OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 08.10.2021, Az. 6 W 83/21

6. Zivilsenat | REWIS RS 2021, 2002

UNLAUTERER WETTBEWERB WETTBEWERBSRECHT UWG FLIEGENDER GERICHTSSTAND

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Gegenstand

Einschränkung des "fliegenden" Gerichtsstandes durch § 14 Abs. 2 S.3 UWG


Leitsatz

1. Der getrennten Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen gegen Konzernschwestergesellschaften wegen einer Produktausstattung steht der Einwand des Rechtsmissbrauchs nicht entgegen, wenn durch die Vollziehung der einstweiligen Verfügung gegen eine Gesellschaft im Ausland ein sachlicher Grund für ein getrenntes Vorgehen vorliegt.

2. § 14 Abs. 2 S. 2 UWG ist einschränkend dahingehend auszulegen, dass nur Zuwiderhandlungen gegen gesetzliche Informations- und Kennzeichnungspflichten im elektronischen Geschäftsverkehr oder in Telemedien erfasst sind.

3. Lobt die Werbung für ein Kosmetikum die effektive "Beseitigung" von Plaque-Bakterien aus, so liegt eine Irreführung des Verkehrs vor, wenn tatsächlich die Bakterienzahl nur reduziert wird.

Tenor

Der angefochtene Beschluss wird abgeändert.

Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Verfügung aufgegeben, es
- bei Androhung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes in Höhe von bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen an den Geschäftsführern der Komplementärin -
zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zum Zwecke des [X.] das Produkt [X.] MUNDSPÜLUNG

1. anzubieten und/oder in Verkehr zu bringen oder anbieten oder in Verkehr bringen zu lassen, wenn auf dem Produkt folgende Angaben gemacht werden:

„Die klinisch geprüfte Zweifachformel mit 0,06 % Chlorhexidin beseitigt effektiv Plaque-Bakterien und bildet ein antibakterielles Schutzschild für [X.].“
(...)
Enthält: [X.] (250 ppm. Fluorid) und 0,06 % Chlorhexidingluconat.“

wie nachfolgend wiedergegeben:

Abbildung Abbildung

und / oder

2. anzubieten und/oder zu bewerben wie nachfolgend wiedergegeben:

Abbildung

Von den Kosten des Eilverfahren tragen die Antragstellerin 1/3 und die Antragsgegnerin 2/3.

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 350.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Antragstellerin macht gegen die Antragsgegnerin wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche im Zusammenhang mit der Bewerbung des Produktes „[X.] MUNDSPÜLUNG" geltend. Gleichzeitig macht die Antragstellerin in einem getrennten Verfahren gegen die Konzernschwester der Antragsgegnerin, die [X.]. mit Geschäftssitz in der [X.], im Hinblick auf die gegenständlichen Anträge zu Ziffer 1. und 2. die identischen Unterlassungsansprüche aus demselben Sachverhalt geltend. Hinsichtlich der hiesigen Antragsgegnerin kommt lediglich noch der Antrag zu Ziffer 3. (Internetwerbung) hinzu.

2

Die Parteien sind Wettbewerber im Bereich des Vertriebs von Zahn- und [X.] in [X.]. Die Antragsgegnerin bewirbt das Produkt „[X.]“ auf der Verpackung mit folgenden Wirkaussagen:

Die klinisch geprüfte Zweifachformel mit 0,06 % Chlorhexidin beseitigt effektiv [X.] und bildet ein antibakterielles Schutzschild für [X.].

3

Weiterhin enthält die Verpackung folgende Angaben:

Enthält: [X.] (250 ppm Fluorid) und 0,06 % Chlorhexidindigluconat

4

Die Angaben zu den beteiligten Personen lauten:
[...]

5

Schließlich enthielt die Internetseite folgende Darstellung:

abbildung
6

Die Antragstellerin nimmt die Antragsgegnerin wegen Verstoßes gegen Art. 19, 20 [X.] sowie wegen Irreführung nach § 5 Abs. 1 UWG in Anspruch.

