiebende Wirkung hat. Gemäß Art. 27 Abs. 3 Dublin-III-VO sehen die Mitgliedstaaten zum Zwecke eines Rechtsbehelfs gegen eine Überstellungsentscheidung oder zum Zwecke einer Überprüfung einer Überstellungsentscheidung in ihrem innerstaatlichen Recht Folgendes vor:
a) dass die betroffene Person aufgrund des Rechtsbehelfs oder der Überprüfung berechtigt ist, bis zum Abschluss des Rechtsbehelfs oder der Überprüfung im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats zu bleiben; oder
b) dass die Überstellung automatisch ausgesetzt wird und diese Aussetzung innerhalb einer angemessenen Frist endet, innerhalb der ein Gericht, nach eingehender und gründlicher Prüfung, darüber entschieden hat, ob eine aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs oder der Überprüfung gewährt wird; oder
c) die betreffende Person hat die Möglichkeit, bei einem Gericht innerhalb einer angemessenen Frist eine Aussetzung der Durchführung der Überstellungsentscheidung bis zum Abschluss des Rechtsbehelfs oder der Überprüfung zu beantragen. Die Mitgliedstaaten sorgen für einen wirksamen Rechtsbehelf in der Form, dass die Überstellung ausgesetzt wird, bis die Entscheidung über den ersten Antrag auf Aussetzung ergangen ist.
Deutschland hat sich für die Variante c entschieden und in § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylG bestimmt, dass die Abschiebung bei rechtzeitiger Stellung eines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gegen die Abschiebungsanordnung vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig ist. Mit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts über den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO wird die Überstellungsfrist von sechs Monaten gemäß Art. 29 Abs. 1 Dublin-III-VO neu in Lauf gesetzt (BVerwG, Urteil vom 26.05.2016 - 1 C 15/15, Rn. 11, juris).
Gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin-III-VO ist der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet und die Zuständigkeit geht auf den ersuchenden Mitgliedstaat über, wenn die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt wird.
Gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin-III-VO kann diese Frist höchstens auf ein Jahr verlängert werden, wenn die Überstellung aufgrund der Inhaftierung der betreffenden Person nicht erfolgen konnte, oder höchstens auf achtzehn Monate, wenn die betreffende Person flüchtig ist. Als „flüchtig“ in diesem Sinne ist jede Form des unbekannten Aufenthalts eines Asylbewerbers zu verstehen, mit der er sich vorsätzlich und unentschuldigt der Abschiebung entzieht (BayVGH, Beschluss vom 29.04.2016 - 11 ZB 16.50024, Rn. 8, juris).
Gemäß Art. 29 Abs. 4 Dublin-III-VO in Verbindung mit Art. 9 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1560/2003 (Durchführungsverordnung, im Folgenden: DVO) wird der zuständige Mitgliedstaat unverzüglich unterrichtet, wenn sich die Überstellung wegen eines Rechtsbehelfsverfahrens mit aufschiebender Wirkung oder wegen materieller Umstände wie der Gesundheitszustand des Antragstellers, die Nichtverfügbarkeit des Beförderungsmittels oder der Umstand, dass der Antragsteller sich der Überstellung entzogen hat, verzögert.
Gemäß Art. 29 Abs. 4 Dublin-III-VO in Verbindung mit Art. 9 Abs. 1a DVO nehmen der überstellende und der zuständige Mitgliedstaat, wenn eine Überstellung auf Ersuchen des überstellenden Mitgliedstaats verschoben wurde, wieder Kontakt auf, um möglichst bald und nicht später als zwei Wochen ab dem Zeitpunkt, zu dem die Behörden erfahren, dass die Umstände, die die Verzögerung oder Verschiebung verursacht haben, nicht mehr vorliegen, eine neue Überstellung zu organisieren.
