Bundesgerichtshof, Beschluss vom 24.10.2017, Az. 1 StR 393/17

1. Strafsenat | REWIS RS 2017, 3456

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Gegenstand

Rücktritt vom Versuch eines Tötungsdelikts: Abgrenzung zwischen beendetem und unbeendetem Versuch; fehlgeschlagener Versuch; Annahme von Freiwilligkeit des Rücktritts


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 27. März 2017 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit rechtlich zusammentreffender gefährlicher Körperverletzung, versuchter Körperverletzung, Sachbeschädigung und Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, die mit der Sachrüge Erfolg hat (§ 349 Abs. 4 StPO).

I.

2

1. Das [X.] hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:

3

Der Angeklagte begehrte nach dem Ende der kurzen Beziehung zu der späteren Geschädigten einen finanziellen Ausgleich für Investitionen in die ehemals gemeinsame Wohnung. Nachdem seine ehemalige Lebensgefährtin dies erneut abgelehnt hatte und sich weigerte, die Haustür zu öffnen und mit ihm zu sprechen, trat er die Tür ein und kündigte an, sie nun umzubringen. Die Geschädigte flüchtete in den Garten. Der Angeklagte warf sie zu Boden und würgte sie mit beiden Händen. Sie wurde bewusstlos. Eine herbeigeeilte Nachbarin schubste den Angeklagten von der Geschädigten herunter. Der Angeklagte stieß die Nachbarin zur Seite, packte die Geschädigte an den Haaren und schwang sie durch die Luft. Sie schlug auf dem Boden auf. Der Angeklagte setzte sich wieder auf ihren Oberkörper und würgte sie erneut mit beiden Händen am Hals. Die Nachbarin stieß ihn erneut von der Geschädigten herunter und rief um Hilfe. Der Angeklagte ging jedoch wieder auf die Nachbarin und die Geschädigte zu. In diesem Augenblick riefen vom zweiten und dritten Stock des Hauses zwei Zeuginnen, sie hätten bereits die Polizei verständigt bzw. sie würden die Polizei holen und fragten, ob ein Krankenwagen erforderlich sei. Der Angeklagte sah nun keine Möglichkeit zur Tatrealisierung mehr, drehte sich um, ging zu seinem Auto, fuhr zu einem Arbeitskollegen, erzählte ihm, dass er seine ehemalige Lebensgefährtin hatte umbringen wollen und fuhr dann zur Polizei.

4

Die Geschädigte erlitt insbesondere eine Einblutung in den [X.], Schwellungen, Schürfwunden, Hautrötungen, andere kleinere Hautdefekte und Einblutungen. Ein Krankenhausaufenthalt war nicht erforderlich.

5

2. Das [X.] wertete dieses Geschehen tateinheitlich als versuchten Totschlag, gefährliche Körperverletzung, Sachbeschädigung, versuchte Körperverletzung und Nötigung, letztere zum Nachteil der Nachbarin. Einen Rücktritt vom [X.] schloss das [X.] aus, da der Angeklagte die weitere Ausführung der Tat nicht freiwillig aufgegeben habe.

II.

6

Das Urteil hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand, da sich den Urteilsfeststellungen das entsprechende Vorstellungsbild des Angeklagten, das zur revisionsrechtlichen Prüfung des Vorliegens eines freiwilligen Rücktritts vom Versuch unerlässlich ist, nicht hinreichend entnehmen lässt (vgl. hierzu z.B. [X.], Urteile vom 19. März 2013 - 1 [X.], [X.], 273 und vom 13. August 2015 - 4 StR 99/15, [X.], 470, jeweils mwN).

