Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.11.2011, Az. KVZ 14/11

Kartellsenat | REWIS RS 2011, 1694

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Gegenstand

Kartellverwaltungsverfahren: Fusionskontrolle für einen Zusammenschluss von Krankenhäusern


Tenor

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde in dem Beschluss des 1. Kartellsenats des [X.] vom 15. Dezember 2010 wird auf Kosten der Betroffenen zu 1 zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert der Nichtzulassungsbeschwerde wird auf 2,2 Mio. € festgesetzt.

Gründe

1

I. Die Betroffene zu 1, die [X.] Holding AG (im Folgenden: [X.]), betreibt als Konzernholding mehrere Krankenhäuser im [X.]. Die Betroffene zu 2, die [X.] (im Folgenden: [X.]), betreibt - ebenfalls als Holding - zwei Krankenhäuser der Grund- und Regelversorgung in [X.] Die Anteile der [X.] werden von der [X.] und dem [X.], diejenigen der [X.] von den Betroffenen zu 3 und 4, dem [X.] und dem Zweckverband Kreis- und [X.], gehalten.

2

Die [X.] beabsichtigt, die Anteile an der [X.] zu erwerben. Das [X.] hat den angemeldeten Zusammenschluss untersagt. Die dagegen gerichtete Beschwerde von [X.] hat das [X.] zurückgewiesen. Gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde wendet sich [X.] mit der Beschwerde.

3

II. Die nach §§ 75, 76 Abs. 1 [X.] statthafte und auch sonst zulässige Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen [X.]rfolg. Die Sache wirft weder Fragen von grundsätzlicher Bedeutung auf, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine [X.]ntscheidung des [X.] (§ 74 Abs. 2 [X.]).

4

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] hat eine Rechtssache grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 74 Abs. 2 Nr. 1 [X.], wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deswegen das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen [X.]ntwicklung und Handhabung des Rechts berührt, d.h. allgemein von Bedeutung ist. [X.] ist eine Rechtsfrage dann, wenn sie zweifelhaft ist, also über Umfang und Bedeutung einer Rechtsvorschrift Unklarheiten bestehen. Derartige Unklarheiten können sich daraus ergeben, dass die Rechtsfrage vom [X.] bisher nicht entschieden ist und von einigen Oberlandesgerichten unterschiedlich beantwortet wird oder dass in der Literatur unterschiedliche Meinungen vertreten werden (s. etwa [X.], Beschluss vom 8. Februar 2010 - [X.], [X.], 985 Rn. 3 zu dem inhaltsgleichen § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).

5

Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.

6

a) [X.]ntgegen der Auffassung der Nichtzulassungsbeschwerde besteht keine Unklarheit über das Verhältnis der Fusionskontrollvorschriften zu § 69 [X.]. Der Senat hat bereits in der [X.]ntscheidung "[X.]" ausgeführt, dass weder aus dem Wortlaut noch aus dem Zweck des § 69 [X.] (in der bis zum 17. Dezember 2008 geltenden Fassung) gefolgert werden kann, diese Vorschrift entziehe [X.] zwischen Krankenhausträgern der Kontrolle nach §§ 35 ff. [X.] ([X.], Beschluss vom 16. Januar 2008 - [X.] 26/07, [X.]Z 175, 333 Rn. 16 ff.). Die Nichtzulassungsbeschwerde macht nicht geltend, dass sich daran aufgrund der Neufassung des § 69 [X.] durch das [X.] des [X.] in der gesetzlichen Krankenversicherung ([X.] - AMNOG) vom 22. Dezember 2010 mit Wirkung ab dem 1. Januar 2011 etwas geändert hätte.

