Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 14.12.2017, Az. 2 C 12/17

2. Senat | REWIS RS 2017, 609

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Gegenstand

Belehrungspflicht im beamtenrechtlichen Disziplinarverfahren


Leitsatz

1. Macht ein Beamter bei seiner Anhörung im Rahmen des Disziplinarverfahrens Angaben, so sind diese zu seinem Nachteil nur verwertbar, wenn er zuvor den Vorgaben des § 20 Abs. 1 Satz 3 LDG NRW (= § 20 Abs. 1 Satz 3 BDG) entsprechend vollständig und zum richtigen Zeitpunkt belehrt worden ist.

2. Das Verwertungsverbot nach § 20 Abs. 3 LDG NRW (= § 20 Abs. 3 BDG) hat keine Fernwirkung auf andere Beweismittel, deren Vorhandensein erst durch die nicht verwertbaren Angaben des Beamten anlässlich seiner Anhörung bekannt geworden ist.

3. Die zuständige Behörde hat ein Disziplinarverfahren einzuleiten, wenn sie Kenntnis von Tatsachen erlangt, aufgrund derer die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Beamte schuldhaft seine Dienstpflichten in disziplinarrechtlich relevanter Weise verletzt hat.

4. Ein vom Dienstherrn mit der Wahrnehmung seiner Interessen im Disziplinarverfahren beauftragter Rechtsanwalt ist nicht zur Erhebung der Disziplinarklage befugt.

Tatbestand

1

Der 1954 geborene [X.] steht als [X.] im Dienst der Klägerin. Seit Ende 1998 war er im Ordnungsamt für die Prüfung der Treibstoffrechnungen für die Dienstfahrzeuge der Freiwilligen Feuerwehr der Klägerin zuständig.

2

Anfang 2008 bemerkte der Vertreter des damals erkrankten [X.]n Unstimmigkeiten bei der Abrechnung einer Tankstelle für die Betankung von Feuerwehrfahrzeugen der Klägerin. Es kam der Verdacht auf, der [X.] und andere Angehörige der Freiwilligen Feuerwehr hätten ihre privaten Kraftfahrzeuge zu Lasten von Tankkarten betankt, die für Fahrzeuge der Freiwilligen Feuerwehr der Klägerin ausgestellt sind.

3

Der nach seiner Erkrankung am 15. Februar 2008 in den Dienst zurückgekehrte [X.] wurde am Morgen des 18. Februar 2008 mit dem gegen ihn gerichteten Verdacht konfrontiert und darüber informiert, dass er nun angehört werden solle. Im Protokoll über diese Anhörung ist vermerkt, der [X.] sei darüber belehrt worden, dass er sich zu dem Vorwurf nicht äußern müsse und dass er einen Bevollmächtigten oder Beistand hinzuziehen könne, wenn er sich äußern wolle. Der [X.] bat um Hinzuziehung des [X.] und wurde nach dessen Eintreffen angehört. Dabei machte der [X.] umfangreiche Angaben zu den verschiedenen Tankvorgängen und Tankkarten.

4

Mit an den [X.]n gerichteter Verfügung vom 13. Mai 2008 leitete die Klägerin ein Disziplinarverfahren gegen den [X.]n ein und setzte dieses zugleich wegen der gegen den [X.]n geführten strafrechtlichen Ermittlungen aus. Zur Begründung wurde auf die Anhörung des [X.]n vom 18. Februar 2008 verwiesen. Zu Beginn der Anhörung sei der [X.] darüber belehrt worden, dass er nicht verpflichtet sei, sich zu den Vorwürfen zu äußern, bzw. er zu einem späteren Zeitpunkt mündlich oder schriftlich Stellung nehmen könne. Mit Schreiben vom 19. Mai 2008 machte der [X.] demgegenüber geltend, seine Angaben in der Anhörung vom 18. Februar 2008 seien nicht zu seinem Nachteil verwertbar, weil er nicht über die Möglichkeit einer schriftlichen Äußerung und die [X.] für eine mündliche Äußerung belehrt worden sei. Im Mai 2009 wurde der [X.] durch einen rechtskräftig gewordenen Strafbefehl wegen Untreue in fünf Fällen zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen verurteilt.

