Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.08.2021, Az. 3 StR 474/19

3. Strafsenat | REWIS RS 2021, 3409

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Gegenstand

Anfragebeschluss: Einziehung des aus einer verjährten Straftat erlangten Wertes des Tatertrags im subjektiven Verfahren


Tenor

1. Der Senat beabsichtigt zu entscheiden:

Die Einziehung des durch eine verjährte Straftat erlangten Wertes des [X.] nach § 76a Abs. 2 Satz 1 StGB kann auch im subjektiven Verfahren angeordnet werden, wenn die Staatsanwaltschaft wegen der [X.] Anklage erhoben, das Gericht das Hauptverfahren insoweit eröffnet und die Einstellung des Verfahrens erst im Urteil ausgesprochen hat (§ 260 Abs. 3 StPO); eines Übergangs in das objektive Verfahren sowie eines Antrags der Staatsanwaltschaft nach § 435 Abs. 1 Satz 1 StPO und einer staatsanwaltschaftlichen Ermessensausübung im Sinne des § 435 Abs. 1 Satz 2 StPO bedarf es in einem solchen Fall nicht.

2. Der Senat fragt deshalb bei dem 1., 4. und 5. Strafsenat an, ob an der anderslautenden Rechtsauffassung festgehalten wird (vgl. Urteil vom 11. November 2020 - 1 StR 328/19 sowie Beschlüsse vom 22. Januar 2019 - 1 StR 489/18, vom 8. September 2020 - 4 StR 75/20 und vom 11. Dezember 2019 - 5 StR 486/19), sowie vorsorglich bei dem 2. und 6. Strafsenat, ob die dortige Rechtsprechung der beabsichtigten Entscheidung entgegensteht und gegebenenfalls an dieser festgehalten wird.

Gründe

1

1. Das [X.] hat den Angeklagten [X.]  wegen bandenmäßiger Ausfuhr von Gütern aufgrund [X.] Genehmigung nach dem [X.] in zwei Fällen, davon in einem Fall in zwei tateinheitlichen Fällen, unter Einstellung zweier Vorwürfe wegen Verjährung und Freispruch im Übrigen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt. Die Angeklagte B.    hat es wegen Beihilfe zur bandenmäßigen Ausfuhr von Gütern aufgrund [X.] Genehmigung nach dem [X.] in drei Fällen, davon in einem Fall in sechs tateinheitlichen Fällen sowie in einem Fall in drei tateinheitlichen Fällen, unter Freispruch im Übrigen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und fünf Monaten verurteilt. Die Vollstreckung beider Strafen hat es zur Bewährung ausgesetzt. Gegen die [X.] hat das [X.] die Einziehung des Wertes von [X.]n in Höhe von 3.730.044 € angeordnet. Weitere Angeklagte sind freigesprochen worden.

2

Die gegen das Urteil gerichteten Revisionen der Angeklagten und der Staatsanwaltschaft hatten keinen Erfolg. Die Entscheidung über das Rechtsmittel der [X.]n gegen die Einziehung des Wertes des aus Tat 1 der Urteilsgründe [X.] in Höhe von 690.699 € hat der Senat vorbehalten und die weitergehende Revision der [X.]n ebenfalls verworfen (vgl. [X.], Urteil vom 30. März 2021 - 3 StR 474/19, juris).

3

Nach den vom [X.] zu Tat 1 der Urteilsgründe getroffenen, für das Anfrageverfahren relevanten Feststellungen und Wertungen führte die [X.] im Mai 2006 auf der Grundlage einer erschlichenen Genehmigung nach dem [X.] Waffen nach [X.] aus und erlöste dadurch einen Umsatz in Höhe von mindestens 690.699 € netto. Der Angeklagte [X.]deckte als Vertriebsleiter die Ausfuhren und schritt bewusst pflichtwidrig nicht ein. Das [X.] hat das Verfahren gegen den Angeklagten [X.] wegen einer hierdurch begangenen Straftat nach § 18 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 9 [X.] aF wegen Eintritts der [X.] in seinem verfahrensabschließenden Urteil eingestellt (§ 260 Abs. 3 [X.]). Gegenüber der [X.]n hat es in demselben Urteil gleichwohl die Einziehung der aus den Ausfuhren erzielten Umsatzerlöse angeordnet.

