Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.10.2014, Az. 1 StR 364/14

1. Strafsenat | REWIS RS 2014, 1994

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1
StR 364/14

vom
22. Oktober
2014
in der Strafsache
gegen

1.
2.

wegen versuchten Mordes u.a.

-
2
-
Der 1.
Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22.
Oktober 2014 gemäß §
349 Abs.
2 und 4 StPO beschlossen:

1.
a)
Auf die Revision des Angeklagten E.

wird das Urteil des [X.] vom 11.
März 2014, soweit es ihn betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.
b)
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer [X.] und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer als Schwur-gericht des [X.]s zurückverwiesen.
2.
a)
Die Revision des Angeklagten T.

gegen das Urteil des [X.] vom 11.
März 2014 wird als unbe-gründet verworfen.
b)
Der Angeklagte T.

hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstan-denen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:
Das [X.] hat die Angeklagten jeweils wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit versuchtem besonders schweren Raub und gefährlicher Kör-perverletzung zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt. Dagegen [X.] sich die Revisionen der beiden Angeklagten. Während der Angeklagte E.

1
-
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nur die Sachrüge erhebt, greift der Angeklagte T.

das Urteil mit der Sach-
und mit Verfahrensrügen an.
Nur das Rechtsmittel des Angeklagten E.

hat Erfolg.
I.
Nach den Feststellungen des [X.]s drangen die beiden Ange-klagten am 20.
August 2013 gegen 2.30
Uhr in die Wohnung des [X.] ein, indem sie ein auf 2,77
Meter Höhe gelegenes gekipptes Küchenfenster mit einem Schraubendreher aufhebelten und mithilfe eines unbekannten Dritten in die Wohnung einstiegen. Im Flur der Wohnung stellten die Angeklagten fest, dass der Nebenkläger entgegen ihrer ursprünglichen Erwartung in der [X.] anwesend war. Die Angeklagten beschlossen einvernehmlich, ihren
ursprünglichen Tatplan, Wertgegenstände aus der Wohnung zu entwenden, weiterzuverfolgen und zu diesem Zwecke zunächst den Nebenkläger unschäd-lich zu machen. Einer der Angeklagten führte ein Messer mit 12
cm Klingenlän-ge mit sich. Der andere Angeklagte nahm den beim Einstieg umgefallenen Wasserkocher aus der Küche an sich. [X.] bewaffnet begaben sich die [X.] in das Wohnzimmer. Der eine Angeklagte stach dem schlafenden Nebenkläger unter bewusster Ausnutzung von dessen Arg-
und Wehrlosigkeit das Messer mit voller Wucht in den Unterbauch, wobei die Klinge am rechten Beckenkamm abbrach und im Körper des [X.] stecken
blieb. [X.] schlugen die Angeklagten
mit dem Wasserkocher bzw. mit Fäusten auf den Nebenkläger ein. Die Angeklagten handelten bei dem Stich und den Schlägen mit bedingtem Tötungsvorsatz. Der durch den Stich und die Schläge erwachte Nebenkläger versuchte vergeblich, sich zu wehren, und rief um Hilfe. Aufgrund dessen war den Angeklagten das Risiko, entdeckt zu werden, zu 2
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groß, und sie ergriffen die Flucht. Damit der Nebenkläger ihnen nicht folgte, schlug einer der Angeklagten noch mit einem Küchenstuhl auf den Nebenkläger ein, der hierdurch umknickte und sich das rechte Sprunggelenk brach. Die [X.] flohen durch die unverschlossene Wohnungstür, das Treppenhaus und die ebenfalls unverschlossene Haustür. Der Nebenkläger rief über
sein Handy die Zeugen K.

und To.

an und schilderte diesen das [X.]. Diese informierten sodann die Polizei. Der Nebenkläger erlitt durch die Tat neben dem Bruch des Sprunggelenks eine 11
mm lange und bis zu 12
cm tiefe Stichverletzung im rechten Unterbauch sowie eine Nasenbeinfraktur und diverse Hautdefekte und Schürfmarken.
[X.]
1.
Das [X.] stützte seine Verurteilung bzgl. des Angeklagten E.

unter anderem auf zwei DNA-Spuren am Einstiegsfenster. Bei einem ersten Datenbankabgleich im August 2013 mit einer Datenbank, in der Personen mit elf Merkmalssystemen einlagen, wurde der Angeklagte E.

als einziger Treffer mit neun Übereinstimmungen festgestellt. Aufgrund dieser Tatsache äußerte der Sachverständige

P.

