Bundesgerichtshof, Beschluss vom 01.09.2020, Az. 3 StR 275/20

3. Strafsenat | REWIS RS 2020, 807

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Gegenstand

Besitz kinderpornografischer Schriften: Sexuell aufreizende Wiedergabe der unbekleideten Genitalien oder des unbekleideten Gesäßes eines Kindes in Bilddateien auf einem Mobiltelefon


Leitsatz

Eine sexuell aufreizende Wiedergabe der unbekleideten Genitalien oder des unbekleideten Gesäßes eines Kindes gemäß § 184b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c StGB liegt vor, wenn die genannten Körperteile aus Sicht eines durchschnittlichen Betrachters in sexuell motivierter Weise im Blickfeld stehen. Hierfür sind die aus der Schrift (§ 11 Abs. 3 StGB) zu entnehmenden Umstände heranzuziehen; auf die daraus nicht ersichtlichen Beweggründe der die Wiedergabe erstellenden oder damit umgehenden Person kommt es nicht an.

Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 26. März 2020 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Besitzverschaffung an einer kinderpornographischen Schrift zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt und die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt, hat keinen Erfolg.

2

1. Nach den vom [X.] getroffenen Feststellungen lud der Angeklagte rund eine Woche nach seiner Haftentlassung über Internetseiten Bilddateien auf sein Mobiltelefon herunter und speicherte sie dort. Drei der in den Urteilsgründen genauer beschriebenen Fotos zeigen jeweils das in den Vordergrund gerückte unbekleidete Gesäß eines fünf- bis neunjährigen Mädchens.

3

2. Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der [X.] hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. [X.] Ausführungen bedarf allein, dass nach den Feststellungen die Bilddateien die Voraussetzungen kinderpornographischer Schriften im Sinne des § 184b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. [X.] erfüllen.

4

a) Eine sexuell aufreizende Wiedergabe der unbekleideten Genitalien oder des unbekleideten Gesäßes eines Kindes gemäß § 184b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. [X.] liegt vor, wenn die genannten Körperteile aus Sicht eines durchschnittlichen Betrachters in sexuell motivierter Weise im Blickfeld stehen. Hierfür sind die aus der Schrift (§ 11 Abs. 3 StGB) zu entnehmenden Umstände heranzuziehen; auf die daraus nicht ersichtlichen Beweggründe der die Wiedergabe erstellenden oder damit umgehenden Person kommt es nicht an.

5

aa) Eine sexuell aufreizende Wiedergabe ist eine solche, die eine sexuell konnotierte Fokussierung auf die näher bezeichneten unbekleideten Körperregionen eines Kindes enthält (vgl. den letztlich nicht weiterverfolgten, aber weitgehend wortgleichen Gesetzesantrag des [X.], [X.]. 127/14, 12). Der Begriff des Aufreizens findet sich bereits im Rahmenbeschluss 2004/68/[X.] des Rates vom 22. Dezember 2003 zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornografie ([X.]. [X.] 2004 Nr. L 13/44, 45) und geht nach der allgemeinen Wortbedeutung in sexualisierter Weise über eine neutrale Abbildung hinaus ("lascivious" nach der englischsprachigen, "lascive" nach der französischsprachigen Fassung des Rahmenbeschlusses 2004/68/[X.]). Davon abzugrenzen sind Wiedergaben mit anderer Intention, beispielsweise als unverfängliches Urlaubsfoto oder zu medizinischen, wissenschaftlichen oder künstlerischen Zwecken (vgl. [X.], [X.] [X.]ort to the Council of Europe Convention on the Protection of Children against Sexual Exploitation and Sexual Abuse, Nr. 142; [X.]. 127/14, 7; s. auch § 201a Abs. 4 StGB).

6

bb) Für die Beurteilung sind allein die sich aus der Schrift ergebenden Umstände heranzuziehen.

7

(1) Der Wortlaut des durch das [X.] zur Änderung des Strafgesetzbuches - Umsetzung [X.] Vorgaben zum Sexualstrafrecht vom 21. Januar 2015 ([X.] I S. 10, 12) eingefügten § 184b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. [X.] stellt auf die "sexuell aufreizende Wiedergabe" ab. Damit ist [X.] des sexuellen Aufreizens die Wiedergabe, nicht davon losgelöste Umstände. In diesem Sinne nimmt § 184b Abs. 1 Nr. 1 StGB allgemein - "vor [X.]" gezogen - den Gegenstand der Schrift in den Blick (vgl. zur Bedeutung des [X.] der Schrift als Korrektiv BT-Drucks. 18/3202 [neu] S. 27; [X.], Protokoll 18/28 S. 21, 77, 85).

