Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 05.02.2008, Az. 4 StR 391/07

4. Strafsenat | REWIS RS 2008, 5759

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[X.] Beschluss 4 StR 314/07 4 [X.] vom 5. Februar 2008 in der Strafsache gegen 1. 2. wegen nachträglicher Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung- 2 - Der 4. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 5. Februar 2008, an der teilgenommen haben: Vorsitzende [X.]in am [X.] [X.], [X.] am [X.] Maatz, Prof. Dr. [X.], [X.]in am [X.] [X.], [X.] am [X.] [X.]

als beisitzende [X.], Staatsanwältin

als Vertreterin der [X.], Rechtsanwalt , Rechtsanwalt als Verteidiger des Verurteilten [X.], Rechtsanwalt als Verteidiger des Verurteilten [X.], Justizangestellte

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, beschlossen: - 3 - [X.] Die Verfahren 4 StR 314/07 und 4 [X.] werden für das Verfahren nach § 132 Abs. 3, 4 GVG miteinander verbunden. I[X.] 1. Der Senat beabsichtigt zu entscheiden: Der Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwah-rung gemäß § 66 b Abs. 3 StGB steht nicht entgegen, dass der Betroffene nach Erklärung der Erledigung der Unterbringung in einem psychiatrischen Kranken-haus (§ 67 d Abs. 6 StGB) noch Freiheitsstrafe zu verbüßen hat, auf die zugleich mit der Unterbringung erkannt worden ist. 2. Der Senat fragt bei dem 1. Strafsenat des Bundesge-richtshofs an, ob er an seiner entgegenstehenden Entscheidung vom 28. August 2007 [X.] 1 [X.] (= NJW 2008, 240) festhält, bei den übrigen [X.], ob der beabsichtigten Entscheidung dortige Rechtsprechung entgegensteht und ob [X.] an dieser festgehalten wird. II[X.] [X.] wird ausgesetzt. - 4 - Gründe: 1. Den Revisionssachen liegen folgende Sachverhalte zu Grunde: 1 Verfahren 4 StR 314/07 gegen [X.] :Der Verurteilte war durch Urteil des [X.] vom 20. Dezember 2002 wegen vorsätzlichen Vollrausches zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt worden. Zugleich wurde gegen ihn [X.] zunächst [X.] die Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 1 StGB angeord-net. Nach den Feststellungen hatte er in erheblich alkoholisiertem Zustand ([X.] 4,02 Promille) einen Zechgenossen durch Schläge mit der Faust und einer Taschenlampe sowie durch Fußtritte misshandelt, so dass dieser u.a. ein Schädelhirntrauma und mehrere Gesichtsfrakturen erlitt. Das [X.] ging davon aus, dass der Verurteilte die Rauschtat (gefährliche Körperverlet-zung) im Zustand erheblich verminderter, möglicherweise sogar völlig aufgeho-bener Schuldfähigkeit begangen hatte, während er bei [X.] (im [X.]-punkt des [X.]) voll schuldfähig war. Nach den Feststellungen des [X.]s lag beim Verurteilten eine dissoziale Persönlichkeitsstörung vor, die zwar seine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit hinsichtlich der [X.] beeinträchtigte, die jedoch nicht so erheblich war, dass sie in den Anwendungsbereich des § 21 StGB fiel. Deshalb lehnte das [X.] eine Unterbringung gemäß § 63 StGB ab. Von einer Unterbringung des Verurteilten nach § 64 StGB sah es wegen mangelnder Erfolgsaussichten ab. 2 Auf die Revision des Angeklagten hob der Senat das Urteil durch [X.] vom 8. Januar 2004 (= NStZ 2004, 384; vgl. auch den Senatsbeschluss vom 5. August 2003 = NStZ 2004, 96 [X.]