Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 30.03.2011, Az. 1 BvR 426/10

1. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2011, 8107

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Unzulässigkeit einer gegen Entscheidungen im Eilverfahren, aber vor Erschöpfung des Hauptsacherechtswegs erhobenen Verfassungsbeschwerde - hier: Rüge von auf die Hauptsache bezogenen Grundrechtsverletzungen - zudem fachgerichtlich noch ungeklärte Fragen bzgl der Zulässigkeit der räumlich begrenzten Untersagung von Werbung für Glücksspiele im Internet


Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 [X.] liegen nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten der Beschwerdeführerin angezeigt. Die Verfassungsbeschwerde bietet keine Aussicht auf Erfolg. Sie ist bereits unzulässig. Ihrer Zulässigkeit steht der Grundsatz der Subsidiarität entgegen.

2

1. Die Ablehnung vorläufigen Rechtsschutzes enthält für den Antragsteller eine selbständige Beschwer, die sich nicht mit derjenigen durch die spätere Hauptsacheentscheidung deckt ([X.] 35, 263 <275>; 77, 381 <400>). Die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes kann daher grundsätzlich Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde sein ([X.] 69, 315 <339 f.>; 77, 381 <400 f.>).

3

Die Beschwerdeführerin hat den Rechtsweg im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gemäß § 90 Abs. 2 Satz 1 [X.] zwar erschöpft. Eine Rechtswegerschöpfung im Eilverfahren genügt unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität jedoch dann nicht, wenn das Hauptsacheverfahren ausreichende Möglichkeiten bietet, der geltend gemachten Grundrechtsverletzung abzuhelfen und dieser Weg dem Beschwerdeführer zumutbar ist. Dies ist regelmäßig anzunehmen, wenn mit der Verfassungsbeschwerde ausschließlich Grundrechtsverletzungen gerügt werden, die sich auf das Hauptsacheverfahren beziehen, wenn die tatsächliche und einfachrechtliche Lage durch die Fachgerichte noch nicht ausreichend geklärt ist und dem Beschwerdeführer durch die Verweisung auf den Rechtsweg in der Hauptsache kein schwerer Nachteil entsteht ([X.] 53, 30 <53>; 59, 63 <84>; 77, 381 <401 f.>).

4

Verfassungsbeschwerden gegen fachgerichtliche Entscheidungen im Wege des [X.] werden demgegenüber vom [X.] als zulässig angesehen, wenn die Entscheidung des [X.]s von keiner weiteren tatsächlichen Aufklärung abhängt und außerdem die Voraussetzungen gegeben sind, unter denen nach § 90 Abs. 2 Satz 2 [X.] vom Er-fordernis der Rechtswegerschöpfung abgesehen werden kann (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 20. Dezember 2000 - 1 BvR 2045/00, 1 [X.] -, juris). Gemäß § 90 Abs. 2 Satz 2 [X.] kann das [X.] über eine vor Erschöpfung des Rechtswegs eingelegte Verfassungsbeschwerde sofort entscheiden, wenn sie von allgemeiner Bedeutung ist oder wenn dem Beschwerdeführer ein schwerer und unabwendbarer Nachteil entstünde, falls er zunächst auf den Rechtsweg verwiesen würde.

5

Aber auch bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 90 Abs. 2 Satz 2 [X.] ist das [X.] nicht stets verpflichtet, vor Erschöpfung des Rechtswegs - hier des [X.] - zu entscheiden. Es hat vielmehr auch andere für und gegen eine vorzeitige Entscheidung sprechende Umstände zu berücksichtigen und alle Gesichtspunkte gegeneinander abzuwägen. Gegen eine Vorabentscheidung kann dabei sprechen, dass es an einer hinreichenden Vorklärung der einfachrechtlichen Lage und an einer ausreichenden Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts fehlt. Dies ergibt sich aus dem Sinn des für das verfassungsgerichtliche Verfahren geltenden Subsidiaritätsgrundsatzes, der vor allem sichern soll, dass durch die umfassende fachgerichtliche Vorprüfung der Beschwerdepunkte dem [X.] nicht nur ein regelmäßig in mehreren Instanzen geprüftes Tatsachenmaterial unterbreitet wird, sondern dass ihm auch die Fallanschauung und Rechtsauffassung der Gerichte, insbesondere auch der obersten Bundesgerichte, vermittelt werden. Denn das [X.] soll nicht gezwungen werden, auf ungesicherten Grundlagen weitreichende Entscheidungen zu treffen. Darüber hinaus wird damit der grundgesetzlichen Zuständigkeitsverteilung und Aufgabenzuweisung entsprochen, nach der vorrangig die allgemein zuständigen Gerichte Rechtsschutz - auch gegen [X.] - gewähren ([X.] 86, 15 <26 f.>; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 20. Dezember 2000 - 1 BvR 2045/00, 1 BvR 2166/00 -, juris; Beschluss der [X.] des [X.] vom 28. Oktober 1999 - 1 BvR 1841/99 -, juris).