Gemäß Art. 29 Abs. 4 Dublin-III-VO in Verbindung mit Art. 9 Abs. 2 Satz 1 DVO unterrichtet ein Mitgliedstaat, der aus einem der in Art. 29 Abs. 2 Dublin-III-VO genannten Gründe die Überstellung nicht innerhalb der üblichen Frist von sechs Monaten vornehmen kann, den zuständigen Mitgliedstaat darüber vor Ablauf dieser Frist. Ansonsten fallen gemäß Art. 29 Abs. 4 Dublin-III-VO in Verbindung mit Art. 9 Abs. 2 Satz 2 DVO die Zuständigkeit für die Behandlung des Antrags auf internationalen Schutz bzw. die sonstigen Verpflichtungen aus der Dublin-III-VO gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin-III-VO dem ersuchenden Mitgliedstaat zu.
1.2 Gemessen daran ist nach summarischer Prüfung der Bescheid vom 09.03.2017 rechtswidrig geworden, weil die Überstellungsfrist abgelaufen ist.
Die Überstellungsfrist von sechs Monaten begann ursprünglich mit der Annahme des Aufnahmegesuchs am 24.01.2017 zu laufen und wurde mit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung über den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gegen die Abschiebungsanordnung vom 12.04.2017 neu in Lauf gesetzt.
Vom 10.05.2017 bis 12.11.2017 war der Antragsteller zwar flüchtig im Sinne von Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin-III-VO, weil er sich durch seine mehrmonatige Abwesenheit während der Überstellungsfrist vorsätzlich und unentschuldigt der Abschiebung entzogen hat. Die mit Beschluss vom 12.04.2017 neu in Lauf gesetzte sechsmonatige Überstellungsfrist wurde aber allem Anschein nach nicht gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 4 Dublin-III-VO in Verbindung mit Art. 9 Abs. 2 DVO auf höchstens achtzehn Monate verlängert, weil erhebliche Zweifel daran bestehen, dass die Fax-Mitteilung vom 27.06.2017 eine Unterrichtung der Republik Kroatien im Sinne von Art. 29 Abs. 4 Dublin-III-VO in Verbindung mit Art. 9 Abs. 2 Satz 1 DVO darstellt.
Angesichts der beiden Varianten des Art. 9 Abs. 1 und Abs. 2 DVO - Unterrichtung des zuständigen Mitgliedstaates über eine Verzögerung der Überstellung innerhalb der Sechsmonatsfrist ohne deren Verlängerung (Abs. 1) bzw. Unterrichtung des zuständigen Mitgliedstaates darüber, dass die Überstellung nicht innerhalb der Sechsmonatsfrist vorgenommen werden kann (Abs. 2) - kann ohne die im verwendeten Mitteilungsformblatt optional vorgesehene Angabe, bis spätestens wann die Überstellung gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin-III-VO erfolgt, nicht einfach von einer maximalen Verlängerung der Überstellungsfrist ausgegangen werden, auch wenn die Mitteilung an die ZAB vom 11.07.2017, die Überstellungsfrist ende nunmehr gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin-III-VO am 24.07.2018 (also mit Ablauf von achtzehn Monaten nach der Annahme des Aufnahmegesuchs) für einen entsprechenden Willen des Bundesamtes spricht. Der Inhalt der Unterrichtung ist vielmehr durch eine entsprechend § 133 BGB am objektiven Empfängerhorizont der Republik Kroatien orientierte Auslegung zu ermitteln. Der angekreuzte Grund „weil der Antragsteller flüchtig ist“ erlaubt nicht den Schluss auf eine Unterrichtung nach Art. 9 Abs. 2 DVO, weil „flüchtig“ gleichbedeutend ist mit dem in Art. 9 Abs. 1 DVO genannten Umstand, „dass der Antragsteller sich der Überstellung entzogen hat“, sodass auch eine Unterrichtung nach Art. 9 Abs. 1 DVO in Betracht kommt. Die Bezeichnung „Transfer - Storno“ und die Formulierung „Die bereits organisierte Überstellung muss vorübergehend ausgesetzt werden, weil der Antragsteller flüchtig ist“ sowie der Verzicht darauf, die optionale Angabe „Die Überstellung erfolgt bis spätestens … gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin-III-VO“ anzukreuzen und auszufüllen, sprechen eher für eine Unterrichtung nach Art. 9 Abs. 1 DVO als für eine Unterrichtung nach Art. 9 Abs. 2 DVO.
