Bundespatentgericht, Beschluss vom 13.07.2016, Az. 29 W (pat) 65/13

29. Senat | REWIS RS 2016, 8259

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Gegenstand

Markenbeschwerdeverfahren – "TÜg Zert International/TÜV Cert" – zur Kennzeichnungskraft – zum Aufmerksamkeitsgrad - Dienstleistungsähnlichkeit – klangliche Verwechslungsgefahr


Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Marke 30 2011 065 376

hat der 29. Senat ([X.]) des [X.] am 13. Juli 2016 unter Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin [X.], der Richterin [X.] und des Richters am Landgericht Dr. von Hartz

beschlossen:

Auf die Beschwerde des Widersprechenden wird der Beschluss der Markenstelle für Klasse 35 des [X.] vom 29. Juli 2013 aufgehoben. Wegen des Widerspruchs aus der Marke 1 175 200 wird die Löschung der Marke 30 2011 065 376 angeordnet.

Gründe

I.

1

Die Wortmarke

2

[X.]Üg Zert International

3

ist am 3. Dezember 2011 angemeldet und am 20. März 2012 unter der Nummer 30 2011 065 376 als Marke in das beim [X.] ([X.]) geführte Register eingetragen worden für Dienstleistungen der

4

Klasse 35: organisatorische und betriebswirtschaftliche Prüfung und Bewertung (Auditierung);

5

Klasse 42: Zertifizierung von Unternehmen aller Branchen insbesondere von Managementsystemen.

6

Gegen diese Marke, deren Eintragung am 20. April 2012 veröffentlicht wurde, hat der Inhaber der älteren Wortmarke

7

[X.]ÜV [X.]

8

die am 19. April 1991 unter der Nummer 1 175 200 eingetragen wurde für Dienstleistungen der Klassen 41, 42, 44

9

Dienstleistungen eines Ingenieurs, Physikers, Chemikers, Arztes, Psychologen, insbesondere Beraten, Ausbilden, Begutachten, Forschen, Prüfen, [X.]berwachen, Zertifizieren auf dem Gebiet der [X.]echnik, insbesondere Sicherheitstechnik, Verkehrswesen, Umweltschutz, Energietechnik und Wärmetechnik

Widerspruch erhoben.

Mit Beschluss vom 29. Juli 2013 hat die Markenstelle für Klasse 35 des [X.] den Widerspruch zurückgewiesen und sowohl die Verwechslungsgefahr verneint als auch den Bekanntheitsschutz abgelehnt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, die Vergleichsmarken könnten sich teilweise, nämlich hinsichtlich der Dienstleistungen der jüngeren Marke „

Eine schriftbildliche Verwechslungsgefahr sei aufgrund der typischen Umrisscharakteristik von „g“ gegenüber „V“, die der jeweils anderen Marke fehle, ebenfalls ausgeschlossen. Zudem verfüge die angegriffene Marke bei handschriftlicher Wiedergabe und Wiedergabe in Normalschrift durch das „g“ über eine Unterlänge, die der Widerspruchsmarke fehle.

Für andere Arten von Verwechslungsgefahren sei nichts dargetan oder ersichtlich. Die angesprochenen [X.]e gingen auch nicht davon aus, dass es sich bei der jüngeren Marke um ein weiteres Produkt der Widersprechenden handele, weil die Marken unterschiedlich gebildet seien. Die gemeinsame Buchstabenfolge „[X.] –ert“ reiche nicht aus, um die jüngere Marke der Widersprechenden zuzuordnen oder als Serienzeichen anzusehen.

Für den [X.] unter dem Aspekt des Sonderschutzes der bekannten Marke bestünden ebenfalls keine Anhaltspunkte.

Gegen den den Widerspruch zurückweisenden Beschluss richtet sich die Beschwerde des Beschwerdeführers.

Er ist der Ansicht, dass teilweise [X.] bzw. hochgradige Dienstleistungsähnlichkeit bestehe. Ferner weise die Widerspruchsmarke eine erheblich gesteigerte Kennzeichnungskraft auf. Wie der [X.] in der Entscheidung „[X.]V II“ bereits festgestellt habe, handele es sich bei der Widerspruchsmarke sogar um eine bekannte Marke. Die von der Markenstelle angenommene erhöhte Kennzeichnungskraft gelte somit auch für die unter der Widerspruchsmarke „[X.]V [X.]“ erbrachten Zertifizierungsdienstleistungen.

