Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 08.09.2017, Az. 1 BvR 1657/17

1. Senat 1. Kammer | REWIS RS 2017, 5592

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: § 5 Abs 2 BÄO iVm § 3 Abs 1 S 1 Nr 2 BÄO als hinreichende, insb hinreichend bestimmte Rechtsgrundlage für Widerruf der Approbation als Arzt - keine Verletzung der Berufsfreiheit des betroffenen Arztes bei umfassender Einzelfallprüfung und Prüfung etwaiger veränderter Umstände bzgl der Unwürdigkeit - Gegenstandswertfestsetzung für eA-Verfahren


Tenor

1. Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

2. Damit wird die einstweilige Anordnung vom 1. August 2017 gegenstandslos.

3. Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfahren über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf 5.000 € (in Worten: fünftausend [X.]) festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die [X.]beschwerde betrifft den Widerruf einer [X.] als Arzt wegen Unwürdigkeit.

2

Der im Jahr 1960 geborene Beschwerdeführer ist approbierter Arzt und betreibt in [X.] eine Praxis. [X.] wurde er wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines [X.] rechtskräftig verurteilt. Infolgedessen leitete der Niedersächsische Zweckverband zur [X.]serteilung ([X.]) das Verfahren ein, welches mit dem Widerruf der [X.] des Beschwerdeführers endete. Die Entscheidung wurde mit Urteil des [X.] vom 31. Januar 2017 bestätigt. Den dagegen gerichteten Antrag auf Zulassung der Berufung wies das Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 12. Juli 2017 zurück.

II.

3

Mit seiner am 26. Juli 2017 erhobenen und mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbundenen [X.]beschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG. Zur Begründung macht er insbesondere geltend, dass das Tatbestandsmerkmal der Unwürdigkeit gegen den [X.] verstoße. Zudem bezieht er sich auf die Entscheidungen des [X.] vom 18. Mai 2005 ([X.], Beschluss der [X.] des [X.] -, juris) und vom 28. August 2007 ([X.]K 12, 72 ff.) und die hierin hinsichtlich des Merkmals der Unwürdigkeit geäußerten verfassungsrechtlichen Zweifel.

4

Auf Grundlage einer Folgenabwägung hat die Kammer am 1. August 2017 eine einstweilige Anordnung erlassen, mit der sie die Vollziehung des Bescheids des [X.] bis zur Entscheidung über die [X.]beschwerde vorläufig, jedoch längstens für die Dauer von sechs Monaten, ausgesetzt hat.

III.

5

Die [X.]beschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 [X.]G liegen nicht vor. Die [X.]beschwerde hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers angezeigt.

6

Hinsichtlich der gerügten Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG ist die [X.]beschwerde bereits unzulässig, weil sie nicht hinreichend begründet worden ist (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 [X.]G).

7

Im Übrigen ist die [X.]beschwerde unbegründet, weil die von dem Beschwerdeführer gerügte Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG nicht ersichtlich ist.

8

Der Widerruf der [X.] stellt einen Eingriff in die Berufswahlfreiheit des Beschwerdeführers dar. Nach der Rechtsprechung des [X.] sind solche Eingriffe nur unter strengen Voraussetzungen zum Schutze wichtiger Gemeinschaftsgüter und unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit statthaft (vgl. [X.]E 13, 97 <106 ff.>; 44, 105 <117 ff.>; 63, 266 <286>; 97, 12 <26>). Daran gemessen begegnet die Rechtsanwendung im vorliegenden Fall keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

9

1. § 5 Abs. 2 in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Bundesärzteordnung ([X.]) stellt eine hinreichende Rechtsgrundlage für den Widerruf der [X.] als Arzt dar. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers verstößt die Vorschrift nicht wegen des hierin verwendeten Begriffs der Unwürdigkeit gegen das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot.