. [X.] NStZ 2004, 198) im 3 - 5 - [X.] mit den Feststellungen auf und verwarf die Revision im Üb-rigen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass dem Angeklagten kein Nachteil daraus erwachsen dürfe, dass er nicht wegen der Rauschtat (gefährliche Kör-perverletzung), sondern (weil seine Steuerungsfähigkeit möglicherweise aufge-hoben war) in Anwendung des [X.] wegen Vollrausches verurteilt worden sei. In erneuter Anwendung des [X.] (diesmal zum [X.]) habe das [X.] die Voraussetzungen des § 63 StGB prüfen und nach § 72 Abs. 1 StGB der Maßregel den Vorzug geben müssen, die den Angeklagten am wenigsten beschwere. Durch Urteil des [X.]s vom 17. Juni 2004, rechtskräftig seit 11. August 2004, wurde gegen den Verurteilten - neben der bereits rechtskräftig verhängten Freiheitsstrafe - die Unterbringung in einem psychiatrischen Kran-kenhaus gemäß § 63 StGB angeordnet. Nach den Feststellungen in diesem Urteil litt der Verurteilte an einer schweren dissozialen Persönlichkeitsstörung. Diese habe zwar für sich betrachtet seine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit nicht erheblich beeinträchtigt. Jedoch habe zwischen der dissozialen Persön-lichkeitsstörung und der Alkoholsucht des Verurteilten eine Wechselwirkung bestanden; die Persönlichkeitsstörung sei für das Fortbestehen der Alkohol-sucht kausal. Zur Tatzeit sei der Verurteilte entweder gar nicht oder nur erheb-lich vermindert in der Lage gewesen, sein Verhalten im Hinblick auf die von ihm begangene gefährliche Körperverletzung zu steuern. Von ihm seien infolge [X.] weiter andauernden Zustandes auch in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten; von ihm gehe deshalb eine Gefahr für die Allgemeinheit aus. 4 - 6 - Ab dem 16. November 2004 wurde die Maßregel vollzogen. Durch [X.] des [X.]s Paderborn vom 22. September 2006 wurde die Un-terbringung gemäß § 67 d Abs. 6 Satz 1 StGB für erledigt erklärt, weil bei dem Verurteilten eine Persönlichkeitsstörung nicht vorliege, so dass - obwohl er wei-terhin gefährlich sei - die Voraussetzung für den weiteren Vollzug der Maßregel entfalle. Die noch offene Restfreiheitsstrafe von 116 Tagen aus dem Urteil des [X.] vom 20. Dezember 2002 wurde nicht zur Bewährung ausgesetzt. Der Verurteilte verbüßte die Restfreiheitsstrafe in der [X.] vom 18. Oktober 2006 bis zum 25. Januar 2007. Seit dem 26. Januar 2007 wird der nach § 275a Abs. 5 StPO erlassene Unterbringungsbefehl des [X.] gegen ihn vollzogen. 5 Die Staatsanwaltschaft hat mit Antrag vom 26. Oktober 2006 die nach-trägliche Anordnung der Sicherungsverwahrung gegen den Verurteilten gemäß § 66 b Abs. 3 StGB beantragt. Dem hat das [X.] Bielefeld mit Urteil vom 28. Februar 2007 entsprochen. Hiergegen wendet sich der Verurteilte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. 6 Verfahren 4 [X.] gegen [X.]: Der wiederholt, unter anderem wegen Mordes und gefährlicher Körper-verletzung vorbestrafte Verurteilte war durch Urteil des [X.]s Saarbrü-[X.] vom 28. September 1989 wegen vorsätzlichen Vollrausches zu einer Frei-heitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Zugleich hatte das [X.] seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB angeordnet. Der Verurteilung lag zugrunde, dass der [X.] die Tatbestände der gefährlichen Körperverletzung, versuchten 7 - 7 - Vergewaltigung sowie des versuchten Totschlags verwirklicht hatte. Die [X.] hatte das [X.] mit einer Persönlichkeitsstörung und der Neigung des Verurteilten zur Begehung schwerster, sexuell motivierter Straftaten begründet. Durch Urteil des [X.]s Trier vom 28. Februar 1991 wurde in ei-nem Sicherungsverfahren erneut die Unterbringung des Verurteilten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet (§ 63 StGB). Gegenstand dieses [X.] war die Begehung einer gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil einer Prostituierten während einer Flucht des Verurteilten aus dem [X.]