Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 18.08.2010, Az. V ZB 211/10

V. Zivilsenat | REWIS RS 2010, 4008

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[X.]BESCHLUSS [X.] 211/10 vom 18. August 2010 in der [X.]- 2 - Der [X.] hat am 18. August 2010 durch [X.] [X.], [X.] Lemke und [X.], die Richterin [X.] und [X.] Czub beschlossen: Die Vollziehung der durch Beschluss des [X.] vom 1. Juli 2010 angeordneten und mit Beschluss der 29. Zivil-kammer des [X.] vom 21. Juli 2010 aufrechter-haltenen [X.] wird einstweilen ausgesetzt. Gründe: [X.] Der Betroffene, der St[X.]tsangehöriger von [X.] ist und bereits in den Jahren 2004 und 2009 abgeschoben worden war, reiste nach eigenen An-gaben am 6. Mai 2010 erneut in das [X.] ein und wurde am 17. Juni 2010 vorläufig festgenommen. 1 Eine am 1. Juli 2010 beabsichtigte Rückführung des Betroffenen schei-terte, weil er im Zusammenhang mit einem strafrechtlichen Ermittlungsverfah-ren zwischenzeitlich in Untersuchungshaft genommen worden war. Das Straf-verfahren ist noch nicht abgeschlossen. Die Zustimmung zu einer Zurückschie-bung des Betroffenen ist von der St[X.]tsanwaltschaft bislang nicht erteilt [X.]. 2 Mit Beschluss vom 18. Juni 2010 hat das Amtsgericht auf Antrag der [X.] zu 2 gegenüber dem Betroffenen die Haft zur Sicherung der Zurück-schiebung bis zum 16. Juli 2010 und die sofortige Wirksamkeit seiner [X.] - 3 - [X.] angeordnet. Mit Beschluss vom 1. Juli 2010 hat es die Haft bis längstens vier Wochen nach Ende der Untersuchungshaft verlängert. Die gegen die Haftanordnungen des Amtsgerichts gerichteten Be-schwerden sind von dem [X.] zurückgewiesen worden. Hiergegen rich-tet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der zugleich die vorläufige Aussetzung des Vollzugs der Haftentschei[X.] beantragt worden ist. 4 I[X.] Das Beschwerdegericht meint, der Betroffene sei aufgrund unerlaubter Einreise vollziehbar ausreisepflichtig. Da er nicht glaubhaft gemacht habe, dass er sich der Zurückschiebung nicht entziehen werde, sei die Haft anzuordnen gewesen. Gründe, die gegen die Möglichkeit der Zurückschiebung binnen drei Monaten sprächen, lägen nicht vor. Insbesondere sei nicht ersichtlich, dass sich das gegen den Betroffenen geführte Strafverfahren länger hinauszögern werde. Die St[X.]tsanwaltschaft werde dann gegebenenfalls einer Abschiebung zustim-men. 5 II[X.] 1. Der Aussetzungsantrag ist in entsprechender Anwen[X.] von § 64 Abs. 3 FamFG statthaft (vgl. Senat, Beschluss vom 7. Mai 2010 - [X.] 121/10, juris, Rn. 5; Senat, Beschluss vom 21. Januar 2010 - [X.] 14/10, [X.] 2010, 97, Rn. 3; Senat, Beschluss vom 30. März 2010 - [X.] 79/10, [X.] 2010, 158, Rn. 3). 6 2. Er ist auch begründet. 7 - 4 - a) Das Rechtsbeschwerdegericht hat über die beantragte einstweilige Anordnung nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Dabei sind die Er-folgsaussichten des Rechtsmittels und die drohenden Nachteile für den Betrof-fenen gegeneinander abzuwägen. Die Aussetzung der Vollziehung einer Frei-heitsentziehung, die durch das Beschwerdegericht bestätigt worden ist, wird danach regelmäßig nur in Betracht kommen, wenn das Rechtsmittel Aussicht auf Erfolg hat oder die Rechtslage zumindest zweifelhaft ist (Senat, Beschluss vom 7. Mai 2010 - [X.] 121/10, juris Rn. 7; Senat, Beschluss vom 21. Januar 2010 - [X.] 14/10, [X.] 2010, 97, Rn. 5; Senat, Beschluss vom 30. März 2010 - [X.] 79/10, [X.] 2010, 158 Rn. 5). So liegt es hier. Die [X.] bietet jedenfalls insoweit hinreichende Aussicht auf Erfolg, als sie sich gegen die Verlängerung der [X.] richtet, die ausweislich des Voll-streckungsblattes der [X.] vom 2. August 2010 seit diesem Tag gegen den Betroffenen vollstreckt wird. 8 b) Die