Handelt es sich bei der Fax-Mitteilung vom 27.06.2017 lediglich um eine Unterrichtung nach Art. 9 Abs. 1 DVO und ist - wie es den Anschein hat - vor Ablauf der mit Beschluss vom 12.04.2017 neu in Lauf gesetzten Sechsmonatsfrist keine weitere Unterrichtung nach Art. 9 Abs. 2 Satz 1 DVO erfolgt, sind gemäß Art. 9 Abs. 2 Satz 2 DVO die Zuständigkeit für die Behandlung des Antrags auf internationalen Schutz bzw. die sonstigen Verpflichtungen aus der Dublin-III-VO gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin-III-VO der Bundesrepublik Deutschland zugefallen mit der Folge, dass der Asylantrag nicht mehr gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG unzulässig ist. Wurde demgemäß die übliche Überstellungsfrist von sechs Monaten nicht wirksam gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin-III-VO verlängert, ist gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin-III-VO Kroatien nicht mehr zur Aufnahme des Antragstellers verpflichtet und die Zuständigkeit auf Deutschland übergegangen. Damit ist die Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG rechtswidrig geworden, weil nicht mehr feststeht, dass die Abschiebung nach Kroatien durchgeführt werden kann.
Da es sich nach dem gegenwärtigen Kenntnisstand mit überwiegender Wahrscheinlichkeit so verhält, überwiegt das Interesse des Antragstellers, vorläufig nicht nach Kroatien abgeschoben zu werden, das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Abschiebungsanordnung.“
Mit Schriftsatz vom 29.01.2018 legte die Beklagte den Abdruck eines Schreibens vom 29.01.2018 an das kroatische Innenministerium vor, in welchem sie um Bestätigung bat, dass Kroatien die Fax-Mitteilung vom 27.06.2017 als Unterrichtung im Sinne des Art. 29 Abs. 2 Dublin-III-VO interpretiert habe und dass die Überstellungsfrist am 12.10.2018 ende.
Mit weiterem Schriftsatz vom 08.02.2018 legte die Beklagte die Bestätigung des kroatischen Innenministeriums vom 07.02.2018 vor, dass die Fax-Mitteilung vom 27.06.2017 eine Unterrichtung im Sinne des Art. 29 Abs. 2 Dublin-III-VO darstelle und dass die Überstellungsfrist am 12.10.2018 ende.
