VG Osnabrück, Beschluss vom 04.02.2022, Az. 3 B 4/22

3. Kammer | REWIS RS 2022, 1493

CORONA-KLAGE CORONA VIRUS

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Gegenstand

Rechtswidrigkeit der Verkürzung der Dauer des Genesenenstatus auf drei Monate durch § 2 Nr. 5 SchAusnahmV


Tenor

Dem Antragsteller wird aufgegeben, binnen einer Frist von zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses einen Rechtsbehelf in der Hauptsache in Bezug auf die Ausstellung eines Genesenennachweises für den Zeitraum 11. Februar 2022 bis 13. Juli 2022 zu erheben.

Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig bis zu einem fruchtlosen Ablauf der erstgenannten Frist, im Falle einer Klageerhebung bis zur Rechtskraft der Entscheidung in der Hauptsache verpflichtet, dem Antragsteller einen Nachweis über seine Genesung im Sinne des § 2 Abs. 5 der Verordnung zur Regelung von Erleichterungen und Ausnahmen von Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 ([X.]) für den Zeitraum 11. Februar 2022 bis 13. Juli 2022 auszustellen.

Im Übrigen werden die Anträge abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens tragen der Antragsteller zu 2/3 und der Antragsgegner zu 1/3.

[X.] wird auf 15.000 € festgesetzt.

Gründe

Die sinngemäß gestellten Anträge,

1. den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller einen Nachweis über seine Genesung im Sinne des § 2 Abs. 5 der Verordnung zur Regelung von Erleichterungen und Ausnahmen von Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von [X.]OVID-19 ([X.]) für den [X.]raum 22. Januar bis 21. Juli 2022 auszustellen und

2. dem Antragsgegner aufzugeben, sämtliche vom Antragsteller gespeicherten Daten zu löschen sowie

3. dem Antragsgegner die Verarbeitung der Daten des Antragstellers zu untersagen,

haben nur im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, [X.]n diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzu[X.]den, oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Der Antragsteller hat dabei sowohl die Eilbedürftigkeit der begehrten gerichtlichen Regelung (Anordnungsgrund) als auch seine materielle Anspruchsberechtigung (Anordnungsanspruch) glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO). Wird - wie im vorliegenden Fall - mit einer Regelungsanordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO die Hauptsache ganz oder teilweise vorweggenommen und dadurch in aller Regel ein faktisch endgültiger Zustand geschaffen, kann eine Regelung nur ergehen, [X.]n der Antragsteller in der Hauptsache zumindest überwiegende Erfolgsaussichten hat und schlechthin unzumutbaren, anders nicht ab[X.]dbaren Nachteilen ausgesetzt wäre, [X.]n er auf den rechtskräftigen Abschluss eines Klageverfahrens verwiesen werden müsste. Überwiegende Aussichten in der Hauptsache bestehen nur dann, [X.]n der geltend gemachte Anspruch mit größter Wahrscheinlichkeit begründet ist und aller Voraussicht nach auch im Hauptsacheverfahren bestätigt werden wird (vgl. [X.], Beschluss vom 25. Oktober 1988 – 2 BvR 745/88 –, juris Rn. 17; BVerwG, Beschluss vom 21. Januar 1999 – 11 VR 8/98 –, juris Rn. 5; BVerwG, Beschluss vom 13. August 1999 – 2 VR 1/99 –, juris Rn. 24 f.; BVerwG, Beschluss vom 26. November 2013 – 6 VR 3/13 –, juris Rn. 5). Diese Voraussetzungen liegen hier alleine bezüglich der Ausstellung eines Genesenenausweises für den ganz überwiegenden zeitlich begehrten [X.]raum, nicht aber bezüglich der Begehren zu Ziffern 2. und 3. des Antrages, vor.