. 8 Der Verurteilte befand sich [X.] mit Ausnahme eines [X.]raumes von ca. sechs Monaten, während dessen er erneut flüchtig war [X.] im Maßregelvollzug. Mit Beschluss vom 28. November 2005 erklärte die Strafvollstreckungskammer bei dem [X.] Saarbrü[X.] gemäß § 67 d Abs. 6 StGB die [X.] für erledigt, da ein Zustand im Sinne des § 20 StGB nicht (mehr) gegeben sei. Zugleich lehnte sie die Aussetzung des [X.] aus dem Urteil des [X.]s Saarbrü[X.] vom 28. September 1989 zur [X.] ab. Ab dem 23. Dezember 2005 befand sich der Verurteilte sodann in Strafhaft, als Strafende war der 22. Juni 2007 festgesetzt. Der Verurteilte hatte somit im [X.] an die Erledigung der Unterbringung in einem psychiatri-schen Krankenhaus noch eine Restfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten zu verbüßen. 9 Die Staatsanwaltschaft hat mit Antragsschrift vom 14. November 2006 die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung gegen den Verurteilten gemäß § 66 b Abs. 3 StGB beantragt. Dem hat das [X.] Saarbrü[X.] mit Urteil vom 4. April 2007 entsprochen. Hiergegen wendet sich der Verurteilte 10 - 8 - mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. 2. Der Senat beabsichtigt, beide Rechtsmittel als unbegründet zu verwer-fen. Hieran sieht er sich jedoch durch das Urteil des [X.] vom 28. Au-gust 2007 [X.] 1 [X.] (= NJW 2008, 240) gehindert. 11 Der 1. Strafsenat hat in dieser Entscheidung ausgesprochen, die [X.] in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 67 d Abs. 6 StGB) könne regelmäßig nur dann Grundlage für die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung nach § 66 b Abs. 3 StGB sein, wenn an-derenfalls der Betroffene in die Freiheit zu entlassen wäre. Habe er dagegen im [X.] an die Erledigung noch Freiheitsstrafe zu verbüßen, auf die zugleich mit der Unterbringung erkannt worden war, so könne nachträgliche Sicherungs-verwahrung regelmäßig nur unter den Voraussetzungen von § 66 b Abs. 1 StGB oder § 66 b Abs. 2 StGB angeordnet werden. 12 Der 1. Strafsenat hat sich hierbei zur Begründung auf folgende Passage in den Gesetzesmaterialien (BTDrucks. 15/2887 [X.]) gestützt: 13 "Anwendung soll die Vorschrift vor allem in denjenigen Fällen finden, in denen der Untergebrachte von dem erkennenden Gericht für schuldunfähig gehalten und deshalb nur die Unter-bringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet wurde, ohne dass parallel eine Freiheitsstrafe verhängt wer-den konnte. Erfasst werden von der Vorschrift daneben aber auch die Fälle, in denen das Gericht unter Anwendung des § 21 StGB neben der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus eine Freiheitsstrafe verhängt hatte, in denen die Freiheitsstrafe aber in Umkehrung der regelmäßigen Vollstre-ckungsreihenfolge (§ 67 Abs. 1 und 2 StGB) bereits vor dem Vollzug der Maßregel vollständig vollstreckt wurde und somit der Untergebrachte nunmehr aus der Maßregel