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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"
Teilweise stattgebender Kammerbeschluss: Verletzung der Meinungsfreiheit (Art 5 Abs 1 S 1 GG) durch unzutreffende fachgerichtliche Einstufung einer Äußerung als Tatsachenbehauptung statt als Werturteil - hier: Zeitungsartikel betreffs die Finanzierung von Zeitungsannoncen für das Buch "Besser die Wahrheit" - Gegenstandswertfestsetzung
1. Das Urteil des [X.] vom 22. Juli 2014 - 7 U 105/12 - verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes.
2. Die Entscheidung wird aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.
3. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
4. Die [X.] hat der Beschwerdeführerin die ihr im Verfassungsbeschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.
5. [X.] wird auf 25.000 € (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro) festgesetzt.
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen eine zivilgerichtliche Unterlassungsverurteilung.
1. Die Beschwerdeführerin verlegt die Tageszeitung "[X.]" und betreibt die Internetseite www.[X.].de. Der Kläger des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Kläger) ist Journalist bei der [X.] und Autor mehrerer Bücher, die teilweise in Zusammenarbeit mit Politikern entstanden sind, wie auch des Buchs des ehemaligen Ministerpräsidenten [X.] "[X.]", das im Jahr 2007 in Form eines Interviewbuchs erschien. Der Kläger hatte mit dem Verlag einen [X.] geschlossen. Die Rechnung für eine bereits geschaltete Werbekampagne reichte der Verlag an einen bekannten Unternehmer weiter, der im Februar 2008 aus seinen Privatmitteln einen Betrag von 42.700 € auf diese Rechnung zahlte.
Die [X.] berichtete am Abend des 19. Dezember 2011 über diesen Vorgang unter [X.], als der damalige Bundespräsident (zunächst) wegen eines privaten Darlehens und eines diesbezüglichen Anrufs beim damaligen Chefredakteur von [X.] unter Beschuss geraten war. Sie veröffentlichte in diesem Zusammenhang ein Zitat des [X.] vom Vortag, dass er "erst heute" von der Weitergabe der Rechnungen erfahren habe. Am 20. Dezember 2011 erschien auf [X.] ein Beitrag des [X.], in dem er die Anzeigenfinanzierung kritisierte. In der Überschrift wurde er namentlich genannt und mitgeteilt, dass er die Anzeigen für problematisch halte.
Dies nahm die Beschwerdeführerin zum Anlass, am 21. Dezember 2011 in der Printausgabe die streitgegenständliche Berichterstattung zu veröffentlichen.
Bundespräsident unter Beschuss
Abseits des Geheuls
[X.] wankt. Muss er zurücktreten? Gründe dafür gibt es, jeden Tag ein paar mehr. Aber Journalisten sollen in dieser Frage nicht der Maßstab sein. Ein Plädoyer.(…)
Auch Christian [X.] steht zu Christian [X.]. (…) Anders die Medien, viele haben ihr Urteil über den Bundespräsidenten gefällt. Zu beobachten ist ein bemerkenswerter Schulterschluss vom Boulevard zum Feuilleton, ein seltenes Medienereignis. [X.] zu bestaunen, als [X.] ins [X.] einziehen sollte. Es hat nicht geklappt.
Sollen Schlagzeilen [X.] stürzen?
(…) Die Bild collagiert eine Auswahl eindeutiger Überschriften ("[X.]s heikle Urlaubs-Liste", "[X.] wartet auf Weihnachtswunder", "Ein Präsident auf Abruf") und fragt, scheinbar besorgt, ernsthaft scheinheilig: "Wie lange hält das Amt solche Schlagzeilen aus?"
Eine interessante Frage, die viel über ihren Urheber im Speziellen und die Debatte im Allgemeinen aussagt. (…) Interessant ist diese Frage vor allem dann, wenn sie die Bild stellt. Das Boulevardblatt ist in der Causa [X.] nicht Beobachter. Sondern Akteur. [X.] (…) [= der Kläger] schrieb das umstrittene [X.]-Buch "[X.]", für das der Millionär M. Werbeanzeigen im Wert von rund 50.000 Euro schaltete. In der heutigen Ausgabe des Boulevardblattes behauptete [der Kläger], er habe von nichts gewusst: "Ich habe erst heute erfahren, dass die Rechnung vom Verlag an Herrn M. weitergegeben wurde".
Ob [der Kläger] die Wahrheit sagt oder lügt, ob er vom [X.]-M.-Sumpf wusste (oder womöglich selbst darin schwamm), ist kaum herauszufinden. In der großen Affäre um den Bundespräsidenten bleibt diese Frage allenfalls eine Randnotiz. [Der Kläger] muss, anders als der Bundespräsident, kaum fürchten, dass seine Verstrickungen enthüllt und seine Abhängigkeiten öffentlich werden. Er ist Journalist, nicht Politiker. Das ist, in diesem Fall, sein Glück.