7

Das [X.] hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung durch Beschluss vom [X.] als unzulässig zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, das Vorgehen der Antragstellerin sei rechtsmissbräuchlich im Sinne von § 8c i Abs. 2 Nr. 7 UWG, da sie bei einem einheitlichen Wettbewerbsverstoß gegen mehrere verantwortliche [X.] getrennte Verfahren angestrengt habe, ohne dass es hierfür einen Grund gebe. Ein sachlicher Grund ergebe sich nicht daraus, dass die gegen die hiesige Antragsgegnerin gerichteten Unterlassungsansprüche geringfügig weitergehend seien; auch der Sitz der anderen Konzerngesellschaft im Ausland sei kein sachlicher Grund. Im Hinblick auf das Zeitmoment sei der Erlass der einstweiligen Verfügung im [X.] völlig unabhängig davon, wo der Antragsgegner seinen Sitz habe. Probleme könnten sich erst im Rahmen der Zustellung des Titels ergeben, da regelmäßig die Zustellung im Ausland länger dauere. Dies rechtfertige aber keine Verfahrenstrennung im einstweiligen Verfügungsverfahren, da auch in diesem Verfahren regelmäßig sichergestellt sei, dass der Titel zeitnah gegen alle Verletzer erlangt werden könne und jedenfalls hinsichtlich des inländischen [X.] auch zeitnah zugestellt werden könne.

8

Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragstellerin, der das [X.] nicht abgeholfen hat.

II.

9

Die zulässige Beschwerde hat in der Sache teilweise Erfolg.

10

1. Die Antragsgegnerin hat mit ihrer Zuständigkeitsrüge keinen Erfolg.

11

Nach § 513 Abs. 2 ZPO kann die Berufung nicht darauf gestützt werden, dass das Gericht des ersten Rechtszuges seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat. Diese Grenze ist erst überschritten, wenn das Gericht seine Zuständigkeit willkürlich angenommen und damit den Beklagten [X.] entzogen (Art. 101 Abs. 1 S. 2 [X.]) hat. Eine willkürliche Entscheidung liegt vor, wenn die fehlerhafte Rechtsanwendung unter Berücksichtigung der das [X.] beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht. Eine Entscheidung über die Zuständigkeit ist auch willkürlich, wenn sie sich bei Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsnormen so weit von dem diese Normen beherrschenden Grundsatz des gesetzlichen Richters entfernt, dass sie nicht mehr zu rechtfertigen ist (MüKoZPO/Rimmelspacher, 6. Aufl. 2020, ZPO § 513 Rn 22).

12

Eine Willkür liegt hier fern. Im Gegenteil ist die Annahme des [X.]s, die Einschränkung des „fliegenden“ Gerichtsstandes in [[X.]-2b2f8494b9c8]§ 14 Abs. 2 S. 3 [X.]] n.F. sei einschränkend auszulegen, eine in Literatur und Rechtsprechung stark vertretene, wenn nicht sogar die herrschende Meinung, der auch der [X.] folgt ([X.], Beschluss vom 26.2.2021 - 38 O 19/21 = [X.] 2021, 4044 Rn 3 ff. - Schutz vor doppelten Kosten; Wagner/[X.] WRP 2021, 151 Rn 35 ff.; [X.] [X.]/2021 Nr. 5; a.A. O[X.] WRP 2021, 513 Rn 19 ff. - [X.] Kennzeichnungsvorschriften). Die Einschränkung des Gerichtsstands der unerlaubten Handlung in [ref=[X.]-937c-f47c9db16612]§ 14 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 [X.]] nimmt Rechtsstreitigkeiten wegen Zuwiderhandlungen im [X.] und in Telemedien aus. Dies liegt auf einer Linie mit dem Ausschluss des Aufwendungsersatzanspruchs nach § 13 Abs. 4 Nr. 1 UWG und dem Vertragsstrafenausschluss nach § 13a Abs. 2 UWG. Genau aus diesem Grunde muss § 14 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 UWG auch in Übereinstimmung mit § 13 Abs. 4 Nr. 1 UWG in dem Sinne gelesen werden, dass die Einschränkung des [X.] nur bei Verstößen gegen gesetzliche Informations- und Kennzeichnungspflichten gilt. Dies entspricht nicht nur dem erklärten Willen des Gesetzgebers, sondern folgt auch aus dem systematischen Zusammenhang mit [ref=fe91dcca-ef6e-4363-bf4d-bbd28b6e76db]§§ 13 Abs. 4 Nr. 1, 13a Abs. 2 [X.]]. Schließlich entspricht auch nur diese Auslegung dem Sinn und Zweck der genannten Regelungen, die allein Missbrauchsfälle erfassen sollen. Anderenfalls wäre der Tatortgerichtsstand auch in zahllosen „[X.]“ beseitigt, zumal heute Vertrieb und Werbung in den meisten Branchen nebeneinander analog und digital erfolgen.

