Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.08.2019, Az. X ZB 13/18

10. Zivilsenat | REWIS RS 2019, 4361

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Gegenstand

Rechtsanwaltsverschulden bei Versäumung der Berufungsbegründungsfrist: Voraussetzungen des Vertrauens in eine beantragte Berufungsfristverlängerung


Leitsatz

Der Rechtsmittelführer darf die Verlängerung der Frist zur Berufungsbegründung nur dann erwarten, wenn es sich um den ersten Verlängerungsantrag handelt und er in dem Antrag erhebliche Gründe für die beantragte Verlängerung darlegt. Der Wendung, der Antrag werde "vorsorglich" gestellt, ist nicht zu entnehmen, aus welchen Gründen eine Verlängerung begehrt wird.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 7. Zivilkammer des [X.] vom 21. August 2018 wird auf Kosten des [X.] zurückgewiesen.

Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 823,40 Euro festgesetzt.

Gründe

1

I. Gegen das ihm am 31. Mai 2018 zugestellte Urteil des Amtsgerichts hat der Kläger Berufung eingelegt. Mit Schriftsatz vom 25. Juli 2018, der am 1. August 2018 beim [X.] eingegangen ist, hat er "vorsorglich" beantragt, die Frist zur Begründung der Berufung um einen Monat zu verlängern.

2

Nach einem Hinweis des Vorsitzenden, der Verlängerungsantrag sei erst nach Ablauf der Frist zur Berufungsbegründung eingegangen, hat der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und dazu ausgeführt, sein Prozessbevollmächtigter habe den Schriftsatz am 25. Juli 2018 zur Mittagszeit in einen Briefkasten eingeworfen und darauf vertraut, dass der Schriftsatz vor dem Ablauf der Frist beim Berufungsgericht eingehe. Der Prozessbevollmächtigte sei wegen urlaubsbedingten Ausfalls von Personal und der Belastung mit einer Vielzahl gerichtlicher Verfahren auf die Fristverlängerung angewiesen.

3

Das [X.] hat den Wiedereinsetzungsantrag des [X.] zurückgewiesen und seine Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des [X.], der die Beklagte entgegentritt.

4

II. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt: Eine Verlängerung der Frist zur Begründung der Berufung sei unterblieben, weil der entsprechende Antrag erst nach Ablauf der Frist eingegangen sei. Die Versäumung der Frist beruhe auf einem Verschulden des Prozessbevollmächtigten des [X.]. Dieser hätte dafür Sorge tragen müssen, dass ein Antrag auf Fristverlängerung das Gericht rechtzeitig erreiche, habe es jedoch versäumt, den Antrag auch per Telefax zu übermitteln. Auf eine rechtzeitige Übermittlung auf dem Postweg habe er sich nicht verlassen dürfen. Angesichts der unterbliebenen Übermittlung per Telefax hätte er spätestens am letzten [X.] telefonisch nachfragen müssen, ob der Antrag eingegangen sei und er mit der beantragten Verlängerung rechnen könne.

5

III. [X.] ist nach § 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

6

1. [X.] ist zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des [X.] erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO). Der angefochtene Beschluss verletzt den Kläger in seinem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz und rechtliches Gehör. Dieser gebietet es, einer [X.] die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflicht ihres Prozessbevollmächtigten zu versagen, die nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht verlangt werden und mit denen sie auch unter Berücksichtigung der Entscheidungspraxis des angerufenen Gerichts nicht rechnen musste. Der Verstoß gegen das Gebot der Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes führt unabhängig davon zur Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde, ob er sich auf das Ergebnis auswirkt ([X.], Beschluss vom 23. Oktober 2003 - [X.], [X.], 367; Beschluss vom 26. Januar 2009 - [X.], [X.], 1083 Rn. 13; Beschluss vom 7. März 2013 - [X.]/12, NJW-RR 2013, 1011; Beschluss vom 3. Dezember 2015 - [X.], NJW 2016, 874 Rn. 5).

7

2. Der Kläger hat die Frist zur Begründung der Berufung versäumt. In einem solchen Fall ist nach § 233 Satz 1 ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn der Rechtsmittelführer ohne sein Verschulden gehindert war, die Frist einzuhalten, weil er rechtzeitig einen Antrag auf Verlängerung dieser Frist gestellt hat und erwarten durfte, dass diesem Antrag entsprochen wird. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann dem Kläger danach die beantragte Wiedereinsetzung nicht versagt und seine Berufung daher nicht verworfen werden (nachfolgend zu a), doch stellt sich die Entscheidung aus anderen Gründen als richtig dar (nachfolgend zu b).

8

a) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts steht dem Erfolg des [X.] nicht entgegen, dass der [X.] nicht auch per Telefax, sondern nur per Briefpost übermittelt wurde.

