Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.09.2016, Az. VIII ZR 188/15

VIII. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 5225

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:210916UVIIIZR188.15.0

BUN[X.]S[X.]RI[X.]HTSHOF

IM NAMEN [X.]S VOLKES

URTEIL
VIII ZR 188/15
Verkündet am:

21. September 2016

Ermel,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
ZPO § 522 Abs. 2
Ein [X.], der mit der Nichtzulassungsbeschwerde angefochten werden kann, muss -
jedenfalls in Verbindung mit einem in Bezug genommenen Hinweisbeschluss -
neben einer Bezugnahme auf die Feststellungen des angefoch-tenen erstinstanzlichen Urteils und
der Darstellung etwaiger Änderungen und Ergän-zungen zumindest sinngemäß erkennen lassen, was der Berufungskläger mit seinem Rechtsmittel erstrebt hat. Sind diese Anforderungen nicht erfüllt, fehlt die für die revi-sionsrechtliche Nachprüfung nach §§ 545, 559 ZPO erforderliche tatsächliche Beur-teilungsgrundlage und unterliegt der [X.] wegen des darin lie-genden Verfahrensfehlers der Aufhebung (im [X.] an [X.], Urteile vom 10.
Februar 2004 -
VI [X.]/03, [X.]Z 158, 60, 61; vom 8. Februar 2006 -
XII ZR 57/03, [X.], 1523 Rn.
5
ff.).

[X.], Urteil vom 21. September 2016 -
VIII ZR 188/15 -
LG [X.]

[X.]

-
2
-
Der VIII.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 21. September 2016 durch die Vorsitzende Richterin Dr.
Milger sowie die
Richter Prof. Dr.
Achilles,
Dr.
Schneider,
Dr.
Bünger und Kosziol

für Recht erkannt:
Auf die Revision des [X.] wird der Beschluss des [X.] -
7. Zivilkammer -
vom 6.
August 2015 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Kammer des [X.] zurückverwiesen.
Gerichtskosten für das Revisionsverfahren werden nicht erhoben.
Von Rechts wegen

Tatbestand:
Der Kläger begehrt von den [X.] die Räumung und Herausgabe eines Hausgrundstücks
sowie die Nachzahlung von Betriebskosten.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das [X.] hat die Be-rufung des [X.] durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen.
Der
[X.]
enthält -
auch in Verbindung mit dem in Bezug genommenen Hinweisbeschluss -
keine eigenen Tatsachenfeststellungen des [X.] und nimmt auch nicht
auf den Tatbestand der amtsgerichtli-chen Entscheidung
Bezug. Die [X.] der Parteien sind ebenfalls 1
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-
3
-
nicht wiedergegeben. Mit der vom Senat
zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein im Berufungsverfahren erweitertes Klagebegehren fort.

Entscheidungsgründe:
Die Revision ist begründet. Der [X.] des [X.] ist aufzuheben, da er mangels tatsächlicher Feststellungen einer revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht zugänglich ist.

1. Nach §
540 Abs.
1 Satz
1 Nr.
1 ZPO kann in einem Berufungsurteil der Tatbestand durch die Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im Ur-teil der ersten Instanz, verbunden mit erforderlichen Berichtigungen, [X.] und Ergänzungen, die sich aus dem Vortrag der Parteien und aus etwaiger Bezugnahme vor dem Berufungsgericht ergeben, ersetzt werden.