5

Am 4. Juli 2013 ist beim Verwaltungsgericht die von einem der Prozessbevollmächtigten der Klägerin verfasste und unterzeichnete [X.] eingegangen. Entsprechend dem in dieser Klageschrift gestellten Sachantrag hat das Verwaltungsgericht den [X.]n aus dem Beamtenverhältnis entfernt.

6

In der Berufungsverhandlung hat die Klägerin eine von ihrem Bürgermeister unterzeichnete [X.] vom 28. September 2016 vorgelegt, in der dem [X.]n mit inhaltlich übereinstimmender Begründung dieselben Vorwürfe zur Last gelegt werden wie in der beim Verwaltungsgericht eingereichten Klageschrift. Das Oberverwaltungsgericht hat das Disziplinarverfahren in der mündlichen Verhandlung beschränkt und im [X.] die Berufung des [X.]n zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:

7

Es könne dahingestellt bleiben, ob die ursprüngliche [X.] an einem bedeutsamen Verfahrensfehler gelitten habe, weil sie vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin und nicht von einem hierzu befugten [X.] unterzeichnet gewesen sei. Jedenfalls sei ein etwaiger Verfahrensfehler durch die Einreichung einer inhaltsgleichen und vom Bürgermeister der Klägerin unterzeichneten Klageschrift im Berufungsverfahren geheilt worden. Die Äußerungen des [X.]n anlässlich der Anhörung vom 18. Februar 2008 unterlägen nicht deswegen einem Verwertungsverbot, weil die Belehrung unterblieben oder unrichtig erfolgt sei. Ob der [X.] am 18. Februar 2008 bereits über die Möglichkeit der schriftlichen Einlassung belehrt worden sei, müsse nicht aufgeklärt werden. Denn das etwaige Fehlen einer solchen Belehrung führe nicht zur Unverwertbarkeit der Angaben des [X.]n. Die ausdrückliche Benennung der Möglichkeit zur mündlichen oder schriftlichen Äußerung diene nicht dem Schutz des betroffenen Beamten, sondern sei Anknüpfungspunkt für die jeweils unterschiedlichen Fristenbestimmungen. Der [X.] habe ein sehr schwerwiegendes innerdienstliches Dienstvergehen begangen, das nach umfassender Würdigung zu dem Schluss führe, dass er das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit endgültig verloren habe.

8

Hiergegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision des [X.]n, mit der er beantragt,

die Urteile des [X.] für das [X.] vom 5. Oktober 2016 und des [X.] vom 12. Dezember 2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

9

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision des [X.]eklagten ist mit der [X.]aßgabe begründet, dass das [X.]erufungsurteil aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen wird (§ 144 Abs. 4 Satz 3 VwGO). Das [X.]erufungsurteil verletzt [X.] Recht. Unter "Landesrecht" [X.]. § 127 Nr. 2 [X.]. § 63 Abs. 3 Satz 2 [X.]eamtStG sind die spezifisch beamtenrechtlichen Vorschriften des Landesrechts zu verstehen (vgl. [X.]VerwG, Urteil vom 23. Juni 2016 - 2 [X.] 18.15 - [X.] Hochschulpersonalrecht Nr. 58 Rn. 24 ff. und [X.]eschluss vom 7. Juli 2005 - 2 [X.] - [X.] 230 § 127 [X.]RRG Nr. 61 S. 1 f.). Dazu zählen auch die Vorschriften des [X.] (Urban/[X.], [X.], 2. Aufl., § 69 Rn. 11; [X.], in: [X.], [X.], Stand November 2017, [X.] § 69 Rn. 87; a.[X.], Disziplinarrecht in [X.] und Ländern, Stand Juli 2017, § 69 Rn. 23).

Die Auffassung des [X.]erufungsgerichts, es müsse nicht aufgeklärt werden, ob der [X.]eklagte vor seiner umfassenden Anhörung zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen den Vorgaben des § 20 Abs. 1 Satz 3 [X.] NRW entsprechend vollständig belehrt worden ist, ist revisionsrechtlich zu beanstanden (1). Der [X.] kann jedoch nicht selbst endgültig über die [X.] der Klägerin entscheiden, weil das Oberverwaltungsgericht nicht die hierfür erforderlichen tatsächlichen Feststellungen getroffen hat. Zumindest wird das [X.]erufungsgericht nunmehr den Inhalt der [X.]elehrung des [X.]eklagten vor seiner Anhörung vom 18. Februar 2008 aufklären müssen (2). Andere Angriffe der Revision gegen das [X.]erufungsurteil sind dagegen unbegründet (3).

