LG Paderborn, Urteil vom 15.12.2021, Az. 4 O 275/21

4. Zivilkammer | REWIS RS 2021, 9764

RECHTSMISSBRAUCH DSGVO AUSKUNFTSANSPRUCH

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Gegenstand

Rechtsmissbräuchlichkeit eines Auskunftsbegehrens nach Art. 15 DSGVO - verordnungsfremde Ziele


Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Tatbestand

Der Kläger macht gegen die Beklagte im Wege einer Stufenklage einen Anspruch auf Auskunftserteilung, auf Feststellung der Unwirksamkeit von Beitragserhöhungen in der privaten Krankenversicherung und auf Rückzahlung rechtsgrundlos geleisteter Versicherungsbeiträge sowie auf Herausgabe hieraus gezogener Nutzungen und die Freistellung von außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten geltend.

Der Kläger ist seit dem 01.04.1988 – ursprünglich noch unter der Firmierung C. Krankenversicherung Aktiengesellschaft – bei der Beklagten privat krankenversichert (Versicherungsnummer ...). Es fanden zu verschiedenen Zeitpunkten Beitragsanpassungen in nicht näher bekannter Höhe statt. Über die Beitragserhöhungen informierte die Beklagte den Kläger jeweils schriftlich und übersandte auch die entsprechend angepassten Versicherungsscheine bzw. Nachträge.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 22.07.2021 wurde die Beklagte zudem unter Setzung einer angemessenen Frist erfolglos zur Rückzahlung und Herabsetzung aufgrund unwirksamer Prämienanpassungen einschließlich der daraus gezogenen Nutzungen aufgefordert.

Der Kläger ist der Ansicht, dass das Vorgehen im Wege der Stufenklage zulässig sei, da der Auskunftsantrag allein dem Zweck der Konkretisierung des Feststellungsanspruchs zu 2) und des Leistungsanspruchs zu 3) und 4) diene. Eine Teilbezifferung klägerischer Ansprüche sei insoweit zwar möglich, werde bis zum Zeitpunkt der Auskunft jedoch prozessual zulässig aufgeschoben.

Der Kläger ist ferner der Ansicht, ihm stehe gegen die Beklagte ein Auskunftsanspruch über die Höhe der tariflich konkretisierten Beitragsanpassungen zu, die die Beklagte in dem mit dem Kläger bestehenden Versicherungsvertrag vorgenommen habe; diese Informationen würden sich allein aus den Versicherungsscheinen, bzw. deren Nachträge, die die Beklagte Jahr für Jahr anlässlich der Beitragsanpassungen versendet habe, ergeben. Um den gesamten Rückforderungsbetrag sowie der Klägerseite gleichzeitig zustehenden Herabsetzungsbetrag abschließend beziffern zu können, benötige der Kläger die begehrten Auskünfte zu dem Versicherungsvertrag mit Bezug zu den erfolgten Prämienanpassungen. Hierzu behauptet der Kläger, dass ihm die im Klageantrag zu 1) aufgeführten Unterlagen nicht vorliegen würden.

Des Weiteren vertritt der Kläger die Auffassung, dass er insbesondere auch Anspruch auf Herausgabe zu Unrecht gezahlter Versicherungsprämien habe, da die Begründungsschreiben zu den Beitragsanpassungen vom 01.01.2012, vom 01.07.2012, vom 01.01.2013, vom 01.07.2013, vom 01.01.2014, vom 01.01.2015, vom 01.01.2016, vom 01.05.2016, vom 01.01.2017, vom 01.05.2017, vom 01.01.2018, vom 01.05.2018, vom 01.01.2019 und vom 01.05.2019, deren Inhalt der Kläger jeweils auszugsweise zitiert, nicht den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Begründung i. S. d. § 203 Abs. 5 VVG entsprechen würden. Die Prämienanpassungen seien zudem auch materiell unwirksam.

Der Kläger behauptet, seine Prozessbevollmächtigten hätten die Beklagte erfolglos zur Übermittlung der im Klageantrag zu 1) aufgeführten fehlenden Unterlagen aufgefordert.