13

2. Der Verfügungsantrag ist nicht als rechtsmissbräuchlich nach § 8c Abs. 2 Nr. 7 UWG anzusehen.

14

a) Ein Missbrauch liegt vor, wenn der Anspruchsberechtigte mit der Geltendmachung des Anspruchs überwiegend sachfremde, für sich gesehen nicht schutzwürdige Interessen und Ziele verfolgt und diese als die eigentliche Triebfeder und das beherrschende Motiv der Verfahrenseinleitung erscheinen ([X.], 1089, 1090 - Missbräuchliche Mehrfachverfolgungen; [X.], 260, 261 - [X.]; [X.] 2019, 199 Rn 21 - [X.]; [X.] 2019, 966, Rn 33 - Umwelthilfe). Ein Fehlen oder vollständiges Zurücktreten legitimer wettbewerbsrechtlicher Ziele ist indessen nicht erforderlich ([X.], 82 - Neu in [X.]). Ausreichend ist, dass die sachfremden Ziele überwiegen ([X.] 2019, 199 Rn 21 - [X.]).

15

Auch die Zweifelsregelung des § 8c Abs. 2 entbindet das Gericht nicht von der für die Feststellung des Rechtsmissbrauchs erforderlichen Gesamtwürdigung aller Einzelfallumstände [X.]/[X.]/[X.], 39. Aufl. 2021, UWG § 8c Rn 12). Im Gesetzgebungsverfahren ist klargestellt worden, dass es sich bei den Fällen des Abs. 2 nicht um eine Vermutung im Sinne von § 299 ZPO handelt, sondern lediglich um die Anordnung einer Indizwirkung ([X.], Beschl. v. 12.5.2021 - 6 W 23/21, [X.] 2021, 14368 Rn 29, 30; vgl. [X.]. 19/22238, 17).

16

b) Nach der danach notwendigen Gesamtschau kann entgegen der Auffassung des [X.]s ein rechtsmissbräuchliches Verhalten nicht festgestellt werden.

17

Anhaltspunkte für ein missbräuchliches Verhalten können sich u.a. daraus ergeben, dass ein Gläubiger bei einem einheitlichen Wettbewerbsverstoß gegen mehrere rechtlich unabhängige Konzernunternehmen als verantwortliche [X.] getrennte Verfahren anstrengt und dadurch die Kostenlast erheblich erhöht, obwohl eine streitgenössische Inanspruchnahme auf der Passivseite mit keinerlei Nachteilen verbunden wäre ([X.], 1089, 1091 - Missbräuchliche Mehrfachverfolgung; [X.], 78, 79 - Falsche Herstellerpreisempfehlung; [X.], 82, 83 - Neu in [X.]; [X.] 2002, 715, 717 - Scanner-Werbung; [X.] 2006, 243 [X.] 16 f. - [X.]).

