Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.11.2019, Az. XII ZB 63/19

12. Zivilsenat | REWIS RS 2019, 1352

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Gegenstand

Rechtsanwaltskosten: Vorliegen einer eigenen Angelegenheit bei Verweisung einer Sache im Rechtsmittelverfahren an ein Gericht eines niedrigeren Rechtszugs


Leitsatz

1. Wird eine Sache im Rechtsmittelverfahren an ein Gericht eines niedrigeren Rechtszugs verwiesen oder abgegeben, so ist das weitere Verfahren vor diesem Gericht gemäß § 20 Satz 2 RVG auch gegenüber dem Verfahren des zuerst angerufenen Gerichts eine eigene Angelegenheit im Sinne des § 15 Abs. 2 RVG. Eine Anrechnung der Gebühren findet nicht statt.

2. Die Vorschrift des § 20 Satz 2 RVG gilt unabhängig davon, ob das ursprünglich angerufene erstinstanzliche Gericht seine Zuständigkeit bejaht oder verneint hat.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 1. Familiensenats des [X.] vom 21. Dezember 2018 wird auf Kosten des Antragstellers zurückgewiesen.

Wert: 8.659 €

Gründe

I.

1

Die Beteiligten streiten um die Erstattung anwaltlicher Gebühren und Auslagen im Kostenfestsetzungsverfahren.

2

Die Ehe des Antragstellers (im Folgenden: Ehemann) und der Antragsgegnerin (im Folgenden: Ehefrau) ist seit Januar 2011 geschieden. Der Ehemann erhob im April 2011 gegen die Ehefrau beim [X.] eine auf [X.] gerichtete Klage. Das [X.] wies die Klage als unzulässig ab und begründete dies unter anderem damit, dass es sich um eine Familiensache handele, für die das [X.] unzuständig sei. Auf die Berufung des Ehemanns hob der Zivilsenat des [X.] das Urteil des [X.]s auf und verwies den Rechtsstreit von Amts wegen an das örtlich zuständige [X.]. Dieses wies den Antrag des Ehemanns aus [X.] zurück. Seine dagegen gerichtete Beschwerde hatte teilweise Erfolg. Der Familiensenat des [X.] traf im Teilanerkenntnis- und Schlussbeschluss vom 22. Dezember 2016 im Kostenpunkt folgende Anordnung: Der Ehemann "und Beschwerdeführer trägt die Mehrkosten, die durch die Klage zu dem unzuständigen [X.] Schwerin entstanden sind; von der Erhebung von Gerichtskosten für das erstinstanzliche Verfahren vor dem [X.] Schwerin und das anschließende Berufungsverfahren vor dem Zivilsenat des [X.] Rostock wird abgesehen." Die Ehefrau "und Beschwerdegegnerin trägt die Kosten der übrigen Rechtszüge des Verfahrens."

3

Das [X.] hat die vom Ehemann an die Ehefrau nach der [X.] vom 22. Dezember 2016 zu erstattenden Rechtsanwaltskosten für das Verfahren vor dem [X.] auf 4.051,95 € und für das Verfahren vor dem Zivilsenat des [X.] auf 4.607,53 € nebst Verzinsung ab dem 22. Dezember 2016 festgesetzt. Das [X.] hat die gegen beide [X.] gerichteten sofortigen Beschwerden des Ehemanns zurückgewiesen.

4

Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde erstrebt der Ehemann die Aufhebung der [X.].

II.

5

Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.

6

1. Das [X.] hat seine Entscheidung wie folgt begründet:

7

Die Verpflichtung des Ehemanns zur Kostenerstattung folge aus § 20 Satz 2 [X.] in Verbindung mit § 17 b Abs. 2 Satz 2 [X.]. Im Fall der so genannten Diagonalverweisung sei das weitere Verfahren nach § 20 Satz 2 [X.] ein neuer Rechtszug. Dies treffe auf die vorliegende Verweisung durch den Zivilsenat des [X.] an die Familienabteilung des Amtsgerichts zu, weshalb diese beiden Gerichte gebührenrechtlich keine Einheit bildeten. Nach der [X.] vom 22. Dezember 2016 habe der Ehemann die durch die Klage beim unzuständigen Gericht entstandenen Mehrkosten – mit Ausnahme der Gerichtskosten – zu tragen. Dies schließe neben den Kosten für das Verfahren vor dem [X.] auch die Kosten für das Berufungsverfahren vor dem [X.] ein.

