Bundesgerichtshof, Beschluss vom 04.11.2020, Az. XII ZB 436/19

12. Zivilsenat | REWIS RS 2020, 589

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Gegenstand

Vergütung des Berufsbetreuers: Vorliegen eines Heimaufenthalts des Betreuten


Leitsatz

Lebt der Betroffene in einer angemieteten Wohnung und bezieht er von einem gesonderten Anbieter ambulante Betreuungsleistungen, so hält er sich damit grundsätzlich noch nicht in einem Heim gemäß § 5 Abs. 3 VBVG a.F. auf (im Anschluss an Senatsbeschlüsse vom 28. November 2018 - XII ZB 517/17, FamRZ 2019, 477 und vom 20. Mai 2020 - XII ZB 226/18, FamRZ 2020, 1408).

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten zu 2 wird der Beschluss der 2. Zivilkammer des [X.] vom 19. August 2019 aufgehoben.

Auf die Beschwerde des weiteren Beteiligten zu 2 werden die Beschlüsse des [X.] vom 27. April 2016 und vom 11. April 2017 dahingehend abgeändert, dass die dem weiteren Beteiligten zu 2 aus der Staatskasse zu erstattende Betreuervergütung anstelle der jeweils festgesetzten 804 € auf jeweils 1.407 € festgesetzt wird.

Die Rechtsmittelverfahren sind gerichtskostenfrei; die außergerichtlichen Kosten der Rechtsmittelverfahren trägt der weitere Beteiligte zu 3.

Wert: 1.206 €

Gründe

I.

1

Die Beteiligten streiten um die Höhe der Vergütungsansprüche eines Betreuungsvereins.

2

Der Betroffene lebte aufgrund eines Mietvertrags in einer eigenen Wohnung und erhielt von einem im selben Haus ansässigen Anbieter Betreuungsleistungen. Die Beteiligte zu 1 ist seit dem [X.] als Mitarbeiterin des Beteiligten zu 2 (Betreuungsverein) zur Betreuerin für den Betroffenen bestellt. Der Beteiligte zu 2 hat für die [X.] vom 12. Februar 2015 bis 11. Februar 2016 und vom 12. Februar 2016 bis 11. Februar 2017 die Festsetzung seiner Vergütung in Höhe von jeweils 1.407 € beantragt. Bei der Berechnung seines [X.]aufwands ist er davon ausgegangen, dass der mittellose Betroffene nicht in einem Heim lebt (§ 5 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 [X.] in der bis zum 26. Juli 2019 geltenden Fassung - im Folgenden aF).

3

Das Amtsgericht hat die Vergütung unter Berücksichtigung des geringeren Stundenansatzes für einen Betreuten, der in einem Heim lebt, nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 [X.] aF auf jeweils 804 € festgesetzt. Nachdem eine den Vergütungszeitraum vom 12. Februar 2015 bis 11. Februar 2016 betreffende Beschwerdeentscheidung des [X.] wegen Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde durch das [X.] mit Beschluss vom 28. Mai 2019 (1 BvR 2006/16 - FamRZ 2019, 1643) unter Zurückverweisung der Sache an das [X.] aufgehoben worden war, hat das [X.] die gegen die Beschlüsse des Amtsgerichts eingelegten Beschwerden zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt der Beteiligte zu 2 die Festsetzung der Vergütung in der beantragten Höhe.

II.

4

Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Abänderung der Entscheidungen des Amtsgerichts.

5

1. Das [X.] hat zur Einstufung der Wohnung als Heim ausgeführt, der vergütungsrechtliche [X.] sei dann erfüllt, wenn Wohnraum, Verpflegung und tatsächliche Betreuung „aus einer Hand“ zur Verfügung gestellt oder bereitgestellt würden. Auch Wohnformen des betreuten [X.] könnten unter den [X.] fallen. Maßgebend sei hierfür nicht der tatsächliche Aufwand des Betreuers oder die Anzahl der abgeschlossenen Verträge, sondern wie sich die Vertragsgestaltung darstelle, wer Betreiber der Wohnanlage und [X.] sei und welche Wahlmöglichkeiten der Betroffene bezüglich des [X.] habe. Seien der Betreiber der Wohnanlage und der [X.] identisch, liege ein Heim vor. Zwar möge der Betroffene einen Mietvertrag mit einer Privatperson abgeschlossen haben, doch sei der Vermieter nicht Betreiber der Wohnanlage, sondern eine mit dem [X.] personenidentische häusliche Krankenpflege, die im Anwesen ihren Sitz habe. Die Wohnungen seien nicht auf dem freien Markt, sondern nur über die [X.]in zugänglich. Bei den Wohnungseigentümern handele es sich lediglich um Kapitalanleger. Aufgrund der Ortsansässigkeit des [X.] werde Betreuung oder Pflege tatsächlich nicht extern angeboten, und es bestehe keine Wahlmöglichkeit, da die Betreiberin der häuslichen Krankenpflege die ausschließliche Verfügungsbefugnis über wesentliche Bereiche des Anwesens innehabe. So könnten nach dem [X.] und Außenbereiche sowie Aufenthaltsräume und das Pflegebad nur genutzt werden, wenn Grundleistungen des [X.] vereinbart würden. Aufgrund der 24stündigen Präsenz des Pflegepersonals sei der Abschluss eines Betreuungsvertrags nur mit dem [X.] sinnvoll.