18

Die Indizwirkung des § 8c Abs. 2 Nr. 2 UWG kann hier schon deshalb nicht eintreten, da ein sachlicher Grund für die Aufspaltung der Rechtsverfolgung der Antragsgegnerin einerseits und ihrer [X.] Schwestergesellschaft anderseits besteht. Ein sachlicher Grund, zwei Konzerngesellschaften wegen derselben Werbung in zwei getrennten Klageverfahren in Anspruch zu nehmen, liegt vor, wenn eine der Beklagten ihren Sitz im Ausland hat (O[X.] [X.] 2009, 76; [X.] in: [X.], [X.], 204). Entgegen der Auffassung des [X.]s liegt der Grund hierfür nicht nur darin begründet, dass die Erlangung des Titels bei im Ausland ansässigen Gegnern erschwert ist. Zwar weist das [X.] zu Recht darauf hin, dass ein Titel im Eilverfahren im Wege der Beschlussverfügung auch bei ausländischen Schuldnern leicht zu erlangen ist. Das [X.] hat jedoch nicht berücksichtigt, dass die Erlangung des Titels für die Antragstellerin allein wertlos ist, sondern der Titel auch der Vollziehung bedarf, die wiederum im Ausland mit Schwierigkeiten verbunden sein kann. Die hiermit verbundenen Unterschiede in der Wirksamkeit der einstweiligen Verfügungen, aber auch hierdurch ausgelöste unterschiedliche Zeitpunkte für Widersprüche können zu zeitlichen Interferenzen und prozessualen Komplikationen führen.

19

Hinzu kommt, dass mehrere Zuwiderhandlungen mit unterschiedlichen Verantwortlichkeiten vorliegen. Schließlich bestehen Unsicherheiten im Hinblick auf die Zuständigkeit nach § 14 Abs. 2 UWG. Die einheitliche Geltendmachung vor dem [X.] München (Sitz der Antragsgegnerin) oder dem [X.] [X.] barg das Risiko, dass das jeweilige Gericht sich (teilweise) für unzuständig erklärte. Hinsichtlich des [X.]s [X.] ist umstritten, ob es hinsichtlich der hiesigen Antragsgegnerin zuständig ist.

20

In der Gesamtschau kann daher ein rechtsmissbräuchliches Verhalten der Antragstellerin nicht festgestellt werden.

21

3. Bei den Anträgen 1. bis 3. handelt es sich um verschiedene Streitgegenstände.

22

Richtet sich die Klage gegen die sog konkrete Verletzungsform, also das konkret umschriebene (beanstandete) Verhalten, so ist darin der Lebenssachverhalt zu sehen, der den Streitgegenstand bestimmt ([X.], 314 Rn 24 - [X.]). Dass der vorgetragene Lebenssachverhalt die Voraussetzungen nicht nur einer, sondern mehrerer Verbotsnormen erfüllt, ist unerheblich. Vielmehr umfasst der Streitgegenstand in diesem Fall alle Rechtsverletzungen, die durch die konkrete Verletzungsform verwirklicht wurden ([X.] 2012, 184 Rn 15 - [X.]; [X.], 314 Rn 24 - [X.]; [X.] 2018, 203 Rn 18 - Betriebspsychologe).

23

Dies gilt unabhängig davon, ob der Kläger sich auf bestimmte Rechtsverletzungen gestützt hat. Denn er überlässt es in diesem Fall dem Gericht, auf welche rechtlichen Gesichtspunkte es das beantragte Unterlassungsgebot stützt („jura novit curia“). Das Gericht kann daher ein Verbot auch auf Anspruchsgrundlagen stützen, die der Kläger gar nicht vorgetragen hat ([X.] WRP 2013, 95). Soweit der Kläger sein Begehren auf mehrere Anspruchsgrundlagen stützt, begründet dies nicht eine Mehrheit von Streitgegenständen. Auch ist das Gericht nicht gehalten, alle vom Kläger angeführten Verbotstatbestände - und noch dazu in der von ihm angegebenen Reihenfolge - zu prüfen. Das Gericht hat insoweit ein Wahlrecht. Das gilt auch für das Berufungsgericht, unabhängig davon, wie das [X.] das Verbot begründet hat (OLG [X.] WRP 2015, 755, 756). Hält das Gericht eine Anspruchsgrundlage für gegeben, kann es sich daher damit begnügen, das Verbot darauf zu stützen (OLG Stuttgart [X.] 2013, 00436). Die Klage ist nur dann abzuweisen, wenn die konkrete Verletzungsform unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt, für den der Kläger die tatsächlichen Grundlagen vorgetragen hat, untersagt werden kann ([X.] WRP 2012, 1594 Rn 30-32). Im Hinblick auf die [X.] darf das Gericht aber ein Verbot nur auf solche Beanstandungen stützen, die der Kläger vorgetragen hat (OLG [X.] WRP 2014, 1482).