Der Kläger begehrte von der Beschwerdeführerin Unterlassung des letzten Absatzes. Hilfsweise beantragte er die Beschwerdeführerin zur Unterlassung zu verurteilen, durch die Passage den Verdacht zu erwecken, dass der Kläger bereits vor dem 19. Dezember 2011 gewusst habe, wer die Werbeanzeigen für das Buch "[X.]" finanziert habe.
2. Nachdem das [X.] die Klage abgewiesen hatte, änderte das [X.] das landgerichtliche Urteil ab und gab dem Hilfsantrag statt. Die angegriffene Berichterstattung verletze den Kläger rechtswidrig in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Es handle es sich um eine Verdachtsberichterstattung. Ein unbefangener Durchschnittsleser werde die Passage nicht als Meinungsäußerung auffassen, sondern dergestalt, dass die Beschwerdeführerin den Vorgang um die Kenntnisnahme des [X.] von der Bezahlung der Anzeigen bewerte. Die Beschwerdeführerin stelle nicht die Behauptung auf, dass der Kläger lüge, sie verbreite aber einen entsprechenden Verdacht. [X.] Gewicht komme dabei dem Satz "Das ist, in diesem Fall, sein Glück." zu. Dieses Glück bestehe nach dem [X.] dahin, dass auf Grund der ausgebliebenen Nachforschungen die Verstrickungen des [X.] nicht zutage treten würden. Damit gehe im Gesamtkontext der Verdacht einher, der Kläger habe gelogen. Im vorliegenden Rechtsstreit habe die Vernehmung des zuständigen [X.] die entsprechende Behauptung der Beschwerdeführerin nicht bestätigt. Die angegriffene Berichterstattung verletze das allgemeine Persönlichkeitsrecht des [X.], setze sie ihn doch dem Verdacht aus, gelogen zu haben. Für die Äußerung dieses Verdachtes fehle es aber am [X.] an [X.], so dass sie unzulässig sei.
3. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin gegen die Entscheidungen des [X.]s und des [X.]s und rügt insbesondere die Verletzung ihrer Meinungsäußerungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.
4. Der [X.], die Präsidentin des [X.] und der Kläger erhielten Gelegenheit zur Stellungnahme. Von einer Stellungnahme wurde abgesehen. Die Akten des Ausgangsverfahrens lagen dem [X.] vor.
Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b [X.] zur Entscheidung angenommen, soweit sie sich gegen die Entscheidung des [X.]s richtet und mit ihr eine Verletzung von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gerügt wird. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b [X.]).
1. Das [X.] hat die maßgeblichen Fragen im Bereich des Äußerungsrechts und des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bereits entschieden (vgl. [X.] 85, 1; 99, 185; 114, 339). Danach ist die Verfassungsbeschwerde im Umfang der Annahme zulässig und im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 [X.] offensichtlich begründet.
2. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerin in ihrer Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.
a) Auslegung und Anwendung der einschlägigen zivilrechtlichen Bestimmungen ist Aufgabe der ordentlichen Gerichte. Bei ihrer Entscheidung haben sie jedoch dem Einfluss der Grundrechte auf die Vorschriften des Zivilrechts Rechnung zu tragen (vgl. [X.] 7, 198 <208>; 85, 1 <13>; stRspr). Handelt es sich um Gesetze, die die Meinungsfreiheit beschränken, ist dabei nach ständiger Rechtsprechung des [X.]s das eingeschränkte Grundrecht zu beachten, damit dessen wertsetzende Bedeutung auch auf der [X.] gewahrt bleibt (vgl. [X.] 7, 198 <208 f.>). Ein Verstoß gegen Verfassungsrecht, den das [X.] zu korrigieren hat, liegt erst vor, wenn eine gerichtliche Entscheidung Auslegungsfehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung und Tragweite eines Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen (vgl. [X.] 18, 85 <93>; 42, 143 <149>; 85, 1 <13>). Handelt es sich um Eingriffe in die Meinungsfreiheit, kann dies allerdings schon bei unzutreffender Erfassung oder Würdigung einer Äußerung der Fall sein ([X.] 85, 1 <13>). Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit sind ferner verkannt, wenn die Gerichte eine Äußerung unzutreffend als Tatsachenbehauptung, Formalbeleidigung oder Schmähkritik einstufen mit der Folge, dass sie dann nicht im selben Maß am Schutz des Grundrechts teilnimmt wie Äußerungen, die als Werturteil ohne beleidigenden oder [X.] Charakter anzusehen sind ([X.] 85, 1 <14> m.w.N).
