Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.07.2012, Az. 2 StR 85/12

2. Strafsenat | REWIS RS 2012, 4912

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Gegenstand

Unterbringung eines betäubungsmittelabhängigen Straftäters in einer Entziehungsanstalt: Absehen von der Maßregelanordnung wegen fehlenden Therapiewillens des Betroffenen; Beurteilung der Erfolgsaussicht einer Entziehungskur bei einem Ausländer mit unzureichenden deutschen Sprachkenntnissen


Tenor

1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 19. September 2011,

a) im Schuldspruch dahin geändert, dass

der Angeklagte [X.]wegen bewaffneter unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und

der Angeklagte [X.]     wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie in weiterer Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis

verurteilt sind,

b) im Ausspruch über die Freiheitsstrafen und, soweit von der Anordnung der Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen wurde, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,

c) im Ausspruch über die Einziehung dahin ergänzt, dass 984,9 Gramm Heroin und ein Kilogramm Streckmittel eingezogen sind.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten werden verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten [X.]wegen bewaffneten unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten, den Angeklagten [X.]     wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie in Tateinheit mit Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt. Ferner hat es die "sichergestellten Betäubungsmittel und Streckmittel (Ziffern 1 - 6) sowie das sichergestellte Reizstoffsprühgerät (Ziffer 9 des [X.])" eingezogen. Gegen dieses Urteil richten sich die Revisionen der Angeklagten mit der Sachbeschwerde. Die Rechtsmittel haben in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.

2

Das [X.] hat festgestellt, dass die Angeklagten im Auftrag eines unbekannt gebliebenen Drogenhändlers Heroin aus den [X.] nach S.     bringen wollten. Dafür sollten sie 1.000 Euro erhalten. Der Angeklagte [X.]führte bei der Transportfahrt ein Reizstoffsprühgerät griffbereit in seinem Auto mit; der Angeklagte [X.]     wusste nicht davon. Die Angeklagten übernahmen am 26. Januar 2011 in [X.]     984,9 Gramm Heroin und ein Kilogramm Streckmittel, das sie unter der Rückbank des Fahrzeugs versteckten. Auf der Rückfahrt durch [X.] wurden sie an der Autobahnraststätte M.     kontrolliert, wobei das Heroin entdeckt wurde. Zu dieser Zeit führte der Angeklagte [X.]     das Fahrzeug, ohne im Besitz einer Fahrerlaubnis zu sein. Bei der Begehung der Tat war das Hemmungsvermögen der drogenabhängigen Angeklagten erheblich vermindert.

II.

3

1. Der Schuldspruch begegnet rechtlichen Bedenken.

4

a) Bei dem Angeklagten [X.]wurde der Tatbestand der unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, der im Rahmen der rechtlichen Würdigung in den Urteilsgründen zutreffend bejaht wurde, nicht in die Urteilsformel aufgenommen. Das kann der [X.] aufgrund der vom [X.] getroffenen Feststellungen nachholen. § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG bezieht sich beim Zusammentreffen von unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge auf den Einfuhrtatbestand "ohne Handel zu treiben" (vgl. [X.], Beschluss vom 27. Februar 2008 - 2 StR 593/07, [X.], 254).

5

b) Die vom [X.] angenommene Mittäterschaft der Angeklagten bei dem [X.] begangenen unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge ist in den Urteilsgründen nicht erläutert worden. Die rechtsfehlerfrei und abschließend getroffenen Feststellungen ergeben demgegenüber indes nur Beihilfe der Angeklagten zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge.

6

Eine bloße Kuriertätigkeit ist nach der neueren Rechtsprechung des [X.] grundsätzlich als Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln anzusehen, nicht als täterschaftliches Handeln (vgl. [X.], Urteil vom 28. Februar 2007 - 2 [X.], [X.], 219, 221 ff.). Das gilt auch in Fällen der unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln (vgl. [X.], Beschluss vom 25. Juni 2008 - 4 [X.]). Die Einfuhr ist kein unselbständiger Teilakt eines - täterschaftlichen - Handeltreibens. Weder der Umstand, dass der Kurier für seine Transportleistung eine Entlohnung erhalten soll, noch die Tatsache, dass er gewisse Gestaltungsmöglichkeiten beim Transport des [X.] hat, reichen aus, um Handeltreiben als Mittäter zu begründen (vgl. [X.], Beschluss vom 27. Februar 2008 - 2 StR 593/07, aaO). Anders liegt es nur dann, wenn ein Rauschgiftkurier auch in den Erwerb oder den späteren Absatz der Betäubungsmittel eingebunden ist. Dies ist bei den beiden Angeklagten aber nicht der Fall.

7

c) Der [X.] ändert den Schuldspruch entsprechend ab. § 265 Abs. 1 StPO steht nicht entgegen, weil sich der geständige Angeklagte nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.

8

2. Der Strafausspruch kann nicht bestehen bleiben.

9

a) Das [X.] hat bei dem Angeklagten [X.]angenommen, der Strafrahmen des § 30a Abs. 3 BtMG, zu dem es zunächst rechtsfehlerfrei gelangt ist, werde durch die Sperrwirkung von § 30 Abs. 1 BtMG bei der Strafrahmenuntergrenze dahin geändert, dass die Mindeststrafe zwei Jahre betrage, weil ein minder schwerer Fall gemäß § 30 Abs. 2 BtMG "unter Würdigung der bereits genannten Umstände nicht in Betracht" komme. Diese Überlegung trägt aber nicht.