7

Die Abgrenzung zwischen unbeendetem und beendetem Versuch bestimmt sich nach dem Vorstellungsbild des [X.] nach dem Abschluss der letzten von ihm vorgenommenen Ausführungshandlung, dem sogenannten Rücktrittshorizont. Ein unbeendeter Versuch eines Tötungsdelikts, bei dem allein der Abbruch der begonnenen Tathandlung zum strafbefreienden Rücktritt vom Versuch führt, liegt vor, wenn der Täter zu diesem Zeitpunkt noch nicht alles getan hat, was nach seiner Vorstellung zur Herbeiführung des Todes erforderlich ist. Ein beendeter [X.], bei dem der Täter für einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch den Tod des Opfers durch eigene Rettungsbemühungen verhindern oder sich darum zumindest freiwillig und ernsthaft bemühen muss, ist hingegen anzunehmen, wenn er den Eintritt des Todes bereits für möglich hält oder sich keine Vorstellungen über die Folgen seines Tuns macht.

8

Fehlgeschlagen ist ein Versuch, wenn die Tat nach [X.] des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder anderen naheliegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter dies erkennt oder wenn er subjektiv die Vollendung nicht mehr für möglich hält. Auch dabei kommt es auf die Sicht des [X.] nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung an (Rücktrittshorizont). Hält er die Vollendung der Tat im unmittelbaren [X.] noch für möglich, wenn auch mit anderen Mitteln, so ist der Verzicht auf ein [X.] als freiwilliger Rücktritt vom unbeendeten Versuch zu bewerten (vgl. hierzu z.B. [X.], Beschluss vom 22. April 2015 - 2 [X.], [X.], 687). [X.] ein Fehlschlag aus, kommt es auf die Abgrenzung zwischen unbeendetem und beendetem Versuch an (vgl. [X.], Beschluss vom 22. April 2015 - 2 [X.], [X.], 687).

9

Allen Fällen aber ist gemeinsam, dass das Vorstellungsbild des [X.] im entscheidungserheblichen Zeitpunkt von maßgebender Bedeutung ist. Lässt sich den Urteilsfeststellungen das entsprechende Vorstellungsbild des Angeklagten, das zur revisionsrechtlichen Prüfung des Vorliegens eines freiwilligen Rücktritts vom Versuch unerlässlich ist, nicht hinreichend entnehmen, hält das Urteil sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand (st. Rspr.; vgl. [X.], Urteile vom 19. März 2013 - 1 [X.], [X.], 273 und vom 13. August 2015 - 4 StR 99/15, [X.], 470, jeweils mwN). So liegt der Fall hier.

Den Urteilsausführungen ist bereits nicht zu entnehmen, ob der Angeklagte davon ausging, bereits die beigefügten Verletzungen und das Würgen seien dazu geeignet gewesen, den Tod des Opfers herbeizuführen, oder ob er der Ansicht war, dazu seien weitere Maßnahmen erforderlich gewesen.

Die Urteilsfeststellungen schließen auch einen freiwilligen Rücktritt vom [X.] nicht aus. Die [X.] ist zwar davon ausgegangen, dass dem Angeklagten durch die Rufe der Nachbarinnen im zweiten und dritten Stockwerk bewusst geworden sei, dass er bei weiterer Fortsetzung seines Angriffs Gefahr laufen würde, von der Polizei angetroffen zu werden. Allein der Umstand der Entdeckung und die sich anschließende Flucht können die Annahme unfreiwilliger [X.] jedoch nicht tragen.

Freiwilligkeit liegt nach ständiger Rechtsprechung des [X.] vor, wenn der Täter "Herr seiner Entschlüsse" geblieben ist und die Ausführung seines Verbrechensplans noch für möglich gehalten hat, er also weder durch eine äußere Zwangslage daran gehindert noch durch seelischen Druck unfähig geworden ist, die Tat zu vollbringen. Maßgebliche Beurteilungsgrundlage ist insoweit nicht die objektive Sachlage, sondern die Vorstellung des [X.] hiervon. Der Annahme von Freiwilligkeit steht es dabei nicht von vornherein entgegen, dass der Anstoß zum Umdenken von außen kommt oder das [X.] von der Tat erst nach dem Einwirken eines [X.] erfolgt. Entscheidend für die Annahme von Freiwilligkeit ist, dass der Täter die Tatvollendung aus selbstgesetzten Motiven nicht mehr erreichen will ([X.], Beschluss vom 22. April 2015 - 2 [X.], [X.], 687, 688 Rn. 9 mwN).