8

2. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand. Der Ehemann ist verpflichtet, die Kosten in der festgesetzten Höhe zu erstatten.

9

Gemäß der [X.] vom 22. Dezember 2016 trägt der Ehemann die Mehrkosten, die durch die Anrufung des [X.]s entstanden sind. Diese umfassen die Kosten sowohl des Verfahrens vor dem [X.] als auch des hieraus hervorgegangenen Berufungsverfahrens vor dem Zivilsenat des [X.]. Gemäß §§ 15 Abs. 2, 17 Nr. 1, 20 Satz 2 [X.] handelt es sich dabei um eigene gebührenrechtliche Angelegenheiten. Denn der Zivilsenat des [X.] hat die Sache an ein zuvor noch nicht angerufenes Gericht eines niedrigeren Rechtszugs verwiesen (sog. Diagonalverweisung i.S.v. § 20 Satz 2 [X.]).

a) Ohne Erfolg wendet die Rechtsbeschwerde ein, die Vorschrift des § 20 Satz 2 [X.] gelte nach ihrem Sinn und Zweck nur dann, wenn sich das zuerst angerufene Gericht als zuständig betrachte (vgl. dazu [X.]/[X.] [X.] 24. Aufl. § 20 Rn. 7). Auch Verweisungsfälle der vorliegenden Art, in denen zwar schon das zuerst angerufene Gericht seine Zuständigkeit verneint, aber – gleich aus welchem Grund – erst das höhere Gericht die Sache an das zuständige Gericht verweist, sind vom Anwendungsbereich des § 20 Satz 2 [X.] umfasst. Diese Vorschrift legt die Anzahl der Rechtszüge unabhängig davon fest, aus welchem Grund das höhere Gericht die Sache verweist. Für die von der Rechtsbeschwerde der Sache nach intendierte teleologische Reduktion findet sich keine Grundlage. Denn Sinn und Zweck der Regelung verlangen hier keine vom Wortlaut abweichende Auslegung (zu den Voraussetzungen der teleologischen Reduktion vgl. [X.]/[X.]. [X.]. Rn. 49).

Richtig ist zwar, dass der Gesetzgeber mit der Regelung des § 20 Satz 2 [X.] einen im Vergleich zur Horizontalverweisung nach § 20 Satz 1 [X.] typischerweise erhöhten anwaltlichen Aufwand berücksichtigt hat. Zum einen ist jedoch die Annahme, wonach unter den Fällen der so genannten Diagonalverweisung der anwaltliche Aufwand dann geringer ausfalle, wenn die Zuständigkeit bereits in erster Instanz streitig sei, nicht zwingend. Zum anderen widerspräche eine solche Differenzierung dem [X.]: Nach dem das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz beherrschenden Grundsatz der Verfahrenspauschgebühr wird die anwaltliche Tätigkeit jeweils für eine ganze Gruppe von [X.] unabhängig vom Umfang und Grad der im Einzelnen aufgewandten Mühe vergütet ([X.] in Hartmann/[X.] Kostenrecht 49. Aufl. § 15 [X.] Rn. 1).

b) Zutreffend sind die Vorinstanzen ferner davon ausgegangen, dass die anwaltlichen Gebühren und Auslagen für das Verfahren vor dem [X.] und dasjenige vor dem [X.] jeweils selbständig nach den dafür geltenden Vorschriften entstanden sind und eine Anrechnung untereinander nicht stattfindet. Die vom [X.] nicht ausdrücklich erörterte Frage, ob im Fall des § 20 Satz 2 [X.] das erstinstanzliche Verfahren vor dem ursprünglich angerufenen Gericht und das Verfahren vor dem nach der Verweisung erstinstanzlich zuständigen Gericht dieselbe Angelegenheit im Sinne des § 15 Abs. 2 [X.] bilden, ist allerdings streitig.