Der Kläger beantragt,

1) die Beklagte zu verurteilen, der Klägerseite Auskunft über alle Beitragsanpassungen zu erteilen, die die Beklagte in dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag in den Jahren 2011, 2012, 2013, 2015, 2016, 2017, 2020, zur Versicherungsnummer ... vorgenommen hat und hierzu geeignete Unterlagen zur Verfügung zu stellen, in denen mindestens die folgenden Angaben enthalten sind:

die Höhe der Beitragsanpassungen für die Jahre 2010, 2011, 2012, 2013, 2015, 2016, 2017, 2020, unter Benennung der jeweiligen Tarife im Versicherungsverhältnis der Klägerseite,

die der Klägerseite zu diesem Zwecke übermittelten Informationen in Form von Versicherungsscheinen und Nachträgen zum Versicherungsschein der Jahre 2010, 2011, 2012, 2013, 2015, 2016, 2017, 2020, sowie

die jeweilige Höhe der auslösenden Faktoren für die Neukalkulation der Prämien in sämtlichen ehemaligen und derzeitigen Tarifen des Versicherungsvertrages mit der Versicherungsnummer ... seit dem 01.01.2012,

2) festzustellen, dass die nach Erteilung der Auskunft gemäß dem Antrag zu 1) noch genauer zu bezeichnenden Neufestsetzungen der Prämien in der zwischen der Klägerseite und der Beklagten bestehenden Krankenversicherung mit der Versicherungsnummer ... unwirksam sind und die Klägerseite nicht zur Zahlung des jeweiligen Differenzbetrages verpflichtet, sowie, dass der monatlich fällige Gesamtbetrag für die Zukunft auf einen nach Erteilung der Auskunft gemäß dem Antrag zu 1) noch zu beziffernden Betrag unter Berücksichtigung der erfolgten Absenkungen zu reduzieren ist,

3) die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerseite einen nach Erteilung der Auskunft gemäß dem Antrag zu 1) noch zu beziffernden Betrag nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen,

4) die Beklagte zu verurteilen,

a) der Klägerseite die Nutzungen in der nach Erteilung der Auskunft gemäß dem Antrag zu 1) noch zu beziffernden Höhe herauszugeben, die die Beklagte bis zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit aus dem Prämienanteil gezogen hat, den die Klägerseite auf die unter 2) noch aufzuführenden Beitragsanpassungen gezahlt hat,

b) die Zinsen aus den herauszugebenden Nutzungen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit an die Klägerseite zu zahlen,

5) die Beklagte zu verurteilen, die Klägerseite hinsichtlich der außergerichtlichen anwaltlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.054,10 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit freizustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte vertritt die Ansicht, dass die vom Kläger erhobene Stufenklage unzulässig sei, da die Auskunft nicht der Bezifferung des Leistungsanspruchs diene, sondern dem Kläger die Informationen dazu nutzen wolle, um zu überprüfen, ob ein Anspruch dem Grunde nach bestehe.

Ferner ist die Beklagte der Ansicht, dass der Kläger keinen Anspruch auf Erteilung der gewünschten Auskunft habe. Da sämtliche Versicherungsscheine, Nachträge und Informationsschreiben unstreitig an den Kläger übersandt worden seien und – so behauptet die Beklagte – diesem auch heute noch vorliegen würden, werde die erneute gebündelte Informationsbeschaffung einzig und allein aus Bequemlichkeit geltend gemacht, um eine Rückforderungsklage vorzubereiten. Es fehle zudem an einer tauglichen Anspruchsgrundlage für den Auskunftsanspruch.

Im Übrigen seien – so die Auffassung der Beklagten - die Anpassungen der Beklagten genügen in formeller und materieller Hinsicht wirksam erfolgt.

Im Übrigen erhebt die Beklagte erhebt die Einrede der Verjährung. Sie vertritt die Auffassung, dass für den Beginn der Verjährung der Zeitpunkt maßgeblich sei, an dem der Kläger von den jeweiligen Beitragsanpassungen Kenntnis erlangt und die erhöhte Prämie jeweils gezahlt habe. Sei jedoch der Hauptanspruch – wie vorliegend – verjährt, bestehe kein Informationsbedürfnis mehr für den Auskunftsanspruch.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Die Klage ist der Beklagten am 17.09.2021 zugestellt worden.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist nur hinsichtlich der Klageanträge zu 1) und zu 5) zulässig; im Übrigen ist sie unzulässig. Soweit die Klage zulässig ist, ist sie nicht begründet.