in Freiheit zu entlassen wäre. In Fällen, in denen nach Erledigung der [X.] noch eine parallel verhängte Freiheitsstrafe zu vollstre-- 9 - [X.] ist, ergibt sich demgegenüber zunächst kein Bedürfnis für die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 3 StGB - neu -. Hier kommt ggf. vor Ende des Vollzugs der Freiheitsstrafe die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 1 und 2 StGB - neu - in Betracht." Diese Ausführungen in den Materialien hat der 1. Strafsenat so gedeutet, dass nach dem Willen des Gesetzgebers in Fällen, in denen nach der [X.] noch zugleich mit ihrer Anordnung verhängte [X.] zu vollstre[X.] ist, nachträgliche Sicherungsverwahrung —[X.] nicht in Frage stehe. Später [X.] in Anbetracht der Entlassung aus dem Strafvollzug [X.] sollen allein die gesetzlichen Voraussetzungen von § 66 b Abs. 1 und 2 StGB maßgebend sein. Hierbei hat er nicht verkannt, dass ein derartiger Wille des Gesetzgebers im Gesetzeswortlaut des § 66 b Abs. 3 StGB keinen Niederschlag gefunden hat. Er hat es jedoch für zulässig gehalten, auch in ei-nem solchen Fall Vorstellungen des Gesetzgebers der Gesetzesauslegung zu Grunde zu legen, wenn sich diese ausschließlich zu Gunsten des von der straf-rechtlichen Bestimmung Betroffenen auswirken. Der 1. Strafsenat hat zwar [X.], ob in Fällen, in denen nach der Erledigungsentscheidung nur noch für sehr kurze [X.] Strafe zu vollstre[X.] wäre, eine Ausnahme gemacht werden könnte. Er hat diese Frage jedoch mit der Begründung offen gelassen, dass in dem zu entscheidenden Fall gegen den Betroffenen noch mehr als zehn Mona-te Freiheitsstrafe [X.] und damit ersichtlich nach seiner Ansicht nicht mehr eine nur sehr kurze Freiheitsstrafe [X.] zu vollstre[X.] waren. 14 3. Der Senat teilt zwar grundsätzlich das Bestreben, die Vorschriften über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung wegen des schwerwiegenden Eingriffs in Freiheitsrechte der Betroffenen restriktiv auszule-gen. Er vermag sich aber der Auffassung, dass eine Anwendung des § 66 b Abs. 3 StGB ausscheidet, sofern nach der Erledigungsentscheidung noch 15 - 10 - gleichzeitig mit der Unterbringung verhängte Freiheitsstrafe zu vollstre[X.] ist, gleichwohl nicht anzuschließen. Er ist der Meinung, dass insoweit auch nicht zwischen —sehr kurzenfi und länger bemessenen Freiheitsstrafen differenziert werden kann. Da in den zu entscheidenden Fällen nach den [X.] noch Freiheitsstrafen von fast vier Monaten (Verfahren 4 StR 314/07) und von einem Jahr und sechs Monaten (Verfahren 4 [X.]) zu vollstre[X.] waren, kann er diese Frage auch nicht mit Blick auf die Entschei-dung des [X.] vom 28. August 2007 offen lassen. Für eine [X.] Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 b Abs. 1 oder Abs. 2 StGB liegen in beiden Verfahren die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vor. a) Es kann dahingestellt bleiben, ob überhaupt und - wenn ja - unter wel-chen Voraussetzungen bei der Auslegung von Gesetzen ein gesetzgeberischer Wille Berücksichtigung finden kann, der im Gesetzeswortlaut keinen [X.] gefunden hat. Jedenfalls trägt die angeführte Stelle der Gesetzesmateri-alien nach Ansicht des Senats nicht die ihr zugeschriebene Deutung; sie ist vielmehr unklar und damit ihrerseits auslegungsbedürftig. Wenn es dort nämlich heißt, dass in den Fällen, in denen nach Erledigung der Maßregel