Entschei[X.] des [X.] begegnet angesichts der fehlenden Zustimmung der St[X.]tsanwaltschaft zu einer Rückschiebung des Be-troffenen gemäß § 72 Abs. 4 Satz 1 [X.] erheblichen rechtlichen Beden-ken. 9 [X.]) Nach § 72 Abs. 4 Satz 1 [X.] darf ein Ausländer, gegen den öf-fentliche Klage erhoben oder ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingelei-tet ist, nur im Einvernehmen mit der zuständigen St[X.]tsanwaltschaft [X.] und abgeschoben werden. Fehlt dieses Einvernehmen, scheidet die Anord-nung der Haft zur Sicherung der Abschiebung eines Ausländers aus; dass das Einvernehmen mit der St[X.]tsanwaltschaft zu einem späteren Zeitpunkt herge-stellt werden könnte, ist unerheblich (vgl. Senat, Beschluss vom 17. Juni 2010, [X.] 93/10 - juris Rn. 8 für die Abschiebung). 10 - 5 - bb) Die Beteiligte zu 2 betreibt hier zwar nicht die Abschiebung (§ 58 [X.]) oder die Ausweisung (§§ 53 ff. [X.]), sondern die - in § 72 Abs. 4 [X.] nicht angeführte - Zurückschiebung des Betroffenen nach § 57 [X.]. Sinn und Zweck des Zustimmungserfordernisses begründen aber ernsthafte Zweifel an der Annahme, eine Zurückweisung des Betroffenen könne deshalb auch ohne Einvernehmen mit der St[X.]tsanwaltschaft erfolgen. 11 Der Wortlaut des § 72 Abs. 4 Satz 1 [X.] lässt ebenso wenig einen zweifelsfreien Rückschluss darauf zu, dass die Norm in der Aufzählung aufent-haltsbeendender Maßnahmen abschließend ist (so aber wohl [X.], [X.], 59. Aktualisierung zu § 72 [X.] Rn. 17 und 62. Aktualisierung zu § 57 Rn. 4; [X.] in GK-[X.], Stand September 2007, § 72 Rn. 34), wie die Gesetzesbegrün[X.] zu § 64 Abs. 3 [X.], bei der es sich um die in-haltsgleiche Vorgängerregelung von § 72 Abs. 4 Satz 1 [X.] handelt (vgl. Entwurf für ein Gesetz zur Neuregelung des Ausländerrechts, BT-Drucks. 11/6321 [vom 27. Januar 1990], S. 78 f.). 12 Vielmehr dürfte ein allein an dem Wortlaut orientiertes Verständnis der Norm deren Sinn und Zweck nicht gerecht werden. § 72 Abs. 4 Satz 1 [X.] soll verhindern, dass die Strafverfolgung durch ausländerrechtliche [X.] erschwert oder vereitelt wird ([X.], [X.], 291; Gut-mann in GK-[X.], Stand September 2007, § 72 Rn. 29 f.; [X.], Ausländerrecht, 59. Aktualisierung zu § 72 Rn. 14). Aus diesem Grund hängen die Ausweisung und die Abschiebung von der Zustimmung der St[X.]tsanwalt-schaft ab. Allein ihr obliegt die Abwägung, ob das Strafverfolgungsinteresse das Interesse an der Abschiebung des Ausländers überwiegt. 13 Ein überwiegendes Interesse an der Durchsetzung des st[X.]tlichen Straf-anspruchs gegenüber einem sich illegal im [X.] aufhaltenden [X.] kann aber nicht nur im Falle der Abschiebung und Ausweisung, sondern 14 - 6 - ebenso bei einer Zurückschiebung bestehen (vgl. [X.], [X.], 291). Vor diesem Hintergrund überzeugt auch die Annahme, die Vorschrift des § 72 Abs. 4 [X.] lasse die Absicht des Gesetzgebers erkennen, [X.] vorrangig mit dem Mittel der Zurückschiebung zu bekämpfen und in Fällen, in denen die Zurückweisung möglich ist, den st[X.]tlichen Strafanspruch zurücktreten lassen (so [X.], Ausländerrecht, 62. Aktualisierung zu § 57 [X.] Rn. 4), nicht ohne Weiteres. c) Bei dieser Sachlage überwiegen die Nachteile, die für den Betroffenen mit der fortgesetzten Vollziehung der Haft verbunden wären, das st[X.]tliche Inte-resse an deren Aufrechterhaltung. 15 [X.] [X.]Stresemann Czub Vorinstanzen: [X.], Entschei[X.] vom 01.07.2010 - 219i [X.] 41063/09 - [X.], Entschei[X.] vom [X.] - 329 T 66/10 + 329 T 67/10 -

Meta

V ZB 211/10

18.08.2010

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 18.08.2010, Az. V ZB 211/10 (REWIS RS 2010, 4008)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 4008

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