b) Während Tatsachenbehauptungen durch die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Wirklichkeit geprägt werden und der Überprüfung mit Mitteln des Beweises zugänglich sind (vgl. [X.] 90, 241 <247>; 94, 1 <8>), handelt es sich bei einer Meinung um eine Äußerung, die durch Elemente der Stellungnahme und des [X.] geprägt ist (vgl. [X.] 7, 198 <210>; 61, 1 <8>; 90, 241 <247>; 124, 300 <320>). Bei der Frage, ob eine Äußerung ihrem Schwerpunkt nach als Tatsachenbehauptung oder als Werturteil anzusehen ist, kommt es entscheidend auf den Gesamtkontext der fraglichen Äußerung an (vgl. [X.] 93, 266 <295>; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 4. August 2016 - 1 BvR 2619/13 -, juris, Rn.13).
c) Die angegriffene Entscheidung genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht. Das [X.] geht in verfassungsrechtlich nicht tragbarer Weise davon aus, dass die Äußerung der Beschwerdeführerin als Tatsache einzuordnen ist und mithin die Grundsätze zur Verdachtsberichterstattung zur Anwendung kommen. Dass [X.] verneint zunächst das Vorliegen einer Meinungsäußerung mit der Begründung, dass die Beschwerdeführerin eine Bewertung vornehme. Diese Begründung ist nicht schlüssig, da eine Bewertung gerade keine dem Beweis zugängliche Tatsachenbehauptung ist. Das [X.] nimmt dennoch eine Tatsachenbehauptung an und wendet die Grundsätze zur Verdachtsberichterstattung an, die bei Tatsachenbehauptungen, deren Wahrheitsgehalt ungeklärt ist, zur Anwendung kommen (vgl. [X.] 114, 339 <353>; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 25. Juni 2009 - 1 BvR 134/03 -, NJW-RR 2010, S. 470 <471>; [X.], Urteil vom 17. Dezember 2013 - [X.] -, NJW 2014, S. 2029 <2932>). Das [X.] verkennt hierbei, dass die kritische Bewertung der Äußerung des [X.] und die als bloße Vermutung ausgewiesenen Zweifel an der Wahrheit dieser Aussage von Elementen der Stellungnahme und des [X.] geprägt sind und, abgeleitet aus den konkreten Umständen der Nähe des [X.] zu den in Frage stehenden Ereignissen, damit ein Werturteil darstellen.
d) Bereits die unzutreffende Einordnung der Äußerung als Tatsachenbehauptung verletzt die Meinungsfreiheit der Beschwerdeführerin aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Diese wirkt sich auch auf die vorgenommene Abwägung aus, bei der sich das [X.] auf die Feststellung beschränkt, dass es an einem [X.] an [X.] fehlt.
3. Die Entscheidung beruht auf den aufgezeigten verfassungsrechtlichen Fehlern. Es ist nicht auszuschließen, dass das [X.] bei erneuter Befassung zu einer anderen Entscheidung in der Sache kommen wird. Im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung ist der Gesamtzusammenhang der streitgegenständlichen Äußerung zu beachten, die in eine Kritik am medialen Umgang mit dem Bundespräsidenten eingebettet war und an die Tätigkeit des [X.] als Autor des Buchs anknüpft. In die Abwägung wird weiter einzustellen sein, dass sich der Kläger mit seinem Artikel selbst in die Öffentlichkeit begeben hat.
4. Soweit die Beschwerdeführerin das Urteil des [X.]s angreift und die Verletzung weiterer Grundrechte rügt, wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Von einer Begründung wird insoweit gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.
5. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin beruht auf § 34a Abs. 2 [X.].
6. Die Festsetzung des Gegenstandswerts der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfassungsbeschwerdeverfahren folgt aus § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. [X.] 79, 365 <366 ff.>).
Meta
16.03.2017
Bundesverfassungsgericht 1. Senat 3. Kammer
Stattgebender Kammerbeschluss
Sachgebiet: BvR
vorgehend Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, 22. Juli 2014, Az: 7 U 105/12, Urteil
Art 1 Abs 1 GG, Art 2 Abs 1 GG, Art 5 Abs 1 S 1 GG, Art 5 Abs 2 GG, § 93c Abs 1 S 1 BVerfGG, § 823 Abs 2 BGB, § 1004 Abs 1 S 2 BGB, § 14 Abs 1 RVG, § 37 Abs 2 S 2 RVG
Zitiervorschlag: Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 16.03.2017, Az. 1 BvR 3085/15 (REWIS RS 2017, 13916)
Papierfundstellen: REWIS RS 2017, 13916
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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.
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