Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11.04.2018, Az. VII ZR 177/17

7. Zivilsenat | REWIS RS 2018, 11012

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Gegenstand

Rechtliches Gehör: Nichtzulassung neuen entscheidungserheblichen Vortrags bei Verletzung der richterlichen Hinweispflicht im erstinstanzlichen Verfahren


Tenor

Der Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision wird teilweise stattgegeben.

Der Beschluss des 11. Zivilsenats des [X.] vom 12. Juli 2017 wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht das vom Beklagten geltend gemachte Zurückbehaltungsrecht wegen Mängeln der Werkleistung sowie die hilfsweise geltend gemachte Aufrechnung abgelehnt hat.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des 11. Zivilsenats des [X.] vom 12. Juli 2017 zurückgewiesen.

Gegenstandswert der Nichtzulassungsbeschwerde    
und des stattgebenden Teils:

37.424,58 €

Gründe

I.

1

Die Klägerin fordert von dem beklagten Rechtsanwalt die Zahlung restlichen [X.] für Arbeiten der Gewerke Heizung, Lüftung und Sanitär an dessen Anwesen [X.] in [X.] Arbeiten der Klägerin lag ein Angebot vom 12. April 2013 über netto 20.973,90 € zugrunde. Der Auftrag wurde später erweitert, wobei der Umfang der Erweiterung zwischen den [X.]en streitig ist. Eine förmliche Abnahme erfolgte nicht. Die Klägerin legte am 3. März 2014 Schlussrechnung, aus der unter Berücksichtigung von Abschlagszahlungen ein Betrag in Höhe von 37.424,58 € offen ist. Der [X.] hat sich in erster Instanz gegenüber der [X.] auf ein Zurückbehaltungsrecht berufen, weil die Arbeiten der Klägerin mangelhaft gewesen seien, und angekündigt, hilfsweise mit einem Schadensersatzanspruch die Aufrechnung erklären zu wollen.

2

Das [X.] hat den [X.]n erstmals in der mündlichen Verhandlung vom 15. Juli 2015 darauf hingewiesen, dass sein Vortrag zu den Mängeln und Gegenrechten bislang unzureichend und unsubstantiiert sei. Der [X.] hat daraufhin keinen [X.] beantragt, jedoch mit Schriftsatz vom 14. August 2015 weiter zu den Mängeln und zu weiteren Streitpunkten vorgetragen und hilfsweise die Aufrechnung mit Schadensersatzansprüchen in einer die Klageforderung übersteigenden Höhe erklärt. Das [X.] hat den [X.]n durch das am Schluss der Sitzung vom 15. Juli 2015 verkündete und dem [X.]n am 19. August 2015 zugestellte Urteil zur Zahlung von 37.424,58 € zuzüglich Zinsen verurteilt. Die Berufung des [X.]n hat das Berufungsgericht nach entsprechendem Hinweis durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen.

3

Hiergegen wendet sich der [X.] mit der Nichtzulassungsbeschwerde, mit der er die Abweisung der Klage und die Verurteilung der Klägerin auf eine in der Stellungnahme zum Hinweisbeschluss des Berufungsgerichts angekündigte Widerklage erreichen möchte, mit der er die Herausgabe von Ausführungsunterlagen/Dokumentation der Installationen Sanitär, Heizung, Klima und Lüftung, hilfsweise die Herausgabe dieser Unterlagen Zug um Zug gegen Zahlung des ausgeurteilten [X.] begehrt.

II.

4

Die Beschwerde des [X.]n gegen die Nichtzulassung der Revision hat teilweise Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO in dem im Tenor bezeichneten Umfang zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung und insoweit zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Im Übrigen ist sie unbegründet.

5

1. Das Berufungsgericht ist der Auffassung, das Vorbringen des [X.]n zur Mangelhaftigkeit der Leistungen der Klägerin in dem nach Verkündung des erstinstanzlichen Urteils eingegangenen Schriftsatz vom 14. August 2015 sei gemäß § 531 Abs. 2 ZPO in der Berufungsinstanz nicht berücksichtigungsfähig. Es sei nicht zu beanstanden, dass das [X.] bereits am Schluss der Sitzung vom 15. Juli 2015 ein Urteil verkündet habe. Das [X.] habe ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Vortrag zu den Mängeln und Gegenrechten nicht hinreichend substantiiert sei. Einen Antrag auf Gewährung einer Schriftsatzfrist auf den Hinweis habe der [X.] nicht gestellt. Das [X.] sei nicht von Amts wegen gehalten gewesen, den Termin zu vertagen, ins schriftliche Verfahren überzugehen oder den [X.]n ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass er eine Schriftsatzfrist beantragen könne. Eine Verpflichtung des Gerichts, die Verhandlung nicht ohne weiteres zu schließen, sondern gegebenenfalls zu vertagen, bestehe nur, wenn eine sofortige Äußerung nach den konkreten Umständen nicht erwartet werden könne. Eine solche Situation sei vorliegend nicht gegeben. Dass an den Gewerken Mängel bestünden, was ein Zurückbehaltungsrecht rechtfertigen könnte, habe der [X.] - wenn auch unsubstantiiert - bereits in der Klageerwiderung vorgebracht. Es sei nicht ersichtlich, warum er in der mündlichen Verhandlung nicht in der Lage gewesen sein sollte, auf der Grundlage seiner Akte die Mängel zu substantiieren, zumal er im Termin - sich selbst vertretend - anwesend gewesen sei. Soweit der [X.] im Schriftsatz vom 14. August 2015 die Aufrechnung mit verschiedenen Schadenspositionen erklärt habe, sei der Aufrechnungseinwand gemäß § 533 ZPO unzulässig. Denn der [X.] stütze die Aufrechnung auf die erstmals zweitinstanzlich substantiiert vorgetragenen Mängel der von der Klägerin erbrachten Leistungen und damit nicht auf Tatsachen, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach § 529 ZPO zugrunde zu legen habe.