7

Anders als die Nichtzulassungsbeschwerde meint, gelten die Ausführungen des Senats in der [X.]ntscheidung "[X.]" auch für Krankenhäuser, die im [X.]igentum der öffentlichen Hand stehen oder von ihr verwaltet oder betrieben werden. Das ergibt sich schon aus § 130 Abs. 1 Satz 1 [X.]. Jedenfalls dann, wenn sich eine Körperschaft des öffentlichen Rechts in privatrechtlichen Formen am Rechtsverkehr beteiligt, muss sie dabei die für alle geltenden Regeln beachten und ist insbesondere von der Geltung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen nicht ausgenommen (vgl. [X.], Beschluss vom 11. Juli 2008 - [X.] 28/05, [X.]Z 168, 295 Rn. 21 - [X.]/[X.] Saarlouis).

8

b) Auch zu der räumlichen Marktabgrenzung vermag die Nichtzulassungsbeschwerde keinen Klärungsbedarf aufzuzeigen.

9

Die Abgrenzung des räumlich relevanten Marktes ist grundsätzlich Sache des Tatrichters, da sie wesentlich von den tatsächlichen Gegebenheiten des Marktes abhängt. Das Rechtsbeschwerdegericht kann nur überprüfen, ob der Tatrichter von zutreffenden rechtlichen Maßstäben ausgegangen ist, ob er alle für die Abgrenzung wesentlichen Umstände hinreichend in Betracht gezogen hat und ob seine [X.]ntscheidung in [X.]inklang mit den Denkgesetzen und einschlägigen [X.] steht (vgl. [X.], Urteil vom 16. Januar 2007 - [X.] 12/06, [X.]Z 170, 299 Rn. 13 ff. - [X.]; Urteil vom 30. März 2011 - [X.], [X.]/[X.] 3303 Rn. 10 - MAN-Vertragswerkstatt).Nur bezüglich dieser Rechtsfragen können auch die Voraussetzungen für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 74 Abs. 2 [X.] erfüllt sein ([X.], Beschluss vom 2. Februar 2010 - KVZ 16/09, [X.]/[X.] 2879 Rn. 38 - Kosmetikartikel).

Die Nichtzulassungsbeschwerde meint, das Beschwerdegericht habe diese Grenze überschritten, indem es angenommen habe, eine [X.]igenversorgungsquote von 58,1 % genüge zur Annahme eines räumlich abgegrenzten Marktes.

Dem ist nicht zu folgen. Abgesehen davon, dass darin allein noch kein Grund für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen würde, ist diese Wiedergabe der Beschlussgründe unzutreffend. Das Beschwerdegericht hat den räumlichen Markt anhand der Nachfrager abgegrenzt, die nach den tatsächlichen Verhältnissen des konkreten Falles als Abnehmer für das Angebot der am Zusammenschluss beteiligten Krankenhäuser in Betracht kommen und deren Handlungsmöglichkeiten durch den Zusammenschluss betroffen, insbesondere beschränkt werden können. Dabei hat es den Anteil der Patienten in den Krankenhäusern des [X.]es einschließlich der [X.] [X.], die aus diesem Gebiet stammen, berücksichtigt (85 %), ferner die [X.]igenversorgungsquote (58,1 %) und die [X.]inpendlerquoten. Weiter hat es festgestellt, dass die [X.]igenversorgungsquote im benachbarten [X.] deutlich höher ist und damit insoweit unterschiedliche Wettbewerbsbedingungen herrschen. Diese Betrachtungsweise entspricht der Rechtsprechung des Senats ([X.]Z 175, 333 Rn. 64 ff. - [X.]). Die Nichtzulassungsbeschwerde zeigt auch insoweit keinen Klärungsbedarf auf.

c) Grundsätzliche Bedeutung hat auch nicht die von der Nichtzulassungsbeschwerde aufgeworfene Frage, ob die Marktanteile der für die Beurteilung eines [X.]s relevanten Krankenhäuser nach Fallzahlen zu ermitteln sind oder ob dafür, nachdem das [X.] über entsprechende [X.]rmittlungsmöglichkeiten verfügt, Umsatzzahlen herangezogen werden müssen.

