Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.03.2012, Az. VIII ZB 41/11

8. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 7987

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Gegenstand

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Fehlerhafte Umsetzung einer Einzelanweisung durch eine Kanzleiangestellte zur Ergänzung der Rechtsmittelschrift mit dem Geschäftszeichen des Berufungsgerichts


Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluss der 14. Zivilkammer des [X.] vom 11. Mai 2011 aufgehoben.

Dem Beklagten wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung gewährt.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Wert des Beschwerdeverfahrens: 1.509,95 €.

Gründe

I.

1

Der Beklagte ist durch Urteil des Amtsgerichts zur Zahlung von 1.509,95 € Schadensersatz aus einem Kaufvertrag verurteilt worden.

2

Das Urteil ist dem Beklagten am 19. Januar 2011 zugestellt worden. Am 21. Februar 2011, einem Montag, hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten Berufung eingelegt. Auf seinen Antrag ist die Frist zur Begründung der Berufung um einen Monat bis zum 19. April 2011 verlängert worden. Am Tag des Fristablaufs ist per Telefax die Berufungsbegründung beim Berufungsgericht eingegangen; auf dem Schriftsatz hat die Unterschrift des Prozessbevollmächtigten des Beklagten gefehlt. Am 21. April 2011 (Donnerstag) ist beim Berufungsgericht der [X.] - ebenfalls ohne Unterschrift - nebst den mit Unterschrift versehenen beglaubigten Abschriften eingegangen. Nach Hinweis des Gerichts auf die fehlende Unterschrift hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten am 26. April 2011 (erneut) eine - diesmal unterschriebene - Berufungsbegründung per Fax bei Gericht eingereicht.

3

Am 27. April 2011 hat das Berufungsgericht den Beklagten darauf hingewiesen, dass die Berufung wegen Versäumens der Berufungsbegründungsfrist als unzulässig zurückzuweisen sei. Mit am 9. Mai 2011 per Telefax eingegangenem Schriftsatz hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Zur Begründung des [X.] hat er vorgetragen und glaubhaft gemacht, er habe den Text der Berufungsbegründung bereits unterschrieben und die [X.] [X.]angewiesen gehabt, das Original per Telefax abzusenden und die beglaubigte und einfache Abschrift zu erstellen und alles in den Postausgang zu geben. Anschließend sei ihm jedoch aufgefallen, dass das Geschäftszeichen des [X.] im Eingang der Berufungsbegründung gefehlt habe. Daher habe er die [X.] angewiesen, dieses noch hinzuzusetzen, was auch geschehen sei. Dadurch habe sich der Seitenumbruch verändert mit der Folge, dass der gesamte Text nochmals ausgedruckt worden sei, so dass die Unterschrift auf dem erneuten Ausdruck gefehlt habe. Dieser Ausdruck sei dann versehentlich per Telefax übermittelt und mit der Post abgesandt worden. Da der Beklagtenvertreter davon ausgegangen sei, das Original bereits unterschrieben zu haben, habe er dann nur noch die beglaubigte Abschrift unterzeichnet.

4

Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten zurückgewiesen und die Berufung des Beklagten als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten.

II.

5

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

6

1. Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig. Nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO ist eine Entscheidung des [X.] zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Die angefochtene Entscheidung verletzt die Verfahrensgrundrechte des Beklagten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).

7

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Zwar konnte die am 19. April 2011 bei dem Berufungsgericht per Telefax eingegangene Berufungsbegründung die Frist nicht wahren, weil sie nicht vom Prozessbevollmächtigten des Beklagten gemäß § 130 Nr. 6 ZPO unterzeichnet war. Das Beschwerdegericht hat aber zu Unrecht dem Beklagten die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist versagt.

8

a) Das Berufungsgericht hat angenommen, der Beklagte habe infolge eines ihm gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Verschuldens seines Prozessbevollmächtigten die Frist zur Begründung der Berufung versäumt. Zwar dürfe ein Rechtsanwalt einfache Verrichtungen, die keine juristische Schulung verlangten, zur selbständigen Erledigung seinem geschulten und zuverlässigen Büropersonal übertragen. Versehen dieses Personals, die nicht auf eigenes Verschulden des Anwalts zurückzuführen seien, habe die [X.] nicht zu vertreten. Vorliegend handele es sich jedoch nicht allein um ein Verschulden der Büroangestellten, da der Anwalt selbst bemerkt habe, dass das Geschäftszeichen gefehlt habe und deshalb ein Neuausdruck erforderlich gewesen sei. Diesen hätte er auf seine Unterschrift kontrollieren und unterzeichnen müssen.