Darauf erwiderte der Kläger mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 20.02.2018, die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens sei bereits am 12.10.2017 auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen, da die ordnungsgemäße Verlängerung der Überstellungsfrist nicht vor Fristablauf erfolgt sei. Die „Verlängerung“ eines bestimmten Zeitraums setze bereits begrifflich voraus, dass dieser noch nicht abgelaufen sei. Sei somit davon auszugehen, dass der Ablauf der Überstellungsfrist zum Zuständigkeitsübergang geführt habe, sei die Anfrage der für das Asylverfahren zuständig gewordenen Beklagten vom 29.01.2018 nur als Anfrage auf Aufnahmebereitschaft möglich, obwohl die Aufnahmepflicht nicht mehr bestehe. Hier hätte die Beklagte aber Kroatien korrekt informieren müssen. Die Beklagte habe Kroatien nicht angefragt, ob für die Rückübernahme auch im Falle des Ablaufs der Überstellungsfrist Bereitschaft bestehe. Die nachträgliche Erklärung der Interpretation einer nach objektivem Empfängerhorizont nicht abgegebenen Willenserklärung sei denklogisch nicht mit Rückwirkung möglich. Die Mitteilung der Fristverlängerung zu einem bestimmten Zeitpunkt sei am 27.06.2017 objektiv nicht erfolgt. Habe nun Kroatien im Nachhinein - ohne korrekt über die Verfahrensabläufe informiert zu sein - das Datum des 12.10.2018 so bestätigt, wie die Beklagte es erstmals am 29.01.2018 und damit lange nach Fristablauf mitgeteilt habe, wäre dies allein als Zustimmungserklärung möglich, soweit Kroatien über den Ablauf der ursprünglich geltenden Frist informiert worden und auf die fehlende Pflicht zur Aufnahme hingewiesen worden wäre. Die Mitteilung der Beklagten vom 29.01.2018 sei darüber hinaus grundlegend unzutreffend, da seit Erlass des Beschlusses vom 16.01.2018 die Überstellung untersagt und damit nicht möglich sei. Derzeit laufe daher keine Überstellungsfrist. Damit seien sowohl die Mitteilung der Beklagten als auch die Antwort Kroatiens offenkundig auf falscher Tatsachengrundlage abgegeben und damit rechtlich unbeachtlich. Auch hier sei Kroatien nicht korrekt informiert worden. Da derzeit weder die 6-Monats-Frist noch eine nicht ordnungsgemäß verlängerte Frist laufe, könne Kroatien keine wirksame Aufnahmebereitschaft bis zu einem bestimmten Datum erklären. Zusammenfassend sei hieraus zu folgern, dass die Zuständigkeitsregelungen in Art. 29 Abs. 1 Dublin-III-VO, die auf einer konkret geregelten Informationspflicht in Zusammenhang mit Art. 9 DVO beruhten, abschließend gefasst und einer nachträglichen Veränderung der objektiv nachvollziehbaren Verfahrensabläufe nicht zugänglich seien.
Mit Beschluss vom 27.02.2018 (Az.: B 6 S 18.50083) hob das Verwaltungsgericht Bayreuth den Beschluss vom 16.01.2018 (Az.: B 6 S 17.51188) mit folgender Begründung auf:
„Gemäß § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache - auch von Amts wegen - Beschlüsse über Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO jederzeit ändern oder aufheben.
Gegenstand des Schriftwechsels zwischen dem Bundesamt und dem kroatischen Innenministerium vom 29.01.2018 und 07.02.2018 ist nicht die Frage einer Aufnahmebereitschaft ohne Aufnahmepflicht, sondern die Frage, wie das kroatische Innenministerium die Fax-Mitteilung vom 27.06.2017 interpretiert hat.
Der Beschluss vom 16.01.2018 beruht auf der Annahme, dass allem Anschein nach die übliche Überstellungsfrist von sechs Monaten nicht wirksam gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin-III-VO verlängert wurde, weil eine entsprechend § 133 BGB am objektiven Empfängerhorizont der Republik Kroatien orientierte Auslegung der Fax-Mitteilung vom 27.06.2017 nicht zweifelsfrei ergibt, dass es sich hierbei um eine Unterrichtung nach Art. 9 Abs. 2 DVO handelt.