6

2. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

7

Die dem Beteiligten zu 2 für die [X.] nach §§ 1908 i Abs. 1 Satz 1, 1836 Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB iVm §§ 1 Abs. 2 Satz 1, 7 Abs. 1 [X.] zustehende Vergütung ist aufgrund des Stundenansatzes nach § 5 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 [X.] aF zu bemessen. Entgegen der Auffassung des [X.] hat der Betroffene seinen Aufenthalt nicht in einem Heim.

8

a) § 5 [X.] aF unterscheidet für den pauschal zu vergütenden [X.]aufwand eines Betreuers danach, ob der Betreute seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Heim hat oder nicht.

9

aa) Der danach maßgebende Begriff „Heim“ wird - in Anlehnung an § 1 Abs. 2 [X.] - in § 5 Abs. 3 [X.] aF definiert. Heime im Sinne des Vergütungsrechts sind danach Einrichtungen, die dem Zweck dienen, Volljährige aufzunehmen, ihnen Wohnraum zu überlassen sowie tatsächliche Betreuung und Verpflegung zur Verfügung zu stellen oder vorzuhalten, und die in ihrem Bestand von Wechsel und Zahl der Bewohner unabhängig sind. Die Regelung beruht auf dem [X.] zur Änderung des Betreuungsrechts vom 21. April 2005 (2. [X.] BGBl. I 1073). Ziel dieses Gesetzes, das auf Vorschläge einer [X.] „Betreuungsrecht“ zurückgeht, ist es unter anderem, mit der Einführung von pauschalierenden [X.] die Abrechnung der Betreuervergütung zu vereinfachen. Praktisch sinnvoll ist danach ein striktes, an griffige und leicht feststellbare Kriterien gebundenes Verständnis des vergütungsrechtlichen [X.]s. Im Einzelfall dennoch bestehenden Schwierigkeiten ist durch eine teleologische Auslegung zu begegnen. Denn dem Gesetz liegt die Vorstellung zugrunde, dass sich der Aufwand der rechtlichen Betreuung erheblich danach unterscheidet, ob der Betreute zuhause oder in einem Heim lebt ([X.]sbeschlüsse vom 28. November 2018 - [X.] 517/17 - FamRZ 2019, 477 Rn. 9 und vom 20. Mai 2020 - [X.] 226/18 - FamRZ 2020, 1408 Rn. 8).

Die Voraussetzungen des vergütungsrechtlichen [X.]s sind daher nur dann erfüllt, wenn Wohnraum, Verpflegung und tatsächliche Betreuung sozusagen „aus einer Hand“ zur Verfügung gestellt oder bereitgestellt werden. Eine Wohnung wird nicht schon dadurch zum Heim, dass der Vermieter dem Mieter anbietet, ihm bei Erforderlichkeit Verpflegung und tatsächliche Betreuung durch einen Drittanbieter zu vermitteln, solange der Mieter nicht vertraglich gebunden ist, dieses Angebot im Bedarfsfall anzunehmen, § 5 Abs. 3 Satz 2 [X.] aF iVm § 1 Abs. 2 Satz 1 und 3 [X.] ([X.]sbeschlüsse vom 28. November 2018 - [X.] 517/17 - FamRZ 2019, 477 Rn. 11 und vom 20. Mai 2020 - [X.] 226/18 - FamRZ 2020, 1408 Rn. 9).

