Bundesfinanzhof, Beschluss vom 29.12.2010, Az. IV B 50/10

4. Senat | REWIS RS 2010, 11

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Gegenstand

Keine Wiedereinsetzung bei unzureichender Nachprüfung des Ablaufs der Beschwerdefrist durch den Prozessbevollmächtigten - Keine Wiedereinsetzung bei verspätetem Antrag auf Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist


Leitsatz

1. NV: Der Prozessbevollmächtigte ist zur eigenverantwortlichen Nachprüfung des Ablaufs der Beschwerdefrist verpflichtet .

2. NV: Der Prozessbevollmächtigte muss sich bei erfolgter Zustellung gegen Postzustellungsurkunde für die Berechnung der Beschwerdefrist an dem auf dem Umschlag vermerkten Tag der Zustellung orientieren. Zu diesem Zweck ist der Umschlag mit dem Zustellungsvermerk zwingend aufzubewahren .

Tatbestand

1

I. Mit Urteil vom 13. April 2010 hat das Finanzgericht ([X.]) die Klage der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) wegen gesonderter und einheitlicher Feststellung von Grundlagen für die Einkommensbesteuerung 2004 und 2005 und wegen gesonderter Feststellung des vortragsfähigen [X.] auf den 31. Dezember 2004 und auf den 31. Dezember 2005 abgewiesen. Das Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 17. April 2010 zugestellt worden.

2

Am 19. Mai 2010 hat der Prozessbevollmächtigte per Fax Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Der Senatsvorsitzende informierte die Klägerin mit Verfügung vom 26. Mai 2010, welche dem Prozessbevollmächtigten am 27. Mai 2010 zugestellt worden ist, über die Fristversäumung und erteilte einen Hinweis auf § 56 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O).

3

Mit Fax vom 10. Juni 2010 beantragte der Prozessbevollmächtigte für den Fall der Fristversäumung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Es möge sein, dass das Urteil am 17. April 2010, einem Samstag, in den Kanzleibriefkasten eingeworfen worden sei. Samstags sei die Kanzlei jedoch geschlossen. Die Mitarbeiterin habe den Posteingang am Montag, den 19. April 2010, aus dem Briefkasten entnommen und mit dem Eingangsstempel von diesem Tag versehen. Als Fristablauf für die Beschwerde habe sie den 19. Mai 2010 und für die Beschwerdebegründung den 18. Juni 2010 notiert. Die Mitarbeiterin sei ordnungsgemäß ausgewählt und in der Fristberechnung und Fristeintragung geschult. Ein etwaiges Verschulden der Mitarbeiterin sei der Klägerin nicht zuzurechnen.

4

Unter dem 18. Juni 2010 beantragte der Prozessbevollmächtigte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde. Gleichzeitig beantrage er, die Frist zur Begründung bis zum 17. Juli 2010 zu verlängern. Zur Begründung verwies der Prozessbevollmächtigte auf das Schreiben vom 10. Juni 2010 und führte ergänzend aus, dass die fehlerhaft notierte Frist zur Beschwerdebegründung leider nicht korrigiert worden sei und deshalb erst heute die Fristverlängerung beantragt werde.

5

Der Senatsvorsitzende teilte der Klägerin mit Verfügung vom 25. Juni 2010, dem Prozessbevollmächtigten zugestellt am 29. Juni 2010 mit, dass eine Verlängerung der [X.] auf Grund des verspäteten Antrags nicht gewährt werden könne. Eine gesonderte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich des verspäteten Antrags sehe das Gesetz nicht vor. In Betracht käme lediglich ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der [X.].

6

Mit per Fax übermitteltem Schriftsatz vom 29. Juli 2010 beantragte die Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der [X.] und machte Ausführungen zu der Begründetheit der Nichtzulassungsbeschwerde.

Entscheidungsgründe

7

II. [X.] ist unzulässig.

8

1. [X.] ist nicht innerhalb der Frist des § 116 Abs. 2 Satz 1 FGO eingelegt worden. Nach dieser Regelung ist die Beschwerde innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem [X.] ([X.]) einzulegen. Das Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 17. April 2010 zugestellt worden. Die am 19. Mai 2010 beim [X.] eingegangene Beschwerde ist mithin verfristet eingelegt worden.

9

2. Der Klägerin kann auch für die Fristversäumnis keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) gewährt werden.

a) Nach § 56 Abs. 1 FGO ist jemandem, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. [X.] ist eine Fristversäumnis, wenn die gebotene und nach den Umständen zumutbare Sorgfalt außer [X.] gelassen wird, wobei bereits einfache Fahrlässigkeit die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausschließt (ständige Rechtsprechung, z.B. [X.]-Beschluss vom 25. April 2005 [X.], [X.]/NV 2005, 1821). Das Verschulden ihres Bevollmächtigten muss sich die Klägerin zurechnen lassen (§ 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozessordnung --ZPO--).

Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist binnen Monatsfrist (§ 56 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 FGO) nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen (§ 56 Abs. 2 Satz 2 FGO). Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen (§ 56 Abs. 2 Satz 3 FGO). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt.

b) Im Streitfall beruhte die Versäumung der Beschwerdefrist auf einem der Klägerin gemäß § 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten. Denn es kann bereits nach dessen Vortrag nicht von einer ordnungsgemäßen Fristenkontrolle ausgegangen werden.