1. Der Antrag zu 1. nach § 123 Abs. 1 VwGO auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Inhalt, dem Antragsteller einen für den [X.]raum vom 22. Januar bis zum 21. Juli 2022 gültigen [X.] auszustellen, ist zulässig und bis auf einen kurzen [X.]raum der begehrten Dauer auch begründet.

a. [X.] ist vorliegend ein Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Bei der begehrten Bescheinigung über den [X.] handelt es sich um einen feststellenden Verwaltungsakt. Nach § 35 Satz 1 [X.] in Verbindung mit § 1 [X.] ist Verwaltungsakt jede Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Eine Maßnahme hat [X.], [X.]n sie nach ihrem objektiven Erklärungsgehalt darauf gerichtet ist, eine Rechtsfolge zu setzen. Sie muss für den Betroffenen rechtsverbindlich Rechte oder Pflichten begründen, inhaltlich ausgestalten, ändern, aufheben, feststellen oder einen derartigen Ausspruch rechtsverbindlich ablehnen (BVerwG, Urteile vom 29. April 1988 - 9 [X.] 54.87 - BVerwGE 79, 291 <293> und vom 5. November 2009 - 4 [X.] 3.09 - BVerwGE 135, 209 Rn. 15). Ein feststellender Verwaltungsakt schreibt das Ergebnis der behördlichen Rechtsan[X.]dung rechtsverbindlich fest (BVerwG, Urteile vom 20. November 2003 - 3 [X.] 29.02 - [X.] 316 § 35 [X.] Nr. 55 S. 9 und vom 5. November 2009, a.a.[X.]). Kein Regelungsgehalt im Sinne des § 35 Satz 1 [X.] kommt behördlichen Erklärungen zu, denen sich kein Regelungs- bzw. Rechtsbindungswille entnehmen lässt. Hierzu gehören Auskünfte oder Mitteilungen, dass die Behörde gegen ein bestimmtes Verhalten keine rechtlichen Bedenken hat oder nicht beabsichtigt, eine rechtsverbindliche Maßnahme zu ergreifen (BVerwG, Urteil vom 6. November 1986 - 3 [X.] 72.84 - BVerwGE 75, 109 <113>; U. [X.], in: [X.]/Bonk/Sachs, [X.], 8. Aufl. 2014, § 35 Rn. 83).

Ob eine behördliche Maßnahme [X.] und damit [X.] hat, ist durch Auslegung zu bestimmen. Nach den auch im Öffentlichen Recht nach dem Prinzip der Einheit der Rechtsordnung maßgeblichen Auslegungsregelungen der §§ 133, 157 BGB ist der objektive Erklärungsgehalt der Maßnahme zu bestimmen; es kommt darauf an, wie sie der Adressat bei objektiver Betrachtung verstehen kann (BVerwG, Urteile vom 25. Mai 1984 - 8 [X.] 100.83 - [X.] 316 § 38 [X.] Nr. 4, vom 21. Juni 2006 - 6 [X.] 19.06 - BVerwGE 126, 149 Rn. 52 und vom 5. November 2009 - 4 [X.] 3.09 - BVerwGE 135, 209 Rn. 21).

Hiernach handelt es sich bei der Ausstellung eines [X.]es um einen Verwaltungsakt mit dem [X.], der Antragsteller könne die an diesen Status geknüpften Vergünstigungen, etwa den Besuch von [X.]-pflichtigen Veranstaltungen in Anspruch nehmen. Als noch in der Hauptsache zu erhebenden Klage wäre daher die Verpflichtungsklage in dem Sinne des § 42 Abs. 1 VwGO statthaft, sodass sich nach der Abgrenzungsnorm des § 123 Abs. 5 VwGO der vorläufige Rechtsschutz nach § 123 VwGO richtet.

b. Bezüglich des Begehrens der Erteilung eines [X.]es hat der Antragsteller einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO). Der [X.] ist nach derzeit geltender Rechtslage als einziges Surrogat zum [X.] Voraussetzung für die Teilnahme des Einzelnen am gesellschaftlichen und [X.] Leben in vielen Bereichen, so etwa für den Besuch von Restaurants und Arbeitsstätten, und in einigen Bundesländern sogar für den Besuch in Geschäften des Einzelhandels. Da eine Entscheidung in der noch zu erhebenden Hauptsache nicht vor dem Enddatum der Zuerkennung des [X.] ergehen wird, drohen dem Antragsteller ohne Erlass einer einstweiligen Anordnung unzumutbare und irreversible Nachteile, da er sein Rechtsschutzbegehren ohne die begehrte einstweilige Regelung im Hauptsacheverfahren nicht mehr effektiv in dem Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG durchsetzen könnte. Dass der Ausschluss von der Teilnahme am [X.], kulturellen und wirtschaftlichen Leben für den Einzelnen eine hohe Grundrechtsrelevanz, insbesondere in Bezug auf die Allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG, die körperliche Unversehrtheit des Art. 2 Abs. 2 GG unter dem Gesichtspunkt der psychischen Gesundheit und auf die Berufsausübungsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG – sowie auf weitere Grundrechtspositionen – hat, liegt auf der Hand. Ohne Verstoß gegen das grundsätzliche Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache ist ein Anordnungsgrund damit glaubhaft gemacht.

