Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 11.03.2010, Az. 1 BvR 3163/09

1. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2010, 8556

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Leistungsmindernde Anrechnung von Kindergeld auf das Sozialgeld nach § 11 Abs 1 SGB 2 verletzt nicht Grundrechte oder grundrechtsgleiche Rechte


Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die leistungsmindernde Anrechnung von Kindergeld auf das Sozialgeld nach dem [X.] ([X.]).

I.

2

1. Der im September 1994 geborene Beschwerdeführer erhielt für den streitgegenständlichen Zeitraum vom 1. März 2008 bis zum 31. August 2008 Sozialgeld, wobei auf die monatliche Regelleistung von 208 Euro sowohl Kindergeld in Höhe von 154 Euro als auch anteiliges Erwerbseinkommen seiner Eltern angerechnet wurde. Seinen nach Eintritt der Bestandskraft des betreffenden Bewilligungsbescheids gestellten Überprüfungsantrag nach § 44 [X.] ([X.]), mit dem er geltend machte, das Kindergeld hätte in Höhe der Hälfte nicht angerechnet werden dürfen, weil es insoweit dem nicht in der Regelleistung enthaltenen Betreuungs-, Erziehungs- und Ausbildungsbedarf des Kindes diene, lehnte der Grundsicherungsträger ab. Seine nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene Klage auf Nachzahlung von insgesamt 462 Euro wies das Sozialgericht ohne Zulassung der Berufung mit der Begründung ab, beim Kindergeld handele es sich auch nicht teilweise um eine anrechnungsfrei bleibende zweckbestimmte Einnahme im Sinne von § 11 Abs. 3 Nr. 1a [X.], sondern um Einkommen, das nach § 11 Abs. 1 Satz 3 [X.] bei dem zur Bedarfsgemeinschaft gehörenden Kind leistungsmindernd zu berücksichtigen sei. Die hiergegen erhobene Nichtzulassungsbeschwerde wies das [X.]als unbegründet zurück.

3

2. Mit seiner mit einem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts verbundenen Verfassungsbeschwerde richtet sich der Beschwerdeführer ausdrücklich nur gegen die Entscheidung des [X.] sowie die Verwaltungsentscheidungen des Grundsicherungsträgers und rügt sinngemäß eine Verletzung von Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 und Art. 3 Abs. 1 GG. Er meint, anders als nach dem früheren Sozialhilferecht bestehe zwischen Kindergeld und den Leistungen nach dem [X.] keine [X.], weil die Regelleistung keinen Bedarf für die Betreuung, Erziehung und Ausbildung eines Kindes enthalte, wohingegen nach dem [X.] ([X.]) beispielsweise Leistungen für Schulbedarf gewährt worden seien. Kindergeld müsse in Höhe der Hälfte des [X.] anrechnungsfrei bleiben, da für den Fall, dass Kinderfreibeträge mangels zu versteuernden Einkommens nicht zum Tragen kämen, davon auszugehen sei, dass Kindergeld zur Hälfte dem sächlichen Existenzminimum und zur anderen Hälfte dem Betreuungs-, Erziehungs- und Ausbildungsbedarf, der in der Regelleistung nicht berücksichtigt sei, zuzuordnen sei. Die volle Anrechnung des Kindergeldes benachteiligte ohne rechtfertigenden Grund [X.]-Leis-tungsempfänger gegenüber anderen Kindergeldempfängern, da erstere vom Betreuungs-, Erziehungs- und Ausbildungsanteil des Kindergeldes ausgeschlossen seien. Hinsichtlich des Betreuungs-, Erziehungs- und Ausbildungsbedarfs führe die volle Anrechung auch zu einer Unterschreitung des Existenzminimums.

II.

4

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. [X.] im Sinne von § 93a Abs. 2 [X.] liegen nicht vor. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu, denn das [X.] hat die wesentlichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden (vgl. [X.], Urteil vom 9. Februar 2010 - 1 BvL 1/09 u.a. -, [X.], Rn. 133 ff.; Beschluss der [X.] des [X.] vom 24. Oktober 1991 - 1 BvR 1159/91 -, juris, Rn. 7 ff.). Sie ist auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 [X.] genannten Rechte angezeigt, denn sie ist ohne Aussicht auf Erfolg. Es spricht bereits viel dafür, dass die Beschwerdebegründung den Anforderungen von § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 [X.] nicht genügt. In jedem Fall ist die Verfassungsbeschwerde unbegründet. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts ist dementsprechend wegen fehlender Erfolgsaussichten entsprechend § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) abzulehnen.

