Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.05.2013, Az. VI ZB 7/13

6. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 5901

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Gegenstand

EGVP-Verfahren: Anforderungen an die qualifizierte elektronische Signatur


Leitsatz

Die im EGVP-Verfahren eingesetzte qualifizierte Container-Signatur genügt den Anforderungen des § 130a ZPO.

Tenor

Der Beklagten wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Rechtsbeschwerde- und der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist gewährt.

Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss der 2. Zivilkammer des [X.] vom 28. August 2012 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

[X.]: 5.000 €

Gründe

I.

1

Der Kläger nimmt die [X.]eklagte auf Unterlassung einer ehrenrührigen [X.]ehauptung sowie auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch. Mit Urteil vom 2. Mai 2012 hat das Amtsgericht die [X.]eklagte zur Unterlassung der beanstandeten Äußerung sowie zur Zahlung von 1.489,45 € verurteilt. Gegen das ihr am 3. Mai 2012 zugestellte Urteil hat die [X.]eklagte form- und fristgerecht [X.]erufung eingelegt. Die Frist zur [X.]egründung der [X.]erufung ist am 3. August 2012 abgelaufen. An diesem Tag ist die [X.]erufungsbegründung nebst Anlagen in elektronischer Form in dem dafür vorgesehenen elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) des [X.]erufungsgerichts eingegangen. Dabei war die gesamte elektronische Nachricht, mit der die genannten Dateien an das [X.]erufungsgericht übermittelt worden waren, mit einer qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz versehen. Die in der Nachricht enthaltenen einzelnen Dateien waren dagegen nicht gesondert signiert. Auf Hinweis des Gerichts vom 6. August 2012, wonach die [X.]erufungsbegründung den Anforderungen des § 130a ZPO nicht genüge, da sie in unsignierter Form eingereicht worden sei, hat die [X.]eklagte mit Schriftsatz vom 8. August 2012 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.

2

Das [X.] hat mit [X.]eschluss vom 28. August 2012 den Wiedereinsetzungsantrag der [X.]eklagten zurückgewiesen und die [X.]erufung als unzulässig verworfen. Zur [X.]egründung hat es ausgeführt, dass zur Wahrung der Formerfordernisse des § 130a Abs. 1 Satz 2 ZPO jede einzelne übersandte Datei gesondert mit einer qualifizierten elektronischen Signatur zu versehen sei. Das Anbringen einer bloßen Umschlagsignatur genüge nicht. Ein Rechtsirrtum über die erforderlichen Formerfordernisse vermöge eine Wiedereinsetzung nicht zu rechtfertigen.

II.

3

Der [X.]eklagten ist auf ihren Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Fristen zur Einlegung und [X.]egründung der Rechtsbeschwerde zu bewilligen. Die [X.]eklagte war aufgrund ihrer zur [X.]ewilligung von Prozesskostenhilfe führenden Mittellosigkeit ohne Verschulden daran gehindert, die Rechtsbeschwerde innerhalb der Notfrist des § 575 Abs. 1 ZPO einzulegen und innerhalb der Frist des § 575 Abs. 2 ZPO zu begründen; sie hat die Wiedereinsetzung auch fristgerecht nach [X.]ehebung des Hindernisses beantragt und die versäumten Prozesshandlungen nachgeholt (§ 234 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO).

III.

4

Die Rechtsbeschwerde der [X.]eklagten hat Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen [X.]eschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.]erufungsgericht.

5

1. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil eine Entscheidung des [X.] zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Die angefochtene Entscheidung verletzt das Verfahrensgrundrecht der Klägerin auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip). Dieses verbietet es den Gerichten, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus [X.] nicht mehr zu rechtfertigenden Weise zu erschweren (vgl. Senatsbeschluss vom 5. Juni 2012 - [X.], NJW 2012, 2522 Rn. 6; [X.], [X.]eschluss vom 25. September 2012 - [X.], [X.], 237 Rn. 7; [X.], NJW-RR 2002, 1004). Das [X.]erufungsgericht hat die Anforderungen an die nach § 520 Abs. 5, § 130a Abs. 1 Satz 2 ZPO erforderliche qualifizierte elektronische Signatur in einer mit den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen nicht mehr zu vereinbarenden Weise überspannt und dadurch der [X.]eklagten den Zugang zur Rechtsmittelinstanz unzulässig verwehrt.

6

2. Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Das [X.]erufungs-gericht durfte die [X.]erufung der [X.]eklagten nicht mit der [X.]egründung als unzulässig verwerfen, die [X.]erufungsbegründung genüge nicht den Anforderungen des § 130a Abs. 1 Satz 2 ZPO.

7

a) Das [X.]erufungsgericht ist allerdings zu Recht davon ausgegangen, dass es sich bei der qualifizierten elektronischen Signatur im Sinne des § 130a Abs. 1 Satz 2 ZPO um eine zwingende Wirksamkeitsvoraussetzung bei bestimmenden Schriftsätzen handelt (vgl. Senatsbeschluss vom 21. Dezember 2010 - [X.], [X.]Z 188, 38 Rn. 6; [X.], [X.]eschluss vom 14. Januar 2010 - [X.], [X.]Z 184, 75 Rn. 15).