c. Der Zulässigkeit steht auch nicht eine etwaige Vorrangigkeit des Verfahrens nach § 47 Abs. 6 VwGO in einem eventuellen Normenkontrollverfahren gegen die Niedersächsische [X.]orona-Verordnung in der Fassung vom 2. Februar 2022 entgegen. Das Normenkontrollverfahren ist hier nicht einschlägig, da sich der Antragsteller zum einen nicht gegen die Not[X.]digkeit der Vorlage eines Genesenachweises als solcher [X.]det, wie sie sich zum Beispiel aus den Vorgaben der §§ 7a, 8a und 8b der Verordnung ergibt. Er begehrt vielmehr lediglich eine anderweitige Feststellung der Dauer seines [X.]es. Regelungen bezüglich des [X.]es finden sich zudem in der [X.], welche als Bundesrecht nicht in einem Normenkontrollverfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO angegriffen werden kann (vgl. [X.], Beschluss vom 21. Dezember 2021 - [X.] E 21.1606 -, juris). Zum anderen entfaltet § 47 VwGO gegenüber der Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer Rechtsverordnung im Wege der Verpflichtungsklage keine Sperrwirkung. Dem System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes kann nämlich nicht entnommen werden, dass außerhalb des § 47 VwGO die Überprüfung von [X.] ausgeschlossen sein soll ([X.], Beschluss vom 17.Januar.2006 - 1 BvR 541/02 -, juris, BVerwG, Urteil vom 28. Januar 2010, - [X.] 8 [X.] 19/09 -, juris, Rn. 25). Dem schließt sich die Kammer wie schon in ihrer bisherigen Rechtsprechung (Beschluss vom 11. Mai 2020 - 3 [X.]/20 –, juris) überzeugt an.

d. Der Antrag zu 1. hat auch ganz überwiegend in der Sache Erfolg. Auch ein Anordnungsanspruch ist hier von dem Antragsteller glaubhaft gemacht worden (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO). Es bestehen ganz überwiegende Erfolgsaussichten in der noch zu erhebenden Hauptsacheklage. Der Antragsgegner hat die Dauer des [X.] des Antragstellers fehlerhaft bestimmt. Der Antragsteller hat einen Anspruch auf Erteilung eines [X.]es für den [X.]raum 11. Februar bis 13. Juli 2022, also für den sich aus § 2 Nr. 5 [X.] in der Fassung vom 8. Mai 2021 ergebenden [X.]raum. Einen Anspruch auf Erteilung eines [X.]es für den [X.]raum vor dem 11. Februar 2022 hat der Antragsteller nicht; sein [X.] ist jedoch auch nicht - anders als der Antragsgegner meint - auf den sich aus § 2 Nr. 5 [X.] in der Fassung vom 14. Januar 2022 in Verbindung mit den entsprechenden Vorgaben des [X.] ([X.]) ergebenden [X.]raum von 90 Tagen ab positiver Testung auf eine Infektion mit dem [X.]oronavirus zu beschränken. Denn die Verkürzung des [X.] auf drei Monate durch das [X.] auf der Grundlage der „Verordnung zur Regelung von Erleichterungen und Ausnahmen von Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von [X.]ovid-19“ [[X.], zuletzt geändert durch [X.] vom 14. Januar 2022, [X.] 14.01.2022V1] ist verfassungswidrig.