1. § 20 Abs. 1 [X.] NRW schreibt vor, dass der [X.]eamte über die Einleitung des Disziplinarverfahrens unverzüglich zu unterrichten ist, sobald dies ohne Gefährdung der Aufklärung des Sachverhalts möglich ist. Hierbei muss eröffnet werden, welches Dienstvergehen ihm zur Last gelegt wird. Gleichzeitig ist darauf hinzuweisen, dass es der betroffenen Person freisteht, sich mündlich oder schriftlich zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen und sich jederzeit einer oder eines [X.]evollmächtigten oder eines [X.]eistandes zu bedienen. Nach § 20 Abs. 3 [X.] NRW darf die Aussage des [X.]eamten nicht zu seinem Nachteil verwertet werden, wenn die nach Absatz 1 Satz 2 und 3 vorgeschriebene [X.]elehrung unterblieben oder unrichtig erfolgt ist.

a) Die Vorschrift des § 20 Abs. 1 Satz 3 [X.] NRW ist hier für die Anhörung des [X.]eklagten vom 18. Februar 2008 maßgeblich, obwohl die Norm die vorherige Einleitung des Disziplinarverfahrens voraussetzt und die Klägerin das Disziplinarverfahren gegen den [X.]eklagten erst mit Verfügung vom 13. [X.]ai 2008 eingeleitet hat. Denn diese Einleitung ist nach [X.]aßgabe des § 17 [X.] NRW verspätet, weil das Disziplinarverfahren bereits am 14. Februar 2008 hätte eingeleitet werden müssen. Der Verstoß der Klägerin gegen die Pflicht zur rechtzeitigen Einleitung des Disziplinarverfahrens führt aber nicht dazu, dass die dem Schutz des betroffenen [X.]eamten dienende [X.]elehrungspflicht aus § 20 [X.] NRW nicht zu beachten ist ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 6. August 2009 - 2 [X.] - [X.] 235 § 26 [X.] Nr. 3 Rn. 13 ff.).

Für die dienstvorgesetzte Stelle folgt aus § 17 Abs. 1 Satz 1 [X.] NRW die Pflicht zur Einleitung eines Disziplinarverfahrens, wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, die den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen. Zwar darf der Dienstherr auch [X.] durchführen, weil ein Disziplinarverfahren wegen seiner stigmatisierenden Wirkung nicht vorschnell eingeleitet werden darf ([X.], in: [X.], [X.], Disziplinarrecht des [X.]es und der Länder, Stand November 2017, [X.] § 17 Rn. 32). [X.] müssen aber wegen der Schutzwirkung der Verfahrensvorschriften in disziplinarrechtlich geführte Ermittlungen umschlagen, wenn der Dienstvorgesetzte Kenntnis von Tatsachen erlangt, aufgrund derer die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass der [X.]eamte schuldhaft seine Dienstpflichten in disziplinarrechtlich relevanter Weise verletzt hat ([X.]VerwG, Urteil vom 29. [X.]ärz 2012 - 2 A 11.10 -; [X.]/[X.]aiwald, [X.]eamtenrecht des [X.]es und der Länder, Entscheidungssammlung [X.]d. 4, [X.]/[X.] 1.1 Nr. 26 Rn. 21).

Nach diesen [X.]aßstäben hätte die Klägerin das Disziplinarverfahren bereits am 14. Februar 2008 einleiten müssen. Denn aufgrund des zusammenfassenden Vermerks des dienstlichen Vertreters des [X.]eklagten von diesem Tage über die zahlreichen Ungereimtheiten bei der Abrechnung der für die Kraftfahrzeuge der Feuerwehr der Klägerin ausgestellten Tankkarten lagen hinreichende Anhaltspunkte für ein Dienstvergehen des [X.]eklagten vor.

b) [X.]acht ein [X.]eamter bei seiner Anhörung im Disziplinarverfahren Angaben, so darf diese Aussage nach § 20 Abs. 3 [X.] NRW im Verlaufe des Verfahrens nur dann zu seinem Nachteil verwertet werden, wenn feststeht, dass er vor seiner Aussage den Vorgaben von § 20 Abs. 1 Satz 3 [X.] NRW entsprechend vollständig und zum richtigen Zeitpunkt belehrt worden ist. Eine [X.]elehrung ist "unrichtig" [X.]. § 20 Abs. 3 [X.] NRW, wenn eines der im Gesetz vorgeschriebenen Elemente fehlt.