6

2. Zu Recht rügt die Nichtzulassungsbeschwerde, dass das Berufungsgericht das im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 14. August 2015 enthaltene Vorbringen des [X.]n zu Mängeln der Werkleistung der Klägerin und das darauf gestützte Zurückbehaltungsrecht sowie die hilfsweise erklärte Aufrechnung unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 [X.] gemäß § 531 Abs. 2 ZPO als verspätet zurückgewiesen hat. Die Verfahrensweise des Berufungsgerichts verletzt das Recht des [X.]n auf Gewährung rechtlichen Gehörs.

7

a) Das Gebot, rechtliches Gehör zu gewähren, verpflichtet das Berufungsgericht dazu, neues Vorbringen dann zuzulassen, wenn eine unzulängliche Verfahrensleitung oder eine Verletzung der richterlichen Hinweispflicht das Ausbleiben des Vorbringens oder von Beweisanträgen in der ersten Instanz mitverursacht hat. Ist im Urteil des erstinstanzlichen Gerichts Vortrag zu einem entscheidungserheblichen Punkt mangels hinreichender Substantiierung zurückgewiesen oder eine [X.] als beweisfällig angesehen worden, ohne dass ihr durch einen nach der Prozesslage gebotenen Hinweis Gelegenheit zur Ergänzung gegeben war, stellt sich die Zurückweisung des neuen, nunmehr substantiierten Vortrags oder neuer Beweismittel im [X.] als eine offenkundig unrichtige Anwendung des § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO dar. Ein solches Vorgehen des Gerichts kommt einer Verhinderung des Vortrags zu entscheidungserheblichen Punkten gleich und stellt daher einen Verstoß gegen das Grundrecht auf Gewährung rechtlichen Gehörs im Sinne des Art. 103 Abs. 1 [X.] dar (vgl. [X.], Beschluss vom 7. März 2013 - [X.], juris Rn. 11 m.w.N.). So liegt der Fall hier.

8

b) Das [X.] ist seiner Hinweispflicht gemäß § 139 ZPO nicht hinreichend nachgekommen. Das Gericht muss - in Erfüllung seiner prozessualen Fürsorgepflicht - gemäß § 139 Abs. 4 ZPO Hinweise auf seiner Ansicht nach entscheidungserhebliche Umstände, die die betroffene [X.] erkennbar für unerheblich gehalten hat, grundsätzlich so frühzeitig vor der mündlichen Verhandlung erteilen, dass die [X.] die Gelegenheit hat, ihre Prozessführung darauf einzurichten und schon für die anstehende mündliche Verhandlung ihren Vortrag zu ergänzen und die danach erforderlichen Beweise anzutreten. Erteilt es den Hinweis entgegen § 139 Abs. 4 ZPO erst in der mündlichen Verhandlung, muss es der betroffenen [X.] genügend Gelegenheit zur Reaktion hierauf geben. Das Gericht darf das Urteil in dem Termin erlassen, in dem die mündliche Verhandlung geschlossen wird, wenn die [X.] in der mündlichen Verhandlung ohne weiteres in der Lage ist, umfassend und abschließend Stellung zu nehmen. Ist das nicht der Fall, soll das Gericht auf Antrag der [X.] [X.] gewähren, § 139 Abs. 5 ZPO. Wenn es offensichtlich ist, dass die [X.] sich in der mündlichen Verhandlung nicht abschließend erklären kann, so muss das Gericht - wenn es nicht in das schriftliche Verfahren übergeht - auch ohne einen Antrag auf [X.] die mündliche Verhandlung vertagen, um Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. [X.] das Gericht in diesem Fall ein Urteil, ohne die Sache vertagt zu haben, verstößt es gegen den Anspruch der [X.] auf rechtliches Gehör, Art. 103 Abs. 1 [X.] (vgl. [X.], Beschluss vom 4. Juli 2013 - [X.], [X.], 1727 Rn. 7 = NZBau 2013, 631; Beschluss vom 10. März 2011 - [X.], [X.], 1200 Rn. 11 m.w.N.).