24

Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass die Anträge 1. bis 3. verschiedene Streitgegenstände darstellen. Innerhalb des Antrags 1. hat die Antragstellerin zwar verschiedene Unlauterkeitsaspekte ([ref=22bad15a-240c-4f18-adc7-ad3ec63bad72]Art. 20 [X.][/ref], § 5 Abs. 1 UWG) vorgetragen, diese jedoch nicht zum Gegenstand eigener (Unter-)Anträge gemacht, so dass auch insoweit nur ein Streitgegenstand vorliegt und der [X.] nicht gehalten ist, alle von der Antragstellerin angeführten Verbotstatbestände und noch dazu in der von ihr angegebenen Reihenfolge zu prüfen.

25

4. Der Antragstellerin steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch zu Antrag 1. aus §§ 8 Abs. 1 und 3 Nr. 1, 3a UWG i.V.m. [ref=96c778d9-1199-41b3-bd58-1a77463fd3c7]Art. 20 [X.][/ref] zu.

26

a) Die Bestimmung des Art. 20 Abs. 1 [X.] stellt eine Marktverhaltensregelung im Sinne von § 3a UWG dar, die einen besonderen Aspekt unlauterer Geschäftspraktiken regelt und deshalb gemäß Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie 2005/29/[X.] über unlautere Geschäftspraktiken der in Art. 6 dieser Richtlinie enthaltenen Regelung über irreführende Handlungen vorgeht ([X.] 2016, 418 - Feuchtigkeitsspendendes [X.]).

27

b) Art. 20 Abs. 1 [X.] verbietet die Vortäuschung von Merkmalen und Funktionen kosmetischer Mittel bei der Kennzeichnung, der Bereitstellung auf dem Markt und der Werbung. Trotz der einzelnen Tatbestandsmerkmale ist davon auszugehen, dass mit dieser Vorschrift generell jede täuschende - d.h. irreführende - Angabe für kosmetische Mittel verboten werden soll. Deshalb ist auch davon auszugehen, dass die einzelnen Tatbestandsmerkmale sich ergänzen und deshalb lediglich beispielhaft aufgeführt sind. Es entspricht einem Grundanliegen des Rechts der [X.], allerdings vorgegeben durch das viel ältere Recht der meisten Mitgliedstaaten, die Irreführung auszuschließen, soweit sie für die Adressaten von Angaben relevant sind (Zipfel/[X.] LebensmittelR/[X.], 179. EL März 2021, VO ([X.]) 1223/2009 Art. 20 Rn 2).

28

Bei der Anwendung des Begriffes „irreführend“ ist auf die angesprochenen Verkehrskreise abzustellen. Dazu gehören insbesondere die Verbraucher, einschließlich der Gewerbetreibenden, die kosmetische Mittel verbrauchen, z.B. Friseure und Kosmetikerinnen. Auch bei kosmetischen Mitteln werden die Abnehmerkreise mit den Angaben und sonstigen Aussagen über ein kosmetisches Mittel oft bestimmte Vorstellungen verbinden. Die Angaben müssen deshalb so eindeutig sein, dass unzutreffende Vorstellungen nicht erweckt werden können. Dabei müssen gegebenenfalls auch die Kreise der Adressaten berücksichtigt werden, an die sich Kennzeichnung und Werbung gegebenenfalls richten.

29

c) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe liegt eine Irreführung darin, dass die Antragsgegnerin auslobt, dass das Produkt „[X.]“ effektiv [X.] „beseitigt“.

30

Schon vom Wortlaut her wird jedenfalls ein signifikanter Teil des Verkehrs bei der Verwendung des Wortes „beseitigt“ Anlass zu der Annahme haben, es werde die vollständige Entfernung von [X.] versprochen. Der Gegensatz zur bloßen „Reduzierung“ von Bakterien liegt auf der Hand. Dies wird verstärkt durch die Auslobung einer „effektiven“ Entfernung (jedenfalls für 24 Stunden). Damit wird der Verkehr in seiner Auffassung gestärkt, dass alle Bakterien abgetötet werden. Schließlich leitet auch die Auslobung eines „antibakteriellen [X.]“ in diese Richtung. Dieses Verkehrsverständnis kann der [X.], dessen Mitglieder zu dem angesprochenen, allgemeinen Verkehr gehören, aus eigener Anschauung beurteilen.