Diese Voraussetzungen sind nach ständiger Rechtsprechung des [X.] für den Inhalt eines Urteils nicht entbehrlich ([X.], Urteile vom 4. Mai 2011 -
XII ZR 142/08, [X.] 2011, 1079;
vom 29. März 2007 -
I ZR 152/04, NJW 2007, 2334 Rn. 5 ff; vom 8.
Februar
2006 -
XII
ZR
57/03, [X.], 1523
Rn. 5 ff;
vom 10. Februar 2004 -
VI [X.]/03,
[X.]Z 158, 60, 61;
jeweils
mwN). Dies ergibt sich nicht nur aus dem Wortlaut des Gesetzes, sondern auch und vor allem aus seinem Sinn, trotz der Erleichterungen
bei der Abfassung von Berufungsurteilen die revisionsrechtliche Nachprüfung zu ermöglichen. Lässt ein Berufungsgericht die Revision zu oder unterliegt das Berufungsurteil der Nichtzulassungsbeschwerde, müssen sich die tatsächlichen Grundlagen der Entscheidung aus dem Urteil oder -
im Falle des §
540 Abs.
1 Satz
2 ZPO
-
aus dem Sitzungsprotokoll so erschließen, dass eine revisionsrechtliche Nachprü-fung möglich ist (vgl. [X.], Urteil vom 10. Februar 2004 -
VI
[X.]/03, aaO 3
4
5
-
4
-
S.
62). Außerdem muss das Berufungsurteil erkennen lassen, von welchem Sach-
und Streitstand das Berufungsgericht ausgegangen ist, und die Anträge, die die Parteien im Berufungsverfahren gestellt haben, müssen zumindest sinn-gemäß deutlich
werden ([X.], Urteile
vom 11.
August
2010 -
XII
ZR
102/09, [X.], 1637 Rn. 20; vom 11. November 2011 -
III ZR 77/11, [X.], 947 Rn. 9;
jeweils
mwN). Denn es ist nicht Aufgabe des [X.], den Sachverhalt und das genaue Begehren selbst zu ermitteln, um abschließend beurteilen zu können, ob die
Revision begründet ist ([X.], Urteile vom 5. März 2015 -
I [X.], NJW 2015, 3309
Rn. 7; vom 29.
März
2007 -
I
ZR
152/04, aaO
Rn. 5; jeweils mwN).
Für einen [X.] nach § 522 Abs. 2 ZPO, der mit [X.] Nichtzulassungsbeschwerde angefochten werden kann, gilt nichts anderes. Zwar sieht § 522 Abs. 2 Satz 4 ausdrücklich nur vor, dass
ein anfechtbarer Zu-rückweisungsbeschluss eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen und
Ergänzun-gen zu enthalten hat. Daneben muss ein solcher
Beschluss aber zumindest sinngemäß erkennen lassen,
was der Berufungskläger mit seinem Rechtsmittel erstrebt hat (vgl. [X.], Beschluss vom 16. April 2013 -
VI [X.]/12, NJW-RR 2013, 1077, Rn. 4 mwN
[zu
einem der Rechtsbeschwerde unterliegenden Be-schluss]).
2. Die Revision rügt zu Recht, dass der [X.] des [X.] auch in Verbindung mit dem in Bezug genommenen [X.] diesen Anforderungen nicht genügt. Er
enthält weder eigene tatbestandliche Feststellungen
noch eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils gemäß § 522 Abs. 2 Satz 4 ZPO noch die Wiedergabe der [X.]. Auch aus den Beschlussgründen lassen sich -
entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung -
weder die 6
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tatsächlichen Feststellungen, auf denen die
Entscheidung
beruht, entnehmen noch ist zumindest sinngemäß ersichtlich,
in welchem Umfang der Kläger das erstinstanzliche Urteil angegriffen und was er mit seinem Rechtsmittel erstrebt
hat. Zwar wird dort an einigen Stellen tatsächliches Vorbringen der Parteien erwähnt. Ohne Kenntnis des weiteren Tatsachenstoffs genügen diese Angaben jedoch nicht, um eine revisionsrechtliche Überprüfung des Zurückweisungsbe-schlusses
vornehmen zu können.
Den von der Revisionserwiderung herange-zogenen
Formulierungen
des [X.],
das Erstgericht habe in sei-nem Urteil "die tragenden Gründe
der Beweiswürdigung soweit angeführt, dass erkennbar geworden ist, dass eine sachentsprechende Beurteilung stattgefun-den hat",
und das Berufungsgericht sei "an die tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichtes gebunden", ist keine (konkludente)
Bezugnahme auf die gesam-ten, über einzelne Sachverhaltselemente hinausgehenden tatsächlichen Fest-stellungen des Amtsgerichts zu entnehmen.
3. Dem [X.] des [X.]
fehlt somit
die für die revisionsrechtliche Nachprüfung nach §§ 545, 559 ZPO erforderliche tatsächliche Beurteilungsgrundlage. Daher ist er
nach §
562 Abs.
1, § 563 Abs.
1 Satz 1 ZPO aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zur Verhandlung und neuen Entscheidung zurückzuverweisen. Dabei macht der Senat von den
Möglichkeiten
des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO und des § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG Gebrauch.
Für das neue Berufungsverfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
a) Dem [X.] des [X.] ist unter [X.] des Akteninhaltes zu entnehmen, dass der Kläger das streitige Hausgrundstück im Wege der Zwangsversteigerung erworben hat. Der beklagte Rechtsanwalt und seine mitverklagte Ehefrau haben -
wie schon im vorange-8
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-
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gangenen Zahlungsklageverfahren des [X.] -
die Kopie eines Mietvertrages vorgelegt, den sie am 10. Januar/14. Februar 2006 mit dem ([X.] verstorbenen) Vater der
[X.] zu 1 geschlossen haben wollen. Die Vor-lage eines Originals ist offenbar unterblieben, obwohl der Kläger dies wiederholt gerügt hat. Nach dem (angeblichen) Vertrag ist zu Lasten des Vermieters ein Kündigungsausschluss für die Dauer von zehn
Jahren vorgesehen und eine nicht einmal die Nebenkosten abdeckt. Im Vertragstext wird dies mit dem Hin-weis auf Eigenleistungen begründet, die Anfang der 90er Jahre in Höhe von der [X.] hingegen geltend gemacht, es habe sich um einen Baukos-tenzuschuss gehandelt, der ebenso wie der (spätere) "Betriebsmittelkredit", der dem Vater und damaligen Eiget-schaftlicher Schwierigkeiten seines Geschäftes gewährt worden sei, mit der habe verrechnet oder aufgerechnet werden sollen. Dies passt wiederum nicht zu der weiteren Darstellung der [X.], im Jahre 2006 habe lediglich der in den 90er Jahren mündlich abgeschlossene Mietver-trag nunmehr auch schriftlich fixiert werden sollen. Denn ein etwaiger mit der [X.] gewesen.
Zudem haben die [X.] dem Kläger Kopien mehrerer Zusatzverträ-ge aus dem [X.] vorgelegt, die in dem vorangegangenen Rechtsstreit mit dem Zwangsverwalter nicht vorgelegt worden waren. Nach diesen Kopien war den [X.] (angeblich) zusätzlich die ausschließliche Nutzung mehrerer
Nebenräume und des Gartens gestattet, die der Kläger zuvor als vertragswidrig beanstandet hatte.
11
-
7
-
b) Allein schon die vorgenannten Umstände wecken Zweifel daran,
dass die [X.] zu einem vor der Beschlagnahme liegenden Zeitpunkt mit dem Vater des [X.] zu 1 einen Mietvertrag im Rechtssinne geschlossen ha-ben. Alle Umstände deuten vielmehr -
nicht zuletzt auch angesichts der proto-kollierten Aussage des Zeugen A.

