Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 02.04.2017, Az. 1 BvR 2194/15

1. Senat 3. Kammer | REWIS RS 2017, 12989

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Zur Abwägung hinsichtlich des Ausgleichs einer Persönlichkeitsverletzung durch Entschädigung in Geld - vorliegend keine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch Versagung einer Geldentschädigung


Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

1

Die [X.]beschwerde betrifft die Abweisung einer Zivilklage auf Geldentschädigung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts.

2

1. Die Beschwerdeführerin war Moderatorin eines Kulturmagazins im [X.]. Ein ausgestrahlter Sendungsbeitrag handelte von einer Antisemitismusdebatte, zu welcher der spätere [X.] des Ausgangsverfahrens - ein Journalist, Autor und Publizist - entscheidend beigetragen hatte. In der Anmoderation der Sendung erläuterte die Beschwerdeführerin unter anderem, weshalb der [X.] aus ihrer Sicht [X.] sei, und äußerte, er habe sich als "Mühlstein der Vergangenheitsbewältigung" zur Verfügung gestellt.

3

2. Der [X.] veröffentlichte daraufhin auf seinem Blog einen Beitrag unter der Überschrift "[X.]", den er einleitete mit "[X.] - sie ist es nicht, sie heißt nur so - M. neigt ihr Köpfchen zur Seite, damit der Verstand sich in einer Ecke konzentrieren kann". Nach wörtlicher Wiedergabe des Anmoderationstextes der Beschwerdeführerin heißt es auszugsweise weiter:

"An dieser Moderation muss das kleine Luder vom [X.] lange gefeilt haben, vor allem das Bild mit dem 'Mühlstein der Vergangenheitsbewältigung' ist ihr besonders gut gelungen. Für so was wird die delirierende Hausfrau alle drei Wochen von [X.] nach [X.] eingeflogen (…). Von allen kz-Moderatoren und Moderatorinnen ist sie die dummste und unfähigste (…). Der Besuch mit [X.] in einem [X.] Cafe (…) muss wohl die absolute [X.] ihres ansonsten an Höhepunkten armen Lebens gewesen sein (…). Und falls Sie bis jetzt nicht wussten, wofür Sie Ihre [X.] bezahlen, jetzt wissen Sie es: Damit das [X.] es [X.] heimzahlen kann. Gründe dafür gibt es genug."

4

3. Die Beschwerdeführerin erwirkte eine einstweilige Unterlassungsverfügung in Bezug auf diverse dieser Äußerungen, die der [X.] als verbindlich anerkannte und in einem weiteren Blogbeitrag mit dem Titel "Heiteres Moderatoren-Raten" ohne Namensnennung der Beschwerdeführerin abermals thematisierte. Die Beschwerdeführerin erhob Klage in der Hauptsache auf Entschädigung in Geld wegen Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts. Das [X.] gab der Klage in Höhe von 7.500 € statt.

5

4. Auf die Berufung des [X.]n wies das [X.] die Klage mit dem angegriffenen Urteil hinsichtlich der Geldentschädigung ab ([X.], Urteil vom 13. August 2015 - [X.] -, juris). Das [X.] stellte zunächst ausführlich heraus, dass die Äußerungen des [X.]n in schwerwiegender Weise in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Beschwerdeführerin eingriffen und nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt seien. Dem [X.]n sei es darauf angekommen, die Beschwerdeführerin zu diffamieren; ein "Recht auf Gegenschlag" habe ihm nicht zugestanden.

6

Allerdings lag nach Auffassung des [X.]s kein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht vor, der nicht anders als durch die Zubilligung einer Geldentschädigung kompensiert werden könne. Bei seiner Beurteilung der Gesamtumstände berücksichtigte das Gericht unter anderem, dass der [X.] die gegen ihn ergangene einstweilige Verfügung akzeptiert und soweit ersichtlich die angegriffenen Äußerungen nicht wiederholt habe. Für den Fall, dass er dies tue, stehe der Beschwerdeführerin die Durchsetzung ihres [X.]s durch Ordnungsmittel offen. Wenn dem [X.]n auch kein Recht auf Gegenschlag zustehe, sei doch zu berücksichtigen, dass die Debatte um seine Person und seinen Antisemitismusvorwurf hoch emotional geführt worden sei und dass die Beschwerdeführerin eine durchaus kritische Einstellung gegenüber dem [X.]n eingenommen habe. Es könne kein besonders hoher Verbreitungsgrad der Äußerungen im [X.] festgestellt werden. Der Beitrag belege mit insgesamt 6.000 Aufrufen kein besonders großes Interesse an den Stellungnahmen des [X.]n. Belastbare Indizien für eine weitere Verbreitung im Netz habe die Beschwerdeführerin nicht dargetan. Der [X.] habe in der Folgezeit zudem darauf hingewiesen, sich dem Unterlassungsanspruch gefügt zu haben, auch wenn er dies nur getan habe, um nochmals die inkriminierten Äußerungen tätigen und erneut Aufmerksamkeit auf sich und die Debatte lenken zu können.

7

5. Mit ihrer [X.]beschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG. Ein Unterlassungsanspruch könne ihre Persönlichkeitsverletzung nicht rückwirkend kompensieren. Die Geldentschädigung sei das einzige Mittel, um die Respektierung ihres [X.] und die Sanktion der Ehrverletzung durch die Zivilrechtsordnung sicherzustellen. Auch der folgende Blogbeitrag des [X.]n habe keinen Kompensationswert, da er dort die öffentliche Bloßstellung der Beschwerdeführerin wiederholt habe. Das [X.] habe zudem die potentielle Gefährlichkeit der [X.]verbreitung verkannt.