31

Eine derartige Wirkung hat die Antragsgegnerin nicht belegen können. Die vorgelegten Studien vermögen lediglich eine Reduktion der Bakterien, nicht aber deren vollständige Beseitigung zu belegen. Nach [[X.]-9393117ae54e]Art. 20 Abs. 1 [X.][/ref] liegt die Darlegungslast (vgl. [X.] in [X.], [X.], 2014, Art. 20 Rn 27) wie auch die Beweislast dafür, dass einem kosmetischen Mittel Merkmale oder Funktionen fehlen, über die es nach seiner Aufmachung oder nach der dafür betriebenen Werbung verfügen soll, allerdings grundsätzlich bei demjenigen, der dies geltend macht, und daher vorliegend bei der Antragstellerin (Bruggmann, [X.] 2010, Seite 141, 145 m.w.N.; [X.] in [X.] a.a.O., Art. 20 Rn 28). Abweichendes gilt, wenn - wie hier - der mit der Werbung angesprochene Durchschnittsverbraucher die Werbung dahin versteht, dass die Wirksamkeit des Mittels wissenschaftlich abgesichert ist (Bruggmann, [X.] 2010, Seite 141, 145; [X.] in [X.] a.a.[X.]. 20 Rn 29).

32

5. Der Antragstellerin steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gemäß Antrag 2. aus §§ 8 Abs. 1 und 3 Nr. 1, § 3a UWG i.V.m. Art. 19 Abs. 1 a) [X.] nicht zu.

33

a) Art. 19 [X.] stellt eine Marktverhaltensregel dar. Sie dient der Unterrichtung der Verbraucher ([X.]/Henning-Bodewig/v.[X.], 4. Aufl. 2016, UWG § 3a Rn 83-84; [X.] 2012, 567, 584; MüKoUWG/[X.], 3. Aufl. 2020, UWG § 3a Rn 458)

34

b) Nach Art. 19a Abs. 1 a) [X.] hat ein kosmetisches Mittel u.a. auf der Verpackung die Firma und die Anschrift der verantwortlichen Person zu enthalten. Werden mehrere Anschriften angegeben, so ist die Anschrift der verantwortlichen Person, bei der die [X.] leicht zugänglich gemacht wird, hervorzuheben. „Hersteller” ist nach Art. 2 Abs. 1 d) der Verordnung jede natürliche oder juristische Person, die ein kosmetisches Mittel herstellt bzw. entwickeln oder herstellen lässt und es unter ihrem eigenen Namen oder ihrer eigenen Marke in Verkehr bringt. Dem Hersteller weist [ref=4d3686ec-0f2f-4269-9e4a-70dad18939aa]Art. 4 Abs. 3 [X.][/ref] grundsätzlich die Rolle der verantwortlichen Person zu, die nach Art. 4 Abs. 2 die Einhaltung der in der Verordnung aufgeführten Verpflichtungen zu gewährleisten hat, sofern sie ihren Sitz in der Europäischen [X.] hat. Die Verantwortlichkeiten werden in der Person des Herstellers konzentriert.

35

An einer hinreichend klaren Benennung der verantwortlichen Person fehlt es im vorliegenden Fall nicht.

36

Zu berücksichtigen ist zunächst, dass die Vorschrift es zulässt, mehrere Anschriften der verantwortlichen Person anzugeben. Es können auch mehrere unterschiedliche Unternehmen angegeben werden, jedoch nur unter der Voraussetzung, dass die verantwortliche Person eindeutig erkennbar ist (Zipfel/[X.] LebensmittelR/[X.], 179. EL März 2021, VO ([X.]) 1223/2009 Art. 19 Rn 14). Durch die Unterstreichung der „A, [X.], [X.] hat die Antragstellerin hier für die nötige Hervorhebung gegenüber dem zweiten Unternehmen gesorgt.