9

aa) Nach der Rechtsprechung des [X.] und des [X.] dürfen einer [X.] Verzögerungen der Briefbeförderung oder -zustellung nicht als Verschulden angerechnet werden ([X.], Beschluss vom 12. Mai 2016 - [X.]/15, NJW 2016, 3789 Rn. 23 mwN). Danach darf die [X.] grundsätzlich darauf vertrauen, dass im [X.] werktags aufgegebene Postsendungen am folgenden Werktag ausgeliefert werden. Die Frist zur Begründung der Berufung lief am 31. Juli 2018, einem Dienstag, ab. Nach dem anwaltlich versicherten Vorbringen des [X.], welches das Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, hat sein Prozessbevollmächtigter den Antrag auf Fristverlängerung vom 25. Juli 2018 noch am gleichen Tag in einen Postbriefkasten eingeworfen, so dass eine Postlaufzeit von sechs Kalendertagen zur Verfügung stand.

bb) Steht danach - wie hier - eine ausreichende Postlaufzeit zur Verfügung, kann es einer [X.] weder als Verschulden angelastet werden, dass der Schriftsatz nicht auch per Telefax übermittelt wird, noch dass eine telefonische Nachfrage unterbleibt, ob der Schriftsatz fristgerecht eingegangen ist ([X.], Beschluss vom 2. Februar 1983 - [X.], NJW 1983, 1741; Beschluss vom 28. März 2001 - [X.]/00, [X.], 1045 Rn. 18; Beschluss vom 13. Dezember 2005 - [X.], [X.], 568 Rn. 7; Beschluss vom 5. Juni 2012 - [X.], NJW 2012, 2522 Rn. 9 mwN).

b) [X.] bleibt gleichwohl erfolglos, weil sich die angefochtene Entscheidung aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 577 Abs. 3 ZPO).

aa) Nach der Rechtsprechung des [X.] darf der Rechtsmittelführer die Verlängerung der Frist zur Berufungsbegründung nur dann erwarten, wenn es sich um den ersten Verlängerungsantrag handelt und der Rechtsmittelführer darin gemäß § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO erhebliche Gründe für die beantragte Verlängerung darlegt ([X.], Beschluss vom 9. Mai 2017 - [X.], [X.], 2041 Rn. 11 f. mwN; Beschluss vom 20. Februar 2018 - [X.] 47/17, NJW-RR 2018, 569 Rn. 7 f. mwN). Wird der Antrag nicht begründet, muss der Rechtsmittelführer hingegen damit rechnen, dass der Antrag deshalb abgelehnt wird ([X.], Beschluss vom 16. Juni 1992 - [X.], [X.], 2426; Beschluss vom 18. Juli 2007 - [X.], [X.], 1583 Rn. 5). An die Darlegung eines erheblichen Grundes für die Notwendigkeit der Fristverlängerung sind bei einem ersten Antrag keine hohen Anforderungen zu stellen. Grundsätzlich reicht der Hinweis auf das Vorliegen eines solchen Grundes - etwa Urlaubsabwesenheit, Arbeitsüberlastung oder das Erfordernis weiterer Abstimmung zwischen [X.] und [X.] - aus, ohne dass es einer weiteren Substantiierung bedarf ([X.] [X.], 2041 Rn. 12 f.; [X.] NJW-RR 2018, 569 Rn. 8 mwN). Unter Umständen kann auch eine konkludente Darlegung der für eine Fristverlängerung erforderlichen Voraussetzungen genügen ([X.], Beschluss vom 12. April 2006 - [X.], [X.], 2192; [X.] [X.], 2041 Rn. 15 ff.).

bb) In dem Antrag vom 25. Juli 2018 sind Gründe für die Erforderlichkeit einer Fristverlängerung um einen Monat nicht dargetan. Der Wendung, der Antrag werde "vorsorglich" gestellt, ist, anders als die Rechtsbeschwerde meint, nicht zu entnehmen, aus welchen Gründen eine Verlängerung begehrt wurde. Das Vorliegen eines erheblichen Grundes ist unter solchen Umständen auch nicht etwa ohne weiteres als Grund des Antrags zu vermuten ([X.] [X.], 1583 Rn. 7). Der Prozessbevollmächtigte, dessen Verschulden sich der Kläger zurechnen lassen muss, durfte deshalb nicht darauf vertrauen, dass das Berufungsgericht die beantragte Fristverlängerung gewähren werde, sondern hätte Anlass gehabt, sich durch Nachfrage beim Gericht zu vergewissern, ob die Verlängerung wie beantragt gewährt werde ([X.] [X.], 1583 Rn. 8). Der nicht bereits im Antrag auf Fristverlängerung, sondern erst nach Fristablauf mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 3. August 2018 erfolgte Hinweis des Prozessbevollmächtigten des [X.], er sei derzeit überlastet, rechtfertigt keine andere Beurteilung.

cc) Danach hat das Berufungsgericht die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Ergebnis zu Recht versagt und die Berufung zutreffend als unzulässig verworfen, weil die Fristversäumung vom Prozessbevollmächtigten des [X.] verschuldet worden ist.

Hätte der Prozessbevollmächtigte des [X.] sich spätestens am Tag vor Fristablauf nach der Bescheidung seines Antrags erkundigt, wäre aufgedeckt worden, dass der Antrag das Berufungsgericht nicht erreicht hatte, und hätte der Prozessbevollmächtigte noch rechtzeitig einen - ordnungsgemäß begründeten - Antrag per Telefax übermitteln können.

Meier-Beck     

        

Grabinski     

        

Hoffmann

        

Kober-Dehm      

        

Marx      

        

Meta

X ZB 13/18

20.08.2019

Bundesgerichtshof 10. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Kiel, 21. August 2018, Az: 7 S 21/18

§ 85 Abs 2 ZPO, § 233 S 1 ZPO, § 234 ZPO, § 520 Abs 2 S 3 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.08.2019, Az. X ZB 13/18 (REWIS RS 2019, 4361)

Papier­fundstellen: MDR 2019, 1493-1494 WM2020,243 REWIS RS 2019, 4361

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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