A.

Die Klage ist zulässig, soweit sie die Klageanträge zu 1) und zu 5) betrifft. Die unbezifferten Leistungsanträge zu 3) und 4) sowie der nicht näher konkretisierte Feststellungsantrag zu 2) sind hingegen unzulässig.

I.

Die Voraussetzungen für die Geltendmachung eines nicht bezifferten Leistungsantrags bzw. eines nicht konkretisierten Feststellungsantrags im Wege einer Stufenklage liegen nicht vor. Denn der auf Stufe 1 geltend gemachte Auskunftsanspruch ist von dem Kläger erhoben worden, um Informationen über das Bestehen eines Rückzahlungs- bzw. Feststellungsanspruchs dem Grunde nach zu gewinnen.

1.

Die Voraussetzungen für eine Stufenklage sind nur in Konstellationen erfüllt, in denen der geltend gemachte Auskunftsanspruch lediglich ein Hilfsmittel ist, um die (noch) fehlende Bestimmtheit eines Leistungsanspruchs herbeizuführen. Die der Stufenklage eigentümliche Verknüpfung von unbestimmtem Leistungsanspruch und vorbereitendem Auskunftsanspruch steht dagegen nicht zur Verfügung, wenn die Auskunft überhaupt nicht dem Zwecke einer Bestimmbarkeit des Leistungsanspruchs dienen, sondern dem Kläger sonstige mit der Bestimmbarkeit als solcher nicht in Zusammenhang stehende Informationen über seine Rechtsverfolgung verschaffen soll (BGH, Urteil vom 02.03.2000, Az. III ZR 65/99, juris Rn. 18; Zöller/Greger, ZPO, 33. Auflage 2020, § 254 Rn. 3).

2.

Im vorliegenden Fall begehrt der Kläger Auskunft über die von der Beklagten vorgenommenen Prämienanpassungen in sämtlichen der Jahre 2012 bis 2020 und in diesem Zusammenhang die Vorlage bestimmter Unterlagen, um überprüfen zu können, ob ihm überhaupt ein Feststellungs- bzw. Leistungsanspruch zusteht. Sein Ziel ist es nicht, einen im Grunde nach bereits feststehenden Anspruch nur zu beziffern. Der Kläger trägt zwar vor, dass er die begehrte Auskunft benötige, um den Leistungsantrag zu 3) beziffern sowie den Feststellungsantrag zu 2) konkretisieren zu können. Dies ist jedoch schlechterdings nicht vorstellbar, da der Kläger andernfalls auf die bloße Auskunft hin, dass und in welcher Höhe eine Prämienanpassung stattgefunden habe, "ins Blaue hinein" Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit der Erhöhung bzw. Rückzahlung möglicherweise rechtsgrundlos vereinnahmter Prämien erheben müsste. Um einen solche Feststellungs- bzw. Rückzahlungsanspruch jedoch schlüssig und mit hinreichend substantiiertem Vortrag geltend zu machen, könnte sich der Kläger nicht darauf beschränken, vorzutragen, wann und in welcher Höhe eine Prämienerhöhung stattgefunden hat. Er müsste vielmehr auch die Umstände vortragen, aus denen sich die Unwirksamkeit der Erhöhung ergibt, z.B. dass die formellen Voraussetzungen des § 203 Abs. 5 VVG nicht eingehalten worden sind. Diese Informationen, d.h. ob, wann, in welcher Höhe und mit welcher Begründung Beitragsanpassungen stattgefunden haben, beabsichtigt der Kläger nach eigenem Vortrag jedoch erst aus der Auskunft der Beklagten zu gewinnen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 15.11.2021 – 20 U 269/21, BeckRS 2021, 40312, Rn. 2 ff.).

II.

Die Unzulässigkeit der Stufenklage führt nicht dazu, dass der mit dem Klageantrag zu 1) geltend gemachte Auskunftsanspruch von der Unzulässigkeit der gewählten Klageart erfasst wird.