(aa) Grundsätzlich ist der Landesverordnungsgeber an die Regelungen der bundesrechtlichen [X.] gebunden (Art. 31 GG). Dies verdeutlicht auch § 11 Satz 1 [X.], der Ausnahmen von den auf Grund der Vorschriften im fünften Abschnitt des Infektionsschutzgesetzes erlassenen landesrechtlichen Geboten oder Verboten "für geimpfte Personen, genesene Personen und getestete Personen" gestattet, dies aber nur, "soweit diese Verordnung ([X.].: die [X.]) nichts anderes regelt". Der Landesverordnungsgeber ist daher grundsätzlich an die „[X.]" des § 2 Nr. 5 [X.] gebunden (vgl. hierzu auch [X.], Beschluss vom 20. September 2021 - 14 L 512/21 -, juris Rn. 23). Auch [X.]n ein gegen den § 2 Nr. 5 [X.] gerichteter Normenkontrollantrag als solcher nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO nicht zulässig wäre, ist eine inzidente Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Regelungen der [X.] in jedem verwaltungsgerichtlichen Verfahren (§§ 42 Abs. 1 oder 47 VwGO) nicht ausgeschlossen und kann dazu führen, diese bei einer Rechts- oder Verfassungswidrigkeit für unwirksam zu erachten (vgl. zu dieser Möglichkeit: BVerwG, Urteil vom 28. Januar 2010 - BVerwG 8 [X.] 19.09 -, BVerwGE 136, 54 - juris Rn. 25 f. m.w.N.; vgl. insgesamt zum Vorstehenden [X.]. OVG, Beschluss vom 13. Oktober 2021 – 13 [X.] 422/21 –, Rn. 34, juris).

(bb) § 2 Nr. 5 [X.] in der Fassung vom 14. Januar 2022, mit dem die Gültigkeit des [X.]es auf 90 Tage begrenzt wird, ist nach Ansicht der Kammer aus mehreren, im Folgenden dargelegten Gesichtspunkten verfassungswidrig, daher unwirksam und entfaltet mithin keine Bindungswirkung, soweit dort die Dauer des [X.] mittelbar durch einen Verweis auf die vom [X.] im [X.] veröffentlichen Vorgaben auf - aktuell - 90 Tage nach festgestellter Infektion beschränkt wird.

Mit dem wissenschaftlichen Dienst des [X.] („Ausarbeitung zur Verfassungsmäßigkeit der Regelung des [X.]es durch Rechtsverordnung“ vom 28. Januar 2022, Az. [X.] 3 - 3000 - 006/22 -, abrufbar unter https://www.bundestag.de/resource/blob/879942/99eedf2b3492882053bd16491ec42a7c/[X.]-3-006-22-pdf-data.pdf) geht die Kammer von einer Verfassungswidrigkeit des § 2 Nr. 5 [X.] in der Fassung vom 14. Januar 2022 aus, da

· § 28c [X.] und die auf ihn gestützte [X.], insbesondere der hier streitgegenständliche § 2 Nr. 5, gegen den Wesentlichkeitsgrundsatz des Art. 20 Abs. 3 GG insoweit verstoßen, als hier im [X.] Sachverhalte geregelt werden, die zumindest mittelbar in die Grundrechte der Betroffenen eingreifen, da ein [X.] im Rahmen der sogenannten [X.] - Regelung für die Teilhabe am öffentlichen Leben neben einer Impfung essenziell ist und diese Regelungen aufgrund des Verweises auf die entsprechenden Vorgaben des [X.] nicht durch den Verordnungsgeber selbst, sondern durch die Exekutive getroffen werden. § 2 Nr. 5 selbst gibt keine Kriterien dazu vor, wann eine Immunisierung vorliegt, durch [X.] diese festgestellt wird, wie lange sie gilt und welche Ausnahmen möglich sind. Ob insoweit sogar – weitergehend – ein Parlamentsvorbehalt besteht, lässt die Kammer ausdrücklich offen;

· die dynamische Verweisung auf die [X.]seite des [X.] gegen das Verkündungsgebot verstößt. Eine schlichte Verweisung auf eine [X.]seite genügt den Anforderungen des Art. 82 Abs. 1 GG insbesondere aufgrund der Tatsache, dass sich der Inhalt dieser Seite quasi sekündlich ändern kann, nicht.

· es sich bei dem Verweis auf die Vorgaben des [X.] um eine verdeckte Subdelegation handelt, die mangels Ermächtigung seitens des Gesetzgebers unzulässig ist. § 28c [X.] enthält lediglich eine Verordnungsermächtigung in Bezug auf die Landesregierungen. Indem der Verordnungsgeber in § 2 Nr. 5 [X.] die konkrete Ausgestaltung der Norm vollständig dem [X.] überlässt, nimmt er gleichsam eine Unterermächtigung der Behörde vor, die nicht von der Verordnungsermächtigung gedeckt ist. Mit dieser Regelung hat die Bundesregierung als Verordnungsgeber eigene Aufgaben an das [X.] weitergegeben, ohne dazu ermächtigt gewesen zu sein. Dieses Vorgehen verstößt gegen die Vorgaben des Art. 80 Abs. 1 Satz 4 GG.