5

1. Das Sozialgericht hat in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass es sich beim Kindergeld auch nicht teilweise um eine anderen Zwecken als die Leistungen des [X.] dienende Einnahme handelt, die nach [ref=f9fd930a-0c49-4f4e-92b0-a3b4206a4e96]§ 11 Abs. 3 Nr. 1a [X.][/ref] anrechnungsfrei bleiben müsste. Dies folgt unabhängig von der Vorschrift des § 11 Abs. 1 Satz 3 [X.] auch aus § 31 Satz 2 Einkommensteuergesetz (EStG). Danach ist Kindergeld, das, wie beim Beschwerdeführer und seinen Eltern, wegen Fehlens eines zu versteuernden Einkommens nicht zur steuerlichen Freistellung des (steuerrechtlichen) Existenzminimums eines Kindes erforderlich ist, eine Leistung zur Förderung der Familie (vgl. [X.]E 114, 339 <340>). Als solche dient es dazu, die wirtschaftliche Lage von Familien mit Kindern im Verhältnis zu solchen ohne Kinder zu verbessern und deren Lebensunterhalt zu sichern (vgl. [X.], Beschluss vom 11. Oktober 1985 - 5 [X.]/85 -, juris, Rn. 2 m.w.N.).

6

2. Dass das Kindergeld in voller Höhe als Einkommen im Sinne von § 11 Abs. 1 [X.] auf die Leistungen nach dem [X.] angerechnet wird, ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Das [X.] hat bereits entschieden, dass die vollständige Anrechnung des Zuschlags zum Kindergeld nach § 11a Bundeskindergeldgesetz a.F. auf die Sozialhilfe nicht gegen Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG verstieß (vgl. [X.], Beschluss der 3. Kammer des [X.] vom 24. Oktober 1991 - 1 BvR 1159/91 -, juris, Rn. 7 ff.). Dies gilt entsprechend für das Kindergeld (vgl. insoweit auch [X.]E 94, 326 <329>) und seine Anrechnung auf die Leistungen nach dem [X.].

7

a) Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG wird durch die vollständige Anrechnung des Kindergeldes nicht verletzt. Der Beschwerdeführer hat durch das Kindergeld einerseits und das gekürzte Sozialgeld andererseits im Ergebnis staatliche Leistungen in der Höhe erhalten, die durch § 28 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 [X.] im streitgegenständlichen Zeitraum gesetzlich vorgesehen waren. Gegen [ref=[X.]-27ff-48d5-[X.] 28 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 [X.][/ref] selbst richtet sich die Verfassungsbeschwerde nicht. Zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ist es auch nicht geboten, dass zumindest ein Teil des Kindergeldes anrechnungsfrei bleibt, damit der Betreuungs-, [X.]oder Ausbildungsbedarf eines Kindes, dem im Einkommensteuerrecht nach Maßgabe von § 32 Abs. 6 EStG in Verbindung mit [[X.]-4e8d-9128-dd8a05593706]§ 31 Satz 1 [X.]] Rechnung getragen wird, gedeckt werden kann. Denn Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG verlangt nicht die Gewährung von Leistungen die den Betreuungs-, Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf in gleicher Höhe wie das Steuerrecht berücksichtigen (vgl. [X.], Urteil vom 9. Februar 2010 - 1 BvL 1/09 u.a. -, [X.], Rn. 158).

8

b) Aus Art. 3 Abs. 1 GG folgt nichts anderes. Art. 3 Abs. 1 GG verpflichtet den Gesetzgeber, der - gegebenenfalls aufgrund verfassungsrechtlicher Verpflichtung (vgl. [X.]E 99, 216 <232 ff.>) - Steuervergünstigungen gewährt, nicht dazu, diesen Vergünstigungen entsprechende Sozialleistungen solchen Personen und ihren Angehörigen zu gewähren, die kein zu versteuerndes Einkommen erzielen. Hinsichtlich der Zahlung von Kindergeld werden zudem alle Kindergeldberechtigten und hinsichtlich der Anrechnung des Kindergeldes nach § 11 Abs. 1 Satz 3 [X.] auch alle zu einer Bedarfsgemeinschaft mit ihren Eltern gehörenden, hilfebedürftigen Kinder gleich behandelt.

9

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 3163/09

11.03.2010

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 2. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend SG Düsseldorf, 29. Juni 2009, Az: S 23 AS 312/08, Gerichtsbescheid

Art 1 Abs 1 GG, Art 20 Abs 1 GG, Art 3 Abs 1 GG, Art 6 Abs 1 GG, § 11a BKGG vom 30.01.1990, § 11 Abs 1 S 2 BSHG, § 76 BSHG, § 31 S 1 EStG, § 31 S 2 EStG, § 32 Abs 6 EStG, § 11 Abs 1 S 3 SGB 2, § 28 Abs 1 S 3 Nr 1 SGB 2

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 11.03.2010, Az. 1 BvR 3163/09 (REWIS RS 2010, 8556)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 8556

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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