8

b) Das [X.]erufungsgericht hat aber rechtfehlerhaft die qualifizierte Signatur der gesamten elektronischen Nachricht, mit der die [X.]erufungsbegründung an das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach des [X.]erufungsgerichts übermittelt worden ist ([X.]), als unzureichend angesehen und eine Signatur jeder einzelnen Datei verlangt.

9

aa) § 130a ZPO wurde durch das Gesetz zur Anpassung der [X.] an den modernen Rechtsgeschäftsverkehr vom 13. Juli 2001 ([X.] I S. 1542) eingeführt. Er ermöglicht es, die in Abs. 1 Satz 1 der Vorschrift genannten Dokumente als elektronisches Dokument einzureichen. Nach Abs. 1 Satz 2 der Norm soll die verantwortende Person das Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz versehen. Die qualifizierte elektronische Signatur tritt an die Stelle der eigenhändigen Unterschrift im Sinne des § 130 Nr. 6 ZPO. Neben den sonstigen Funktionen der Unterschrift (vgl. [X.], [X.]eschluss vom 2. April 2008 - [X.], NJW-RR 2008, 1020 Rn. 7) soll sie auch gewährleisten, dass das elektronische Dokument nicht spurenlos manipuliert werden kann (Perpetuierungs- oder Integritätsfunktion, vgl. [X.]T-Drucks. 14/4987 S. 24; [X.], [X.]eschlüsse vom 4. Dezember 2008 - [X.], NJW-RR 2009, 357 Rn. 9; vom 14. Januar 2010 - [X.], [X.]Z 184, 75 Rn. 12, 21).

bb) Die im [X.] - wie auch im Streitfall - eingesetzte qualifizierte [X.] genügt den Anforderungen des § 130a ZPO (vgl. [X.], Urteil vom 18. Oktober 2006 - [X.], [X.]E 215, 47, 52 f. zu dem § 130a ZPO entsprechenden § 77a Abs. 1 Satz 2 FGO a.F.; [X.]VerwGE 138, 102 Rn. 15 zu § 55a VwGO; [X.] in [X.], 3. Aufl. 2011, Kapitel 6 Rn. 81 f.; [X.] in [X.], Handbuch des [X.], 4. Aufl., [X.] Rn. 859; [X.]/[X.], NJW 2010, 2097, 2098 f.; [X.], [X.] 5/2006 [X.]. 2; [X.], NJW 2005, 1009, 1010; derselbe, [X.] 2/2007 [X.]. 5; Musielak/[X.], ZPO, 9. Aufl. § 130a Rn. 3; [X.]/[X.], NJW 2007, 2897, 2899; [X.]/[X.], ZPO, 29. Aufl., § 130a Rn. 4; [X.], ZPO, § 130a Rn. 5; Gennen, [X.], 661, 664; kritisch: [X.], [X.], 1548, 1549; verneinend: von [X.] in [X.]eckOK ZPO (Stand 30. Oktober 2012) § 130a Rn. 8). Denn mit ihr werden Sinn und Zweck der qualifizierten Signatur - die Sicherstellung von Authentizität und Integrität des Dokuments - erreicht. Die qualifizierte [X.] ist dadurch gekennzeichnet, dass sie nicht nur die jeweils übersandte Einzeldatei, sondern die gesamte elektronische Nachricht umfasst, mit der die Datei an das Gericht übermittelt wird (vgl. [X.], [X.], 1548; [X.]/[X.], NJW 2010, 2097, 2098 f.; [X.], [X.] 2/2007 [X.]. 5; Gennen, [X.], 661, 664). Ebenso wie die Einzelsignatur stellt sie sicher, dass die Nachricht auf dem Weg vom Sender zum Empfänger nicht manipuliert worden ist. Sie ermöglicht die Feststellung, ob der Inhalt der übersandten Dateien verändert wurde. Darüber hinaus bietet die qualifizierte [X.] eine der Einzelsignatur vergleichbare Gewähr für die Urheberschaft und den Willen des Verfassers, die übersandten Dokumente in den Rechtsverkehr zu bringen (vgl. [X.], aaO; [X.]/[X.], aaO S. 2099; [X.], [X.] 5/2006 [X.]. 2; Musielak/[X.], ZPO, 9. Aufl. § 130a Rn. 3; [X.]/[X.], NJW 2007, 2897, 2899; [X.], aaO).

Nur ein solches Verständnis des [X.]egriffs der qualifiziert elektronischen Signatur trägt dem Anspruch der Prozessbeteiligten auf Gewährung wirkungs-vollen Rechtsschutzes, der es u.a. verbietet, an die [X.]eachtung formeller Voraussetzungen für die Geltendmachung eines Rechtsschutzbegehrens über-spannte Anforderungen zu stellen, ausreichend Rechnung (vgl. [X.], [X.]e-schlüsse vom 7. Mai 2009 - VII Z[X.] 85/08, [X.], 2311 Rn. 12; vom 10. Mai 2005 - [X.], NJW 2005, 2086, 2088 mwN; [X.] NJW 2002, 3534).

Galke                           Zoll                           Wellner

           [X.]                  von [X.]

Meta

VI ZB 7/13

14.05.2013

Bundesgerichtshof 6. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Potsdam, 28. August 2012, Az: 2 S 11/12

§ 130a Abs 1 S 2 ZPO, § 520 Abs 5 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.05.2013, Az. VI ZB 7/13 (REWIS RS 2013, 5901)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 5901

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