4

Dieser Entscheidung war kein förmlicher Antrag der Staatsanwaltschaft auf Durchführung eines selbständigen Einziehungsverfahrens (§ 435 Abs. 1 Satz 1 [X.]) vorausgegangen. Weder in der Anklageschrift noch im weiteren Verfahren hat die Anklagebehörde explizit zum Ausdruck gebracht, sie begehre eine Einziehungsentscheidung im objektiven Verfahren. Sie hat lediglich nach dem gerichtlichen Hinweis, die durch die Staatsanwaltschaft zunächst erstrebte Geldbuße gegen die Nebenbeteiligte nach § 30 OWiG komme nicht in Betracht, angeregt, das bislang als Nebenbeteiligte geführte Unternehmen als [X.] zu beteiligen und einen entsprechenden rechtlichen Hinweis zu einer möglichen Einziehungsanordnung (alternativ zu einer Unternehmensgeldbuße) zu erteilen. Dabei hat sie darauf hingewiesen, die mögliche Verjährung einzelner Taten stehe gemäß § 76a Abs. 2 StGB einer Einziehung nicht entgegen. In ihrem Schlussvortrag hat die Anklagebehörde hinsichtlich Tat 1 der Urteilsgründe keinen Antrag auf Verurteilung einzelner Angeklagter gestellt, das hieraus durch die [X.] Erlangte von ihrem Antrag auf Einziehung des Wertes von [X.]n jedoch nicht ausgenommen.

5

2. Der Senat beabsichtigt, die Revision der [X.]n auch hinsichtlich der Tat 1 der Urteilsgründe zu verwerfen.

6

Die materiell-rechtlichen Einziehungsvoraussetzungen sind gegeben (vgl. dazu [X.], Urteil vom 30. März 2021 - 3 StR 474/19, juris Rn. 56 ff.); die durch das [X.] festgestellte Verjährung der [X.] (s. zum Prüfungsumfang im Rahmen der Revision der [X.]n [X.], Urteil vom 1. Juli 2021 - 3 StR 518/19, juris Rn. 32 ff.) hindert die Einziehung nach § 76a Abs. 2 Satz 1 StGB i.V.m. Art. 316h Satz 1 [X.] nicht (s. zur Verfassungsmäßigkeit der angeordneten Rückwirkung [X.], Beschluss vom 10. Februar 2021 - 2 BvL 8/19, [X.]E 156, 354 Rn. 144 ff.).

7

Zwar liegt - entgegen der Würdigung des [X.] - in dem vorgenannten Hinweis, eine mögliche Verjährung stehe der Einziehung nicht entgegen, kein (konkludenter) Antrag auf Durchführung des objektiven Verfahrens nach § 435 Abs. 1 Satz 1 [X.]. Jedoch kann nach Auffassung des Senats die Einziehung des aus einer verjährten Straftat erlangten Wertes des Tatertrags (§ 76a Abs. 2 Satz 1 StGB) auch im subjektiven Verfahren angeordnet werden, wenn die Staatsanwaltschaft wegen der [X.] Anklage erhoben, das Gericht das Hauptverfahren insoweit eröffnet und die Einstellung des Verfahrens erst im Urteil ausgesprochen hat (§ 260 Abs. 3 [X.]); eines Übergangs ins objektive Verfahren sowie eines Antrags der Staatsanwaltschaft nach § 435 Abs. 1 Satz 1 [X.] und einer staatsanwaltschaftlichen Ermessensausübung im Sinne des § 435 Abs. 1 Satz 2 [X.] bedarf es in einem solchen Fall nicht (vgl. auch [X.]/[X.], [X.]., § 76a Rn. 15; [X.] [X.]/Temming, [X.]., § 435 Rn. 11; [X.]/[X.]/Heger, StGB, 29. Aufl., § 76a Rn. 5; [X.]/[X.], 5. Aufl., § 435 Rn. 16; s. zu weiteren Konstellationen, in denen die selbständige Anordnung im subjektiven Verfahren ausgesprochen werden kann, LK/Lohse, StGB, 13. Aufl., § 76a Rn. 45 ff.; anderer Ansicht [X.]/[X.]/[X.], [X.], 64. Aufl., § 435 Rn. 19). An seiner gegenteiligen Rechtsauffassung (vgl. [X.], Beschluss vom 13. Januar 2021 - 3 StR 348/20, juris Rn. 5) beabsichtigt der Senat nicht festzuhalten.