9

b) Damit hat das Berufungsgericht die Anforderungen an die Sorgfaltspflichten des Prozessbevollmächtigten des Beklagten überspannt.

aa) Das Berufungsgericht hat nicht beachtet, dass nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] im Falle einer Fristversäumung den Rechtsanwalt ein der [X.] zurechenbares Verschulden nicht trifft, wenn er einer bislang zuverlässigen Kanzleiangestellten eine konkrete [X.] erteilt hat, die bei Befolgung die Fristwahrung gewährleistet hätte. Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten hat seiner Mitarbeiterin die klare Anweisung erteilt, das Geschäftszeichen des [X.] der bereits von ihm unterschriebenen Berufungsbegründung hinzuzusetzen. Ihm kann nicht als Verschulden vorgehalten werden, dass er die [X.] vor der von ihm für erforderlich gehaltenen Korrektur unterzeichnet hat (vgl. [X.], Beschluss vom 30. Oktober 2008 - [X.], [X.], 296 Rn. 9 mwN). Ebenso ist er dabei regelmäßig nicht verpflichtet, sich anschließend über die Ausführung seiner Weisung zu vergewissern. Auch bei einem so wichtigen Vorgang wie der Anfertigung einer [X.] darf der Rechtsanwalt einer zuverlässigen Büroangestellten eine konkrete [X.] erteilen, deren Ausführung er grundsätzlich nicht mehr persönlich überprüfen muss ([X.], Beschlüsse vom 8. Februar 2012 - [X.]/11, juris Rn. 29, 31; vom 21. April 2010 - [X.], [X.], 1067 Rn. 11; vom 9. Dezember 2009 - [X.] 154/09, [X.], 89 Rn. 16; vom 30. Oktober 2008 - [X.], aaO Rn. 9 f.).

bb) Grundsätzlich darf der Rechtsanwalt darauf vertrauen, dass eine Büroangestellte, die sich bisher - wie hier vom Berufungsgericht zugrunde gelegt - als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete [X.] befolgt. Die Anforderungen an die anwaltliche Sorgfaltspflicht würden überspannt, wollte man stets verlangen, dass der Rechtsanwalt bei einer Angestellten, an deren Zuverlässigkeit keine Zweifel bestehen, die Vornahme einer einfachen Berichtigung zu kontrollieren hätte. Eine besondere Kontrolle ist nur dann erforderlich, wenn die [X.] mehrere für die Zulässigkeit relevante Fehler enthält ([X.], Beschluss vom 30. Oktober 2008 - [X.], aaO Rn. 10 mwN). Dies war hier nicht der Fall. Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten hat lediglich die Kanzleiangestellte zu einer einzelnen Korrektur des Schriftsatzes angewiesen.

Im vorliegenden Fall lagen auch keine zusätzlichen Umstände vor, die Anlass zu der Befürchtung gegeben hätten, die Büroangestellte werde die erteilte [X.] nicht ordnungsgemäß befolgen. Zwar musste dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten klar sein, dass der [X.]satz infolge des Hinzusetzens des Geschäftszeichens des Gerichts neu auszudrucken war. Er durfte jedoch davon ausgehen, dass die im Übrigen zuverlässige Bürokraft entweder nur die erste Seite des bereits unterschriebenen [X.]es austauschen oder aber, falls es zu einem veränderten Seitenumbruch kommen sollte, ihm den Schriftsatz erneut zur Unterschrift vorlegen würde. Einer weiteren Weisung durch den Rechtsanwalt bedurfte es insoweit nicht, da es sich um eine Selbstverständlichkeit handelte.

Allerdings war der Prozessbevollmächtigte des Beklagten im Hinblick darauf, dass er die Anweisung nur mündlich erteilt hat, gehalten, ergänzende Vorkehrungen dagegen zu treffen, dass die Anweisung in Vergessenheit gerät und die rechtzeitige Einreichung des Schriftsatzes beim Gericht unterbleibt ([X.], Beschlüsse vom 28. Oktober 2008 - [X.], juris Rn. 12; vom 8. Februar 2012 - [X.]/11, aaO Rn. 31; jeweils mwN). Ob er dieser Pflicht nachgekommen ist, kann dahin stehen, denn eine mögliche Pflichtverletzung ist nicht kausal geworden. Die Kanzleikraft hat die ihr erteilte Anweisung ausgeführt.

3. Da der Beklagte somit die Frist zur Begründung der Berufung ohne eigenes oder ihm nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden seines zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten versäumt hat, ist ihm auf seinen Antrag gemäß § 233 ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren. Soweit die Berufung gemäß § 522 ZPO als unzulässig verworfen worden ist, ist der angegriffene Beschluss des [X.] damit gegenstandslos ([X.], Beschluss vom 13. Juli 2005 - [X.] 80/05, NJW-RR 2006, 142 unter II 2 mwN).

Ball                                               Dr. Milger                                                Dr. Hessel

                    Dr. Fetzer                                                 Dr. Bünger

Meta

VIII ZB 41/11

20.03.2012

Bundesgerichtshof 8. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Lübeck, 11. Mai 2011, Az: 14 S 36/11

§ 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO, § 234 ZPO, § 520 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.03.2012, Az. VIII ZB 41/11 (REWIS RS 2012, 7987)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 7987

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