Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12.10.2011, Az. V ZR 8/10

5. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 2495

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Gegenstand

Richterablehnung: Entscheidung über Ablehnungsgesuch durch das Gericht selbst; dienstliche Äußerung des abgelehnten Richters


Leitsatz

1. Die Zugrundelegung einer der Partei ungünstigen Rechtsauffassung rechtfertigt auch dann nicht ohne weiteres die Besorgnis der Befangenheit (§ 42 Abs. 2 ZPO), wenn ein Gericht über ein Ablehnungsgesuch selbst entschieden hat .

2. Zur dienstlichen Äußerung des abgelehnten Richters nach § 44 Abs. 3 ZPO .

Tenor

Das Ablehnungsgesuch des Klägers vom 26. Mai 2011 wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Der Kläger hat für das Verfahren einer bereits eingelegten Nichtzulassungsbeschwerde die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt. Der [X.] hat diesen Antrag durch die [X.] Prof. [X.], [X.], Prof. Dr. [X.], [X.] und [X.] mangels hinreichender Erfolgsaussicht zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss hat der Kläger Anhörungsrüge nach § 321a ZPO erhoben und zudem geltend gemacht, es bestehe Misstrauen gegen die Unparteilichkeit "des [X.]es, namentlich gegen die [X.] am [X.], [X.], [X.], [X.] und [X.]". Ferner hat er beantragt, ihm "nach der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch" einen bei dem [X.] zugelassenen Prozessbevollmächtigten als Notanwalt beizuordnen.

2

Mit Beschlüssen vom 28. April 2011 hat der [X.] in der o.g. Besetzung das Ablehnungsgesuch als unzulässig und die Anhörungsrüge teils als unzulässig, teils als unbegründet zurückgewiesen. In dem das Ablehnungsgesuch betreffenden Beschluss heißt es, es liege ein eindeutig unzulässiges Gesuch vor, bei dem die abgelehnten [X.] nicht nach § 45 Abs. 1 ZPO an der Mitwirkung gehindert seien. Eindeutig unzulässig sei die Ablehnung eines gesamten Spruchkörpers, weil nach § 42 ZPO nur der einzelne [X.], nicht aber das Gericht als solches abgelehnt werden könne. Nach dem Antragswortlaut werde der V. Zivilsenat des [X.]s abgelehnt. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem Umstand, dass der Kläger die Namen der fünf Mitglieder des [X.]s angegeben habe, die den mit der Anhörungsrüge zur Überprüfung gestellten Beschluss unterzeichnet hätten. Diese Bezeichnung sei auch unter Berücksichtigung des Gebots, dass "[X.] vollständig zu erfassen und gegebenenfalls wohlwollend auszulegen ([X.], NJW 2007, 3771, 3773; [X.], 72, 74)" seien, nicht als eine zulässige Ablehnung einzelner [X.] zu interpretieren. Denn nach der Antragsbegründung werde die Ablehnung auf die Vorbefassung des [X.]s und auf Ausführungen in der Parallelsache der Tochter des Klägers gegen die Beklagte gestützt. Konkrete, auf eine Befangenheit der einzelnen Mitglieder des [X.]s hinweisende Anhaltspunkte seien nicht benannt worden.

3

Gegen die Zurückweisung der Anhörungsrüge hat der Kläger mit Schriftsätzen vom 26. Mai 2011 Gegenvorstellung erhoben und erneut erklärt, die [X.] Prof. [X.], [X.], Prof. Dr. [X.], [X.] und [X.] würden wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Insbesondere hätten sich diese [X.] bei der Entscheidung über die Anhörungsrüge und über das Ablehnungsgesuch zum [X.] in eigener Sache gemacht. Eine pauschale Ablehnung des Spruchkörpers sei nicht erfolgt. Da die beteiligten [X.] namentlich bezeichnet worden seien, könne jedenfalls bei der verfassungsrechtlich gebotenen wohlwollenden Auslegung des [X.] nicht davon ausgegangen werden, es sei der V. Zivilsenat als Spruchkörper abgelehnt worden. Mit Schriftsatz vom 1. August 2010 hat der Kläger die dienstlichen Äußerungen der abgelehnten [X.] als ungenügend gerügt und geltend gemacht, die Ablehnung sei u.a. auch deshalb gerechtfertigt, weil weder über den auf Bestellung eines Notanwalts gerichteten Antrag befunden noch ein richterlicher Hinweis dahin erteilt worden sei, dass an der Mandatsniederlegung des bei dem [X.]s zugelassenen Rechtsanwalts Zweifel bestünden.