aa) Eine Auffassung bejaht dies. Die Regelung des § 20 Satz 2 [X.] führe nicht dazu, dass auch in diesem Verhältnis ein neuer Rechtszug vorliege (vgl. [X.] NVwZ-RR 2010, 663; [X.]/[X.] [X.] 24. Aufl. § 20 Rn. 8; [X.]/[X.]/Pankatz [X.] 10. Aufl. § 17 Rn. 9; [X.] in Hartmann/[X.] Kostenrecht 49. Aufl. § 20 [X.] Rn. 8). Vertreter dieser Auffassung haben die Gebühreneinheit zum Teil mit der – seit 1. August 2013 aufgehobenen – Regelung des § 15 Abs. 2 Satz 2 [X.] aF begründet ([X.] NVwZ-RR 2010, 663; [X.] in Hartmann/[X.] Kostenrecht 49. Aufl. § 20 [X.] Rn. 8), zum Teil damit, dass hier – wie bei einer Horizontalverweisung – § 20 Satz 1 [X.] ebenfalls Geltung beanspruche ([X.]/[X.] [X.] 24. Aufl. § 20 Rn. 8; zur Vorgängerregelung des § 14 Satz 1 [X.]: [X.] 1988, 290).

bb) Nach der Gegenmeinung handelt es sich auch insoweit um zwei verschiedene Angelegenheiten. Der Rechtsanwalt könne in Fällen der vorliegenden Art jedes durchlaufene gerichtliche Verfahren gesondert abrechnen. Es gelte in diesen Fällen ausschließlich § 20 Satz 2 [X.] mit der Folge, dass alle Gebühren, einschließlich der Verfahrensgebühr, vor dem nach der Verweisung zuständigen Gericht neu entstünden. Für eine Anrechnung fehle es an einer speziellen Vorschrift ([X.] BayVBl 1983, 700; vgl. auch [X.] in Hartung/Schons/[X.] [X.] 3. Aufl. § 20 Rn. 21; AnwK-[X.]/[X.] 8. Aufl. Vor §§ 20, 21 Rn. 33; [X.] in [X.]/[X.] [X.] 8. Aufl. § 20 Rn. 45, 47).

cc) Die letztgenannte Auffassung ist zutreffend. Das ergibt eine Auslegung unter Berücksichtigung von Wortlaut, Systematik sowie Sinn und Zweck der Norm.

(1) Die Auslegung, wonach die Regelung des § 20 Satz 2 [X.] auch im Verhältnis des nach Verweisung durchzuführenden erstinstanzlichen Verfahrens zu dem ursprünglichen erstinstanzlichen Verfahren einen neuen Rechtszug begründet, hält sich in den Grenzen des Wortlauts dieser Vorschrift. Das von der Rechtsbeschwerde angeführte Verständnis, wonach erkennbar nur das Verhältnis zu demjenigen Gericht gemeint sei, das selbst die Verweisung vornehme, findet im Wortlaut keine Stütze. Die Vorschrift ist vielmehr dahin zu verstehen, dass sie abschließend das Verhältnis zu allen Rechtszügen bis zur Verweisung regeln will.

(2) Ein anderes Verständnis der Norm führte zudem zu [X.] innerhalb der gesetzlichen Systematik. Denn danach könnten bei einer Diagonalverweisung i.S.v. § 20 Satz 2 [X.] die Verfahrens- und Terminsgebühr für die [X.] jeweils nur einmal anfallen, während sogar bei einer vertikalen Zurückverweisung i.S.v. § 21 Abs. 1 [X.] jedenfalls die Terminsgebühr zweimal anfallen kann.

