Bundesgerichtshof, Urteil vom 26.06.2018, Az. 1 StR 79/18

1. Strafsenat | REWIS RS 2018, 7222

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Gegenstand

Besonders schwerer Fall des Diebstahls: Begriff der Schutzvorrichtung gegen Wegnahme; Sicherung von Waren in Kaufhäusern durch Sicherheitsetiketten und Sicherungsspinnen


Tenor

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 20. Oktober 2017, soweit es den Angeklagten A.    betrifft, im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Diebstahls zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je fünf Euro verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten und auf den Strafausspruch beschränkten Revision, mit der sie eine deutlich höhere Strafe erstrebt. Sie beanstandet im Wesentlichen, dass die [X.] die Voraussetzungen eines besonders schweren Falls des Diebstahls nach § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StGB verneint und sodann auch einen unbenannten besonders schweren Fall nach § 243 Abs. 1 Satz 1 StGB abgelehnt hat.

2

Ihr Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

3

Nach den Urteilsfeststellungen beschlossen der Angeklagte und der Mitangeklagte [X.].    , im Elektronikfachmarkt von der Aktionsware ein Tablet der Marke [X.] zu entwenden. Um die ca. 18 × 30 cm große Verpackung waren Elektrodrähte angebracht (sog. Sicherungsspinne). Bei Durchtrennen der Drähte oder Passieren des [X.] löst die Sicherungsvorrichtung ein [X.]armsignal aus.

4

Der Angeklagte entfernte mit einer von ihm gewohnheitsmäßig als [X.] verwendeten 3,2 cm langen und in einem Bereich von 2 cm scharfgeschliffenen [X.] die Sicherungsspinne an der Verpackung des Tablets. Anschließend entnahm der Mitangeklagte [X.].      das Tablet aus der Verpackung und steckte es unter sein T-Shirt in den Hosenbund. Die leere Verpackung legte er in einem Gang des Marktes ab.

5

Der Angeklagte wollte nun auch ein Tablet für sich haben. Deshalb begaben sich beide erneut zu der Aktionsware. Der Mitangeklagte [X.].    nahm ein weiteres Tablet desselben Modells, bei dem sich allerdings die Sicherungsspinne ohne Werkzeugeinsatz entfernen ließ. Zusammen mit dem verpackten Tablet gingen die Angeklagten in die [X.]. [X.] deckte der Angeklagte den Mitangeklagten [X.].     ab, während dieser versuchte, die Verpackung zu öffnen. Da er das Siegel nicht entfernen konnte, nahm er sein Taschenmesser, von dem der Angeklagte keine Kenntnis hatte, aus der Hosentasche, schnitt das Siegel auf, riss die Verpackung auf und steckte das Tablet ebenfalls unter sein T-Shirt in den Hosenbund. Die leere Verpackung legte er zu den DVDs. Anschließend gingen beide in Richtung Ausgang und verließen ohne zu bezahlen den Markt.

6

Die [X.] hat das Regelbeispiel des § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StGB nicht für gegeben erachtet, weil die Sicherungsspinne in ihrer Funktionsweise den an Kleidungsstücken verwendeten [X.] gleiche, also nicht den Gewahrsam des Berechtigten gegen den Bruch durch einen Unbefugten sichern solle, sondern der Wiedererlangung des [X.] diene, der bereits an den Täter verloren gegangenen war.

7

Einen unbenannten besonders schweren Fall i.S.d. § 243 Abs. 1 Satz 1 StGB hat die [X.] nach einer umfassenden Gesamtabwägung der zu Gunsten und zulasten des Angeklagten sprechenden Umstände abgelehnt.

II.

8

Die Beschränkung der Revision auf den Strafausspruch ist wirksam. Eine isolierte Überprüfung der Strafzumessung ist möglich, ohne dass der Schuldspruch hiervon berührt wird.

III.

9

Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.

Der Strafausspruch hält revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand, weil die getroffenen Feststellungen dem Revisionsgericht keine Prüfung ermöglichen, ob die [X.] das Regelbeispiel des § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StGB ohne Rechtsfehler verneint hat. Nach dieser Vorschrift liegt ein besonders schwerer Fall des Diebstahls in der Regel dann vor, wenn der Täter eine Sache stiehlt, die durch ein verschlossenes Behältnis oder eine andere Schutzvorrichtung gegen Wegnahme besonders gesichert ist. Die Schutzvorrichtung muss tatsächlich funktionsfähig und aktiviert sein. Deshalb ist ein offenes Schloss oder [X.] keine Schutzvorrichtung gegen Wegnahme (z.B. [X.], Beschluss vom 20. April 2005 - 1 [X.]; [X.], StGB, 65. Aufl., § 243 Rn. 16a; LK-StGB/[X.], 12. Aufl., § 243 Rn. 29).