8

Im Einzelnen:

9

a) Dieses Ergebnis wird zunächst durch die ältere Rechtsprechung zu vergleichbaren Verfahrenskonstellationen gestützt.

aa) Bereits nach der Judikatur des [X.] wurde ein gegen bestimmte Personen geführtes subjektives Verfahren nicht dadurch zu einem objektiven, dass der Angeklagte freigesprochen und zugleich "selbständig" auf Unbrauchbarmachung einer dem Anklagevorwurf zugrundeliegenden unzüchtigen Abbildung erkannt wurde. Der objektive Charakter der Unbrauchbarmachung mache das Verfahren selbst nicht zum objektiven, dessen Natur bliebe die gleiche, mochte es mit Verurteilung oder Freisprechung enden. Die damaligen Vorschriften der Strafprozessordnung hätten nur Geltung für die Fälle, in denen nach gesetzlicher Vorschrift auf Einziehung selbständig erkannt werden könne und in denen die Entscheidung nicht mit einem Urteil in der Hauptsache ergehe, das heiße gegen einen bestimmten Angeklagten (vgl. [X.], Urteil vom 11. Oktober 1901 - [X.]. 2493/01, [X.]St 34, 388, 389).

Gleiches galt im Falle eines einstellenden Erkenntnisses. Zwar habe die daneben ausgesprochene Einziehung eine selbständige (objektive) Wirkung. Daraus folge jedoch nicht, dass sie auch als im selbständigen Einziehungsverfahren erlassen anzusehen sei. Maßgebend sei insoweit allein der Gang, den das Verfahren tatsächlich genommen habe, also ob das Verfahren, das durch das Urteil abgeschlossen werde, gegen eine bestimmte Person als Angeklagten gerichtet gewesen sei (vgl. [X.], Urteil vom 21. November 1932 - [X.], [X.]St 66, 419, 422).

bb) Auch der [X.] hat im Zusammenhang mit der selbständigen Einziehung und Unbrauchbarmachung einer Druckschrift bei [X.] zunächst entschieden, dass die Anordnung in dem Strafverfahren selbst möglich sei (vgl. [X.], Urteil vom 31. März 1954 - 6 StR 5/54, [X.]St 6, 62; so auch [X.], Urteil vom 15. November 1967 - 3 StR 26/66, [X.]St 21, 367, 370; s. zur Anordnung neben einem Freispruch [X.], Urteile vom 22. Juli 1969 - 1 StR 456/68, NJW 1969, 1818; vom 3. Oktober 1979 - 3 [X.]], juris Rn. 8; Beschluss vom 14. Dezember 1988 - 3 [X.], [X.]St 36, 51, 58 f.; anders aber [X.], Urteil vom 21. Juni 1990 - 1 [X.], [X.]St 37, 55, 68 f. für den Fall eines erst durch die Revisionsentscheidung rechtskräftig gewordenen Freispruchs; hiernach ist ein Übergang ins objektive Verfahren erforderlich, der einen [ggf. Hilfs-] Antrag der Staatsanwaltschaft voraussetzt).

Begründet hat er dies zwar auch mit der - heute überholten (vgl. [X.]/[X.]/[X.], [X.], 64. Aufl., § 435 Rn. 19 mwN) - Ansicht, ein Übergang vom Verfahren gegen bestimmte Personen zu einem selbständigen sei unzulässig (vgl. [X.], Urteil vom 31. März 1954 - 6 StR 5/54, [X.]St 6, 62, 63). Er hat aber zugleich ausgeführt, die Regelungen der [X.] zum selbständigen Verfahren enthielten keine das Strafverfahren einschränkenden Bestimmungen, sondern regelten nur das selbständige Verfahren als solches. Die Voraussetzungen einer selbständigen Anordnung ergäben sich ausschließlich aus dem sachlichen Recht (vgl. [X.], Urteil vom 31. März 1954 - 6 StR 5/54, [X.]St 6, 62, 63 f.).