In den Fällen der unzulässigen Kombination eines Auskunfts- und Leistungsantrags im Wege einer Stufenklage bestehen keine Bedenken, die unzulässige Stufenklage in eine grundsätzlich zulässige Klagehäufung umzudeuten (BGH, Urteil vom 02.03.2000, Az. III ZR 65/99, juris Rn. 22). Es liegen im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte dafür vor, dass das Auskunfts-, Feststellungs- und Leistungsbegehren hier nach dem Rechtsschutzziel des Klägers derart eng verbunden sind, dass die gesamte Rechtsverfolgung mit der gestuften Geltendmachung "stehen oder fallen" soll. Deswegen ist eine isolierte Sachentscheidung über den Auskunftsanspruch gegenüber dem Rechtsschutzbegehren des Klägers nicht ein "Aliud", sondern ein bloßes "Minus" (vgl. BGH, Urteil vom 02.03.2000, Az. III ZR 65/99, juris Rn. 23). Die Umdeutung in eine objektive Klagehäufung ändert allerdings nichts an der Unzulässigkeit der Klageanträge zu 2) und 3), die das sich aus § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO vorgesehene Bestimmtheitserfordernis nicht erfüllen.

B.

Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Erteilung der begehrten Auskunft durch Übersendung von Abschriften der Vertragsunterlagen.

I.

Der geltend gemachte Auskunftsanspruch des Klägers ergibt sich nicht aus § 3 Abs. 3 VVG.

Gemäß § 3 Abs. 3 S. 1 VVG kann der Versicherungsnehmer vom Versicherer die Ausstellung eines neuen Versicherungsscheins verlangen, wenn ein Versicherungsschein abhandengekommen oder vernichtet worden ist. § 3 VVG erfasst nicht nur den ursprünglichen, d. h. bei Vertragsschluss auszustellenden Versicherungsschein, sondern auch Nachträge, durch die der Vertrag inhaltlich geändert wird (BGH, Urteil vom 10.03.2004, Az. IV ZR 75/03, juris Rn. 13; BeckOK VVG/Filthuth, 9. Ed. 9.11.2020, VVG § 3 Rn. 3; Langheid/Wandt/Armbrüster, 2. Aufl. 2016, VVG § 3 Rn. 4). Für § 3 Abs. 3 VVG kommt es im Übrigen nicht darauf an, auf welche Weise, d. h. freiwillig oder unfreiwillig, der Versicherungsschein abhandengekommen ist (BeckOK VVG/Filthuth, 9. Ed. 9.11.2020, VVG § 3 Rn. 18). Um einen Antrag nach § 3 Abs. 3 VVG jedoch erfolgreich geltend machen zu können, muss der Versicherungsnehmer hinreichend substantiiert vortragen, dass ein Versicherungsschein abhandengekommen oder vernichtet worden ist. Diesen Anforderungen genügt der pauschale Vortrag des Klägers ersichtlich nicht. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Beklagte sämtliche Versicherungsscheine, Nachträge und Beitragsanpassungsschreiben ursprünglich an den Kläger übersandt hat. Nachdem die Beklagte bestritten hat, dass diese Unterlagen dem Kläger nicht mehr vorliegen würden, durfte dieser sich nicht auf die mit einem Satz vorgetragene pauschale Behauptung zurückziehen, ihm längen die Unterlagen nicht mehr vor. Dies gilt umso mehr, als der Kläger im Zusammenhang mit seiner Ansicht, ihn betreffende Beitragsanpassungen seien formell unwirksam, dann doch in der Lage ist, eine Vielzahl von Erhöhungen zu bestimmten Zeitpunkten zu behaupten und sogar aus den jeweiligen Anpassungsschreiben zu zitieren. Daher bleibt auch unklar, warum der Kläger andererseits auf die begehrten Auskünfte angewiesen sein will.

Zudem ist anzumerken, dass § 3 Abs. 3 VVG lediglich einen Anspruch auf Übersendung von Ersatzausfertigungen eines Versicherungsscheins begründen würde, nicht jedoch auf Übersendung der Mitteilungen, mit denen der Versicherer nach § 203 Abs. 2 VVG erfolgte Beitragsanpassungen begründet hat.