8

Die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 [X.]G für die Annahme der [X.]beschwerde zur Entscheidung liegen nicht vor. Die angegriffene Entscheidung des [X.]s liegt noch im fachgerichtlichen [X.] und lässt keine grundsätzlich unrichtige Anschauung von Bedeutung und Reichweite des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Beschwerdeführerin erkennen.

9

1. Die Versagung eines Entschädigungsanspruchs berührt den Schutzbereich des Grundrechts der Beschwerdeführerin aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG (vgl. [X.] 34, 269 <281 f., 285 f.>; [X.]K 6, 144 <146 f.>; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 9. März 2007 - 1 BvR 1946/04 -, NJW-RR 2007, S. 1191 <1192>). Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts - hier insbesondere der § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG - obliegen primär den Fachgerichten. Das [X.] überprüft deren Entscheidungen - abgesehen von Verstößen gegen das Willkürverbot - nur darauf, ob sie Auslegungsfehler enthalten, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des betroffenen Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen. Das ist der Fall, wenn die Normauslegung die Tragweite der Grundrechte nicht hinreichend berücksichtigt oder im Ergebnis zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung der grundrechtlichen Freiheit führt (vgl. [X.] 18, 85 <92 f.>; 34, 269 <279 f.>; 85, 248 <257 f.>; 110, 226 <270>; stRspr).

2. Nach der Rechtsprechung der Zivilgerichte ist Geldentschädigung nur dann zuzubilligen, wenn eine schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung nicht auf andere Weise befriedigend ausgeglichen werden kann. Hiergegen ist verfassungsrechtlich nichts zu erinnern (vgl. [X.] 34, 269 <285 f.>; [X.]K 3, 49 <52, 54>; 6, 144 <146 f.>; 9, 317 <321 f.>). Die Zuerkennung einer Geldentschädigung für Persönlichkeitsrechtsverletzungen dient auch der Prävention ([X.], 298 <302>; 199, 237 <257>; stRspr). Die staatliche Pflicht, den Einzelnen vor Gefährdungen seines Persönlichkeitsrechts durch Dritte zu schützen (vgl. [X.] 34, 269 <281 f.>; 99, 185 <194 f.>; 114, 339 <346>; stRspr), auf die der Anspruch auf Entschädigung bei Persönlichkeitsrechtsverletzung zurückgeht (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 8. März 2000 - 1 BvR 1127/96 -, [X.], S. 2187 <2187 f.>; [X.]K 3, 49 <52>), kann sich dann bis zur Gebotenheit einer Geldentschädigung verdichten. Auf der anderen Seite ist aus der Perspektive des Art. 5 Abs. 1 GG in Rechnung zu stellen, dass von drohenden Kompensationszahlungen auch eine Einschüchterungswirkung auf zulässige Meinungsäußerungen ausgehen kann. Für die Verhängung solcher Entschädigungszahlungen kommt es insoweit auf eine Gesamtwürdigung der Umstände der beanstandeten Äußerung an, wobei neben dem Gewicht der Persönlichkeitsverletzung auch deren Eindeutigkeit und Erkennbarkeit sowie deren Kontext einzustellen ist.

3. Auf dieser Grundlage ist die Annahme des [X.]s, eine Entschädigung in Geld sei zur Genugtuung der Beschwerdeführerin nicht notwendig geboten, verfassungsrechtlich vertretbar.

Allerdings hebt die Beschwerdeführerin zu Recht hervor, dass die beanstandeten Anwürfe des [X.]n ihr Persönlichkeitsrecht schwerwiegend beeinträchtigen, ohne von dessen Meinungsfreiheit gedeckt zu sein. Das [X.] hat dies jedoch nicht verkannt, sondern sich sorgfältig mit dem [X.] unter den konkreten Umständen auseinandergesetzt. Dabei hat es gegen die Notwendigkeit einer Kompensationszahlung angeführt, dass der Blogbeitrag des [X.]n sich in den Kontext einer öffentlichen, kontroversen und scharf geführten Diskussion ("[X.]") einfügt. Dies ist ein tragfähiger Gesichtspunkt. Es handelt sich danach nicht um eine Veröffentlichung, die rücksichtslos Persönlichkeitsverletzungen in Kauf nimmt, um hieraus kommerziellen Nutzen zu ziehen, sondern um die Äußerung einer Einzelperson. Jedenfalls weil die Äußerungen sich gegen die Moderation in einer bundesweit ausgestrahlten Fernsehsendung richteten, ist auch gegen die Erwägung des Gerichts, dass der Beitrag nicht ein Breitenpublikum erreicht, sondern einen eher geringen Verbreitungsgrad gefunden habe, nichts zu erinnern. Der Verweis auf die ideelle Genugtuung durch den [X.] und die Möglichkeit, ihn im Vollstreckungsverfahren durchzusetzen, lässt unter diesen Umständen eine Verkennung des wertsetzenden Gehalts des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht erkennen und hält sich im fachgerichtlichen [X.] (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 23. September 2009 - 1 BvR 1681/09 -, juris). Sollte die Beschwerdeführerin erneut Persönlichkeitsrechtsverletzungen des [X.]n ausgesetzt sein, dürfte sich die Frage einer Notwendigkeit einer Kompensationszahlung von [X.] wegen freilich dringlicher stellen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 2194/15

02.04.2017

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 3. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend OLG Düsseldorf, 13. August 2015, Az: I-16 U 121/14, Urteil

Art 1 Abs 1 GG, Art 2 Abs 1 GG, Art 5 Abs 1 S 1 GG, § 823 Abs 1 BGB, § 1004 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 02.04.2017, Az. 1 BvR 2194/15 (REWIS RS 2017, 12989)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 12989

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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