cc) Diese Erwägungen haben auch in der vorliegenden Konstellation Gewicht. Es ist nicht ersichtlich, warum die Einziehung von [X.]n und deren Wert bei verjährten [X.]en nur im objektiven Verfahren möglich sein soll, wenn die bereits nach alter Rechtslage zulässige Sicherungseinziehung, die Einziehung von Schriften und deren Unbrauchbarmachung sowohl neben einem Freispruch als auch bei verjährten Taten im subjektiven Verfahren angeordnet werden konnten. Ein im hiesigen Zusammenhang beachtlicher struktureller Unterschied zwischen beiden Einziehungsformen ist nicht gegeben. Ebenso wenig ist ersichtlich, dass der Gesetzgeber die ihm bekannte bisherige Praxis ändern wollte.

b) Für die Rechtsauffassung des Senats sprechen daneben sowohl der Wortlaut der § 76a StGB und § 435 [X.] als auch die Gesetzessystematik.

Zwar sind § 76a StGB und § 435 [X.] in ihren amtlichen Überschriften als "selbständige Einziehung" bzw. "selbständiges Einziehungsverfahren" überschrieben. Auch sprechen beide Normen von der "selbständigen Einziehung". Dies hat jedoch nicht zur Folge, dass die "selbständige Einziehung" nur im "selbständigen Einziehungsverfahren" angeordnet werden kann. "Selbständig" im Sinne der materiell-rechtlichen Norm des § 76a StGB bedeutet nach dem Gesetzeszusammenhang "von der Verurteilung einer Person unabhängig" (vgl. MüKoStGB/[X.]/[X.], 4. Aufl., § 76a Rn. 1 f.). Dies schließt nicht aus, die Einziehung - ohne eine Verurteilung des Angeklagten - auch im subjektiven Verfahren anzuordnen, sofern dieses bis zur verfahrensabschließenden Entscheidung bei Gericht anhängig ist, etwa weil die Strafverfolgungsbehörde und das Gericht zunächst davon ausgegangen sind, die zugrundeliegende Tat sei nicht verjährt. Die dem Verfahrensrecht angehörende Bestimmung des § 435 Abs. 1 Satz 1 [X.] ("können") eröffnet demgegenüber der Staatsanwaltschaft (und dem Privatkläger) lediglich die Möglichkeit, die "selbständige Einziehung" im Sinne des § 76a StGB auch dann zu betreiben, wenn bereits die Strafverfolgungsbehörde davon ausgeht, die Verfolgung einer Person und damit eine Anklageerhebung im subjektiven Verfahren sei nicht möglich.

c) Ein anderes Verständnis liefe zudem dem Sinn und Zweck der Neuregelungen sowie dem Willen des [X.] zuwider.

aa) Der Gesetzgeber hat mit Schaffung des § 76a Abs. 2 Satz 1 StGB erstmals die Einziehung des Ertrages (und dessen Wertes) aus verjährten [X.]en materiell-rechtlich für zulässig erklärt, die [X.]en also ausgeweitet und den verfassungsrechtlich legitimierten Zweck der Vermögensabschöpfung gestärkt (vgl. BT-Drucks. 18/11640 [X.]). In prozessualer Hinsicht musste er dazu mit § 435 [X.] die Handlungsmöglichkeiten der Staatsanwaltschaft für die Fälle erweitern, in denen bereits vor Anklageerhebung nach den Ermittlungsergebnissen [X.] eingetreten und damit eine Strafverfolgung nicht mehr möglich ist. Um eine "übermäßige Belastung der Strafverfolgungsbehörden" durch die Weiterverfolgung der Einziehung als vorwiegend kondiktionelle Maßnahme (vgl. dazu MüKoStGB/[X.]/[X.], 4. Aufl., § 76a Rn. 3) zu vermeiden, hat der Gesetzgeber das Verfahren nach § 435 Abs. 1 [X.] dem Opportunitätsprinzip unterstellt (vgl. BT-Drucks. 18/11640 [X.]).

Außerdem hat er im Zusammenhang mit der Einführung der [X.] nach § 76a Abs. 4 StGB in der Gesetzesbegründung ausgeführt: "Das Verfahren für dieses [X.] ist in den §§ 435 ff. [X.]-E geregelt" (vgl. BT-Drucks. 18/9525 [X.]). Hinsichtlich des § 76a Abs. 2 Satz 1 StGB, der erst im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens in seiner jetzigen Form in den Reformentwurf aufgenommen wurde (vgl. BT-Drucks. 18/11640 [X.]; s. dazu auch [X.], Beschluss vom 10. Februar 2021 - 2 BvL 8/19, [X.]E 156, 354 Rn. 145), findet sich ein derartiger ausdrücklicher Hinweis nicht. Hieraus folgt im Umkehrschluss, dass das Verfahren für die Einziehung der aus verjährten [X.]en erlangten [X.] und deren Werte nicht ausschließlich in den §§ 435 ff. [X.] geregelt ist.