die Schätzung, dass die Wahrscheinlichkeit für eine Übereinstimmung im
oberen Millionen-
oder unteren Milliardenbereich lie-ge. Anschließend erfolgte eine Auftypisierung auf 16
Merkmalssysteme. Auf dieser Grundlage war eine Berechnung der Häufigkeit laut Sachverständigem e sich eine noch wei-tergehende Übereinstimmung und damit eine Erhöhung der Häufigkeit. In der Spur 008001 seien von 16
Merkmalssystemen 14 mit beiden Werten des Ange-klagten festgestellt worden und in dem Merkmalssystem [X.] ein Wert der DNA des Angeklagten
feststellbar. Die Tatsache, dass hier nur ein Wert der DNA des Angeklagten feststellbar sei, sei der Grund dafür, dass keine [X.]
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-
keitsberechnung stattfinden konnte. Dass in dem Merkmalssystem [X.] kein Wert festgestellt werden konnte, liege im Erwartungsbereich, da hier die Nach-weisempfindlichkeit sehr hoch sei.
In der Spur 009001 seien in 13
Merkmals-systemen beide Werte der DNA des Angeklagten feststellbar gewesen, in den übrigen Merkmalssystemen ([X.], [X.], [X.]) jeweils ein Wert der DNA des Angeklagten. Ferner habe der Sachverständige für beide Spuren ausge-führt, dass es sich bei den hier festgestellten Werten der [X.], [X.] und [X.] um relativ seltene Merkmalskombinationen handele, die in der (mitteleuropäischen) Gesamtbevölkerung nur mit 0,47
%, 1,44
% bzw.
3,4
% vertreten seien.
2.
Die Beweiswürdigung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
Das Urteil des [X.]s leidet in der Beweiswürdigung an durchgrei-fenden [X.].
Wenn das Tatgericht dem Gutachten eines Sachverständigen folgt, hat es die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Ausführungen des Gutachters so darzulegen, dass das Rechtsmittelgericht überprüfen kann, ob die Beweis-würdigung auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht, und ob die Schlussfolgerungen nach den Gesetzen, den Erkenntnissen der Wissenschaft und den [X.] des täglichen Lebens möglich sind (vgl. u.a. [X.],
Beschluss vom 16.
April 2013 -
3
StR
67/13, [X.], 587
f.; [X.], Urteil vom 21.
März 2013 -
3
StR
247/12, [X.], 420, 422). Für die Überprüfung durch das Revisionsgericht, ob das Ergebnis einer auf einer [X.] beruhenden Wahrscheinlichkeitsberechnung plausibel ist, bedeutet dies, dass das Tatgericht jedenfalls mitteilen muss, wie viele Systeme untersucht wurden, ob diese unabhängig voneinander vererbbar sind (und mithin die [X.] 5
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-
6
-
anwendbar ist), ob und inwieweit sich Übereinstimmungen in den untersuchten Systemen ergeben haben und mit welcher Wahrscheinlichkeit die festgestellte Merkmalskombination bei einer weiteren Person zu erwarten ist ([X.] aaO, [X.], 587
f.).
Diesen Anforderungen an die Darstellung des der Überzeugungsbildung zugrunde gelegten Sachverständigengutachtens wird das angefochtene Urteil nicht in ausreichendem Maße gerecht. Vorliegend hätte das Tatgericht daher darlegen müssen, aus welchen Gründen genau eine Häufigkeitsberechnung [X.] erfüllt sein müssen, damit eine solche Berechnung durchgeführt wer-den kann. Insbesondere lässt sich dem Urteil in Bezug auf die Wahrscheinlich-keitsberechnung nicht entnehmen, ob es sich bei den formalen Gründen, die nach Auskunft des Sachverständigen diese nicht zulassen, um solche handelt, die sich auf die Zuverlässigkeit einer Wahrscheinlichkeitsberechnung auf der Grundlage der untersuchten Merkmalssysteme auswirken. Aufgrund der Fest-stellungen des Tatgerichts ist es dem Revisionsgericht hier nicht möglich zu überprüfen, ob die Beweiswürdigung des Tatgerichts auf einer tragfähigen [X.] beruht, mithin die Ausführungen zur Wahrscheinlichkeit plau-sibel sind.
Der [X.] übersieht dabei nicht, dass es letztlich Aufgabe des Gerichts ist, sich eine eigene Überzeugung zu bilden. Die Ausführungen des Sachver-ständigen stellen hier jedoch die entscheidende Bewertungsgrundlage für die Überzeugungsbildung des Gerichts dar, so dass diese für das Revisionsgericht derart dargelegt werden müssen, dass dem Revisionsgericht eine Überprüfung der tatrichterlichen Beweiswürdigung ermöglicht wird.
8
9
-
7
-
I[X.]
Die Revision des Angeklagten T.

wird aus den zutreffend von der [X.] dargestellten Gründen verworfen. Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der [X.] ergab keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten (§
349 Abs.
2 StPO).
Eine Erstreckung der Entscheidung auf den Angeklagten T.

gemäß §
357 StPO kam nicht in Betracht, da der unter [X.] beschriebene Mangel einer unzureichenden Darstellung ausschließlich den Angeklagten E.

betraf. Bei der DNA-Spur des Angeklagten T.

konnte von dem Sachverständigen eine Wahrscheinlichkeitsberechnung durchgeführt werden, die im Urteil auch [X.] dargelegt wurde.
Raum
Graf
Jäger

Radtke
Fischer
10
11

Meta

1 StR 364/14

22.10.2014

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.10.2014, Az. 1 StR 364/14 (REWIS RS 2014, 1994)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 1994

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Wird zitiert von

4 StR 18/16

4 StR 102/16

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