II.

Aus § 810 BGB (analog) kann der Kläger gegen die Beklagte ebenfalls keinen Anspruch auf Erteilung der begehrten Auskunft verlangen.

§ 810 BGB begründet unter den in der Norm genannten Voraussetzungen ein Einsichtsrecht in Urkunden, die sich in fremdem Besitz befinden. Das Auskunftsbegehren des Klägers ist nicht von § 810 BGB gedeckt, da er keine Einsicht in Urkunden nehmen will, die sich im Besitz der Beklagten befinden, sondern die Übersendung von Abschriften dieser Urkunden begehrt. Zwar kann der Besitzer einer Urkunde nach § 810 BGB ggfs. berechtigt sein, Abschriften von Urkunden zu erteilen (vgl. dazu BeckOGK/J. F. Hoffmann, 1.6.2021 Rn. 16, BGB § 810 Rn. 16 m.w.N.); eine Verpflichtung dazu besteht jedoch keinesfalls. Denn der Anspruchsinhalt des § 810 BGB ist auf ein passives Tun, d.h. eine Duldung der Einsichtnahme gerichtet, jedoch nicht auf aktives Tun in Form einer Auskunftserteilung (MüKoBGB/Habersack, 8. Aufl. 2020 Rn. 13, BGB § 810 Rn. 13; OLG Hamm, a.a.O., Rn. 17).

III.

Der Kläger kann den von ihm geltend gemachten Auskunftsanspruch auch nicht auf § 666 BGB i.V.m. § 675 BGB stützen.

Gemäß § 666 BGB ist der Beauftragte verpflichtet, dem Auftraggeber die erforderlichen Nachrichten zu geben, auf Verlangen über den Stand des Geschäfts Auskunft zu erteilen und nach der Ausführung des Auftrags Rechenschaft abzulegen. § 666 findet gemäß § 675 Abs. 1 BGB auf einen Dienst- oder Werkvertrag Anwendung, der eine Geschäftsbesorgung zum Gegenstand hat. Bei dem zwischen den Parteien bestehenden Krankenversicherungsvertrag handelt es sich nicht um einen Dienstvertrag, der eine Geschäftsbesorgung zum Gegenstand hat. Es fehlt nämlich auf Seiten der Beklagten als Versicherer an der Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen.

IV.

Nach Ansicht der Kammer steht dem Kläger der begehrte Auskunftsanspruch auch nicht aus Art. 15 Abs. 1, Abs. 3 DSGVO zu.

1.

Art. 15 Abs. 1 DSGVO gewährt einer betroffenen Person das Recht, von dem Verantwortlichen eine Bestätigung darüber zu verlangen, ob sie betreffende personenbezogene Daten verarbeitet werden. Im Fall der Verarbeitung personenbezogener Daten steht der betroffen Recht ein Rechts auf Auskunft über diese Daten zu. Gemäß Art. 15 Abs. 3 S. 1 DSGVO stellt der Verantwortliche eine Kopie der personenbezogenen Daten, die Gegenstand der Verarbeitung sind, zur Verfügung. Versicherungsscheine, Nachträge und Informationsschreiben zu den Beitragsanpassungen sind nicht grundsätzlich vom Anwendungsbereich des Art. 15 DSGVO ausgeschlossen, da in ihnen personenbezogene Daten enthalten sein können (vgl. BGH, Urteil vom 15.06.2021, Az. VI ZR 576/19, juris Rn. 24 f.). Nach Art. 4 Nr. 1 Hs. 1 DSGVO werden personenbezogene Daten definiert als alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person beziehen. Der Begriff der personenbezogenen Daten ist dabei weit zu verstehen. Er ist nicht auf sensible oder private Informationen beschränkt, sondern umfasst potenziell alle Arten von Informationen sowohl objektiver als auch subjektiver Natur in Form von Stellungnahmen oder Beurteilungen, unter der Voraussetzung, dass es sich um Informationen über die in Rede stehende Person handelt. Die letztgenannte Voraussetzung ist erfüllt, wenn die Information aufgrund ihres Inhalts, ihres Zwecks oder ihrer Auswirkungen mit einer bestimmten Person verknüpft ist (BGH, Urteil vom 15.06.2021, Az. VI ZR 576/19, juris Rn. 22). Sowohl die streitgegenständlichen Versicherungsscheine, als auch die Nachträge enthalten Informationen, die aufgrund ihres Inhalts mit der Person des Klägers verknüpft sind. Aber auch Beitragsanpassungsschreiben können personenbezogene Daten enthalten, da sie im Regelfall darauf gerichtet sind, dem jeweiligen Versicherungsnehmer Informationen zu den in seinen Tarifen vorgenommenen Beitragsanpassungen zu verschaffen.