Entgegen der Auffassung des [X.]erufungsgerichts ist § 20 Abs. 1 Satz 3 [X.] NRW nicht lediglich Anknüpfungspunkt für die jeweils unterschiedlichen Fristenbestimmungen des § 20 Abs. 2 [X.] NRW, sondern dient dem Schutz des betroffenen [X.]eamten im Disziplinarverfahren. Der [X.]eamte soll davor bewahrt werden, sich durch vorschnelle und unbedachte Äußerungen im unmittelbaren [X.] an die Eröffnung selbst zu belasten. Die Vorschrift setzt für die Verwertbarkeit der Aussage die [X.]elehrung des [X.]eamten über sämtliche ihm nach dem Gesetz eröffneten [X.]öglichkeiten voraus, d.h. sich mündlich oder schriftlich zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen und sich jederzeit eines [X.]evollmächtigten oder eines [X.]eistandes zu bedienen. Zudem muss die [X.]elehrung gleichzeitig mit der Eröffnung des dem [X.]eamten zur Last gelegten Dienstvergehens vorgenommen werden. Die Schutzfunktion kommt auch in den Äußerungsfristen zum Ausdruck; für die Abgabe einer schriftlichen Äußerung gilt eine Ausschlussfrist von einem [X.]onat und für die Abgabe der Erklärung, sich mündlich äußern zu wollen, eine Ausschlussfrist von zwei Wochen (§ 20 Abs. 2 [X.] NRW). Damit muss selbst eine mündliche Äußerung nicht im unmittelbaren [X.] an die Eröffnung der Einleitung des Verfahrens abgegeben werden. Um dieser vom Gesetzgeber vorgegebenen Schutzfunktion zu genügen und auch um Auseinandersetzungen über den genauen Inhalt der [X.]elehrung zu vermeiden, sollte sich die zuständige [X.]ehörde bei der [X.]elehrung möglichst eng am Wortlaut des Gesetzes orientieren (vgl. Gansen, Disziplinarrecht in [X.] und Ländern, Stand Juli 2017, § 20 Rn. 12).

Im Disziplinarverfahren steht dem [X.]eamten ein Aussageverweigerungsrecht zu (§ 20 Abs. 1 Satz 3 [X.] NRW). [X.] sich der [X.]eamte nicht äußern, so muss dies für ihn ohne dienstrechtliche Folgen bleiben. Nach der Rechtsprechung des [X.]s kann der [X.]eamte sein Verhalten im Disziplinarverfahren zudem an den Grenzen des zulässigen [X.] im Strafverfahren orientieren. Ohne dass dies für den [X.]eamten nachteilig gewertet werden darf, kann der [X.]eamte die Tat bestreiten und auch ihren Unrechtsgehalt negieren oder relativieren ([X.]VerwG Urteil vom 28. Februar 2013 - 2 [X.] 62.11 - [X.] 235.1 § 13 [X.] Nr. 19 Rn. 49 ff.; [X.]eschlüsse vom 20. November 2012 - 2 [X.] 56.12 - NVwZ 2013, 1093 Rn. 8, vom 10. Dezember 2014 - 2 [X.] 75.14 - [X.] 235.1 § 13 [X.] Nr. 28 Rn. 10 und vom 5. [X.]ai 2015 - 2 [X.] 32.14 - [X.] 235.1 § 13 [X.] Nr. 30 Rn. 30).

Ausgehend von der Schutzfunktion des § 20 Abs. 1 Satz 3 [X.] NRW kommt dem Hinweis auf die [X.]öglichkeit einer schriftlichen Äußerung innerhalb einer Ausschlussfrist von einem [X.]onat für das Verhalten des betroffenen [X.]eamten im Disziplinarverfahren besondere [X.]edeutung zu. Denn eine schriftliche Äußerung ermöglicht es dem [X.]etroffenen, diese erst nach einer Phase des Erwägens und Abschätzens abzugeben, in der der [X.]eamte seine Position in [X.]ezug auf den Vorwurf des Dienstvergehens dahingehend überdenken kann, ob er eine Stellungnahme abgibt und welchen Inhalt diese haben soll.