Diese Annahme wurde durch die Bestätigung des kroatischen Innenministeriums vom 07.02.2018 widerlegt. Sie lässt auf eine Verwaltungspraxis unter den Mitgliedstaaten schließen, nach der eine solche Mitteilung als Unterrichtung gemäß Art. 9 Abs. 2 DVO gewertet und von einer maximalen Verlängerung der Überstellungsfrist ausgegangen wird, wenn die im Mitteilungsformblatt optional vorgesehene Angabe, bis spätestens wann die Überstellung gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin-III-VO erfolgen soll, fehlt. Vor dem Hintergrund einer derartigen Verwaltungspraxis ergibt die entsprechend § 133 BGB am objektiven Empfängerhorizont der Republik Kroatien orientierte Auslegung der Fax-Mitteilung vom 27.06.2017, dass es sich hierbei um eine Unterrichtung nach Art. 9 Abs. 2 DVO handelt mit der Folge, dass die Überstellungsfrist auf achtzehn Monate verlängert wurde und die Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG noch nicht rechtswidrig geworden ist.“
Mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 13.03.2018 beantragte der Kläger gemäß § 80 Abs. 7 VwGO, die aufschiebende Wirkung der Klage, die mit Beschluss vom 16.01.2018 angeordnet wurde, als weiterhin bestehend festzustellen. Diesen Antrag lehnte das Verwaltungsgericht Bayreuth mit Beschluss vom 21.03.2018 (Az.: B 6 S 18.50141) ab.
Ferner beantragte der Kläger, das Klageverfahren bis zu einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs auszusetzen und diesem die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung nach Art. 267 AEUV vorzulegen:
1. Ist eine Verlängerung der Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 2 und Abs. 4 Dublin-III-VO in Verbindung mit Art. 9 Abs. 2 Satz 1 VO (EU)1560/2003 in der Fassung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 118/2014 mit dem hierfür vorgesehenen Formblatt möglich, ohne Erklärung der Verlängerung und entgegen der eindeutig durch das Formblatt nach Art. 9 Abs. 2 DVO vorgesehenen und nicht ausgefüllten Benennung der Verlängerung und Fristmitteilung?
2. Ist eine nach Ablauf der regulären Überstellungsfrist abgegebene Interpretation einer gerade im vorgesehenen Formblatt nicht abgegebenen Willenserklärung - durch eine ausdrücklich entgegen der Benachrichtigungsvorschriften angeblichen Verwaltungspraxis, die den europarechtlichen Vorgaben zuwider gehandhabt wird, - dahingehend möglich, dass eine verfahrensrechtlich fehlerhafte Mitteilung als nachträglich genehmigt fingiert werden kann?
Auf Anfrage des Gerichts vom 21.03.2018 erklärten sich die Beteiligten mit Schriftsätzen vom 26.03.2018 und 10.04.2018 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 101 Abs. 2 VwGO einverstanden.
Der Kläger begründete die Klage mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 10.04.2018 ergänzend wie folgt: Zur Zuständigkeit Deutschlands nach Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 Dublin-III-VO in Verbindung Art. 4 EU-GRCharta werde auf die aktuellen Berichte von Human Rights Watch (World Report 2018) und Amnesty International (Report 2017/18) verwiesen und deren Beiziehung sowie die Beiziehung aller aktuellen Erkenntnismittel bezüglich Kroatien ausdrücklich beantragt. Zu betonen sei, dass der Kläger über Serbien nach Kroatien eingereist und von dort auf Grund der aussichtslosen Lage weitergeflüchtet sei. Denn sowohl die dortigen Behörden als auch der Kläger seien davon ausgegangen, dass in Kroatien kein Asylverfahren stattfinden werde, da es nur ein Durchreiseland gewesen sei. Dementsprechend sei der Kläger auch nicht nach den Standards des europäischen Flüchtlingsrechts behandelt worden. Darüber hinaus komme hinzu, dass der Kläger der Gefahr ausgesetzt wäre, ohne inhaltliche Prüfung der Asylgründe nach Serbien zurückgeschoben zu werden, wo ihm eine menschenrechtswidrige Behandlung drohe. Dies würde eine Verletzung