noch eine parallel verhängte Freiheitsstrafe zu vollstre[X.] ist, sich —zunächstfi kein Be-dürfnis für die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung —nach § 66 b Abs. 3 StGB [X.] neufi ergibt, lässt diese Formulierung zwanglos die Deutung zu, dass ein solches Bedürfnis jedenfalls später [X.] nämlich zum Ende des [X.] hin [X.] nach dieser Bestimmung besteht. Auch der anschließende Satz, nach welchem —ggf.fi vor Ende des Vollzugs der Freiheitsstrafe die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 b Abs. 1 und 2 StGB [X.] neu [X.] —in [X.] komme, zwingt nicht zu der Deutung, dass allein § 66 b Abs. 1 und 2 StGB anwendbar und Abs. 3 —gesperrtfi sein soll. Die gewählten Formulierun-gen lassen vielmehr nach Auffassung des Senats das —[X.] zwischen den Absätzen 1 und 2 des § 66 b StGB und dessen Absatz 3 letztlich 16 - 11 - offen. Sie lassen zudem besorgen, dass ihr Verfasser bei der Abfassung nicht im Blick gehabt hat, dass zwar im Einzelfall die Voraussetzungen des Absatzes 3 gegeben sein können, nicht aber die der enger gefassten Absätze 1 und 2. Bleibt aber bereits der in den Materialien niedergelegte gesetzgeberische Wille unklar, so kann er nicht Grundlage für die Korrektur einer für sich gesehen ein-deutigen Gesetzesnorm sein. Die vom 1. Strafsenat erwogene Ausnahme für —sehr kurzefi Reststrafen würde zudem mangels einer klaren Grenzziehung zu großer Rechtsunsicherheit in einem außerordentlich sensiblen Rechtskreis führen. Diese wäre nur durch eine obergerichtlich eindeutig bestimmte Festlegung auf eine nicht zu über-schreitende Reststrafe von beispielsweise drei, vier oder gar sechs Monate zu vermeiden. Damit überschritte der [X.] jedoch nach Auffassung des Senats die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung. 17 b) Gegen die Auffassung des [X.] spricht im Übrigen auch eine systematische Auslegung des § 66 b Abs. 3 StGB. Nach ihrem Wortlaut erfasst diese Bestimmung auch die Fälle, in denen die Unterbringung in einem psychi-atrischen Krankenhaus auf einem Zustand beruhte, der die Schuldfähigkeit le-diglich erheblich verminderte (§ 21 StGB). Da § 21 StGB nur die Milderung der Strafe vorsieht, wird in diesen Fällen neben der Maßregel des § 63 StGB re-gelmäßig auch Freiheitsstrafe verhängt. Die Maßregel wird in der Regel vor der Strafe vollzogen (§ 67 Abs. 1 StGB). Der Vollzug der Maßregel wird dann auf die Strafe teilweise, nämlich lediglich bis zu zwei Dritteln angerechnet (§ 67 Abs. 4 StGB). In den Fällen der Unterbringung nach den §§ 63, 21 StGB ist [X.] in aller Regel ein Strafrest vorhanden, der bei gefährlichen Tätern im [X.] auf die dann regelmäßig negative Kriminalprognose auch zu verbüßen ist. Durch die Herausnahme dieser Fälle würde § 66 b Abs. 3 StGB einen nicht un-wesentlichen Teil seines Anwendungsbereichs verlieren. 18 - 12 - c) Die vom 1. Strafsenat vorgenommene Einschränkung des Anwen-dungsbereichs des § 66 b Abs. 3 StGB führt auch zu [X.]. Sie führt im Ergebnis dazu, dass in den Fällen, in denen der Täter bei der [X.] (Anordnung der Maßregel ohne Freiheitsstrafe) oder [X.] was der 1. Strafsenat jedenfalls offen gelassen hat [X.] mit geringer Schuld (Verhän-gung einer kurzen Freiheitsstrafe) gehandelt hat, die Sicherungsverwahrung nach § 66 b Abs. 3 StGB nachträglich angeordnet werden könnte, wohingegen die nachträgliche Unterbringung des [X.], der durch die Tat große Schuld auf sich geladen hat und gegen den daher eine hohe Freiheitsstrafe verhängt [X.] ist, nur nach den engeren Voraussetzungen des § 66 b Abs. 1 und 2 StGB in Betracht käme. Die Frage, ob § 66 b Abs. 3 StGB oder aber § 66 b Abs.1, 2 StGB anwendbar ist, könnte bei Zugrundelegung der Auffassung des 1. Straf-senats zudem von bloßen Zufälligkeiten des [X.]