Vor dem Hintergrund der [X.] sowie der gesteigerten Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke könne eine Verwechslungsgefahr nur bei absoluter Zeichenunähnlichkeit verneint werden. Zwischen der Widerspruchsmarke „[X.]V [X.]“ und der jüngeren Marke „[X.]g Zert International“ bestehe aber sogar hochgradige Zeichenähnlichkeit. Zwar bestehe die jüngere Marke aus mehreren Wortbestandteilen. Im Verhältnis zu den übrigen [X.] nehme das am Anfang stehende außergewöhnliche und damit besonders einprägsame Kurzwort „[X.]g“ eine prägende Stellung ein. Der Zusatz „Zert“ falle bei einer beiläufigen Wahrnehmung eher sekundär ins Auge, könne aber als (mit-) prägend betrachtet werden. Der weitere Zusatz „International“ sei aber wegen seines nichtssagenden glatt beschreibenden Charakters vollständig zu vernachlässigen.

Beim Vergleich mit der Widerspruchsmarke „[X.]V [X.]“ sei also allein der die jüngere Marke prägende Bestandteil „[X.]g Zert“ heranzuziehen. Zwischen diesen bestehe hochgradige Ähnlichkeit auf klanglicher, schriftbildlicher und begrifflicher Ebene.

Die bestehende [X.]bereinstimmung in „[X.]–ert“ bestimme das Klangbild und überwiege auch quantitativ den Unterschied im Wortende, dem das Publikum ohnehin weniger Bedeutung beimesse. Bei den Konsonanten „V“ und „g“ handele es sich nur um Augenblickslaute, die gerade am Wortende leicht überhört werden könnten.

Die Buchstaben „[X.]“ und „[X.]“ stünden bei den Vergleichsmarken jeweils für „[X.]echnische [X.]berwachung“. Die angesprochenen [X.]e würden daher in dem Buchstaben „g“ ein Akronym für einen mit „V = Verein“ ähnlichen Hinweis erblicken, nämlich „Gemeinschaft“ oder „Gesellschaft“. Sie verständen daher „[X.]g“ als Akronym von „[X.]echnischer [X.]berwachungsgesellschaft/-gemeinschaft“, so dass eine gedankliche Verbindung im Sinne von § 9 Absatz 1 Nr. 2, 2. [X.] ausgelöst werde.

Auch ein [X.] nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 [X.] liege vor. Aufgrund der aus der [X.]bernahme von „[X.] –ert“ gegebenen klanglichen, schriftbildlichen und insbesondere auch begrifflichen Gemeinsamkeiten der sich gegenüberstehenden Zeichen werde der Bestandteil „[X.]V“ der Widerspruchsmarke „[X.]V [X.]“ bei den angesprochenen [X.]en unweigerlich in Erinnerung gerufen. Auf diese Bekanntheit der Marke „[X.]V“ und ihren guten Ruf ziele der Beschwerdegegner ab, um vom illegalen Imagetransfer zu profitieren.

Der Beschwerdeführer beantragt (Bl. 7 d. A.),

den Beschluss des [X.] vom 29. Juli 2013 aufzuheben und die angegriffene Marke zu löschen.

Der Inhaber der angegriffenen Marke hat sich im Beschwerdeverfahren nicht eingelassen und keinen Antrag gestellt. Im Amtsverfahren hat er die Auffassung vertreten, es sei keine [X.] erkennbar. Eine klangliche Ähnlichkeit bestehe nicht. Die Betonung des ersten [X.] der zu vergleichen Zeichen erfolge jeweils auf dem letzten Buchstaben.

Es liege ein deutlicher und verständlicher Sinngehalt des Buchstabens „g“ gegenüber „V“ vor, um eine Verwechslungsgefahr zu verneinen. Neben der Schreibweise „Zert“ habe zudem der Begriff „International“ eine sehr hohe Bedeutung für den Markenunterschied.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

Die nach § 66 [X.] zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg.

Zwischen den Vergleichsmarken ist eine klangliche Verwechslungsgefahr im Sinne von §§ 42 Abs. 2 Nr. 1, 9 Abs. 1 Nr. 2 [X.] zu besorgen, so dass die angegriffene Marke zu löschen ist.

1.