6

2. Nach diesen Grundsätzen ist die Beschwerdeführerin auf die Erschöpfung des Rechtswegs in der Hauptsache zu verweisen.

7

a) Die Beschwerdeführerin rügt ausschließlich Grundrechtsverletzungen, die sich nicht auf die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes als solche, sondern auf die Hauptsache beziehen. Sie wendet sich gegen die Beurteilung der Erfolgsaussicht ihres Begehrens in der Hauptsache, die den gerichtlichen Entscheidungen über den vorläufigen Rechtsschutz zugrunde liegt. Ihre [X.] betreffen damit letztlich die Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung, die im Hauptsacheverfahren zu prüfen ist. Dieses bietet dann die Möglichkeit, auch einer etwaigen verfassungsrechtlichen Beschwer abzuhelfen ([X.] 77, 381 <402>).

8

b) Die angegriffenen Entscheidungen beruhen zudem auf der Beurteilung einfachrechtlicher Fragen, die in der fachgerichtlichen Rechtsprechung noch nicht geklärt sind. Das betrifft unter anderem die technische Umsetzbarkeit des räumlich auf das [X.]beschränkten Werbeverbots über das [X.] (vgl. [X.], Beschluss vom 16. März 2009 - 1 S 224.08 -; [X.], Beschluss vom 22. Juli 2009 - 10 CS 09.1184, 10 CS 09.1185 -; [X.], Beschluss vom 11. November 2010 - 11 MC 429/10 -; [X.], Beschluss vom 8. Dezember 2010 - 6 [X.]/10 -, alle: juris). Zudem haben die Fachgerichte im Hauptsacheverfahren die Möglichkeit, die neuere Rechtsprechung des [X.] (vgl. BVerwG, Urteile vom 24. November 2010 - 8 C 13/09; 8 C 14/09; 8 C 15/09 -, alle: juris) und des Gerichtshofs der [X.] über die Voraussetzungen der Untersagung des Veranstaltens und [X.] von Glücksspielen im [X.] zwecks Bekämpfung der Spielsucht (vgl. [X.], Urteil vom 8. September 2010, verbundene [X.]. [X.]/07 u.a. - [X.] u.a. -, ZfWG 2010, [X.] ff.; Urteil vom 8. September 2010, [X.]. [X.]/08 - [X.] -, ZfWG 2010, [X.] ff.) zu berücksichtigen.

9

c) Im Übrigen ist die Verfassungsbeschwerde nicht ausreichend substantiiert (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 [X.]), soweit die Beschwerdeführerin einen schweren und unabwendbaren Nachteil hinsichtlich der Wahrnehmung ihrer Presse-, Rundfunk- und Berufsfreiheit behauptet, da sie nicht darlegt, dass sie ihr [X.]angebot bis zur Entscheidung in der Hauptsache ohne die Einnahmen aus der Werbung für ausländische Glücksspielanbieter im [X.] einschränken oder gar einstellen müsste.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 426/10

30.03.2011

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 2. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 30. Dezember 2009, Az: 13 B 1629/09, Beschluss

Art 12 Abs 1 GG, Art 5 Abs 1 S 2 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 90 Abs 2 S 1 BVerfGG, § 90 Abs 2 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 9 Abs 1 S 2 GlSpielWStVtr

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 30.03.2011, Az. 1 BvR 426/10 (REWIS RS 2011, 8107)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 8107

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

1 BvR 1278/13 (Bundesverfassungsgericht)

Nichtannahmebeschluss: Zur Kostenverteilung in verwaltungsgerichtlichen Verfahren wegen Zulassung von Studienbewerbern zu kapazitätsbeschränkten Studiengängen im Losverfahren …


1 BvR 1071/22 (Bundesverfassungsgericht)

Nichtannahmebeschluss: Verfassungsbeschwerde bzgl einer Warnung des BSI vor Virenschutzsoftware gem § 7 BSIG 2009 unzulässig …


1 BvR 1614/20 (Bundesverfassungsgericht)

Nichtannahmebeschluss: Erfolglose Verfassungsbeschwerde gegen die Versagung sozialgerichtlichen Eilrechtsschutzes bzgl der Gewährung von Kurzarbeitergeld - Subsidiarität …


1 BvR 1719/17 (Bundesverfassungsgericht)

Nichtannahmebeschluss: Subsidiarität einer mittelbar gegen § 1a Abs 4 S 2 AsylbLG gerichteten Verfassungsbeschwerde - …


1 BvR 1630/20 (Bundesverfassungsgericht)

Nichtannahmebeschluss: Erfolglose, da unzulässige Verfassungsbeschwerde gegen Regelungen zur Einschränkung des Präsenzunterrichts in Schulen gem § …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

8 C 13/09

8 C 14/09

8 C 15/09

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.