Ob der Angeklagte die Tötung des Opfers noch für möglich gehalten oder ob er sich nach den Rufen der Nachbarn außerstande gesehen hat, sein Ziel noch zu erreichen, hätte das [X.] näher erörtern müssen. Es lag nicht auf der Hand, dass sich der Angeklagte in dieser Situation ohne Weiteres gehindert sah, den Tod des Opfers noch herbeizuführen. Die der Geschädigten zur Hilfe kommende Nachbarin hatte ihn bis dahin nicht an weiteren Angriffen auf die Geschädigte hindern können, die Bewohnerinnen des zweiten und dritten Stockwerks hatten die Verständigung der Polizei gerade erst mitgeteilt, der Angeklagte hatte zumindest einmal das Tatmittel gewechselt und es verblieb noch eine gewisse Zeit bis zum Eintreffen der Polizei.

Zu der Vorstellung des Angeklagten nach den Rufen aus dem zweiten und dritten Stockwerk enthält das Urteil keine konkreten Feststellungen. Der [X.] kann auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht entnehmen, dass der Angeklagte in seinem Rücktrittshorizont eine Vollendung der Tat mit gleichen oder anderen Mitteln nicht mehr für möglich hielt. Der [X.] hält es daher nicht für fernliegend, dass der Angeklagte seinen Tötungsvorsatz noch hätte weiterverfolgen können, wenn er dies noch gewollt hätte.

Dieser Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Schuldspruchs wegen versuchten Totschlags; erfasst werden auch die an sich [X.] tateinheitlichen Verurteilungen. Dies entzieht ohne Weiteres dem Strafausspruch die Grundlage.

Es kommt daher nicht mehr darauf an, dass die [X.] fälschlich (und ohne Begründung) der Auffassung war, der über § 21 [X.] und § 23 [X.] doppelt gemilderte Strafrahmen des § 212 [X.] sei günstiger als der des § 213 [X.]; denn bei einem sonst minder schweren Fall im Sinne von § 213 2. Alt. [X.] hätte sich ein minder schwerer Fall aus den allgemeinen Milderungsgründen, gegebenenfalls zusammen mit einem vertypten Strafmilderungs-grund, ergeben können. Dann wäre über den [X.] eine weitere Verschiebung des Strafrahmens möglich gewesen. Dies wäre für den Angeklagten günstiger gewesen. Nur, wenn die tatrichterliche Beurteilung zu dem Ergebnis geführt hätte, dass beide vertypten Strafmilderungsgründe zur Begründung eines sonst minder schweren Falls im Sinne von § 213 [X.] erforderlich seien, wäre der doppelt gemilderte Strafrahmen des § 212 [X.] günstiger gewesen.

Der [X.] hat sämtliche Feststellungen aufgehoben. Dies ermöglicht dem neuen Tatrichter, widerspruchsfreie Feststellungen zu treffen, auch im Hinblick auf die Dauer der Bewusstlosigkeit der Geschädigten unter Berücksichtigung ihrer eigenen Angaben und der der Zeuginnen.

III.

Für die neue Hauptverhandlung weist der [X.] darauf hin, dass angesichts des Verzichts des Angeklagten auf eigene Ansprüche gegen die Geschädigte aus der Finanzierung und Einrichtung der ehemals gemeinsamen Wohnung und seiner Verpflichtung, Schmerzensgeld in Höhe von 10.000 Euro nebst Zinsen zu zahlen, auch eine Prüfung der Voraussetzungen eines Täter-Opfer-Ausgleichs nach § 46a [X.] veranlasst ist.

Raum     

      

[X.]     

      

Fischer

      

Bär     

      

Hohoff     

      

Meta

1 StR 393/17

24.10.2017

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Traunstein, 27. März 2017, Az: 5 Ks 201 Js 74387/16

§ 22 StGB, § 23 StGB, § 24 StGB, § 212 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 24.10.2017, Az. 1 StR 393/17 (REWIS RS 2017, 3456)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 3456

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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