Die Frage der Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 2 [X.] ist unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der zueinander in Wechselbeziehung stehenden Faktoren der Ähnlichkeit der Marken, der Ähnlichkeit der damit gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen sowie der Kennzeichnungskraft der prioritätsälteren Marke zu beurteilen, wobei insbesondere ein geringerer Grad der Ähnlichkeit der Marken durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen oder durch eine erhöhte Kennzeichnungskraft der älteren Marke ausgeglichen werden kann und umgekehrt ([X.] GRUR 2010, 1098, Rn. 44 – [X.] [X.]rademark [X.]rust/[X.] [[X.]]; [X.], 157 Rn. 19 – [X.]; [X.], 1004 Rn. 18 – [X.]/ISP; [X.], 176 Rn. 9 – [X.]/[X.]; [X.], 1040, Rn. 25 – [X.]/pure). Bei der umfassenden Beurteilung der Verwechslungsgefahr ist auf den durch die Zeichen hervorgerufenen Gesamteindruck abzustellen, wobei insbesondere ihre unterscheidungskräftigen und dominierenden Elemente zu berücksichtigen sind ([X.] GRUR 2010, 933 Rn. 33 – [X.]/[X.] [[X.]]; [X.], 833 Rn. 30 – Culinaria/Villa Culinaria).

a)

Die Vergleichsmarken werden zur Kennzeichnung von durchschnittlich bis eng ähnlichen Dienstleistungen verwendet. Ob die zu vergleichenden Dienstleistungen identisch sind, kann dahingestellt bleiben, weil in diesem Fall erst recht eine Verwechslungsgefahr zu besorgen ist.

aa)

Hinsichtlich der Prüfung der Waren- und Dienstleistungsähnlichkeit ist von der [X.], mithin von den im Register eingetragenen Dienstleistungen auszugehen. Der Inhaber der angegriffenen Marke hat die rechtserhaltende Benutzung der Widerspruchsmarke nicht bestritten.

bb)

Eine Ähnlichkeit von beiderseitigen Waren oder Dienstleistungen ist dabei grundsätzlich anzunehmen, wenn diese unter Berücksichtigung aller erheblichen Faktoren, die ihr Verhältnis zueinander kennzeichnen, insbesondere ihrer Beschaffenheit, ihrer regelmäßigen betrieblichen Herkunft, ihrer regelmäßigen Vertriebs- oder [X.], ihrem Verwendungszweck und ihrer Nutzung, ihrer wirtschaftlichen Bedeutung, ihrer Eigenart als miteinander konkurrierende oder einander ergänzende Produkte oder Leistungen oder anderer für die Frage der Verwechslungsgefahr wesentlichen Gründe so enge Berührungspunkte aufweisen, dass die beteiligten [X.]e der Meinung sein könnten, sie stammten aus demselben oder ggf. wirtschaftlich verbundenen Unternehmen ([X.] GRUR Int 2009, 397 Rn. 65 - [X.][X.] [[X.]/[X.]]; [X.] [X.], 176 Rn. 16 - [X.]/[X.]; [X.], 601 - d-c-fix/CD-FIX; [X.], 507, 508 - [X.]/R[X.]).

Maßgeblich für die Annahme einer Dienstleistungsähnlichkeit ist – unter Berücksichtigung der Kriterien der [X.] – nicht zuletzt angesichts der fehlenden Körperlichkeit von Dienstleistungen in erster Linie Art und Zweck der Dienstleistung, d. h. der Nutzen für den Empfänger der Dienstleistung und die Vorstellung des Verkehrs, dass die Dienstleistungen unter der gleichen Verantwortung erbracht werden ([X.], 544, 546 – [X.]; [X.], 164, 165 – Wintergarten; Büscher in Büscher/[X.]/[X.], Gewerblicher Rechtsschutz, Urheberrecht, Medienrecht, 3. Aufl., § 14 [X.] Rn. 223; [X.] in [X.]/[X.], [X.], 11. Aufl., § 9 Rn. 111).

(1)

Zwischen der Dienstleistung der angegriffenen Marke „

Bei den von der jüngeren Marke in Klasse 35 beanspruchten Dienstleistungen „

Dabei kann es dahingestellt bleiben, ob der angesprochene [X.], hier überwiegend Unternehmer und Angestellte der Führungsebene mit betriebswirtschaftlichen Kenntnissen, die Dienstleistungen „

Ein solcher Auditierungsprozess wird von Spezialisten verschiedener Fachrichtungen durchgeführt (vgl. z. B. [X.] EN [X.] 19011, Punkt 7.2.3.3). Dieses disziplinspezifische Wissen können aufgrund ihrer ursprünglichen Ausbildung sowohl Ingenieure, Physiker, Psychologen oder Ärzte in die Auditierung einbringen. Die für die Widerspruchsmarke eingetragenen Dienstleistungen der vorgenannten Berufe umfassen mithin die Eignung zum Auditoren und weisen daher zumindest durchschnittliche Berührungspunkte zur in Klasse 35 für die angegriffene Marke geschützten Dienstleistung „Auditierung“ auf. Ein Widerspruch ergibt sich insoweit nicht zur Entscheidung des [X.] (29 W (pat) 109/12), in der eine – für andere Dienstleistungen geschützte – Widerspruchsmarke des hiesigen Beschwerdeführers verfahrensgegenständlich war.