II.

4

Dem Ablehnungsgesuch vom 26. Mai 2011 bleibt auch unter Berücksichtigung der späteren Ergänzungen des Klägers der Erfolg versagt.

5

Wegen Besorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung nur statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines [X.]s zu rechtfertigen (§ 42 Abs. 2 ZPO). Dabei kommen nur objektive Gründe in Betracht, die aus der Sicht einer verständigen Prozesspartei berechtigte Zweifel an der Unparteilichkeit oder der Unabhängigkeit der abgelehnten [X.] aufkommen lassen (vgl. nur [X.]/Vollkommer, ZPO, 28. Aufl., § 42 Rn. 8 f. [X.]). Solche Gründe liegen nicht vor.

6

1. Dass gilt zunächst im Hinblick darauf, dass die abgelehnten [X.] über das erste Ablehnungsgesuch selbst befunden haben.

7

a) Die Zugrundelegung einer der [X.] ungünstigen Rechtsauffassung rechtfertigt nicht ohne weiteres die Besorgnis der Befangenheit. Auch auf die Rechtmäßigkeit der Rechtsanwendung kommt es regelmäßig nicht an (vgl. nur [X.]/Vollkommer, aaO, Rn. 28 [X.]). Das gilt auch dann, wenn ein Gericht rechtsfehlerhaft über ein Ablehnungsgesuch selbst entschieden hat ([X.], NJW 2005, 3410, 3411). Allerdings gilt es zu bedenken, dass Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht nur den gesetzlichen [X.] garantiert, sondern auch einen [X.], der unabhängig und unparteilich ist und der die [X.] und Distanz gegenüber den Verfahrensbeteiligten bietet ([X.] 2007, 3771, 3772 [X.]), und dass dieser Aspekt in besonderer Weise betroffen ist, wenn über die Ablehnung von [X.]n wegen Besorgnis der Befangenheit zu befinden ist. Vor diesem verfassungsrechtlichen Hintergrund kommt die Annahme einer solchen Besorgnis in Betracht, wenn die Auslegung des Gesetzes oder dessen Handhabung im Einzelfall willkürlich oder offensichtlich unhaltbar ist oder wenn die richterliche Entscheidung Bedeutung und Tragweite dieser Verfassungsgarantie in grundlegender Weise verkennt (vgl. auch [X.], NJW 2005, 3410, 3411aaO; [X.], 72, 74; jeweils [X.]).

8

b) Davon kann hier jedoch keine Rede sein. Dem das erste Ablehnungsgesuch als unzulässig zurückweisenden [X.]sbeschluss liegt die zutreffende Rechtsauffassung zugrunde, dass die abgelehnten [X.] auch im Zivilprozess in bestimmten Fallgruppen ausnahmsweise über unzulässige [X.] selbst entscheiden dürfen, dass hierzu nicht nur rechtsmissbräuchliche Gesuche zählen, sondern auch solche, mit denen ein Spruchkörper als solcher abgelehnt wird ([X.], NJW 2007, 3771, 3772), und dass bei der Frage, ob Letzteres der Fall ist, das Gesuch vollständig zu erfassen und gegebenenfalls wohlwollend auszulegen ist ([X.], aaO, S. 3773; vgl. auch [X.], [X.], 72, 74). Darüber hinaus wird in der Entscheidung in den Blick genommen, dass ein Ablehnungsgesuch auch dann hinreichend individualisiert sein kann, wenn es sich unterschiedslos gegen alle Angehörigen eines Spruchkörpers richtet, und dass dies in Betracht kommt, wenn die Befangenheit aus konkreten in einer Kollegialentscheidung enthaltenen Anhaltspunkten hergeleitet wird (vgl. auch BVerwGE 50, 36, 37 f. [X.]). Die auf diesen Grundsätzen aufbauende Würdigung, das Ablehnungsgesuch sei bei der gebotenen wohlwollenden Auslegung gegen den [X.] als Spruchkörper gerichtet, ist zumindest gut vertretbar.