2.

Allerdings durfte die Beklagte die vom Kläger erteilte Auskunft nach Art. 12 Abs. 5 Satz 2 Buchstabe b) DS-GVO verweigern, da das Begehren des Klägers rechtsmissbräuchlich ist (OLG Hamm, a.a.O., Rn. 8 ff.).

Nach Erwägungsgrund 63 Satz 1 der DSGVO dient das Auskunftsrecht der betroffenen Person hinsichtlich der sie betreffenden personenbezogenen Daten dem Zweck, sich der Verarbeitung bewusst zu sein und deren Rechtmäßigkeit überprüfen zu können (BGH, Urteil vom 15.06.2021, Az. VI ZR 576/19, juris Rn. 23, 25). Diesen Zweck verfolgt der Kläger mit seinem Auskunftsanspruch ersichtlich nicht. Ihm ist weder daran gelegen, sich der Verarbeitung der ihn betreffenden personenbezogenen Daten an sich bewusst zu werden, noch die Rechtsmäßigkeit der Verarbeitung dieser Daten bei der Beklagten überprüfen zu können. Ihm geht es, wie sich aus den vorbereitenden Schriftsätzen ergibt, ausschließlich darum, sich auf möglichst einfache und bequeme Art gebündelt die Informationen zu beschaffen, die er benötigt, um eine bezifferte Leistungsklage auf Rückzahlung möglicherweise rechtsgrundlos gezahlter Beiträge vorbereiten zu können, was sich auch nach Überzeugung der Kammer ausgehend von Art. 15 Abs. 1 DSGVO als rechtsmissbräuchlich darstellt.

V.

Dem Kläger steht der begehrte Auskunftsanspruch gegen die Beklagte auch nicht aus §§ 241 Abs. 2, 242 BGB in Verbindung mit dem zwischen den Parteien bestehenden Versicherungsvertrag zu.

Ein aus dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben (§ 242 BGB) wurzelnder Anspruch auf Auskunft ist nach ständiger Rechtsprechung gegeben, wenn die zwischen den Parteien bestehenden Rechtsbeziehungen es mit sich bringen, dass der Anspruchsberechtigte in entschuldbarer Weise über das Bestehen oder den Umfang seines Rechts im Ungewissen ist und wenn der Verpflichtete in der Lage ist, unschwer die zur Beseitigung dieser Ungewissheit erforderliche Auskunft zu erteilen (BGH, Urteil vom 01.08.2013, Az. VII ZR 268/11, juris Rn. 20). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat der Kläger nicht dargelegt. Aus den ihm während der Laufzeit des Vertrages übersandten Unterlagen kann er unschwer selbst ersehen, welche Prämienanpassungen vorgenommen worden sind. Nachvollziehbare Gründe dafür, dass und warum ihm ausnahmsweise nicht mehr möglich sein sollte, sind nicht vorgetragen (vgl. OLG Hamm, a.a.O., Rn. 13 ff.). Dass der Kläger einerseits sämtliche Unterlagen nicht mehr vorliegen haben will, muss umso mehr erstaunen, als der Kläger selbst – wie gesagt - eine Vielzahl von Erhöhungen zu bestimmten Zeitpunkten behauptet und aus den jeweiligen Anpassungsschreiben zitiert. Der Kammer erschließt sich daher nicht, welche Unterlagen dem Kläger dann nicht mehr vorliegen sollen.