(2)

Ferner besteht zwischen den „

Mit der auf die Auditierung folgenden Zertifizierung wird die Einhaltung von (Qualität)Standards (amtlich) beglaubigt, bescheinigt bzw. mit einem Zertifikat versehen (vgl. Definition von „zertifizieren“ unter www.duden.de). Bei der im Verzeichnis der angegriffenen Marke in Klasse 42 aufgeführten Dienstleistung „

b)

Zugunsten des Widersprechenden kann für die Widerspruchsmarke bezüglich der Dienstleistung „

c)

Angesprochene [X.]e sind vorliegend Unternehmer und unternehmerische Entscheidungsträger, so dass von einer erhöhten Aufmerksamkeit auszugehen ist. Zwar richten sich die Dienstleistungen der Widerspruchsmarke sowohl an den Endverbraucher als auch an Unternehmer, die Dienstleistungen der angegriffenen Marke werden indes nur von Unternehmern oder Entscheidungsträgern in Unternehmen nachgefragt (vgl. [X.], a. a. [X.], § 9 Rn. 239).

d)

Ausgehend von einer durchschnittlichen bis hohen Dienstleistungsähnlichkeit, einer überdurchschnittlichen Kennzeichnungskraft und einer etwas erhöhten Aufmerksamkeit der [X.]e, sind an den zur Vermeidung einer Verwechslungsgefahr notwendigen Markenabstand hohe Anforderungen zu stellen. Diesen Anforderungen wird die angegriffene Marke nicht gerecht. Es liegt zumindest eine durchschnittliche klangliche Zeichenähnlichkeit vor.

Bei der Beurteilung der Zeichenähnlichkeit ist grundsätzlich vom jeweiligen Gesamteindruck der einander gegenüberstehenden Zeichen auszugehen ([X.], a. a. [X.] Rn. 13 - [X.]/DAS [X.]; [X.], 1004 Rn. 23 - [X.]/ISP; [X.], 1040 Rn. 25 - [X.]/pure). Das schließt es nicht aus, dass unter Umständen ein oder mehrere Bestandteile eines komplexen Zeichens für den durch das Kennzeichen im Gedächtnis der angesprochenen [X.]e hervorgerufenen  Gesamteindruck prägend sein können ([X.] GRUR 2010, 933 Rn. 33 - [X.]/[X.] [[X.]]; [X.], a. a. [X.] Rn. 13 – [X.]/DAS [X.]). Allein auf den dominierenden Bestandteil einer zusammengesetzten Marke kommt es aber nur dann an, wenn alle anderen Markenbestandteile zu vernachlässigen sind ([X.], a. a. [X.], Rn. 15 – Maalox/[X.]; [X.] GRUR 2011, 824 Rn. 23 – [X.]). Einer beschreibenden Angabe kann jedoch kein bestimmender Einfluss auf den Gesamteindruck einer Marke zukommen, da der angesprochene Verkehr beschreibende Angaben nicht als Hinweis auf die betriebliche Herkunft der Waren oder Dienstleistungen, sondern lediglich als Sachhinweis auffasst ([X.], a. a. [X.] Rn. 40 – [X.]/pure). Dabei ist von dem allgemeinen Erfahrungssatz auszugehen, dass der Verkehr eine Marke so aufnimmt, wie sie ihm entgegentritt, ohne sie einer analysierenden Betrachtungsweise zu unterwerfen (vgl. vgl. [X.] [X.], 428, Rn. 53 – [X.] [Henkel]; [X.] [X.], 173 Rn. 16 – for you; [X.], a. a. [X.], § 9 Rn. 237).