· die Regelung durch den Verweis auf die [X.]seite des [X.] gegen den verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 20 Abs. 3 GG verstößt, da der Inhalt dieser [X.]seite - wie bereits ausgeführt - ohne großen Aufwand und viel schneller als ein Rechtsetzungsverfahren möglich ist. Der Rechtsan[X.]der muss somit ständig überprüfen, ob die [X.]seite weiterhin denselben Inhalt hat, um über die Rechtslage informiert zu bleiben. Zutreffend stellt der Wissenschaftliche Dienst auch darauf ab, dass fraglich ist, ob im Fall einer Änderung der [X.]seite der frühere Inhalt archiviert abrufbar bleibt, um es sowohl für Bürger als auch Behörden und Gerichte nachvollziehbar zu machen, welche Regelung zu einem bestimmten [X.]punkt gegolten hat. Dieser Aspekt hat insbesondere im Rahmen eines Ordnungswidrigkeitsverfahrens erhebliche Bedeutung. Schließlich könnte es auch einen technischen Ausfall der Seite geben, die zur Folge hätte, dass die Regelungen nicht abgerufen werden könnten. Ein zeitlicher Regelungsdruck, der ein solches Vorgehen rechtfertigen könnte, ist auch für die Kammer nicht ersichtlich. Auch der parlamentarische Gesetzgeber scheint von einer besonderen Eilbedürftigkeit nicht auszugehen, da er die Bundesregierung in § 28c Satz 3 [X.] nur unter dem Vorbehalt der Zustimmung von [X.] und Bundesrat zum Erlass und zur Änderung der Ausnahmeverordnung ermächtigt.

Auch in materiell-rechtlicher Hinsicht - die Verfassungsmäßigkeit des § 2 Nr. 5 [X.] in Bezug auf die genannten Punkte unterstellt - hat die Kammer durchgreifende Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieser Regelung. Weder der Begründung zur Änderung der [X.] ([X.]. 20/390, [X.]) noch der entsprechenden Seite des [X.] ist eine wissenschaftlich überzeugende Begründung für die Dauer der Verkürzung des [X.] auf 90 Tage zu entnehmen.

In der Verordnungsbegründung heißt es lediglich:

„Der [X.] muss den auf der [X.]seite des [X.] unter www.rki.de/covid-19-genesenennachweis veröffentlichten Vorgaben entsprechen. Diese werden unter Berücksichtigung des aktuellen Stands der medizinischen Wissenschaft vom [X.] bekannt gemacht. Es handelt sich dabei um die zugrundeliegende Art der Testung zum Nachweis der vorherigen Infektion (z. B. P[X.]R-Test), die [X.], die nach der Testung vergangen sein muss (Beginn des [X.]) sowie die [X.], die seit der Testung höchstens zurückliegen darf (Ablauf des [X.]). Anstelle der [X.], die seit der die Infektion bestätigenden Testung vergangen sein muss kann auch der Nachweis zur Aufhebung der aufgrund der vorherigen Infektion erfolgten Absonderung (z. B. Freitestung) bestimmt werden.“

Das [X.] führt auf der genannten Seite im [X.]punkt der Beschlussfassung der Kammer (lediglich) drei Quellen auf:

(1) [X.], [X.], [X.] and [X.]. [X.] in [X.]. Imperial [X.]ollege London (22-12-2021)

(2) [X.]: SARS-[X.]oV-2 variants of concern and variants under investigation in [X.]. Technical briefing 34

(3) Wissenschaftliche Begründung der [X.] für die Empfehlung zur Verkürzung des [X.] zwischen Grundimmunisierung bzw. Infektion und Auffrischimpfung auf einen [X.]raum ab 3 Monaten

Demgegenüber steht eine Vielzahl von namhaften Stimmen aus Wissenschaft und Praxis, die eine Verkürzung dieses Status auf drei Monate für nicht nachvollziehbar und überflüssig hält (vgl. exemplarisch https://www.aerztezeitung.de/Politik/BAeK-Praesident-Reinhardt-unterstuetzt-Verkuerzung-des-[X.]-426411.html; [X.]; [X.]; https://www.deutschlandfunk.de/verkuerzung-des-genesenenstatus-100.html, jeweils abgerufen am 2. Februar 2022). So weist beispielsweise der Virologe Prof. Dr. [X.], Mitglied des Expertenrates der Bundesregierung, darauf hin, dass Genesene einen ebenso guten Schutz vor einer erneuten Infektion haben wie Geimpfte, eine Ungleichbehandlung damit also nicht angezeigt ist (vgl. [X.], abgerufen am 3. Februar 2022).

Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang überdies, dass sich die Quellen, die das [X.] anführt, zum großen Teil überhaupt nicht konkret mit der Dauer des [X.] beschäftigen. So empfiehlt die [X.] ([X.]), auf die das [X.] verweist, generell die Impfung. Genesene sollten mindestens drei Monate nach der Infektion abwarten. Ab dann gebe es keine gesundheitlichen Bedenken. Die Dauer der Schutzwirkung einer Infektion spielt hier keine Rolle. Mehr ist dort nicht ausgesagt; die Quelle taugt damit nicht zum wissenschaftlich fundierten Beleg einer Verkürzung des [X.].

Auch [X.]n man annehmen sollte, dass dem Verordnungsgeber beim Erlass der Verordnungen eine [X.] zukommt (vgl. [X.], Beschluss vom 8. November 2021 – 7 L 1768/21 –, juris; [X.], Beschluss vom 12. Oktober 2021 - 3 E 1200/21 Ge - juris Rn. 30 mit Hinweis auf [X.], Beschluss vom 12. November 2020 - 3 EN 747/20 - juris Rn. 75, [X.], Beschlüsse vom 12. Mai 2020 - 1 BvR 1027/20 - juris und vom 13. Mai 2020 - 1 BvR 1021/20 - juris; [X.], Beschluss vom 6. April 2020 - 13 [X.]/[X.] - juris; [X.], Beschlüsse vom 30. März 2020 - 20 NE 20.632 - juris Rn. 60 und - 20 [X.]S 20.611 - juris Rn. 22; O[X.]-Brandenburg, Beschluss vom 23. März 2020 - OVG 11 S 12/20 - juris Rn. 10), ist diese Änderung der Verordnung rechtswidrig. Aufgrund der soeben aufgezeigten wissenschaftlichen Unsicherheit der Rechtfertigung der Verkürzung des [X.] hat der Verordnungsgeber bzw. das von ihm ermächtigte [X.] eine eventuelle [X.] überschritten.

Ebenfalls zu beachten ist, dass sich die Mitgliedstaaten der [X.] kurz nach Inkrafttreten der Änderung der [X.] auch mit Zustimmung der [X.] Delegation auf eine Anerkennung des [X.] bei der Einreise innerhalb der [X.] für sechs Monate geeinigt haben (vgl. [X.]/, abgerufen am 2. Februar 2022). Zu dieser Regelung steht § 2 Nr. 5 [X.] nun in deutlichem Widerspruch, der auch vor dem Hinblick des Vorrangs des [X.]srechts Bedenken hervorruft.

Nach alledem hält die Kammer § 2 Nr. 5 [X.] in der Fassung vom 14. Januar 2022 für unwirksam.

(cc) Somit findet § 2 Nr. 5 [X.] in der Fassung vom 8. Mai 2021 mit einer Dauer des [X.] von 180 Tagen An[X.]dung. Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit dieser Vorschrift bestehen nicht; die Kammer schließt sich insoweit vollumfänglich der dazu ergangenen Rechtsprechung an (vgl. nur exemplarisch [X.]. OVG, Beschluss vom 13. Oktober 2021, a.a.[X.]; [X.], Beschluss vom 21. Dezember 2021, a.a.[X.]; [X.], Beschluss vom 8. November 2021, a.a.[X.], jeweils m.w.N.).

(dd) Soweit sich der Kläger gegen den Beginn seines [X.] erst 28 Tage nach der festgestellten Infektion [X.]det und fordert, dass er bereits ab dem [X.]punkt, an dem er aus der Quarantäne entlassen sei, als genesen gelten müsse, kann ihm darin nicht gefolgt werden. Diese Regelung beruht auf nachvollziehbaren wissenschaftlichen Erwägungen, die von der [X.] des Verordnungsgebers gedeckt sind. Das [X.] führt zu dieser Frage aus, dass die Dauer von 28 Tagen darin begründet sei, dass das Immunsystem eine gewisse [X.] benötige, um eine stabile [X.] aufzubauen. Erst dann sei ein verlässlicher Schutz vor einer Reinfektion gegeben. Da die [X.]spanne nach fachlichem Konsens zwischen 2 und 4 Wochen liegt, habe man sich auf 28 Tage geeinigt. So solle sichergestellt werden, dass mit dem [X.] auch ein ausreichender Immunschutz einhergehe. Nach demselben Prinzip gehe man auch bei der Impfung vor. Dort betrage die [X.]spanne zwischen der letzten erforderlichen Impfung und dem Gültigkeitsbeginn des [X.], um dem Körper genug [X.] zu geben, einen Immunschutz aufzubauen (vgl. [X.], abgerufen am 2. Februar 2022).