des Non-Refoulement-Verbots der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention bedeuten. Im zitierten Bericht von Human Rights Watch werde bestätigt, dass Kroatien systematisch Flüchtlinge nach Serbien zurückschiebe. Dies bedeute eine Verletzung der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK. Hinzu komme eine Verschärfung des politischen Klimas in Kroatien durch eine Gesetzesänderung im Juni 2017, welche die Situation von Flüchtlingen noch weiter belaste. Sie verbiete die Bereitstellung von Unterstützung für den Zugang zu Grundbedürfnissen wie Wohnen, Gesundheit, Sanitärversorgung oder Nahrung für Ausländer, die sich in Kroatien illegal aufhielten, außer bei medizinischen und humanitären Notfällen oder lebensbedrohlichen Situationen. Dies werde im zitierten Report von Amnesty International berichtet. Da der Aufenthalt des Klägers in Kroatien als illegal angesehen werde - daraus werde die behauptete Zuständigkeit Kroatiens gemäß Art. 13 Abs. 1 Dublin-III-VO ja gerade konstruiert - wäre der Kläger der Gefahr der Verweigerung grundlegender Versorgung und der Obdachlosigkeit ausgesetzt. Aufgrund derzeit bestehender systemischer Mängel im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 Dublin-III-VO sei eine Überstellung des Klägers an Kroatien nicht mit den Verfassungs- und Menschenrechten vereinbar. Die Voraussetzungen des § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG lägen nicht vor. Der angegriffene Bescheid sei in Ziffern 1 bis 4 rechtswidrig und aufzuheben. Hinzu komme der Ablauf der Überstellungsfrist am 13.10.2017.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten B 6 K 17.50305, B 6 S 17.51188, B 6 S 18.50083 und B 6 S 18.50141 sowie der beigezogenen Bundesamtsakte Bezug genommen.
1. Die zulässige Klage, über die das Gericht gemäß § 101 Abs. 2 VwGO mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann, ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 09.03.2017 ist gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht aufzuheben, weil er rechtmäßig und der Kläger dadurch nicht in seinen Rechten verletzt ist.
1.1 Die Ablehnung des Asylantrages (§ 13 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 AsylG) als unzulässig ist gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 a) AsylG rechtmäßig, weil nach Maßgabe der Dublin-III-VO ein anderer Staat, nämlich Kroatien, für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.
1.1.1 Gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 1 Dublin-III-VO ist Kroatien für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig, weil der Kläger aus einem Drittstaat, nämlich Serbien, kommend die Landgrenze Kroatiens illegal überschritten hat. Ob der Kläger, obwohl er in Zagreb einen Asylantrag gestellt hat (Eurodac-Treffer: HR...01), durch Kroatien nur durchreisen wollte, ist nicht entscheidungserheblich. Denn nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist Art. 13 Abs. 1 Dublin-III-VO dahin auszulegen, dass ein Drittstaatsangehöriger, dessen Einreise von den Behörden eines Mitgliedstaats in einer Situation geduldet wird, in der sie mit der Ankunft einer außergewöhnlich hohen Zahl von Drittstaatsangehörigen konfrontiert sind, die durch diesen Mitgliedstaat, dessen grundsätzlich geforderte Einreisevoraussetzungen sie nicht erfüllen, durchreisen möchten, um in einem anderen Mitgliedstaat internationalen Schutz zu beantragen, die Grenze des erstgenannten Mitgliedstaats im Sinne von Art. 13 Abs. 1 Satz 1 Dublin-III-VO „illegal überschritten“ hat (EuGH, Urteil vom 26.07.2017 - C-490/16, juris Rn. 42). Dementsprechend hat Kroatien dem Wiederaufnahmegesuch der Bundesrepublik Deutschland gemäß Art. 23 Abs. 1 und Abs. 2 Unterabsatz 1, Art. 25 Dublin-III-VO stattgegeben und ist gemäß Art. 18 Abs. 1 b) Dublin-III-VO verpflichtet, den Kläger wieder aufzunehmen.