Die Frage der Ähnlichkeit sich gegenüberstehender Zeichen ist nach deren Ähnlichkeit in Klang, ([X.] und Sinngehalt zu beurteilen, weil Marken auf die mit ihnen angesprochenen [X.]e in klanglicher, bildlicher und begrifflicher Hinsicht wirken (vgl. [X.] GRUR 2005, 1042 Rn. 28 - [X.] LIFE, [X.], a. a. [X.] Rn. 13 – [X.]/DAS [X.]; a. a. [X.], Rn. 22 – [X.]/ISP). Dabei genügt für die Annahme einer Verwechslungsgefahr regelmäßig bereits die hinreichende [X.]bereinstimmung in einer Richtung ([X.], a. a. [X.] Rn. 26 [X.]; [X.], 719 Rn. 35 – idw Informationsdienst Wissenschaft).

aa)

Die [X.] in ihrer Gesamtheit zeigen schriftbildlich, klanglich und begrifflich ausreichende Unterschiede auf.

Die Zeichen „[X.]g Zert International“ und „[X.]V [X.]“ weichen in der Zahl der Wörter, der Länge und der [X.] bei einer Gesamtbetrachtung wesentlich voneinander ab. Auch begrifflich wahren beide Marken den erforderlichen Abstand. Während „[X.]V [X.]“ allgemein gefasst ist, bezieht sich das Verständnis der angegriffenen Marke „[X.]g Zert International“ auf einen speziellen Bereich, nämlich den Internationalen.

bb)

Eine unmittelbare Verwechslungsgefahr liegt trotzdem vor, weil die angegriffene Marke in klanglicher Hinsicht durch den [X.] „[X.]g“ und die Widerspruchsmarke durch den [X.] „[X.]V“ geprägt wird, so dass sich die Zeichen „[X.]g“ und „[X.]V“ gegenüberstehen.

(1)

Die jüngere Marke „[X.]g Zert International“ setzt sich zusammen aus „[X.]g“, „Zert“ und „International“, die Widerspruchsmarke aus den [X.]en „[X.]V“ und „[X.]“. Der Bestandteil „International“ der jüngeren Marke ist beschreibend, da er lediglich einen Hinweis auf das geographische Gebiet, in dem die Dienstleistungen erbracht werden sollen oder in dem das Unternehmen tätig ist, darstellt (vgl. [X.], a. a. [X.] Rn. 46 – [X.]/ISP). Ob es sich einerseits bei dem [X.] „Zert“ der jüngeren Marke um eine beschreibende Kurzform für „Zertifikat“ handelt und andererseits der Bestandteil „[X.]“ der Widerspruchsmarke eine dem Verkehr verständliche Abkürzung für Zertifizierung ist und somit einen [X.]eil der beanspruchten Dienstleistungen beschreibt, also beide Bestandteile als beschreibende Angaben ggf. für den jeweiligen Gesamteindruck der Marken zu vernachlässigen wären, kann als nicht entscheidungserheblich dahingestellt bleiben. Denn eine die Verwechslungsgefahr begründende klangliche Markenähnlichkeit liegt aus den nachfolgend darzustellenden Gründen vor, wenn sich die Bestandteile „[X.]g“ und „[X.]V“ allein kollisionsbegründend gegenüberstehen und mithin erst recht, sofern von einer Mitprägung der Bestandteile „Zert“ bzw. „[X.]“ auszugehen ist.

(2)

Die jeweils aus drei Buchstaben bestehenden Bestandteile „[X.]g“ der jüngeren Marke und „[X.]V“ der Widerspruchsmarke stimmen in den ersten zwei Buchstaben „[X.]“ und damit – auch unter Berücksichtigung des Kurzwortcharakters – am stärker beachteten Wortanfang vollständig überein. Sie sind beide einsilbig, verfügen an gleicher Stelle über den einzigen, identischen Vokal „[X.]“ und die gleiche Abfolge von Konsonant, Vokal und Konsonant. Sie haben zudem einen identischen Betonungs- und Sprechrhythmus, weil beide am Anfang betont werden. Sie unterscheiden sich ausschließlich in ihren Endkonsonanten „g“ und „V“.