9

Diesen Anforderungen ist das [X.] nicht gerecht geworden. Der [X.] musste bis zu einem entsprechenden Hinweis des Gerichts nicht davon ausgehen, dass sein durch Anlagen ergänztes Vorbringen zu Mängeln der von der Klägerin erbrachten Werkleistung als unsubstantiiert angesehen würde. Da das [X.] einen entsprechenden Hinweis, dass es das Vorbringen des [X.]n zu den behaupteten Mängeln nicht für ausreichend erachte, erst im Termin zur mündlichen Verhandlung erteilt hat und die Darstellung der Mängel im Detail in der mündlichen Verhandlung erkennbar nicht ohne weiteres sofort erfolgen konnte, musste es dem [X.]n Gelegenheit zur Stellungnahme geben. In diesem Zusammenhang ist unschädlich, dass der [X.] keinen Antrag auf Gewährung einer Frist zur Stellungnahme auf den Hinweis gestellt hat. Der Erlass des Urteils unmittelbar am Schluss der Sitzung, ohne dass dem [X.]n Gelegenheit gegeben wurde, auf den Hinweis zu reagieren, stellt sich als [X.] dar. Das Berufungsgericht hätte zur Wahrung des Rechts des [X.]n auf rechtliches Gehör das Vorbringen des [X.]n aus dem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 14. August 2015 nach § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO in der Berufungsinstanz zulassen und berücksichtigen müssen.

c) Die von der Beschwerdeerwiderung angeführte Rechtsprechung ([X.], Beschluss vom 4. April 2007 - [X.], [X.], 1887) betrifft demgegenüber eine andere Sachverhaltskonstellation. Diese Entscheidung behandelt einen im schriftlichen Verfahren erteilten gerichtlichen Hinweis und nicht - wie hier - einen erst in der mündlichen Verhandlung erteilten Hinweis. Die Auffassung des [X.] im zitierten Beschluss, das Gericht sei weder in jedem Fall verpflichtet, der [X.] eine Frist zur Stellungnahme auf einen Hinweis zu setzen, noch bei einer Hinweisverfügung ohne Fristsetzung beliebig lange zuzuwarten, bis sich die betroffene [X.] auf den ihr erteilen Hinweis äußert, ist daher nicht auf den vorliegenden Rechtsstreit zu übertragen. Lediglich für den Fall, dass der Hinweis mit dem Ziel der Ergänzung ungenügender Angaben zu den geltend gemachten Tatsachen im schriftlichen Verfahren erfolgt ist, ohne dass der [X.] eine Frist zur Stellungnahme gesetzt wird oder gesetzt werden musste, ist die [X.] nach der Rechtsprechung des [X.] nach der § 282 Abs. 1 ZPO zugrunde liegenden gesetzgeberischen Wertung gehalten, darauf so rechtzeitig zu reagieren, wie es nach der Prozesslage einer sorgfältigen und auf die Förderung des Verfahrens bedachten Prozessführung entspricht (vgl. [X.], Beschluss vom 4. April 2007 - [X.], aaO, Rn. 7).

d) Die Entscheidung des Berufungsgerichts beruht auf dem bezeichneten Verfahrensfehler, soweit das Berufungsgericht das vom [X.]n geltend gemachte Zurückbehaltungsrecht wegen Mängeln der Leistung der Klägerin und die auf einen Schadensersatzanspruch wegen Mängeln gestützte Hilfsaufrechnung zurückgewiesen hat. Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht insoweit zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre, wenn es das Vorbringen des [X.]n im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 14. August 2015 zu den Mängeln berücksichtigt hätte.

3. Soweit sich die Beschwerde des [X.]n gegen die Nichtzulassung der Revision als unbegründet erweist, wird von einer Begründung abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist (§ 544 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO).

III.

Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass die durch die Zurückweisung der Berufung gegenstandslos gewordene Widerklage des [X.]n (vgl. [X.], Urteil vom 24. Oktober 2013 - [X.], [X.]Z 198, 315) im Rahmen der neuen Verhandlung und Entscheidung im Berufungsverfahren zu bescheiden ist.

[X.]     

        

Jurgeleit     

        

Graßnack

        

Borris     

        

Brenneisen     

        

Meta

VII ZR 177/17

11.04.2018

Bundesgerichtshof 7. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Frankfurt, 12. Juli 2017, Az: 11 U 114/15, Beschluss

Art 103 Abs 1 GG, § 139 Abs 4 ZPO, § 139 Abs 5 ZPO, § 531 Abs 2 S 1 Nr 2 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11.04.2018, Az. VII ZR 177/17 (REWIS RS 2018, 11012)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 11012

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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