Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 30.06.2015, Az. 2 BvR 433/15

2. Senat 3. Kammer | REWIS RS 2015, 8881

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Stattgebender Kammerbeschluss: Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG) verpflichtet das Gericht, das Vorbringen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen - hier: Beachtlichkeit der Meinungsfreiheit bei Veröffentlichung von Ermittlungsakten im Internet


Tenor

Der Beschluss des [X.] vom 9. Februar 2015 - 11 [X.] - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 103 Absatz 1 des Grundgesetzes. Er wird aufgehoben, und die Sache wird an das [X.] zurückverwiesen.

Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Der [X.] hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

1

Der Beschwerdeführer betreibt einen Blog. Gegen ihn werden verschiedene Ermittlungsverfahren geführt, unter anderem wegen Beleidigung Dritter in seinen Blogeinträgen und der Veröffentlichung von Teilen der Ermittlungsakten aus den vorgenannten Ermittlungsverfahren.

2

1. Mit Beschluss vom 17. Dezember 2014 ordnete das Amtsgericht die Durchsuchung der Wohnräume des Beschwerdeführers an. Dem Beschwerdeführer wurde vorgeworfen, auf den von ihm betriebenen Blogs wesentliche Auszüge aus den Ermittlungsakten der gegen ihn geführten Ermittlungsverfahren veröffentlicht zu haben, deren Inhalte noch nicht in öffentlicher Verhandlung erörtert wurden, und sich dadurch gemäß § 353d Nr. 3 StGB strafbar gemacht zu haben.

3

2. Der Beschwerdeführer legte Beschwerde ein und trug vor, er habe lediglich kleine Ausschnitte aus der Ermittlungsakte veröffentlicht, was keine Straftat, sondern die Ausübung seiner durch Art. 5 GG und Art. 10 [X.] geschützten Meinungsfreiheit sei. Dass der Beschluss sein Recht auf freie Meinungsäußerung verletze, ergebe sich auch aus der Rechtsprechung des [X.], insbesondere aus den Entscheidungen [X.], Urteil vom 28. Juni 2011, Nr. 28439/08; [X.] et autres c. France, Urteil vom 28. Juni 2012, Nr. 15054/07 und 15066/07 sowie [X.], Urteil vom 12. April 2012, Nr. 30002/08.

4

3. Mit angegriffenem Beschluss vom 9. Februar 2015 wies das [X.] die als Gegenvorstellung gegen den Beschluss des [X.]s vom 18. September 2014 ausgelegte "Ergänzung der Beschwerde" zurück und verwarf die Beschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts vom 17. Dezember 2014 als unbegründet, ohne dabei auf das Vorbringen des Beschwerdeführers zur Rechtsprechung des [X.] einzugehen.

5

4. Die Anhörungsrüge des Beschwerdeführers wies das [X.] zurück.

6

5. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer insbesondere einen Verstoß gegen seinen Anspruch auf rechtliches Gehör.

7

6. Das [X.] hat zum Verfahren Stellung genommen.

8

1. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidung des [X.]s über die Beschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss vom 17. Dezember 2014 richtet, nimmt die Kammer die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, da dies zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 103 Abs. 1 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b [X.]). Das [X.] hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 [X.]; vgl. [X.] 20, 162 <186 f.>; 96, 44 <51>; 115, 166 <197>). Die diesbezügliche Verfassungsbeschwerde ist zulässig und offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1 Satz 1 [X.]).

9

a) Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verpflichtet das entscheidende Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. [X.] 11, 218 <220>; 72, 119 <121>; stRspr). Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen der Beteiligten auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Die Gerichte brauchen nicht jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden. Geht das Gericht auf [X.] des [X.] zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen jedoch nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (vgl. [X.] 47, 182 <189>; 86, 133 <145 f.>).

b) Das [X.] hat sich in den Gründen seines Beschlusses mit der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG), insbesondere mit der vom Beschwerdeführer in seiner Beschwerde angeführten Rechtsprechung des [X.] und Art. 10 [X.] nicht weiter auseinandergesetzt, obwohl dies im Vorbringen des Beschwerdeführers zentral war und auch materiell eine Auseinandersetzung mit Art. 10 [X.] nahe lag. Es ist daher - ohne dass daraus folgt, dass das [X.] der Beschwerde des Beschwerdeführers hätte stattgeben müssen - in der Sache von einer Nichtberücksichtigung des Vorbringens durch das [X.] auszugehen.

c) Hinsichtlich der weiteren gerügten Verfassungsverstöße ist die Verfassungsbeschwerde unsubstantiiert.

d) Der Beschluss des [X.]s Amberg ist im tenorierten Umfang aufzuheben; insoweit ist die Sache an das [X.] Amberg zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 2 [X.]).

2. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen die Zurückweisung der Gegenvorstellung richtet, wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen (§ 93a, § 93b Satz 1 [X.]), weil sie unzulässig ist. Die angegriffene Gegenvorstellung ist kein tauglicher Gegenstand der Verfassungsbeschwerde.

3. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 [X.].

4. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erledigt sich mit der Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde.

Meta

2 BvR 433/15

30.06.2015

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 3. Kammer

Stattgebender Kammerbeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend LG Amberg, 9. Februar 2015, Az: 11 Qs 5/15, Beschluss

Art 5 Abs 1 S 1 Alt 1 GG, Art 103 Abs 1 GG, § 90 Abs 1 BVerfGG, § 93c Abs 1 S 1 BVerfGG, Art 10 Abs 1 S 1 MRK

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 30.06.2015, Az. 2 BvR 433/15 (REWIS RS 2015, 8881)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 8881


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 2 BvR 433/15

Bundesverfassungsgericht, 2 BvR 433/15, 30.06.2015.


Az. 11 Qs 5/15

LG Amberg, 11 Qs 5/15, 04.08.2015.

LG Amberg, 11 Qs 5/15, 09.02.2015.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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