9

2. Die im Übrigen geltend gemachten Ablehnungsgründe greifen ebenfalls nicht durch. Ebenso wie bei der Zugrundelegung einer unzutreffenden Rechtsauffassung ist auch bei fehlerhaften verfahrensleitenden Maßnahmen nicht ohne weiteres die Annahme gerechtfertigt, der [X.] stehe der Sache nicht mehr mit der erforderlichen Unvoreingenommenheit gegenüber (vgl. nur [X.]/[X.], 3. Aufl., § 42 Rn. 28 ff. [X.]). Besondere Umstände, die zu einer anderen Beurteilung führen könnten, zeigt der Kläger schon nicht auf. Das gilt insbesondere für das im Zusammenhang mit dem Antrag auf Bestellung eines Notanwalts gerügte Verhalten. Sich mit diesem Antrag zu befassen, bestand im Übrigen bislang keine Veranlassung, nachdem der Kläger mit Schriftsatz vom 5. Januar 2011 ausdrücklich beantragt hat, ihm (erst) "nach der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch" einen bei dem [X.] zugelassenen Prozessbevollmächtigten als Notanwalt beizuordnen.

3. Ohne Erfolg rügt der Kläger schließlich, die nach § 44 Abs. 3 ZPO eingeholten dienstlichen Äußerungen der abgelehnten [X.] seien ungenügend.

a) Soweit der Kläger die Ablehnung darauf stützt, mit der Verwerfung des ersten [X.] hätten die beteiligten [X.] die Grenze zur Befangenheit überschritten, kommt es allein darauf an, ob aus der Entscheidung über das erste Ablehnungsgesuch selbst die Besorgnis der Befangenheit folgt. Die dienstliche Äußerung nach § 44 Abs. 3 ZPO dient der Tatsachenfeststellung. Da die in Rede stehende Entscheidung vorliegt, scheidet eine weitergehende Tatsachenfeststellung aus. Von einer Würdigung des [X.] hat der abgelehnte [X.] zumindest grundsätzlich Abstand zu nehmen (vgl. [X.], [X.], 480 Rn. 5; [X.]/[X.], aaO, § 44 Rn. 9 [X.]).

b) Mit Blick auf die oben unter 2. erörterten Ablehnungsgründe waren dienstliche Erklärungen schon deshalb nicht notwendig, weil das von dem Kläger monierte Verhalten schon nicht geeignet ist, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen (zur Entbehrlichkeit dienstlicher Äußerungen bei unschlüssigen Gesuchen vgl. [X.]/[X.], aaO, [X.]; enger wohl [X.]/Vollkommer, aaO, § 44 Rn. 4).

Roth                                                 [X.]                                           Weinland

                       Halfmeier                                            [X.]

Meta

V ZR 8/10

12.10.2011

Bundesgerichtshof 5. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend BGH, 28. April 2011, Az: V ZR 8/10, Beschluss

§ 42 Abs 2 ZPO, § 44 Abs 3 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12.10.2011, Az. V ZR 8/10 (REWIS RS 2011, 2495)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 2495


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. V ZR 8/10

Bundesgerichtshof, V ZR 8/10, 10.02.2012.

Bundesgerichtshof, V ZR 8/10, 12.10.2011.


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