B.

-
in die gegenteilige Richtung, nämlich dass die von der [X.] zu 1 und den anderen Kindern des früheren Eigentümers erbrachten Eigenleistungen ebenso wie die spätere Nutzung der ausgebauten Wohnungen im Rahmen familiärer Verbundenheit ohne Abschluss bindender Verträge erfolgten und erst im Rahmen der wirtschaftlichen Schwie-rigkeiten des früheren Eigentümers und bereits erfolgter oder
zumindest dro-hender Zwangsvollstreckungsmaßnahmen Verträge "zur Absicherung"
aufge-setzt wurden, um auf diese Weise das Grundstück der Familie ungeachtet der Zwangsvollstreckung und Zwangsversteigerung zu erhalten.
Die -
im Zuge von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen in ein Familienei-genheim durchaus häufiger (und auch hier) zu beobachtende -
Konstellation, dass sich ein naher Verwandter des ehemaligen Eigentümers gegenüber dem Zwangsverwalter oder dem Ersteigerer auf einen Mietvertrag mit dem früheren Eigentümer beruft, der aufgrund seiner ungewöhnlichen Konditionen ([X.] und/oder ungewöhnlich niedrige Miete, lebenslanges Wohn-recht o.ä.) jegliche Erträge aus dem Grundstück zum Vorteil des Mieters auf Dauer oder zumindest für einen sehr langen Zeitraum ausschließt, legt den Verdacht kollusiven Verhaltens zum Nachteil der Gläubiger zumindest nahe. Zudem drängt sich in derartigen Fällen die Frage auf, ob ein -
meist nur in Ko-pie vorgelegter -
(angeblicher) Mietvertrag mit einem (inzwischen verstorbenen)
früheren Eigentümer tatsächlich zu dem darin angegebenen Zeitpunkt und [X.] vor der Beschlagnahme des Grundstücks abgeschlossen worden ist (vgl. dazu Senatsurteil vom 18. September 2013 -
VIII [X.], [X.], 854 Rn. 15). Mit diesen Umständen muss sich das Gericht eingehend auseinander-12
13
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setzen, wenn es den -
vom Mieter zu erbringenden -
Nachweis eines vor der Beschlagnahme abgeschlossenen Mietvertrages mit einem nahen
Angehörigen und früheren Eigentümer als erbracht ansehen will.
Vereinbarungen, die dem Ziel einer Gläubigerbenachteiligung dienen, sind zudem an § 138 BGB zu mes-sen.
c) Vorsorglich weist der Senat weiter darauf hin, dass es einer erneuten Vernehmung der Zeugen bedürfen wird, wenn das Berufungsgericht deren Aussagen anders würdigen will
als das erstinstanzliche Gericht (vgl. nur Se-natsurteil vom 8. Dezember 1999 -
VIII ZR 340/98,
NJW 2000, 1199 unter II
2
a mwN).
Dr. Milger
Dr. Achilles
Dr. Schneider

Dr. Bünger
Kosziol
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 13.02.2014 -
18 [X.] 1427/13 -

LG [X.], Entscheidung vom 06.08.2015 -
72 S 1005/14 -

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Meta

VIII ZR 188/15

21.09.2016

Bundesgerichtshof VIII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.09.2016, Az. VIII ZR 188/15 (REWIS RS 2016, 5225)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 5225

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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VIII ZR 188/15

XII ZR 142/08

III ZR 77/11

I ZR 164/13

VI ZB 50/12

VIII ZR 297/12

72 S 1005/14

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