bb) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der [X.] die Heimeigenschaft trotz einer personellen Verbindung von Vermieter und Pflegedienst verneint, wenn der Mietvertrag es zuließ, dass die Bewohner einen anderen Pflegedienstanbieter auswählen. Auch durch eine organisatorische Verbindung würden dem Betreuer die diesbezügliche [X.] nicht abgenommen ([X.]sbeschluss vom 28. November 2018 - [X.] 517/17 - FamRZ 2019, 477 Rn. 13 f.). Der [X.] hat zudem nach Erlass der angefochtenen Entscheidung die Heimeigenschaft in einem Fall verneint, in dem Wohnraum durch eine von den Bewohnern gebildete Gesellschaft bürgerlichen Rechts angemietet wird und die Bewohner mit einem Pflegedienst individuelle Verträge über Verpflegung und Betreuungsleistungen schließen. Aufgrund der rechtlichen Selbständigkeit der Verträge fehle es an der für den vergütungsrechtlichen [X.] erforderlichen Bereitstellung von Wohnraum, Verpflegung und tatsächlicher Betreuung „aus einer Hand“ ([X.]sbeschluss vom 20. Mai 2020 - [X.] 226/18 - FamRZ 2020, 1408 Rn. 10 ff.).

b) Nach diesen Maßstäben ist das [X.] rechtsfehlerhaft zu der Einschätzung gelangt, dass der Betroffene in einem Heim im Sinne von § 5 Abs. 3 [X.] aF lebt.

aa) Wohnraum, Verpflegung und tatsächliche Betreuung werden vorliegend nicht „aus einer Hand“ erbracht. Der Betroffene lebt in einer von einem Kapitalanleger, der keine Verbindungen zu einem Heim aufweist, angemieteten und voll ausgestatteten Wohnung. Damit hat er einen von dem [X.] zu unterscheidenden Vertrag geschlossen und erhält keine „aus einer Hand angebotenen“ Leistungen. Hieran ändert auch der vom [X.] hervorgehobene Umstand nichts, dass die Wohnungen faktisch nicht auf dem freien Markt, sondern nur über den [X.] verfügbar seien, weil keine rechtliche Verpflichtung zur Abnahme von dessen Betreuungsleistungen besteht. Der vom [X.] herangezogene Vergleich mit einem Hotel überzeugt ebenfalls nicht, da der Betreuungsdienst vorliegend gerade keine Wohnungsüberlassung schuldet. Schließlich kommt es nicht auf die vom [X.] hervorgehobene Frage an, ob die Wahl eines anderen Pflegedienstanbieters sinnvoll ist. Unabhängig davon, dass über nur geringfügige „Grundleistungen“ hinausgehende vom Betroffenen entgegengenommene Pflegeleistungen nicht festgestellt sind, steht die hier gegebene rechtliche Möglichkeit, einen anderen Dienst zu wählen, der Einordnung als Heim entgegen.

bb) Auch der Zweck der Vorschrift, einer Entlastung des Betreuers durch den geringeren Stundenansatz Rechnung zu tragen, führt zu keiner anderen Bewertung. Die Wohnungsgewährung und die geringen Betreuungsleistungen werden durch rechtlich verschiedene Anbieter erbracht. Dadurch werden dem Betreuer die ihm diesbezüglich obliegenden Aufgaben der [X.] nicht abgenommen. Auch die Auswahl des jeweiligen Dienstleisters bleibt Aufgabe des Betreuers.

cc) Der Betreuer wird danach durch die vorliegend gewählte Wohn- und Betreuungsform nicht in einer mit einer stationären Heimunterbringung vergleichbaren Weise entlastet. Die Frage, ob mit der gewählten Form der Unterbringung gleichwohl einzelne Entlastungen verbunden sein mögen, stellt sich wegen der hier gebotenen typisierenden Betrachtungsweise nicht.

3. Die angefochtene Entscheidung kann danach keinen Bestand haben. Der [X.] kann in der Sache selbst entscheiden, weil diese zur Endentscheidung reif ist (§ 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG).

Dose     

        

Klinkhammer     

        

Günter

        

Botur      

        

Krüger      

        

Meta

XII ZB 436/19

04.11.2020

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Leipzig, 19. August 2019, Az: 2 T 602/16

§ 5 Abs 2 S 2 Nr 4 VBVG vom 21.04.2005, § 5 Abs 3 VBVG vom 21.04.2005

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 04.11.2020, Az. XII ZB 436/19 (REWIS RS 2020, 589)

Papier­fundstellen: MDR 2021, 326 REWIS RS 2020, 589

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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