Vor diesem Hintergrund bezweckte der Normgeber mit der (reinen) Erweiterung der prozessualen staatsanwaltschaftlichen Handlungsmöglichkeiten insgesamt gerade nicht, deren Optionen einzuschränken und sie zu zwingen, von einem betriebenen subjektiven Verfahren in ein objektives zu wechseln.

bb) Dies gilt umso mehr, als die Verjährung von Staatsanwaltschaft und Gericht unterschiedlich beurteilt werden kann. Wäre die Einziehung allein im objektiven Verfahren möglich, wäre die Anklagebehörde, wollte sie sicherstellen, dass die Einziehung nicht schon an der fehlenden Verfahrensvoraussetzung eines Antrags nach § 435 [X.] scheitert, in den Fällen zu - vorsorglichen - Hilfsanträgen im Sinne des § 435 Abs. 1 [X.] veranlasst, in denen sie - entgegen der Wertung des Gerichts - bis zum Ende des subjektiven Verfahrens der Meinung ist, die der Einziehung zugrundeliegende Straftat sei nicht verjährt (s. dazu [X.], Urteil vom 21. Juni 1990 - 1 [X.], [X.]St 37, 55, 68 f.). Noch verschärft wird diese Problematik, wenn erst das Revisionsgericht von einer (teilweisen) Verjährung der [X.]en ausgeht, weil dann im erstinstanzlichen Verfahren in der Regel für eine entsprechende Antragstellung kein Anlass bestanden hat. All dies würde das Einziehungsverfahren erschweren, obwohl es gerade durch die Reform zu seiner wirksamen Durchsetzung gestärkt und für die Praxis erleichtert werden sollte (vgl. BT-Drucks. 18/11640 [X.]). Zudem berührt die Einziehung in diesen Fällen nach der Rechtsprechung des [X.] überragende Belange des Gemeinwohls (vgl. [X.], Beschluss vom 10. Februar 2021 - 2 BvL 8/19, [X.]E 156, 354 Rn. 144 ff.). Auch dies spricht für eine prozessökonomische, auf Effektivität bedachte und die Rechtspraxis vereinfachende Handhabung der die Einziehung betreffenden Verfahrensregelungen.

d) Alldem steht schließlich die Rechtsprechung des [X.]s nicht entgegen, nach der die selbständige Einziehung in anderen Fällen des § 76a StGB nur im objektiven Verfahren nach § 435 [X.] möglich ist. Denn eine Vergleichbarkeit mit § 76a Abs. 2 Satz 1 StGB ist jeweils nicht gegeben.

aa) Dies betrifft insbesondere die selbständige Einziehung des aus nach § 154 Abs. 2 [X.] eingestellten Taten [X.]. Hier scheidet eine Einziehung im subjektiven Verfahren deshalb aus, weil die betreffende [X.] nicht mehr Verfahrensgegenstand ist (vgl. [X.], Beschlüsse vom 16. Juni 2020 - 2 StR 79/20, juris Rn. 2 mwN; vom 5. Juni 2018 - 5 [X.], StraFo 2018, 471, 472; vom 14. Juni 2018 - 3 StR 28/18, juris Rn. 4). Gleiches gilt für die nach § 154a [X.] beschränkten Fälle (vgl. [X.], Beschluss vom 27. Januar 2021 - 6 StR 468/20, juris Rn. 2) und die erweiterte selbständige Einziehung im Sinne des § 76a Abs. 4 StGB (vgl. [X.], Beschluss vom 6. Januar 2021 - 5 [X.], juris Rn. 2).

Anders ist dies hingegen jedenfalls dann, wenn die Staatsanwaltschaft wie hier auch wegen der verjährten Tat Anklage erhoben, das Gericht das Hauptverfahren insoweit eröffnet und mit der Hauptverhandlung begonnen hat. Denn dann bleibt die nämliche Tat bis zur verfahrensabschließenden Entscheidung durch ein Urteil nach § 260 Abs. 3 [X.] Teil des Verfahrens und damit tauglicher Gegenstand eines subjektiven Verfahrens.