Die Sperrwirkung höherer Mindeststrafen aus verdrängten Tatbeständen ist - was das [X.] zunächst nicht verkannt hat - nur zu beachten, wenn nicht auch insoweit ein minder schwerer Fall gegeben ist (vgl. [X.], Beschluss vom 24. April 2003 - 3 [X.], [X.]R BtMG § 29a Abs. 1 Nr. 1 Abgabe 1; Beschluss vom 1. April 2009 - 1 StR 79/09, [X.], 214). Warum dies hier aber gerade unter denselben Gesichtspunkten, die bei § 30a BtMG zur Annahme eines minder schweren Falles (§ 30a Abs. 3 BtMG) führen, nicht auch im Sinne des § 30 Abs. 2 BtMG der Fall sein soll, ist nicht nachzuvollziehen. Zumindest wäre im Hinblick auf den verdrängten Tatbestand des § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG aber hypothetisch der vertypte [X.] gemäß § 21 StGB anzuwenden, der die Strafrahmenuntergrenze der verdrängten Norm ebenso reduzieren würde (§ 49 Abs. 1 Nr. 3 zweite Alternative StGB). § 30 Abs. 1 BtMG entfaltet deshalb hier keine Sperrwirkung.

Beträgt aber die Strafrahmenuntergrenze nicht, wie das [X.] angenommen hat, zwei Jahre Freiheitsstrafe (§ 30 Abs. 1 BtMG), sondern nur sechs Monate Freiheitsstrafe (§ 30a Abs. 3 BtMG; § 49 Abs. 1 Nr. 3 StGB), so kann der [X.] nicht ausschließen, dass die verhängte Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten auf der rechtsfehlerhaften Annahme einer Sperrwirkung der verdrängten Strafnorm beruht.

b) Bei der Strafzumessung für den Angeklagten [X.]     ist das [X.] davon ausgegangen, dass kein minder schwerer Fall der unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach § 30 Abs. 2 BtMG vorliege. Dem hat es aber nur gleichartige Strafzumessungserwägungen zu Grunde gelegt, wie sie bei dem Angeklagten [X.]genannt wurden, dem - ohne spezifische Bewertung der weitergehenden Qualifikation seiner Tat durch Mitführen einer Waffe (§ 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG) - ein minder schwerer Fall seiner Tat (§ 30a Abs. 3 BtMG) zu [X.] gehalten wurde. Die höhere Vorstrafenbelastung des Angeklagten [X.]   in [X.] hat die [X.] nicht bewertet. Dann ist jedoch nicht nachzuvollziehen, warum das [X.] - ungeachtet des Vorliegens eines vertypten [X.]es nach § 21 StGB - nicht zur Anwendung des [X.] nach § 30 Abs. 2 BtMG auf den Fall des Angeklagten [X.]     gelangt ist. Dies gilt auch deshalb, weil dieser Angeklagte durch langjährigen [X.] erheblich schwerer gesundheitlich beeinträchtigt ist als der Mitangeklagte [X.].

3. Schließlich kann die Ermessensentscheidung des [X.]s dahin, dass die Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nicht angeordnet wird, weil keine hinreichend konkrete Aussicht bestehe, sie dadurch zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen (§ 64 Satz 2 StGB), nicht aufrecht erhalten bleiben.

Einer Therapieunwilligkeit der Angeklagten, deren [X.] auch bisher schon zeitweise mit Methadon substituiert wird, kann im Maßregelvollzug entgegengewirkt werden, worauf dieser abzielt (§ 137 [X.]ollzG). Die Therapieunwilligkeit steht der [X.] daher nicht notwendig entgegen (vgl. BT-Drucks. 16/1110 S. 13; [X.], Beschluss vom 21. Januar 2010 - 3 [X.], [X.], 141; Beschluss vom 25. Mai 2011 - 4 StR 27/11, [X.], 30).

An fehlenden Sprachkenntnissen ausländischer Beschuldigter soll die [X.] im Allgemeinen nicht scheitern (vgl. [X.], Beschluss vom 30. Oktober 1996 - 2 [X.], [X.] 1998, 74 f.; [X.], Beschluss vom 20. Juni 2001 - 3 [X.], [X.], 7), zumal eine Überstellung des Verurteilten in sein Heimatland zum Maßregelvollzug in Betracht kommt (s. § 70 IRG, Art. 68 [X.]), sofern dort entsprechende Einrichtungen existieren. Die Überlegung, dass fehlende Sprachkenntnisse der [X.] nicht entgegenstehen, wird zwar durch die Umgestaltung von § 64 StGB zur Sollvorschrift abgeschwächt (vgl. [X.], Urteil vom 18. Dezember 2007 - 1 [X.], [X.] 2008, 138, 139). Sie besitzt jedoch weiterhin gewisse Aussagekraft. Dies gilt insbesondere für den Angeklagten [X.]wegen seiner prinzipiellen Bereitschaft, in [X.] eine Therapie zu absolvieren.

Schließlich ist die Erwägung des [X.]s, dass die für erforderlich gehaltene Nachsorge nicht gewährleistet sei, wenn die Angeklagten in den Bereich ihres bisherigen Wohngebiets zurückkehren, bei dem es sich um einen [X.] Brennpunkt handelt, der sie zum Rückfall in den Drogenkonsum verleiten kann, kein tragfähiger Grund für die [X.] der Maßregel.

Danach erweist sich die Ermessensentscheidung des [X.]s als rechtsfehlerhaft.

4. [X.] ist aus den vom [X.] in seiner Antragsschrift vom 1. März 2012 genannten Gründen zu ergänzen.

Becker     

Fischer     

     Krehl

Ri'in[X.] [X.] befindet sich
Urlaub und ist daher gehindert
zu unterschreiben.

Eschelbach     

Becker

Meta

2 StR 85/12

10.07.2012

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Wiesbaden, 19. September 2011, Az: 3331 Js 12062/11 - 1 KLs

§ 64 S 2 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.07.2012, Az. 2 StR 85/12 (REWIS RS 2012, 4912)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 4912

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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