Gegen die Rechtmäßigkeit dieser bereits aus dem Umgang mit Impfungen und dem entsprechenden Status bekannte Vorgehensweise, die wissenschaftlich allgemein anerkannt ist, hat die Kammer keine Bedenken.

Der Kläger hat damit (lediglich) einen Anspruch auf die Ausstellung eines [X.]es in der Form, in der er ihn bereits unter dem 14. Januar 2022 - vor Inkrafttreten der Änderung der [X.] - vom Antragsgegner erhalten hatte (vgl. [X.]. 16 f. der GA).

2. Die weiteren Anträge des Antragstellers zu 2. und 3., die sich auf die Löschung sämtlicher von ihm gespeicherter Daten und ein Unterlassen der Verarbeitung seiner Daten im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung richten, haben keinen Erfolg.

a. Ihnen steht zunächst das oben aufgeführte Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache entgegen; anders als zu Ziffer 1. des Begehrens sind schwere und unzumutbare Nachteile des Antragstellers durch ein Zuwarten auf die Hauptsacheentscheidung nicht ersichtlich.

b. Weiterhin fehlt es an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs. Aus dem Vortrag des Antragsgegners geht hervor, dass die Daten des Antragstellers, die dort im Rahmen der Bearbeitung der im Zusammenhang mit seiner Infektion mit dem [X.]oronavirus anfallenden Verwaltungsvorgänge gespeichert worden sind, derzeit noch weiter benötigt werden. Dies liegt auch auf der Hand. Dafür, dass der Antragsgegner die Daten in der Folgezeit unrechtmäßig weiterverarbeiten oder nutzen wird, ist nichts ersichtlich. Ein Anspruch auf Löschung bzw. Untersagung der Weiterverarbeitung der Daten besteht damit nicht.

3. Die Anordnung der Hauptsacheklageerhebung beruht auf § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 926 ZPO. Hiernach ist dann, [X.]n - wie hier - die Hauptsache nicht anhängig ist, durch die Kammer anzuordnen, dass die [X.], die die einstweilige Anordnung erwirkt hat, binnen einer zu bestimmenden Frist Klage zu erheben hat. Aus der lediglich entsprechenden An[X.]dung der Norm folgt für den nach dem Amtsgrundsatz zu gestaltenden Verwaltungsprozess ein entsprechender Ausspruch von Amts wegen (Puttler, in: [X.]/[X.], VwGO, 5. Auflage [X.] 2018, § 123 Rn. 116). Die gesetzte Frist gibt dem Antragsteller unter Berücksichtigung der ihm vorliegenden Gründe dieses Beschlusses hinreichend [X.] zur Klageerhebung.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO. Der Antragsteller ist mit zwei seiner drei Anträge unterlegen; der dritte, ursprünglich ausschließlich auf einen früheren Beginn des [X.] gerichtete Antrag beinhaltete ein teilweises Obsiegen. Vor diesem Hintergrund erscheint es der Kammer sachgerecht, dass der Antragsteller 2/3 und der Antragsgegner 1/3 der Kosten des Verfahrens trägt.

5. Die Streitwertfestsetzung erfolgt gemäß §§ 53 Abs. 2, 52 Abs. 2 GKG. Die drei selbständigen Begehren hat die Kammer jeweils mit dem [X.] bewertet und kumuliert. Von einer Streitwerthalbierung hat die Kammer aufgrund der begehrten faktischen Vorwegnahme der Hauptsache unter Berücksichtigung der begrenzten Gültigkeitsdauer des [X.]es abgesehen.

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Meta

3 B 4/22

04.02.2022

VG Osnabrück 3. Kammer

Beschluss

Sachgebiet: B

Zitier­vorschlag: VG Osnabrück, Beschluss vom 04.02.2022, Az. 3 B 4/22 (REWIS RS 2022, 1493)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 1493

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