In der Regel werden [X.] (Buchstabenwörter) wie alle anderen Wörter ausgesprochen (vgl. [X.], [X.], [X.] sprich „[X.]“ oder „[X.]? – Aussprache von [X.]n). Zu beachten ist die Besonderheit, dass [X.] mit ihrem Lautwert der einzelnen Buchstaben gesprochen werden, wenn sie Vokale enthalten und damit Silben bilden, die für die Zungen des Sprechenden angenehmen sind. [X.], bei denen die Buchstaben mit ihrem alphabetischen Buchstabennamen gesprochen werden, bestehen ausschließlich aus Konsonanten ([X.], [X.], [X.]) oder sind nicht ohne Schwierigkeiten auszusprechen ([X.]; AKW). Eine feste Regel existiert allerdings nicht ([X.]endenz für Lautwert, [X.] Lexikon Sprache, 4. Aufl., Stichwort: Kurzwort). Vorliegend enthalten beide Zeichen einen Vokal und bilden mit den Konsonanten ein angenehm auszusprechendes Kurzwort. Für eine Aussprache mit dem Lautwert spricht ferner, dass es sich bei dem [X.] „[X.]V“ der Widerspruchsmarke um eine bekannte Marke handelt, die nach ihrem Lautwert ausgesprochen wird. Der angesprochene Verkehr wird deshalb beide Zeichen entsprechend artikulieren. Die angegriffene Marke wird „tüg“ (tYg)“, die Widerspruchsmarke „tüf ([X.])“ ausgesprochen.

In klanglicher Hinsicht ist die Vokalfolge für die Frage der [X.]bereinstimmung des klanglichen Gesamteindrucks von [X.] regelmäßig von besonderer Bedeutung ([X.], a. a. [X.] Rn. 43 – [X.]/ISP). Beide Zeichen enthalten den Vokal „ü“. Bedeutsam ist vorliegend insbesondere, dass neben dem übereinstimmenden Vokal die Anzahl der Konsonanten auch der erste Konsonant identisch ist „[X.]“. Denn für den angesprochenen Verkehr, der die jeweiligen Bezeichnungen regelmäßig nicht gleichzeitig wahrnimmt und miteinander vergleichen kann, fallen die übereinstimmenden Merkmale in einem undeutlichen Erinnerungseindruck stärker ins Gewicht als die Unterschiede ([X.], a. a. [X.] Rn. 23 – [X.]/ISP; [X.], 158, 160 – [X.]; [X.], Beschluss vom 01.10.2003, 29 W (pat) 35/01). Schließlich stehen die beiden klangschwachen Konsonanten „g“ und „V“ am Wortende und werden als sogenannte Augenblickslaute oft nur undeutlich wahrgenommen und können leicht überhört oder missverstanden werden. Das Klangbild wird daher durch die beiden ersten, übereinstimmenden Laute „[X.]“ bestimmt.

(3)

In dem Fall, dass den jeweiligen [X.]en „Zert“ und „[X.]“ eine mitprägende Stellung zukommt, ist die [X.]bereinstimmung der zu vergleichenden Zeichen noch größer, weil sie sich dann klanglich nur in einem einzigen – mittleren – Buchstaben unterscheiden.

Die beiden Zeichen weisen jeweils einen weiteren Wortbestandteil auf, nämlich „Zert“ in der jüngeren Marke und „[X.]“ in der Widerspruchsmarke. Der Unterschied im Anfangsbuchstaben ist im Rahmen der Prüfung der klanglichen Verwechslungsgefahr zu vernachlässigen. Der Buchstabe „z“ in der angegriffenen Marke wird für sich wie [

Die angegriffene Marke wird demnach „tüg tsert ([X.])“ ausgesprochen. Die Widerspruchsmarke wird entweder „tüf sört ([X.] s3:t)“ oder in [X.] „tüf tsert ([X.] ʦɛrt)“ ausgesprochen.

Neben der identischen Vokalfolge (ü-e) stimmt auch die überwiegende Anzahl an Konsonanten überein ([X.]-g-z-r-t zu [X.]-v-c-r–t). Der angesprochene Verkehr wird die Vielzahl der klanglichen [X.]bereinstimmungen verstärkt wahrnehmen und einen etwaigen Unterschied überhören.

2.

Ob die angegriffene Marke ferner wegen der Gefahr ungerechtfertigter Ausnutzung der Wertschätzung der bekannten Marke „[X.]V [X.]“ zu löschen (§§ 42 Abs. 2 Nr. 1, 9 Abs. 1 Nr. 3 [X.]), braucht nicht mehr entschieden zu werden.

3.

Zur Auferlegung von Kosten aus Billigkeitsgründen gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 [X.] bestand kein Anlass.

Meta

29 W (pat) 65/13

13.07.2016

Bundespatentgericht 29. Senat

Beschluss

Sachgebiet: W (pat)

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Beschluss vom 13.07.2016, Az. 29 W (pat) 65/13 (REWIS RS 2016, 8259)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 8259

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