Weder der [X.] hinsichtlich der Ahndung der [X.] noch der betreffend die Einziehung der daraus erlangten Erträge sind dann an weitere [X.] und eine damit einhergehende Ermessensausübung der Staatsanwaltschaft gebunden. Schon die Einstellung des Verfahrens wegen Verjährung ist - anders als die Einstellung oder Beschränkung nach den §§ 154, 154a [X.] - nicht an eine (ihrem Ermessen unterliegende) Zustimmung der Staatsanwaltschaft geknüpft. Gleiches gilt für die damit im Zusammenhang stehende Einziehungsentscheidung. Insoweit ist insbesondere auch kein Raum für eine staatsanwaltschaftliche Ermessensausübung im Sinne des § 435 Abs. 1 Satz 2 [X.], weil diese Norm lediglich im objektiven, nicht aber im subjektiven Verfahren Anwendung findet. In diesem kann nach der gesetzgeberischen Konstruktion allein unter den Voraussetzungen des § 421 [X.] durch das Gericht (mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft) von der Einziehung abgesehen werden.

Vor diesem Hintergrund stehen überdies keine rechtlich geschützten Inter-essen des [X.]n entgegen, die einen förmlichen Übergang ins objektive Verfahren erforderlich machen könnten. Anders als etwa bei (teilweisen) Verfahrenseinstellungen oder -beschränkungen (§§ 154, 154a [X.]) besteht in Fällen, in denen aufgrund einer zugelassenen Anklage ein Hauptverfahren durchgeführt wird und sich erst im Nachhinein ergibt, dass hinsichtlich der [X.] [X.] eingetreten ist, kein Bedürfnis, den [X.]n vor einer überraschenden, weil eine aus dem Verfahren bereits ausgeschiedene Tat betreffenden, Entscheidung zu schützen.

bb) Die Rechtsprechung, wonach selbständige Einziehungen im Sicherungsverfahren (§§ 413 ff. [X.]) einen Antrag im objektiven Verfahren nach § 435 Abs. 1 [X.] voraussetzen, steht ebenfalls nicht entgegen. Denn diese beruht ausschließlich darauf, dass im Sicherungsverfahren nur Maßregeln der Besserung und Sicherung angeordnet werden können, die gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB von der Einziehung zu unterscheiden sind (vgl. [X.], Beschlüsse vom 2. Februar 2021 - 4 StR 471/20, juris Rn. 8; vom 3. März 2020 - 3 StR 597/19, juris Rn. 2).

3. Der Senat sieht sich durch Entscheidungen des 1., 4. und 5. Strafsenats gehindert, wie beabsichtigt zu entscheiden.

a) Der 1. Strafsenat hat mit Urteil vom 11. November 2020 die Verurteilung des Angeklagten wegen mehrerer Taten nach § 266a StGB teilweise aufgehoben und das Verfahren insoweit wegen Verjährungseintritts eingestellt. Hinsichtlich der durch das [X.] gegenüber der (nicht revidierenden) [X.]n angeordneten Einziehung hat der Senat ausgeführt, dass es nach Verjährung der Taten, an welche die Einziehungsanordnung anknüpft, zwar in einer Hauptverhandlung möglich wäre, in das objektive Verfahren überzugehen. Eine selbständige Einziehungsanordnung nach § 76a Abs. 2 Satz 1 StGB nF scheide indes jedenfalls deswegen aus, weil ein gemäß § 435 Abs. 1 Satz 1 [X.] erforderlicher Antrag der Staatsanwaltschaft nicht gestellt worden sei (vgl. [X.], Urteil vom 11. November 2020 - 1 StR 328/19, juris Rn. 22). Zur Begründung hat der 1. Strafsenat verwiesen auf die Beschlüsse des [X.]s vom 5. Juni 2018 - 5 [X.], StraFo 2018, 471, und vom 11. Dezember 2019 - 5 StR 486/19, [X.], 271 (dazu sogleich unter Ziff. 3 Buchst. c) sowie den eigenen Beschluss vom 22. Januar 2019 - 1 StR 489/18. In jenem hatte er die Verurteilung des Angeklagten wegen mehrerer Betrugstaten teilweise aufgehoben, das Verfahren wegen einzelner zwischenzeitlich verjährter Taten eingestellt und die gegenüber dem Angeklagten angeordnete Einziehung des Wertes von [X.]n auf die nicht verjährten Taten beschränkt, weil eine darüber hinausgehende Einziehungsentscheidung hinsichtlich der aus den verjährten Taten erlangten [X.] "nur" auf Grundlage des § 76a Abs. 2 Satz 1 StGB im selbständigen Einziehungsverfahren (§§ 435 ff. [X.]) ergehen könne (vgl. [X.], Beschluss vom 22. Januar 2019 - 1 StR 489/18, juris Rn. 7).