1.1.2 Die Zuständigkeit ist nicht gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin-III-VO auf Deutschland übergegangen, weil die Überstellung des Klägers nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten (Art. 29 Abs. 1 Unterabsatz 1 Dublin-III-VO) durchgeführt wurde. Denn diese Frist wurde gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin-III-VO in Verbindung mit Art. 9 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) Nr. 1560/2003 in der konsolidierten Fassung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 118/2014 vom 30.01.2014 (DVO) auf achtzehn Monate - bis zum 12.10.2018 - verlängert, weil der Kläger flüchtig war (vgl. Beschlüsse vom 16.01.2018 und 27.02.2018). Die entsprechend § 133 BGB am objektiven Empfängerhorizont der Republik Kroatien orientierte Auslegung der Fax-Mitteilung vom 27.06.2017 ergibt zweifelsfrei, dass es sich hierbei um eine Unterrichtung nach Art. 9 Abs. 2 DVO handelt. Um diese Feststellung zu treffen, bedarf es keiner Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über die vom Kläger gestellten Fragen. Daher besteht keine Veranlassung, eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs gemäß Art. 267 Abs. 1 AEUV herbeizuführen und das Verfahren gemäß § 94 VwGO auszusetzen, nachdem das Verwaltungsgericht, dessen Urteil mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung angefochten werden kann, gemäß Art. 267 Abs. 2 und 3 AEUV keiner Vorlagepflicht unterliegt.
1.1.3 Deutschland ist auch nicht gem. Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 3 Dublin-III-VO der zuständige Mitgliedstaat geworden. Denn den Kläger an Kroatien zu überstellen, erweist sich nicht gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 Dublin-III-VO als unmöglich, weil es keine wesentlichen Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in Kroatien systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 EU-GRCharta mit sich bringen.
Das Gemeinsame Europäische Asylsystem und insbesondere die Dublin-III-VO beruhen auf dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens darauf, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK finden. Daher gilt die - widerlegbare - Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der EU-GRCharta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht (vgl. EuGH, Urteil vom 21.12.2011 - C-411/10, juris Rn. 78 ff). Die Widerlegung dieser Vermutung aufgrund systemischer Mängel setzt voraus, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sind, dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (BVerwG, Beschluss vom 19.03.2014 - 10 B 6/14, juris Rn. 9).
Gemessen daran bestehen keinerlei Bedenken, den Kläger an Kroatien zu überstellen. Das erkennende Gericht verweist insoweit auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Bescheides und des Beschlusses vom 12.04.2017 sowie auf die - systemische Mängel ausnahmslos verneinende - Rechtsprechung (EuGH, Urteil vom 16.02.2017 - C-578/16 PPU, juris Rn. 70 f; VG Cottbus, Urteil vom 23.02.2017 - 5 K 1560/16.A, juris Rn. 32 ff; VG Minden, Beschluss vom 27.03.2017 - 1 L 543/17.A, juris Rn. 12 ff; VG Leipzig, Urteil vom 19.06.2017 - 6 K 2589/16.A, juris Rn. 27 f; VG München, Urteil vom 26.06.2017 - M 9 K 16.51031, juris Rn. 28 ff; VG Magdeburg, Beschluss vom 13.11.2017 - 8 B 455/17, juris Rn. 2; ausführlich VG Greifswald, Beschluss vom 08.12.2017 - 4 B 2231/17 As HGW, juris Rn. 13 ff; VG Aachen, Beschluss vom 09.03.2018 - 6 L 1943/17.A, juris Rn. 27 ff).