Nach den tatsächlichen Feststellungen des [X.] hat der [X.]eklagte sowohl im behördlichen Disziplinarverfahren als auch in den Verfahren vor den Instanzgerichten die unzureichende [X.]elehrung bemängelt und sich auf das aus § 20 Abs. 3 [X.] NRW folgende Verwertungsverbot berufen. Damit hat der [X.]eklagte das nach §§ 54 und 65 [X.] NRW für wesentliche [X.]ängel des behördlichen Disziplinarverfahrens vorgeschriebene Verfahren eingehalten ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 7. Juli 2016 - 2 [X.] 1.16 - [X.] 235.1 § 55 [X.] Nr. 10 Rn. 10).

2. Sollte der [X.]eklagte auch in der erneuten [X.]erufungsverhandlung keine Angaben zur Sache machen, muss demnach, um die umfassenden Angaben des [X.]eklagten anlässlich seiner Anhörung vom 18. Februar 2008 verwerten zu können, festgestellt sein, dass die [X.]elehrung des [X.]eklagten zu [X.]eginn seiner Anhörung sämtlichen Vorgaben des § 20 Abs. 1 Satz 3 [X.] NRW entsprach. Das Oberverwaltungsgericht, das diesen Aspekt aufgrund seiner Rechtsauffassung offen lassen konnte, wird nunmehr die Umstände der [X.]elehrung des [X.]eklagten vor dessen Anhörung aufzuklären haben, wenn sich der [X.]eklagte wiederum nicht äußert.

a) Sollte die [X.]eweisaufnahme über den genauen Inhalt der immerhin zehn Jahre zurückliegenden [X.]elehrung des [X.]eklagten am 18. Februar 2008 ergeben, dass der [X.]eklagte auf sämtliche ihm nach § 20 Abs. 1 Satz 3 [X.] NRW zustehenden Rechte, darunter auch auf die [X.]öglichkeit der [X.]eauftragung eines [X.]evollmächtigten und nicht lediglich die Hinzuziehung eines [X.]eistands, hingewiesen worden ist, könnten seine umfassenden Angaben vom 18. Februar 2008 zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen zu seinem Nachteil verwertet werden.

b) Erbringt die [X.]eweisaufnahme dagegen nicht den Nachweis, dass der [X.]eklagte umfassend belehrt worden ist, darf die Aussage des [X.]eklagten im gesamten Disziplinarverfahren nicht zu seinem Nachteil verwertet werden. Die Unverwertbarkeit der Angaben hat aber nicht zur Folge, dass der disziplinarrechtliche Vorwurf entfällt ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 20. April 2017 - 2 [X.] 69.16 - juris Rn. 14).

Das in § 20 Abs. 3 [X.] NRW angeordnete Verwertungsverbot hätte aber auch nicht zur Folge, dass das Oberverwaltungsgericht an einer weiteren Aufklärung der Nutzung der verschiedenen für die Einsatzfahrzeuge der Freiwilligen Feuerwehr der Klägerin ausgestellten Tankkarten mittels solcher [X.]eweismittel gehindert wäre, zu denen die Angaben des [X.]eklagten vom 18. Februar 2008 erst den Weg gewiesen haben. Denn § 20 Abs. 1 Satz 3 [X.] NRW ist nicht zu entnehmen, dass das gesetzlich angeordnete [X.]eweisverwertungsverbot auch andere [X.]eweismittel im Sinne einer Fernwirkung unverwertbar macht, deren Vorhandensein erst durch die nicht verwertbaren Angaben des [X.]eklagten anlässlich seiner Anhörung bekannt geworden ist (zur Fernwirkung im Strafprozess vgl. [X.]GH, [X.]eschluss vom 30. April 1968 - 1 [X.] - [X.]GHSt 22, 129 <135> und Urteile vom 22. Februar 1978 - 2 StR 334/77 - [X.]GHSt 27, 355 <357>, vom 18. April 1980 - 2 StR 731/79 - [X.]GHSt 29, 244 <249> sowie vom 6. August 1987 - 4 [X.] - [X.]GHSt 35, 32 <34>).