Schutzvorrichtungen i.S.d. § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StGB sind - wie das als Beispiel erwähnte Behältnis - solche, die nach ihrer Beschaffenheit dazu geeignet und bestimmt sind, die Wegnahme einer Sache erheblich zu erschweren. Nicht ausreichend ist es, wenn die Schutzvorrichtung erst wirksam wird, wenn der Gewahrsam bereits gebrochen ist. Deshalb sind Sicherheitsetiketten an Waren in Kaufhäusern, die akustischen oder optischen [X.]arm erst auslösen, wenn der Täter das Kaufhaus verlässt, keine Schutzvorrichtungen. Sie sind nicht dazu geeignet und bestimmt, den [X.]bruch, der bei handlichen und leicht beweglichen Sachen in der Regel mit dem Verbergen des [X.] in der Kleidung des [X.] oder in einem von diesem mitgeführten Behältnis innerhalb des Kaufhauses vollendet ist (vgl. hierzu z.B. [X.], Beschluss vom 16. September 2014 - 3 [X.], Vollendung des Diebstahls durch Einstecken des Notebooks in den mitgeführten [X.]; Urteil vom 6. November 1974 - 3 StR 200/74, [X.]St 26, 24, 25 f.; [X.], aaO, Rn. 16 und § 242 Rn. 18 mwN; [X.]/[X.]/Eser/[X.], 29. Aufl., § 243 Rn. 25), zu verhindern, sondern sie dienen der Wiederbeschaffung des bereits an den Täter verlorenen [X.] ([X.], Beschluss vom 5. Dezember 1997, 2 Ss 347/97 - 98/97 II, [X.], 1002; [X.], Beschluss vom 29. Oktober 1984 - 1 Ss 672/84, [X.], 76; [X.], Beschluss vom 16. Januar 1993 - 3 Ss 396/92, [X.] 1993, 671, 672).

Hat die Sicherungsspinne bei Durchtrennen mit dem Skalpell keinen [X.]arm ausgelöst, weil sie defekt oder nicht aktiviert war, handelt es sich nicht um eine Schutzvorrichtung i.S.d. § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StGB. Ob dies der Fall war oder die Sicherungsspinne ohnehin erst beim Verlassen des Elektronikfachmarkts [X.]arm ausgelöst hätte, lässt sich den Feststellungen nicht entnehmen. Hätte sie erst beim Verlassen des Markts [X.]arm ausgelöst, ist sie in der Funktionsweise den [X.] vergleichbar. Hat sie aber bereits beim Durchtrennen der Drähte [X.]arm ausgelöst, ist zu prüfen, ob diese Funktion bereits den Bruch des [X.] erschwert. So sind Einbruchsmelder an Gebäuden oder Autoalarmanlagen Schutzvorrichtungen, da sie dazu dienen, den [X.]wechsel durch [X.]armierung hilfsbereiter Dritter zu erschweren ([X.], aaO, § 243 Rn. 30). [X.]lerdings kann bei kleineren Gegenständen im Kaufhaus der [X.]bruch bei Ertönen des [X.]armsignals bereits vollzogen sein oder noch vollzogen werden; denn es macht das Personal nur auf eine stattgefundene Manipulation oder einen erfolgten [X.]bruch aufmerksam. Das Personal kann, wenn es ihm gelingt, den Täter rechtzeitig zu erkennen und zugriffsbereite Personen vorhanden sind, Maßnahmen zu dessen Ergreifung und Wiedererlangung des Gegenstands einleiten.

Der Senat hebt auch die Feststellungen zum Strafausspruch insgesamt auf, um dem neuen Tatrichter widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen.

IV.

Der neue Tatrichter wird, soweit erneut die Verhängung einer Geldstrafe in Betracht kommen sollte, zu bedenken haben, dass zunächst unter Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des [X.] das Nettoeinkommen zu bestimmen ist, das der Täter an einem Tag hat oder haben könnte (§ 40 Abs. 2 Satz 1 und 2 StGB). Zum Einkommen gehört auch die vom Jobcenter bezahlte Miete als Teil der allgemeinen Lebenshaltungskosten (vgl. MüKo-StGB/[X.], 3. Aufl., § 40 Rn. 100). Von den anzurechnenden Einkünften sind jedenfalls damit zusammenhängende Ausgaben (wie z.B. Werbungskosten und Betriebsausgaben, Sozialversicherungsbeiträge) abzuziehen; außergewöhnliche Belastungen sind in der Regel ebenfalls zu berücksichtigen ([X.], aaO, § 40 Rn. 65 ff.), nicht aber Stromkosten als allgemeine Lebenshaltungskosten. Ratenzahlungen für Rechtsanwaltskosten und Verurteilungen zu Geldstrafen sind Anlass dafür, Zahlungserleichterungen nach § 42 StGB zu prüfen.

[X.] am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Graf ist in den Ruhestand
getreten und daher gehindert zu
unterschreiben.

                                   

Jäger 

        

Jäger   

        

[X.]

        

   [X.]   

        

Bär   

        

Meta

1 StR 79/18

26.06.2018

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Tübingen, 20. Oktober 2017, Az: 25 Ss 31/18

§ 242 Abs 1 StGB, § 243 Abs 1 S 2 Nr 2 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 26.06.2018, Az. 1 StR 79/18 (REWIS RS 2018, 7222)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 7222

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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3 StR 373/14

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