Die ergänzende Klagebegründung vom 10.04.2018 und die darin zitierten Berichte von Human Rights Watch und Amnesty International vermögen die Vermutung, dass dem Kläger als Asylbewerber in Kroatien keine auf systemischen Mängeln beruhende unmenschliche oder entwürdigende Behandlung droht, nicht zu widerlegen. Das Vorbringen, sowohl die kroatischen Behörden als auch der Kläger seien davon ausgegangen, dass in Kroatien kein Asylverfahren stattfinden werde, erweist sich als unzutreffend, weil auf Grund der Eurodac-Treffermeldung feststeht, dass der Kläger in Zagreb einen Asylantrag gestellt hat. Vor diesem Hintergrund ist auch die Befürchtung nicht nachvollziehbar, der Kläger werde in Kroatien Gefahr laufen, ohne inhaltliche Prüfung seiner Asylgründe nach Serbien zurückgeschoben zu werden (siehe dazu auch VG Greifswald, a.a.O. Rn. 17). Soweit der Kläger geltend macht, er sei von der Gesetzesänderung vom Juni 2017 betroffen, weil sein Aufenthalt in Kroatien als illegal angesehen werde, verkennt er, dass gemäß Art. 13 Abs. 1 Dublin-III-VO die illegale Grenzüberschreitung - nicht ein illegaler Aufenthalt - die Zuständigkeit Kroatiens begründet. Während der Dauer des Asylverfahrens, das durch die Antragstellung eingeleitet wurde, hält sich der Antragsteller nicht illegal in Kroatien auf.
1.1.4 Individuelle, außergewöhnliche humanitäre Gründe, aus denen die Bundesrepublik Deutschland gehalten wäre, gemäß Art. 17 Abs. 1 Unterabsatz 1 Dublin-III-VO ihren Selbsteintritt zu beschließen und dadurch gemäß Art. 17 Abs. 1 Unterabsatz 2 Satz 1 Dublin-III-VO ihre Zuständigkeit für die Prüfung des Asylantrages des Klägers zu begründen, liegen nicht vor. Weder der Wunsch des Klägers, in Deutschland zu studieren, noch der Umstand, dass seine Cousine in Deutschland lebt, reichen hierfür aus, zumal der Kläger einen näheren Verwandten - seinen Bruder - in Kroatien hat.
1.2 Die Feststellung, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG nicht vorliegen, ist ebenfalls rechtmäßig. Insbesondere droht dem Kläger, wie dargelegt, in Kroatien keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK (§ 60 Abs. 5 AufenthG). Auch eine dort bestehende erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit ist nicht ersichtlich (§ 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG).
1.3 Rechtmäßig ist schließlich auch die Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG, weil der Kläger in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat abgeschoben werden soll und feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Einer vorherigen Androhung und Fristsetzung bedarf es gemäß § 34a Abs. 1 Satz 3 AsylG nicht.
1.4 Die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes beruht auf § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Danach ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot (§ 11 Abs. 1 AufenthG) von Amts wegen zu befristen, wobei gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG über die Länger der Frist nach Ermessen entschieden wird. Anhaltspunkte dafür, dass die Befristung auf (nur) sechs Monate rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (§ 114 Satz 1 VwGO), sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
2. Nach alledem wird die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO, wonach der Kläger als unterliegender Teil die Kosten des Verfahrens trägt, abgewiesen. Gerichtskosten werden gem. § 83b AsylG nicht erhoben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.
Datenquelle d. amtl. Textes: Bayern.Recht
Meta
02.05.2018
Urteil
Sachgebiet: K
Zitiervorschlag: VG Bayreuth, Urteil vom 02.05.2018, Az. B 6 K 17.50305 (REWIS RS 2018, 9782)
Papierfundstellen: REWIS RS 2018, 9782
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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.
Voraussetzungen einer wirksamen Verlängerung der Überstellungsfrist
RN 5 E 17.51915 (VG Regensburg)
Information des ersuchten Mitgliedstaats über die geplante Überstellung
1 C 42/20 (Bundesverwaltungsgericht)
Verlängerung der Dublin III-Überstellungsfrist wegen Flüchtigseins des Asylbewerbers
Antrag auf Abänderung eines Beschlusses im Dublin-Verfahren - Anordnung der aufschiebenden Wirkung
1 C 38/20 (Bundesverwaltungsgericht)
Keine Verlängerung der Dublin-Überstellungsfrist wegen Nichtbefolgung einer Selbstgestellungsaufforderung oder eines erfolglosen Überstellungsversuchs