b) Der 4. Strafsenat hat mit Beschluss vom 8. September 2020 unter Hinweis auf den vorgenannten Beschluss des 1. Strafsenats vom 22. Januar 2019 - 1 StR 489/18 die Verurteilung des Angeklagten wegen mehrerer Betrugstaten teilweise aufgehoben, das Verfahren hinsichtlich vier Taten wegen Verjährung eingestellt und die gegenüber dem Angeklagten angeordnete Einziehung des Wertes von [X.]n auf die nicht verjährten Taten beschränkt (vgl. [X.], Beschluss vom 8. September 2020 - 4 StR 75/20, [X.], 222 Rn. 13).

c) Der 5. Strafsenat hat in seiner Entscheidung vom 11. Dezember 2019 beanstandet, das [X.] habe in zwei Fällen, bezüglich derer [X.] eingetreten war, das [X.] eingezogen, obwohl ein Antrag nach § 435 Abs. 1 [X.] durch die Staatsanwaltschaft nicht gestellt worden sei. Eines solchen bedürfe es auch für den Fall einer selbständigen Einziehung im subjektiven Verfahren, so dass der Einziehung das Verfahrenshindernis der fehlenden Anhängigkeit entgegenstehe (vgl. [X.], Beschluss vom 11. Dezember 2019 - 5 StR 486/19, [X.], 271 Rn. 19). Zur Begründung hat der 5. Strafsenat - neben der Kommentierung bei [X.]/[X.]/[X.], [X.], 62. Aufl., § 435 Rn. 4 - den eigenen Senatsbeschluss vom 5. Juni 2018 - 5 [X.], StraFo 2018, 471, sowie den Beschluss des 1. Strafsenats vom 18. Dezember 2018 - 1 [X.], NStZ-RR 2019, 153, 154 angeführt. Beide zitierte Entscheidungen betreffen allerdings keine Fälle, in denen hinsichtlich der [X.]en Verjährung eingetreten ist; vielmehr wurde jeweils nach § 154 Abs. 2 [X.] verfahren (vgl. [X.], Beschluss vom 5. Juni 2018 - 5 [X.], StraFo 2018, 471, 472; [X.], Beschluss vom 18. Dezember 2018 - 1 [X.], NStZ-RR 2019, 153, 154).

4. Der Senat fragt daher gemäß § 132 Abs. 3 Satz 1 und Satz 3 GVG bei dem 1., 4. und 5. Strafsenat an, ob an der genannten Rechtsauffassung festgehalten wird, sowie vorsorglich bei dem 2. und 6. Strafsenat, ob dortige Rechtsprechung der beabsichtigten Entscheidung entgegensteht und gegebenenfalls an dieser festgehalten wird.

Schäfer     

        

Wimmer     

        

Anstötz

        

Erbguth      

        

Voigt      

        

Meta

3 StR 474/19

10.08.2021

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend BGH, 30. März 2021, Az: 3 StR 474/19, Urteil

§ 132 Abs 3 GVG, § 76a StGB, § 260 Abs 3 StPO, § 413 StPO, § 435 Abs 1 S 1 StPO, § 435 Abs 1 S 2 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.08.2021, Az. 3 StR 474/19 (REWIS RS 2021, 3409)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 3409


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 2 ARs 405/21

Bundesgerichtshof, 2 ARs 405/21, 23.06.2022.


Az. 5 ARs 28/21

Bundesgerichtshof, 5 ARs 28/21, 20.01.2022.


Az. 3 StR 474/19

Bundesgerichtshof, 3 StR 474/19, 12.01.2023.

Bundesgerichtshof, 3 StR 474/19, 10.08.2021.

Bundesgerichtshof, 3 StR 474/19, 30.03.2021.


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