Bundesgerichtshof, Beschluss vom 24.05.2012, Az. 5 StR 52/12

5. Strafsenat | REWIS RS 2012, 6100

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Gegenstand

Sexueller Missbrauch einer widerstandsunfähigen Person: Anforderungen an die tatrichterliche Beweiswürdigung bei Anschluss des Tatrichters an die Beurteilung des Sachverständigen; notwendige Erörterung eines Erkennens der Widerstandsunfähigkeit des Tatopfers


Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 5. Oktober 2011 mit den Feststellungen gemäß § 349 Abs. 4 StPO aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt sowie eine Einziehungs- und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Der Angeklagte wendet sich gegen dieses Urteil mit seiner auf die [X.] der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg.

2

1. Nach den Feststellungen veranlasste der homosexuell orientierte Angeklagte den damals 22 Jahre alten, an dem Williams-Beuren-Syndrom – einhergehend mit einer geistigen Behinderung vom Grade der Debilität – leidenden Geschädigten, den er am selben Tag erst kennengelernt hatte, in seine Wohnung zu kommen. Beide setzten sich nebeneinander auf das Bett. Der Angeklagte hielt auf seinen Oberschenkeln einen Laptop, auf dem er einen pornographischen Film abspielte. Er fasste dem Geschädigten in den Schritt. „Der Geschädigte zeigte eine deutlich ablehnende Reaktion und äußerte diese auch gegenüber dem Angeklagten, änderte jedoch nicht seine Sitzposition und bekundete auch nicht die Absicht, jetzt die Wohnung des Angeklagten verlassen zu wollen.“ Er war „zu diesem Zeitpunkt aufgrund seiner speziellen geistigen Konstitution nicht in der Lage, adäquat auf das Ansinnen des Angeklagten zu reagieren.“ Nunmehr „befahl“ der Angeklagte dem Geschädigten aufzustehen, zog diesem die Hose aus, setzte sich wieder auf das Bett, zog den Geschädigten auf seinen Schoß und führte sein Glied in dessen After ein. Der Geschädigte äußerte, dass er das nicht wolle und dass es ihm sehr wehtue ([X.] f.).

3

2. Die Beweiswürdigung im angefochtenen Urteil weist rechtlich erhebliche Mängel auf (§ 337 StPO). Sie ist zwar Sache des Tatgerichts und das Revisionsgericht hat sie grundsätzlich hinzunehmen. Das gilt aber nicht, wenn die Beweiswürdigung lückenhaft oder unklar ist (vgl. [X.], Urteil vom 6. September 2005 – 5 [X.], [X.], 373; Beschluss vom 23. August 2007 – 4 [X.]). Dies ist hier hinsichtlich der Erwägungen der Fall, mit denen das [X.] die subjektive Tatseite des § 179 Abs. 1 Nr. 1 StGB bejaht hat. Der Rechtsfehler erstreckt sich auf die Beurteilung der Schuldfähigkeit.

4

a) Es bestehen schon gewisse Bedenken, ob eine objektive Erkennbarkeit der [X.] des Geschädigten ausreichend festgestellt ist. Der Geschädigte wirkt bei einer Körpergröße von 1,64 m wie ein zwölf- bis dreizehnjähriger Junge und hat intellektuelle Fähigkeiten wie ein Kindergarten- oder Vorschulkind ([X.]). Trotz seiner geistigen Behinderung ist er in der Lage, einen eigenständigen Willen zu bilden und in einfacher Form auch zu artikulieren, vermag diesen aber gegen den bestimmt vorgetragenen Willen eines anderen nicht durchzusetzen ([X.]). Bei diesem Erscheinungsbild versteht es sich nicht ohne weiteres von selbst, dass sich die [X.] nach außen hin hinreichend deutlich ausgeprägt hat.

5

b) Jedenfalls ist nicht ausreichend erörtert, ob der Angeklagte, der den Geschädigten erst am Nachmittag des [X.] kennengelernt hatte, trotz seiner eigenen psychischen Auffälligkeiten auch die – erst aufgrund eines Sachverständigengutachtens festgestellte – [X.] des Geschädigten erkannt oder für möglich gehalten hat.

6

Der Angeklagte besuchte nach der Grundschule die Förderschule für Lernbehinderte, auf der er den Abschluss der 8. Klasse erreichte. Seit dem Tod seiner Mutter lebte er in einem Kinderheim. Wegen aggressiver Verhaltensauffälligkeiten und Anpassungsstörungen wurden sowohl Maßnahmen der Jugendhilfe – darunter auch ein längerer Aufenthalt in [X.] – wie auch ambulante und stationäre jugendpsychiatrische Behandlungen erforderlich. Zudem befand er sich für mehrere Wochen in psychiatrischer Behandlung in einem Fachkrankenhaus ([X.]). Schließlich wurde er unter anderem im [X.] zu einer Geldstrafe verurteilt, wobei eine erhebliche Verminderung seiner Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit angenommen wurde; Gründe hierfür teilt das Urteil nicht mit ([X.]). Eine psychische Erkrankung wurde beim Angeklagten bislang nicht festgestellt; sein Intelligenzniveau liegt jedoch „im unteren Bereich der normalen Intelligenz“ ([X.] 2).

7

Zu der hier mit der Frage des Vorsatzes des Angeklagten eng verknüpften Frage seiner Schuldfähigkeit hat das [X.] lediglich ausgeführt: „Der Angeklagte hatte sich geweigert, an der Untersuchung und Begutachtung mitzuwirken. Der Sachverständige konnte nach seinen Ausführungen keine Feststellungen zum Merkmal nach §§ 20, 21 StGB treffen, auch liegen keinerlei Anhaltspunkte vor, dass der Angeklagte nicht in der Lage gewesen ist, im Rahmen seiner geistigen Fähigkeiten einen entgegenstehenden Willen des Zeugen zu erkennen und sich entsprechend zu verhalten“ ([X.] f.).

8

Dies reicht hier nicht aus. Wenn sich das Tatgericht darauf beschränkt, sich der Beurteilung eines Sachverständigen anzuschließen, muss es dessen wesentliche Anknüpfungspunkte und Darlegungen im Urteil so wiedergeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist (vgl. [X.], Urteile vom 6. März 1986 – 4 StR 48/86, [X.]St 34, 29, 31, und vom 15. Januar 2003 – 5 [X.], [X.], 307; Beschluss vom 2. Oktober 2007 – 3 [X.], [X.], 39). Hier fehlt es schon an der Darlegung der die gutachterlichen Wertungen tragenden Befunde. Ausführungen dazu, wie sich früher festgestellte beträchtliche psychische Auffälligkeiten in der konkreten Tatsituation auf das Erkenntnisvermögen und die Hemmungsfähigkeit des Angeklagten ausgewirkt haben, fehlen völlig.

9

3. Die Sache bedarf umfassender neuer tatgerichtlicher Aufklärung. Für den Fall erneuter Verurteilung des Angeklagten wird die Frage seiner uneingeschränkten Schuldfähigkeit besonders genau zu prüfen sein. Eine Einziehungsentscheidung wie die bislang getroffene erscheint außerordentlich fernliegend.

[X.]                                Schneider

                      König                                  [X.]

Meta

5 StR 52/12

24.05.2012

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Bautzen, 5. Oktober 2011, Az: 1 KLs 330 Js 498/11

§ 179 Abs 1 Nr 1 StGB, § 261 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 24.05.2012, Az. 5 StR 52/12 (REWIS RS 2012, 6100)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 6100

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

1 StR 394/14

1 StR 427/18

1 StR 394/14

5 StR 221/12

5 StR 52/12

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