Zwar darf nach ständiger Rechtsprechung die routinemäßige Berechnung und Kontrolle gängiger Fristen zuverlässigen Bürokräften überlassen werden. Der Prozessbevollmächtigte ist aber zu einer eigenverantwortlichen Nachprüfung des Fristablaufs verpflichtet, wenn es um die Vorbereitung der fristgebundenen Prozesshandlung geht ([X.]-Urteil vom 17. Oktober 2007 [X.], [X.]/NV 2008, 796). Denn dann ist die Nachprüfung der Frist keine routinemäßige Büroarbeit mehr, von der er sich im Interesse seiner eigentlichen Aufgaben freimachen darf. Vielmehr handelt es sich nunmehr um die gebotene Prüfung einer Zulässigkeitsvoraussetzung der beabsichtigten Prozesshandlung, die in den eigenen Verantwortungsbereich des Prozessbevollmächtigten fällt ([X.]-Beschluss vom 4. Juli 2008 IV R 78/05, [X.]/NV 2008, 1860). Erfolgt die Zustellung gegen Postzustellungsurkunde, ist der Umschlag mit dem Zustellungsvermerk aufzubewahren und dem Prozessbevollmächtigten zur Prüfung der Frist mit vorzulegen ([X.]-Beschluss vom 23. September 1987 [X.], [X.]/NV 1988, 250). Nicht ausreichend ist die Berechnung der Frist anhand des Eingangsstempels der Kanzlei. Der Prozessbevollmächtigte muss sich für seine Fristberechnung vielmehr an dem vom Postbediensteten auf der Sendung vermerkten Tag der Zustellung orientieren ([X.]-Beschluss in [X.]/NV 2008, 1860).

Der Prozessbevollmächtigte durfte sich daher nicht auf den von seiner Kanzleimitarbeiterin auf der Vorentscheidung angebrachten Eingangsstempel verlassen, sondern musste, was ohne Weiteres und ohne besonderen Zeitaufwand möglich gewesen wäre, prüfen, ob das dort angegebene Datum mit dem von dem Postbediensteten auf dem Zustellungsumschlag eingetragenen Zustellungsdatum übereinstimmt. Dieser Umschlag dürfte sich in der ihm vorgelegten Handakte befunden haben oder hätte sich, wie dargelegt, zumindest bei ordnungsgemäßer Büroorganisation dort befinden müssen.

3. [X.] ist des Weiteren auch deshalb unzulässig, weil die Beschwerdebegründung nicht innerhalb der Frist von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils eingegangen ist (vgl. § 116 Abs. 3 Satz 1 FGO).

a) Das [X.] ist, wie bereits ausgeführt, dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 17. April 2010 zugestellt worden. [X.]begründung hätte somit bis zum Ablauf des 17. Juni 2010 beim [X.] eingehen müssen, soweit nicht zuvor ein wirksamer Antrag auf Verlängerung der Begründungsfrist gestellt worden ist. Letzteres war nicht der Fall, da der Antrag auf Verlängerung der Begründungsfrist erst am 18. Juni 2010 und mithin verspätet beim [X.] eingegangen ist. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt nicht in Betracht, denn die Frist zur Stellung des Antrags auf Verlängerung der [X.] ist keine gesetzliche Frist i.S. des § 56 Abs. 1 FGO ([X.]-Beschluss vom 5. Juli 2002 XI B 165/01, [X.]/NV 2002, 1480, m.w.N.). Die erst am 29. Juli 2010 beim [X.] eingegangene Beschwerdebegründung ist mithin nicht fristgerecht eingegangen.

b) Der Klägerin kann für die Versäumnis der Begründungsfrist keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) gewährt werden, da die Fristversäumung auf einem der Klägerin gemäß § 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten beruht.

Der Prozessbevollmächtigte hat sich dahin eingelassen, dass die fehlerhaft notierte Frist zur Beschwerdebegründung leider nicht korrigiert worden sei. Da der Prozessbevollmächtigte, wie oben unter 2.b dargelegt, die Zulässigkeitsvoraussetzungen des Rechtsmittels, hier die Einhaltung der Begründungsfrist, in eigener Verantwortung überprüfen muss, beruht die unterlassene Korrektur dieser fehlerhaft notierten Frist auf seinem Verschulden. Dieses wiegt umso schwerer, als eine Änderung unterblieb, obwohl dem Prozessbevollmächtigten die Fehlerhaftigkeit der Fristberechnung vor Ablauf der Begründungsfrist bekannt geworden ist.

Meta

IV B 50/10

29.12.2010

Bundesfinanzhof 4. Senat

Beschluss

vorgehend FG München, 13. April 2010, Az: 6 K 1403/09, Urteil

§ 56 Abs 1 FGO, § 155 FGO, § 85 Abs 2 ZPO, § 116 Abs 2 S 1 FGO, § 116 Abs 3 S 1 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 29.12.2010, Az. IV B 50/10 (REWIS RS 2010, 11)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 11

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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