37

Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass nach Art. 19 Abs. 1 a) [X.] grundsätzlich auch Abkürzungen verwendet werden dürfen, was auch beinhaltet, den [X.] wegzulassen. Dies steht aber unter dem Vorbehalt, dass trotz der Abkürzung die gekennzeichnete verantwortliche Person eindeutig erkennbar und postalisch ohne weiteres erreichbar ist (vgl. zur alten [X.] [X.], [X.] 1994, 12). Das Weglassen des [X.] „[X.]“ und des [X.]es „s.r.o.“ steht daher grundsätzlich Art. 19 Abs. 1 a) [X.] nicht entgegen. Auch die Identifizierbarkeit der verantwortlichen Person steht nicht in Frage. Nach dem eigenen Vortrag der Antragstellerin ist in [X.] nur einer [X.] mit dem Firmenbestandteil „A“ ansässig. Die Tatsache, dass unterhalb der Angabe der Zusatz „Stadt2“ erscheint, kann nicht zu einer Verwirrung führen. Da dies - im Gegensatz zu der Angabe der [X.] selbst - nicht unterstrichen ist, fehlt es an dem notwendigen Bezug zu der Angabe nach Art. 19 Abs. 1 a) [X.]. Dass die Antragsgegnerin hier eine weitere - [X.] - Adresse angibt, führt danach nicht zu einem Verstoß gegen Art. 19 Abs. 1 a) [X.].

38

6. Der Unterlassungsanspruch zu 3. steht der Antragstellerin aus [ref=5bc06655-937d-45bc-b3c9-900728046987]§§ 8 Abs. 1 und 3 Nr. 1, 3a [X.]] i.V.m. Art. 20 [X.] zu. Durch die Formulierung „Beseitigt effektiv [X.]“ erwartet der Verkehr eine vollständige Entfernung der Bakterien für einen gewissen Zeitraum, die jedoch nicht stattfindet. Auf die obigen Ausführungen kann insoweit Bezug genommen werden.

39

7. Es besteht auch ein Verfügungsgrund. Die Antragsgegnerin hat die Dringlichkeitsvermutung nach § 12 Abs. 1 UWG nicht durch ihr eigenes Verhalten widerlegt.

40

Die für die Widerlegung der Dringlichkeitsvermutung notwendige Kenntnis hat der Antragstellerin schon im Dezember 2020 vermutet („dürfte klar sein“). Diese Vermutung ins Blaue hinein ist jedoch nicht geeignet, bei der Antragstellerin eine sekundäre Darlegungslast auszulösen.

41

Auch die „besondere“ Dringlichkeit des § 922 Abs. 1 S. 1 ZPO liegt vor. Eine mündliche Verhandlung ist entbehrlich, wenn die Notwendigkeit des schnellen Zugriffs oder der Sicherungszweck den Verzicht erfordern. Die Tatsache, dass seit der Abmahnung nunmehr bereits drei Monate vergangen sind, kann entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin das Vorliegen einer „besonderen“ Dringlichkeit für eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nicht in Frage stellen. Die durch die Beschwerde eintretende Verzögerung intensiviert im Gegenteil das Bedürfnis nach einer schnellen Entscheidung. Im Übrigen übersieht die Antragsgegnerin in diesem Zusammenhang, dass im Beschwerdeverfahren nach § 572 Abs. 4 ZPO durch Beschluss ergeht und eine mündliche Verhandlung nach [ref=[X.]-4651-a35d-d8884c7fc06b]§ 128 Abs. 4 ZPO[/ref] daher nicht der Regelfall, sondern die Ausnahme darstellt ([X.] ZPO/von [X.], [X.]. [X.], ZPO § 128 Rn 18-19).

42

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO.

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Meta

6 W 83/21

08.10.2021

OLG Frankfurt am Main 6. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: W

§§ 3a, 8, 14 UWG

Zitier­vorschlag: OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 08.10.2021, Az. 6 W 83/21 (REWIS RS 2021, 2002)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 2002

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