Im Übrigen hat der Kläger selbst vorgebracht, die Beklagte mit anwaltlichem Schreiben vom 22.07.2021 erfolglos zur Rückzahlung und Herabsetzung aufgrund unwirksamer Prämienanpassungen einschließlich der daraus gezogenen Nutzungen aufgefordert zu haben, und zu einer "Teilbezifferung" seiner Ansprüche in der Lage zu sein. Mithin erschließt sich der Kammer gleichermaßen nicht, inwieweit er, wenn eine solche Aufforderung erfolgt ist und eine "Teilbezifferung" möglich sein soll, über ihm etwaig zustehende Ansprüche überhaupt im Unklaren gewesen sein will.

Der Kläger hat insoweit auch keinen Anspruch auf Auskunft hinsichtlich der jeweiligen Höhe der auslösenden Faktoren für die Neukalkulation der Prämien. Nach dem Grundsatz von Treu und Glauben besteht eine Auskunftspflicht bei jedem Rechtsverhältnis, dessen Wesen es mit sich bringt, dass der Berechtigte in entschuldbarer Weise über Bestehen oder Umfang seines Rechts im Ungewissen ist, er sich die zur Vorbereitung und Durchsetzung seines Anspruchs notwendigen Auskünfte nicht in zumutbarer Weise selbst beschaffen kann und der Verpflichtete unschwer, das heißt ohne unbillig belastet zu sein, die zur Beseitigung dieser Ungewissheit erforderlichen Auskünfte zu geben vermag.

Der Kläger hat aber bereits nicht hinreichend dargelegt, inwieweit er über Bestehen oder Umfang seines Rechts im Ungewissen sein könnte. Er hat den Auskunftsanspruch auf die auslösenden Faktoren sämtlicher Beitragsanpassungen seit dem Jahr 2012 in allen ehemaligen und derzeitigen Tarifen der Krankenversicherung bei der Beklagten erstreckt. Der Kläger hat aber schon keinen Vortrag dazu gehalten, nach welchen Tarifen der Kläger bei der Beklagten in den letzten Jahren versichert war. Im Übrigen wäre konkreter Vortrag dazu erforderlich gewesen, wann und in welchen Tarifen im Versicherungsverhältnis zum Kläger überhaupt Beitragsanpassungen erfolgt sein sollen. Die bloße Aneinanderreihung von Zitaten aus Beitragsanpassungsschreiben genügt, ohne dass hinreichend konkreter Bezug zum Versicherungsverhältnis zwischen Kläger und Beklagter hergestellt wird, den in dieser Hinsicht an einen schlüssigen Parteivortrag zu stellenden Anforderungen nicht. Hierüber, nämlich ob, zu welchem Zeitpunkt, in welchen Tarifen und in welcher Höhe genau Beitragsanpassungen gegenüber dem Kläger erfolgt sind, war der Kläger – wie bereits ausgeführt – aber auch nicht in entschuldbarer Weise im Unklaren, sodass ihm die konkrete Bezeichnung der Beitragsanpassungen möglich war. Mithin hat der Kläger in der gegenständlichen, unbeschränkten Form auch keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte sich selbst über die in den Jahren 2012 bis 2020 gegenüber dem Kläger erfolgten Beitragsanpassungen und deren Grundlage vergewissert, um dem Kläger alsdann die jeweilige Höhe der auslösenden Faktoren mitzuteilen.

VI.

Mangels Hauptforderung steht dem Kläger gegen die Beklagte kein Anspruch auf Zahlung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten nebst Rechtshängigkeitszinsen zu.

C.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1 S. 1, 709 S. 1 ZPO.

D.

Der Streitwert wird auf bis zu 10.750,- € festgesetzt.

Maßgeblich bei der Bezifferung ist aus Sicht des Gerichts mangels sonstiger Anhaltspunkte das von der Klagepartei in der Klage angegebene Interesse.


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4 O 275/21

15.12.2021

LG Paderborn 4. Zivilkammer

Urteil

Sachgebiet: O

Art. 15 DSGVO

Zitier­vorschlag: LG Paderborn, Urteil vom 15.12.2021, Az. 4 O 275/21 (REWIS RS 2021, 9764)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 9764

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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20 U 269/21

VI ZR 576/19

VII ZR 268/11

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