Eine allgemeingültige Regel, unter welchen Voraussetzungen ein [X.]eweisverwertungsverbot über das unmittelbar gewonnene [X.]eweisergebnis hinausreicht und wo seine Grenzen zu ziehen sind, lässt sich nicht aufstellen. Die Grenzen richten sich jeweils nach der Sachlage und der Art des konkreten Verbots (zum Strafverfahren: [X.]GH, Urteile vom 22. Februar 1978 - 2 StR 334/77 - [X.]GHSt 27, 355 <357> und vom 18. April 1980 - 2 StR 731/79 - [X.]GHSt 29, 244 <249>).

Die [X.]eschränkung der Reichweite des Verwertungsverbots nach § 20 Abs. 3 [X.] NRW folgt zunächst aus dem Wortlaut der Vorschrift. Denn das Gesetz regelt lediglich, dass die Aussage des [X.]eamten nicht zu seinem Nachteil verwertet werden darf. Zweck der Ahndung von Dienstvergehen eines [X.]eamten und damit des Disziplinarverfahrens ist es, das Vertrauen in die Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit der [X.]eamten und damit die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes sicherzustellen. Wie sich aus § 57 Abs. 1 Satz 1 [X.] NRW und § 3 [X.] NRW i.V.m. § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO ergibt, ist die Verpflichtung des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit tragender Grundsatz des gerichtlichen Disziplinarverfahrens. Ein Fehler im behördlichen Disziplinarverfahren, der nach der gesetzlichen Regelung ein Verwertungsverbot für ein bestimmtes [X.]eweismittel zur Folge hat, darf wegen der Verpflichtung zur Erforschung der Wahrheit nicht dazu führen, dass das gesamte weitere Disziplinarverfahren lahmgelegt wird. Der [X.]ehörde und dem Gericht darf wegen der [X.]edeutung des Disziplinarverfahrens für die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung die Aufklärung des Sachverhalts durch die Nutzung anderer [X.]eweismittel als der Aussage des nicht ausreichend belehrten [X.]eamten nicht verwehrt bleiben.

3. Über den Aspekt des Ausschlusses einer Fernwirkung des aus § 20 Abs. 3 [X.] NRW folgenden Verbots der Verwertung der Aussage des [X.]eklagten anlässlich seiner Anhörung vom 18. Februar 2008 auf andere [X.]eweismittel hinaus weist der [X.] im Hinblick auf das sonstige Vorbringen der Revision sowie für das weitere [X.]erufungsverfahren auf das Folgende hin:

a) Wie oben unter 1 a) dargelegt, hätte die Klägerin nach [X.]aßgabe des § 17 Abs. 1 Satz 1 [X.] NRW das Disziplinarverfahren gegen den [X.]eklagten wegen der Feststellungen des dienstlichen Vertreters des [X.]eklagten im schriftlichen Vermerk vom 14. Februar 2008 bereits an diesem Tag einleiten müssen. Denn bereits ausgehend von dieser Darstellung bestand die hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der [X.]eklagte schuldhaft seine Dienstpflichten in disziplinarrechtlich relevanter Weise verletzt hatte. Ein Verstoß der dienstvorgesetzten Stelle gegen § 17 Abs. 1 Satz 1 [X.] NRW kann bei der [X.]emessung der Disziplinarmaßnahme nach § 13 [X.] NRW als mildernder Umstand berücksichtigt werden, wenn der Verstoß für das weitere Fehlverhalten des [X.]eamten ursächlich war ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 18. November 2008 - 2 [X.] 63.08 - [X.] 235.1 § 17 [X.] Nr. 1 Rn. 16 und 26 ff.). Diese Folgerung kommt hier aber nicht in [X.]etracht, weil dem [X.]eklagten in der für die gerichtliche Entscheidung nach § 59 Abs. 1 Satz 1 und § 65 Abs. 1 Satz 1 [X.] NRW maßgeblichen [X.]schrift nicht vorgeworfen worden ist, auch noch im Zeitraum nach dem Februar 2008 [X.] begangen zu haben.

b) Die Klägerin hat § 32 Abs. 5 [X.] NRW dadurch verletzt, dass die beim Verwaltungsgericht eingereichte [X.] nicht nur den [X.]riefkopf der [X.]evollmächtigten der Klägerin trägt, sondern auch von einem der dort tätigen Rechtsanwälte unterschrieben ist. § 32 Abs. 5 [X.] NRW regelt auch die Zeichnungsbefugnis für die [X.] (Urban/[X.], [X.], 2. Aufl., § 34 Rn. 23; Gansen, Disziplinarrecht in [X.] und Ländern, Stand Juli 2017, § 34 Rn. 43). Ein von einer [X.] bevollmächtigter Rechtsanwalt zählt nicht zu den Personen, die nach § 32 Abs. 5 [X.] NRW zur Erhebung der [X.] gegen einen [X.]eamten der Gemeinde befugt sind.