Das Beschwerdegericht ist in Übereinstimmung mit der Auffassung des Senats ([X.]Z 175, 333 Rn. 88 - [X.]) von Fallzahlen ausgegangen. Dass insoweit ein Meinungsstreit bestünde, macht die Nichtzulassungsbeschwerde nicht geltend. Im Übrigen ist diese Frage nicht entscheidungserheblich. Denn das Beschwerdegericht hat seine [X.]ntscheidung hilfsweise auch auf die Umsatzzahlen gestützt.

d) [X.]benso wenig vermag die Nichtzulassungsbeschwerde einen Zulassungsgrund mit der [X.]rwägung aufzuzeigen, wegen der staatlichen Regulierung im Krankenhauswesen finde zwischen einzelnen Krankenhäusern gerade im ländlichen Raum ohnehin nur ein beschränkter Wettbewerb statt und deshalb hätten die üblichen [X.] in diesem Bereich nur eine eingeschränkte Bedeutung; ansonsten würde bei einem typischen Kreiskrankenhaus die Annahme eines Marktanteils von 50,5 % "automatisch" zu einer marktbeherrschenden Stellung führen.

Auch insoweit legt die Nichtzulassungsbeschwerde keinen Meinungsstreit oder einen anderweitig vermittelten Klärungsbedarf dar. Die [X.]ntscheidung des Senats "[X.]" betraf ebenfalls ein [X.] im ländlichen Bereich. Wenn dort weniger Wettbewerb herrschen sollte als in städtischen Lagen, rechtfertigt das nicht eine [X.]inschränkung der Anwendung der Fusionskontrollvorschriften (vgl. [X.], Beschluss vom 11. Juli 2008 - [X.] 28/05, [X.]Z 168, 295 Rn. 31 - [X.]/[X.] Saarlouis).

Im Übrigen hat das Beschwerdegericht nicht allein aus dem Marktanteil der Krankenhäuser von [X.] auf deren marktbeherrschende Stellung geschlossen. [X.]s ist zu diesem [X.]rgebnis vielmehr aufgrund einer umfassenden Berücksichtigung aller entscheidungserheblichen Umstände gekommen, so etwa auch des [X.] zu dem Wettbewerber von [X.].

e) [X.]in Zulassungsgrund ergibt sich auch nicht im Hinblick auf die Bildung von regionalen Leistungsverbünden (Clustern) im ländlichen Bereich, die nach Auffassung der Nichtzulassungsbeschwerde durch eine Anwendung der Vorschriften über die Fusionskontrolle erschwert würde, weil kommunale Krankenhäuser im Hinblick auf öffentlich-rechtliche Regelungen gezwungen seien, nur in ihrem Gemeindegebiet oder in räumlicher Nähe dazu tätig zu werden.

Abgesehen davon, dass die Nichtzulassungsbeschwerde auch insoweit keinen Klärungsbedarf aufzeigt, hat der Senat schon in der [X.]ntscheidung "[X.]" ausgeführt, dass eine Clusterbildung vielfach auch durch eine kartellrechtlich zulässige Abstimmung des Leistungsspektrums möglich sein wird und dass im Übrigen die Zielsetzungen der gesundheitsrechtlichen Regelungen im Rahmen der Anwendung des § 36 Abs. 1 [X.] zu berücksichtigen sind ([X.]Z 175, 333 Rn. 44 f.).

2. Auch der geltend gemachte Zulassungsgrund der Fortbildung des Rechts (§ 74 Abs. 2 Nr. 2 Fall 1 [X.]) liegt nicht vor. Für die Aufstellung höchstrichterlicher Leitsätze besteht nur dann Anlass, wenn es für die rechtliche Beurteilung typischer oder verallgemeinerungsfähiger Lebenssachverhalte an einer richtungweisenden Orientierungshilfe ganz oder teilweise fehlt ([X.], Beschluss vom 4. Juli 2002 - [X.], [X.]Z 151, 221, 225; Beschluss vom 20. Januar 2011 - [X.], [X.], 184 Rn. 12, jeweils zu dem inhaltsgleichen § 543 Abs. 2 Nr. 2 Fall 1 ZPO).