. So können etwa Änderungen in der [X.] (§ 67 Abs. 2, 3 StGB) dazu führen, dass [X.] trotz Verhängung einer Freiheitsstrafe [X.] zum [X.]punkt der Erledigungserklärung keine Freiheitsstrafe oder nur noch ein geringer Strafrest zu vollstre[X.] ist. Ähnliches gilt für den Fall, dass freiheits-entziehende Maßnahmen so weit auf die erkannte Freiheitsstrafe anzurechnen sind (§ 51 StGB), dass entweder kein oder nur ein geringer Strafrest verbleibt. 19 d) Die Anwendbarkeit des § 66 b Abs. 3 StGB in Fällen, in denen nach der Erledigungserklärung noch Freiheitsstrafe zu vollstre[X.] ist, führt schließ-lich auch nicht zu sachlich nicht gerechtfertigten Ergebnissen. Das Gesetz sieht keine Frist vor, innerhalb der die Entscheidung nach § 66 b Abs. 3 StGB zu tref-fen ist. Die Bestimmung des § 275 a Abs. 1 S. 3 StPO, wonach die Staatsan-waltschaft den Antrag auf nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung spätestens sechs Monate vor dem Ende des Straf- oder [X.] soll, betrifft nur die Fälle des § 66 b Abs. 1 und 2 StGB. Die Entscheidung 20 - 13 - nach § 66 b Abs. 3 StGB kann [X.] und sollte im Interesse einer sachgerechten Ermessensentscheidung [X.] daher auch erst nach Ablauf eines unter Umständen längeren Strafvollzugs unter Berücksichtigung der weiteren Entwicklung des Verurteilten im Vollzug erfolgen. Zwar sind die Anforderungen für die [X.] nach § 66 b Abs. 3 StGB geringer, als die nach § 66 b Abs. 1 oder 2 StGB, insbesondere bedarf es für § 66 b Abs. 3 StGB [X.] anders als für die Absätze 1 und 2 [X.] keiner neuen Tatsachen (—Novafi). Aber auch dieser Ge-sichtspunkt rechtfertigt nicht die Annahme einer Sperrwirkung des § 66 b Abs. 1, 2 StGB. Denn [X.] wie der 1. Strafsenat in seiner Entscheidung vom 28. August 2007 in anderem Zusammenhang (Rn. 19 = NJW 2008, 242) zu Recht ausgeführt hat [X.] haben die Bestimmungen des § 66 b Abs. 1, 2 StGB und des § 66 b Abs. 3 StGB unterschiedliche [X.]: Während in den Fällen des § 66 b Abs.1, 2 StGB eine im Erkenntnisverfahren nicht ange-ordnete freiheitsentziehende Maßregel von unbestimmter Dauer nachträglich hinzugefügt wird, geht es in § 66 b Abs. 3 StGB im [X.] darum, bei einem nach wie vor hochgefährlichen Täter eine bereits angeordnete, dann aber erledigte freiheitsentziehende Maßregel von unbestimmter Dauer (§ 63 StGB) durch eine andere freiheitsentziehende Maßregel von unbestimmter Dauer zu ersetzen. - 14 - Ein schutzwürdiges Vertrauen des Verurteilten, nach einer bestimmten [X.]-spanne in Freiheit zu gelangen, wird daher im Anwendungsbereich des § 66 b Abs. 3 StGB nicht oder jedenfalls in geringerem Maße als in den Fällen des § 66 b Abs. 1 und 2 StGB tangiert. Tepperwien Maatz [X.] [X.] Ernemann

Meta

4 StR 391/07

05.02.2008

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 05.02.2008, Az. 4 StR 391/07 (REWIS RS 2008, 5759)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2008, 5759

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