Eine [X.]schrift leidet an einem wesentlichen [X.]angel [X.]. § 54 Abs. 1 [X.] NRW, wenn sie von einer Person erhoben wird, die nicht befugt ist, für die vom Gesetz bestimmte [X.]ehörde tätig zu werden ([X.]VerwG, Urteil vom 28. Februar 2013 - 2 [X.] 3.12 - [X.]VerwGE 146, 98 Rn. 58 und [X.]eschluss vom 18. Dezember 2007 - 2 [X.] 113.07 - juris Rn. 7). Aus dem Wortlaut und der Systematik des § 65 Abs. 1 [X.] NRW folgt aber entgegen dem Vorbringen der Revision, dass die diesen [X.]angel beseitigende neue [X.]schrift auch im [X.]erufungsverfahren eingereicht werden kann.

Auch sind hier die schutzwürdigen Interessen des [X.]eklagten nicht beeinträchtigt. Denn nach den tatsächlichen Feststellungen des [X.] ist die dort vorgelegte Klageschrift vom 28. September 2016 mit der ursprünglichen Klageschrift inhaltsgleich. Damit ist sichergestellt, dass die neue Klageschrift keine neuen belastenden Tatsachen und [X.]eweismittel enthält ([X.]VerwG, Urteil vom 28. Februar 2013 - 2 [X.] 3.12 - [X.]VerwGE 146, 98 Rn. 63 und [X.]eschluss vom 18. Dezember 2007 - 2 [X.] 113.07 - juris Rn. 7). Der [X.]ürgermeister der Klägerin war nach [X.]aßgabe des § 32 Abs. 5 [X.] NRW für die Unterzeichnung der Klageschrift auch zuständig (§ 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 L[X.]G NRW und § 73 Abs. 2 [X.] NRW).

c) Unbegründet ist der Vorwurf der Revision, das Oberverwaltungsgericht habe sich im Rahmen der Gesamtwürdigung keine eigene Überzeugung vom Nachweis der Pflichtverletzungen und der bemessungsrelevanten Umstände gebildet, sondern habe lediglich auf die Feststellungen und Würdigungen des [X.] verwiesen.

Nach § 65 Abs. 1 Satz 1 [X.] NRW gelten für das [X.]erufungsverfahren die [X.]estimmungen über das Disziplinarverfahren vor dem Verwaltungsgericht entsprechend, soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt. Daraus folgt die Verpflichtung für das [X.]erufungsgericht, sich eine eigenständige Überzeugung vom Nachweis des Dienstvergehens und der Gesamtheit der bemessungsrelevanten Umstände zu bilden und eine eigenständige [X.]emessungsentscheidung zu treffen, sodass ein bloßer Verweis auf die entsprechenden Ausführungen im Urteil des [X.] nicht ausreicht ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 20. Oktober 2011 - 2 [X.] 86.11 - juris Rn. 7).

Dieser Vorgabe wird das angegriffene [X.]erufungsurteil gerecht. Denn unter [X.]) seiner Entscheidungsgründe grenzt sich das Oberverwaltungsgericht hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen bereits teilweise vom Urteil des [X.] ab. Die Erwägungen des [X.]erufungsgerichts zur [X.]emessung der Disziplinarmaßnahme unter IV) seiner Entscheidungsgründe sind eigenständig.

d) Unbegründet ist ferner der Vorwurf der Revision, das Oberverwaltungsgericht habe den Sachverhalt hinsichtlich der [X.]eweggründe des [X.]eklagten nicht ausreichend aufgeklärt.

Ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht hat das [X.]erufungsgericht den [X.]eklagten auch darauf hingewiesen, es stehe im frei, sich zu den gegen ihn erhobenen [X.]eschuldigungen zu äußern oder aber nicht auszusagen. Sofern er aussagen wolle, biete es sich an, sich auch zu den [X.]otiven im Zeitpunkt der Taten und zu seiner heutigen Einstellung zu äußern und vorsorglich zum Unterhaltsbeitrag Stellung zu nehmen. Wenn der betroffene [X.]eamte von dieser Äußerungsmöglichkeit keinen Gebrauch macht, kann er später nicht geltend machen, das Gericht habe den Sachverhalt hinsichtlich seiner [X.]eweggründe nicht ausreichend aufgeklärt.

Ohne Erfolg ist auch die weitere Rüge der Revision, das Oberverwaltungsgericht habe sich nicht ausreichend mit der Einlassung des [X.]eklagten auseinandergesetzt, der - vom [X.]eklagten eingeräumte private - Tankvorgang vom 15. Januar 2008 sei der Ausgleich für seine gegenüber der Klägerin nicht geltend gemachten Ansprüche auf Ersatz von Reisekosten für die Nutzung seines [X.] zu dienstlichen Zwecken im Interesse der Klägerin. Denn zum einen ist der [X.]eklagte vom Oberverwaltungsgericht in der [X.]erufungsverhandlung auch zur Darlegung seiner [X.]otive aufgefordert worden; von dieser [X.]öglichkeit hat er jedoch keinen Gebrauch gemacht. Zum anderen hat ein [X.]eamter Ansprüche gegen seinen Dienstherrn auf Ersatz von Reisekosten in dem dafür vorgesehenen Verwaltungsverfahren geltend zu machen und kann sich nicht eigenmächtig am sonstigen Vermögen seines Dienstherrn vergreifen, um seine vermeintlichen Ansprüche durchzusetzen.

e) In Übereinstimmung mit der neueren Rechtsprechung des [X.]s hat das Oberverwaltungsgericht bei der [X.]ewertung der Schwere des innerdienstlich begangenen Dienstvergehens des [X.]eklagten auf den gesetzlichen Strafrahmen der vom [X.]eamten tatbestandlich erfüllten Straftatbestände zurückgegriffen ([X.]VerwG, Urteil vom 10. Dezember 2015 - 2 [X.] 6.14 - NVwZ 2016, 772 Rn. 17). [X.]it diesem Urteil hat der [X.] der Sache nach die bisherige "Regeleinstufung" bei bestimmten innerdienstlichen Dienstvergehen, die das Dienstvergehen einer konkreten Disziplinarmaßnahme relativ fest zuordnet, aufgegeben (vgl. von der Weiden, jurisPR-[X.]VerwG 12/2016 [X.]). Aufgrund dieser Änderung erscheint es problematisch, zur ersten Zuordnung des innerdienstlich begangenen konkreten Dienstvergehens zu einer der [X.]aßnahmen [X.]. § 5 Abs. 1 [X.] NRW auf Rechtsprechung des [X.]esverwaltungsgerichts zurückzugreifen, die noch von der Rechtsfigur der "Regeleinstufung" geprägt ist (z.[X.]. [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 10. September 2010 - 2 [X.] 97.09 - [X.] 235.1 § 13 [X.] Nr. 14 Rn. 8).

Meta

2 C 12/17

14.12.2017

Bundesverwaltungsgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 5. Oktober 2016, Az: 3d A 87/14.O, Urteil

§ 127 BRRG, § 63 BeamtStG, § 65 DG NW 2004, § 13 DG NW 2004, § 17 DG NW 2004, § 20 DG NW 2004, § 54 DG NW 2004, § 57 DG NW 2004

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 14.12.2017, Az. 2 C 12/17 (REWIS RS 2017, 609)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 609

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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2 B 34/20 (Bundesverwaltungsgericht)

Dienstpflichtverletzung wegen sorgfaltswidriger Abwicklung von Verbindlichkeiten; erfolglose Beschwerde gegen Kürzung der Dienstbezüge


2 C 3/12 (Bundesverwaltungsgericht)

Polizeibeamter: Strafurteil wegen Bestechlichkeit; Verbot der Vorteilsannahme; Gesamtwürdigung; Regelmaßnahme; Entfernung aus dem Beamtenverhältnis; überlange Verfahrensdauer


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