Die Nichtzulassungsbeschwerde zeigt keine Gründe auf, aus denen sich das [X.]rfordernis einer derartigen Orientierungshilfe ergeben würde. Angesichts der [X.]ntscheidung des Senats vom 16. Januar 2008 ([X.]Z 175, 333 - [X.]) sind die für den vorliegenden Fall entscheidungserheblichen Rechtsfragen geklärt. Dass die Anteile der betroffenen Krankenhausgesellschaften in [X.]. und W. in der Hand einer Gesellschaft sind, deren Anteile von Körperschaften des öffentlichen Rechts gehalten werden, und dass diese Anteile von einer Gesellschaft übernommen werden sollen, die sich ebenfalls in der Hand von Körperschaften des öffentlichen Rechts befindet, rechtfertigt - wie dargelegt - grundsätzlich kein Abweichen von den für Krankenhäuser in privater Hand geltenden Regeln. Dass sich die Verhältnisse auf dem [X.] in den vergangenen Jahren seit der [X.]ntscheidung "[X.]" grundlegend geändert hätten, macht die Nichtzulassungsbeschwerde zwar geltend, belegt dies aber nicht.

3. Schließlich besteht auch kein Anlass, die Rechtsbeschwerde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen (§ 74 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 [X.]). Insbesondere zeigt die Nichtzulassungsbeschwerde keine Abweichung des [X.] von der Rechtsprechung des Senats auf.

[X.]ntgegen der Ansicht der Nichtzulassungsbeschwerde hat der Senat in der [X.]ntscheidung "[X.]" für die Abgrenzung des räumlichen Marktes nicht allein auf die [X.]igenversorgungsquote abgestellt und erst recht keine "Mindest-[X.]igenversorgungsquote" von 64,3 % verlangt. Vielmehr hat er die [X.]igenversorgungsquote nur als ein Merkmal unter mehreren angesehen, um den räumlichen Markt abgrenzen zu können. Daneben hat er die [X.]inpendlerquote berücksichtigt und dazu ausgeführt, dass eine geringe [X.]inpendlerquote - in dem Fall "[X.]" waren es 5,4 und 2,5 % - als für die räumliche Marktabgrenzung unerheblich anzusehen sei ([X.]Z 175, 333 Rn. 68 ff.). Das Beschwerdegericht hat in Übereinstimmung mit dieser Rechtsprechung des Senats als maßgeblich angesehen, ob eine hinreichend hohe [X.]igenversorgungsquote existiert, der nur vernachlässigbare [X.]inpendlerquoten gegenüber stehen. Die Bewertung dieser Zahlen im [X.]inzelnen ist Sache des Tatrichters. Dass sich das Beschwerdegericht dabei in Widerspruch zur Rechtsprechung des Senats oder anderer Oberlandesgerichte gesetzt hätte, zeigt die Nichtzulassungsbeschwerde nicht auf.

[X.]                                     Raum                                     Strohn

                             [X.]

Meta

KVZ 14/11

08.11.2011

Bundesgerichtshof Kartellsenat

Beschluss

Sachgebiet: False

vorgehend OLG Düsseldorf, 15. Dezember 2010, Az: VI-Kart 6/09 (V)

§ 35 GWB, §§ 35ff GWB, § 103 Abs 1 S 1 GWB, § 69 SGB 5 vom 26.03.2007, § 69 SGB 5 vom 22.12.2010, AMNOG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.11.2011, Az. KVZ 14/11 (REWIS RS 2011, 1694)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 1694

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V ZB 193/10

II ZR 54/09

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