a) Der [X.] gebietet, dass eine gesetzliche Ermächtigung der Exekutive zur Vornahme von Verwaltungsakten nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmt und begrenzt ist, so dass das Handeln der Verwaltung messbar und in gewissem Ausmaß voraussehbar und berechenbar wird (vgl. [X.]E 56, 1 <12> m.w.N.). Das Bestimmtheitsgebot zwingt den Gesetzgeber aber nicht, den Tatbestand mit genau erfassbaren Maßstäben zu umschreiben. Dass ein Gesetz unbestimmte, der Auslegung und Konkretisierung bedürftige Begriffe verwendet, verstößt allein noch nicht gegen den rechtsstaatlichen Grundsatz der Normklarheit und Justitiabilität. Allerdings muss das Gesetz so bestimmt sein, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist. Unvermeidbare [X.] in Randbereichen sind dann von [X.] wegen hinzunehmen. Erforderlich ist allerdings, dass die von der Norm Betroffenen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach einrichten können. Sie müssen in zumutbarer Weise feststellen können, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die Rechtsfolge vorliegen (vgl. zum vorstehenden Maßstab insgesamt [X.]E 103, 332 <384> m.w.N.; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 3. September 2014 - 1 BvR 3353/13 -, Rn. 16, juris).

b) Diesen Anforderungen wird § 5 Abs. 2 in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.] gerecht. Zwar handelt es sich bei dem Begriff der Unwürdigkeit um einen unbestimmten Rechtsbegriff. Die für die Auslegung maßgeblichen Gesichtspunkte lassen sich jedoch hinreichend aus dem Gesamtzusammenhang, insbesondere der dem Arzt zukommenden Aufgabe, der Gesundheit des einzelnen Menschen und des gesamten Volkes zu dienen (§ 1 Abs. 1 [X.]), sowie seinen berufsrechtlichen Pflichten entnehmen.

2. Die Anwendung und Auslegung von § 5 Abs. 2 in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.] in den angegriffenen Entscheidungen begegnet keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass der Widerruf der [X.] Art. 12 Abs. 1 GG verletzt.

Zwar stellt der Widerruf der [X.] einen Eingriff in die Berufswahlfreiheit dar. Den damit verbundenen hohen Anforderungen auf der [X.] wird in den angegriffenen Entscheidungen aber durch eine umfassende Prüfung des Einzelfalls ausreichend Rechnung getragen. Die Entscheidungen lassen eine verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Abwägung der grundrechtlichen Belange des Beschwerdeführers mit den seiner fortdauernden [X.] als Arzt entgegenstehenden Gemeinwohlbelangen erkennen. Dabei wurde nicht nur auf ein Verhalten abgestellt, das im beruflichen Umfeld oder gesellschaftlichen Bereich auf Missfallen stößt, sondern maßgeblich auf das für eine ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung unabdingbare Vertrauen zwischen Arzt und Patient, welches für nachhaltig zerstört erachtet wurde. Mit diesem Vertrauen untrennbar verbunden ist das Schutzgut der Volksgesundheit, in dessen Interesse Patienten die Gewissheit haben müssen, sich dem Arzt als ihrem Helfer uneingeschränkt anvertrauen zu können und nicht etwa durch Misstrauen davon abgehalten werden, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Die Volksgesundheit ist ein besonders wichtiges Gemeinschaftsgut (vgl. [X.]E 9, 338 <346>; 13, 97 <107>; 25, 236 <247>), zu dessen Schutz eine subjektive Berufszulassungsschranke nicht außer Verhältnis steht (vgl. [X.]E 7, 377 <406 f.>; 13, 97 <107>; 78, 179 <192>). Dadurch, dass die angegriffenen Entscheidungen bei der Auslegung des Begriffs der Unwürdigkeit maßgeblich auf diesen Schutzzweck abgestellt haben, haben sie der Bedeutung und Tragweite des Art. 12 Abs. 1 GG insoweit hinreichend Rechnung getragen.

Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, § 5 Abs. 2 in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.] komme reiner Sanktionscharakter zu, weil auf eine Prognoseentscheidung verzichtet werde, ist dies nach der Rechtsanwendung im vorliegenden Fall gerade nicht erkennbar. In den angegriffenen Entscheidungen wird ausdrücklich nicht nur auf das vorangegangene Fehlverhalten des Beschwerdeführers, sondern auch auf mögliche veränderte Umstände, die eine abweichende Beurteilung der Berufsunwürdigkeit rechtfertigen könnten, abgestellt. Zwar führt das Verwaltungsgericht in der angegriffenen Entscheidung aus, dass nur das in § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.] neben der Unwürdigkeit aufgeführte Merkmal der Unzuverlässigkeit ein prognostisches Element enthalte. Es hat aber ebenso hervorgehoben, dass veränderte Umstände bei der Abwägung zur Feststellung des Tatbestandsmerkmals der Unwürdigkeit zu berücksichtigen sind. Entsprechend hat es etwaige veränderte Umstände - insbesondere solche, welche die Annahme rechtfertigen, dass zukünftig ein Vertrauensverhältnis zu den Patienten gesichert und somit eine Gefahr für die Volksgesundheit ausgeschlossen ist - hinreichend geprüft, solche Umstände im zu entscheidenden Fall aber nicht festgestellt. Vor diesem Hintergrund ist auch angesichts der in den Entscheidungen des [X.] vom 18. Mai 2005 ([X.], Beschluss der [X.] des [X.] -, juris) und vom 28. August 2007 ([X.]K 12, 72 ff.) geäußerten Bedenken nicht erkennbar, dass Bedeutung und Tragweite von Art. 12 Abs. 1 GG bei der Auslegung des Begriffs der Unwürdigkeit im konkreten Fall nicht hinreichend Rechnung getragen wurde.

Der Widerruf der [X.] ist auch nicht unverhältnismäßig. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass der mit dem Widerruf verfolgte Zweck in einem unangemessenen Verhältnis zur Schwere des Eingriffs stünde. Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, die der Verurteilung zugrundeliegende Tat habe sich bereits im Jahr 2009 ereignet, stellt dies nur einen der im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigenden Umstände dar. Zudem kann aus bloßem Zeitablauf nicht auf eine Wiedererlangung der Würdigkeit geschlossen werden. Insoweit hat insbesondere das Verwaltungsgericht dem entgegenstehende konkrete Anhaltspunkte benannt, die auf eine fehlende Unrechtseinsicht oder Reue schließen lassen. Hierbei handelt es sich um eine Feststellung und Würdigung des Sachverhalts, die allein Sache der dafür allgemein zuständigen Fachgerichte und der Nachprüfung durch das [X.] entzogen ist (vgl. [X.]E 1, 418 <420>). Auch die bei der Abwägung berücksichtigte Frage der Wiedergutmachung stellt ein sachgerechtes Kriterium dar, weil dies in besonderem Maße geeignet sein kann, ein verloren gegangenes Vertrauen der Patienten in die ärztliche Integrität wiederherzustellen.

3. Mit der Nichtannahme der [X.]beschwerde wird die von der Kammer am 1. August 2017 erlassene einstweilige Anordnung gegenstandslos.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.]G abgesehen.

4. Die Festsetzung des [X.] für das Verfahren über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 des Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz ; vgl. [X.]E 79, 365 <366 ff.>).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 1657/17

08.09.2017

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 1. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend OVG Lüneburg, 12. Juli 2017, Az: 8 LA 39/17, Beschluss

Art 12 Abs 1 GG, § 1 Abs 1 BÄO, § 3 Abs 1 S 1 Nr 2 BÄO, § 5 Abs 2 S 1 BÄO, § 174c Abs 1 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 08.09.2017, Az. 1 BvR 1657/17 (REWIS RS 2017, 5592)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 5592

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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