8

(2) Systematische Erwägungen sprechen ebenfalls dafür, lediglich die (Gesamt-)Darstellung als solche und sich daraus ergebende Gesichtspunkte heranzuziehen, nicht aber darüber hinausgehende Zwecke des Erstellers oder Verwenders (vgl. auch [X.]/[X.]/Valerius/[X.], Handbuch des Strafrechts, § 10 Rn. 88, 95; SK-StGB/[X.], 9. Aufl., § 184b Rn. 15; [X.][X.], StGB, 2. Aufl., § 184b Rn. 23; anders dagegen [X.]/[X.], [X.], 519, 523; [X.]/[X.]/[X.], StGB, 30. Aufl., § 184b Rn. 17; [X.], StGB, 67. Aufl., § 184b Rn. 9b; MüKoStGB/[X.], 3. Aufl., § 184b Rn. 20). Ansonsten wäre eine konsistente Bewertung, ob eine bestimmte Schrift kinderpornographisch ist oder nicht, nicht möglich. Wären etwa die Zwecke zu berücksichtigen, die eine Person konkret beim Umgang mit der Schrift verfolgt, könnte dies eine unterschiedliche Einordnung derselben Schrift - beim gleichzeitigen Umgang mehrerer sogar zum selben Zeitpunkt - zur Folge haben. Eine derartige uneinheitliche, situationsbedingt-subjektive Auslegung des objektiven Tatbestandsmerkmals der kinderpornographischen Schrift ist im Gesetz nicht angelegt (vgl. kritisch zu subjektiven Kriterien bei der Eingrenzung des objektiven Tatbestandes auch [X.], Beschluss vom 3. Juni 2008 - 3 [X.], [X.]St 52, 257 Rn. 26 ff.).

9

In ähnlicher Weise hat der [X.] bereits entschieden, dass für den Begriff des "[X.]" gemäß § 184 StGB aF Zweck und Art der Verwendung von Bedeutung sein können, hierfür indes die Umstände, aus denen sich die objektive, auf das Geschlechtliche gerichtete Zweckbestimmung ergibt, mit dem Gegenstand, um dessen Kennzeichnung es sich handelt, unmittelbar verknüpft sein müssen (s. [X.], Urteile vom 16. Februar 1954 - 5 StR 475/53, [X.]St 5, 346, 348 f.; vom 11. Oktober 1960 - 5 StR 296/60, juris Rn. 6; RG, Urteil vom 6. November 1893 - [X.]. 2597/93, [X.], 365, 367).

(3) Der Gesetzeszweck und die Gesetzesgenese erfordern ebenfalls keine andere Handhabung.

Mit der Schaffung des § 184b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. [X.] zielte der Gesetzgeber auf eine vollständige Umsetzung der Richtlinie 2011/93/[X.] in Anlehnung an den dortigen Art. 2 Buchst. [X.]. [X.] ([X.]. [X.] 2011 Nr. L 335/1, 7) und an Art. 20 Abs. 2 des Übereinkommens des [X.]s vom 25. Oktober 2007 zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch ([X.] [X.], 37). Aus den genannten Regelungen ergibt sich zwar ein Bezug zur Zwecksetzung, nicht aber dazu, dass dafür auch die jeweilige Verwendung entscheidend ist. Vielmehr lassen sich die gewählten Formulierungen ("jede Abbildung der Geschlechtsteile eines Kindes zu vorwiegend sexuellen Zwecken", "jegliche Darstellung der Geschlechtsorgane eines Kindes für primär sexuelle Zwecke") damit in Einklang bringen, dass für die Ermittlung des Zwecks die Abbildung bzw. Darstellung ausschlaggebend ist (vgl. auch [X.], [X.] [X.]ort to the Council of Europe Convention on the Protection of Children against Sexual Exploitation and Sexual Abuse, wo unter Nr. 142 auf den Zweck der Verkörperung abgestellt wird).

In der Gesetzesbegründung wird als Maßstab für die Beurteilung, ob die Wiedergabe sexuell aufreizender Art ist, die Beurteilung eines durchschnittlichen Betrachters angesehen (BT-Drucks. 18/3202 [neu] S. 27; vgl. auch [X.]. 127/14, 12). Dies deutet darauf hin, dass eine abstrakt-objektive Bewertung der Darstellung vorzunehmen ist und es nicht auf die davon unabhängige Motivation des einzelnen Nutzers ankommt. Von Bedeutung können insofern etwa Bildkomposition, Kameraperspektive, der gewählte Ausschnitt oder die Haltung des Kindes sein (s. [X.]. 127/14, 12).

b) Gemessen daran tragen die - ergänzend auf die Abbildungen gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO verweisenden - Urteilsgründe die rechtliche Einordnung als kinderpornographische Schriften. Das [X.] hat im Einzelnen dargelegt, aufgrund welcher Umstände die Darstellungen ersichtlich auf die Erregung sexueller Reize zielten. Daher ist es unschädlich, dass es darüber hinaus bei der Einordnung der Bilder als sexuell aufreizend darauf abgestellt hat, dass sie in der konkreten, sich nicht aus den Aufnahmen selbst ergebenden Verwendung durch den Angeklagten ausschließlich sexuellen Zwecken dienten.

Schäfer     

      

Spaniol     

      

Paul   

      

Berg     

      

Anstötz     

      

Meta

3 StR 275/20

01.09.2020

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Duisburg, 26. März 2020, Az: 31 KLs 30/19

§ 11 Abs 3 StGB, § 184b Abs 1 Nr 1 Buchst c StGB, § 261 StPO, § 267 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 01.09.2020, Az. 3 StR 275/20 (REWIS RS 2020, 807)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 807

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

4 StR 72/23

3 StR 350/20

2 WD 22/20

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