§ 21 Abs. 1 [X.] regelt die gebührenrechtlichen Folgen einer so genannten Vertikalverweisung, bei der das Obergericht die Sache an ein ihm untergeordnetes Gericht zurückverweist. Auch wenn im Ausgangspunkt das weitere Verfahren vor diesem Gericht einen neuen Rechtszug darstellt und demgemäß die Verfahrensgebühr (Nr. 3100 VV [X.]) und gegebenenfalls die Terminsgebühr (Nr. 3104 VV [X.]) für die erste Instanz jeweils zweifach anfallen können, bestimmt Vorbemerkung 3 Abs. 6 VV [X.], dass die bereits entstandene Verfahrensgebühr auf diejenige für das erneute Verfahren anzurechnen ist.

Ginge man in den Fällen des § 20 Satz 2 [X.] von der Gebühreneinheit der beiden Verfahren erster Instanz aus, führte dies dazu, dass eine schon angefallene Terminsgebühr nicht erneut entstehen kann. Es wäre jedoch nicht nachzuvollziehen, wenn die anwaltliche Tätigkeit bei einer Diagonalverweisung geringer vergütet würde, obwohl bei gänzlicher Neubefassung des erstinstanzlichen Gerichts jedenfalls mit keinem geringeren Aufwand zu rechnen ist. Deshalb ist es auch [X.], die anwaltlichen Gebühren im Fall des § 20 Satz 2 [X.] unabhängig davon neu entstehen zu lassen, ob sie vor der Verweisung bereits angefallen sind.

(3) Auch Sinn und Zweck des § 20 [X.] unterstützen diese Auslegung. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde bestehen diese nicht einseitig darin, bei Verweisungen das Entstehen umfangreicher Anwaltsgebühren zu vermeiden. Regelungszweck ist nicht nur die Vermeidung einer zu hohen Vergütung, sondern auch die Sicherstellung einer angemessenen Vergütung in den im Einzelnen sehr verschiedenen Fallgruppen des § 20 Satz 1 und 2 [X.], bei denen der Anwalt sehr unterschiedlich schwierige Aufgaben lösen muss ([X.] in Hartmann/[X.] Kostenrecht 49. Aufl. § 20 [X.] Rn. 2). Dieser typisierenden Betrachtung entspricht es, dass in dem Fall der Horizontalverweisung die erstinstanzlichen Gebühren lediglich einmal anfallen können, in dem Fall der Diagonalverweisung jedoch zweimal. Denn im ersten Fall findet die Verweisung noch vor Beendigung der Instanz – möglicherweise sogar zu Beginn des Verfahrens – statt, während diese Instanz im zweiten Fall bereits vollständig durchlaufen ist.

(4) Überdies wäre unter der vom Senat für unzutreffend erachteten Annahme, dass § 20 Satz 2 [X.] keine Aussage über das Verhältnis der erstinstanzlichen Verfahren trifft, nicht zufriedenstellend zu erklären, aus welchem Grund diese dieselbe Angelegenheit im Sinne des § 15 Abs. 2 [X.] bilden. § 20 Satz 1 [X.] regelt ausschließlich den hier gerade nicht einschlägigen Fall der Horizontalverweisung. Weder § 15 Abs. 2 Satz 2 [X.] aF noch die Nachfolgevorschrift des § 17 Nr. 1 [X.] verhalten sich eindeutig zu dieser Frage. Auch besteht für Fälle der vorliegenden Art keine Anrechnungsregel im Sinne des § 15 a [X.].

c) Schließlich weist die angefochtene Entscheidung auch im Hinblick auf die rechnerische Höhe der festgesetzten Gebühren und Auslagen keine Rechtsfehler auf.

Dose     

      

Schilling     

      

[X.]

      

Botur     

      

Guhling     

      

Meta

XII ZB 63/19

20.11.2019

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Rostock, 21. Dezember 2018, Az: 10 WF 98/18, Beschluss

§ 15 Abs 2 RVG, § 17 Nr 1 RVG, § 20 S 2 RVG, § 17b Abs 2 GVG, § 17b Abs 3 GVG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.11.2019, Az. XII ZB 63/19 (REWIS RS 2019, 1352)

Papier­fundstellen: MDR 2020, 150-151 REWIS RS 2019, 1352

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