Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.12.2011, Az. AK 22/11 und AK 23/11

3. Strafsenat | REWIS RS 2011, 94

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[X.]UNDESGERICHTSHOF

[X.]ESCHLUSS
____________
AK 22 und 23/11
vom
22. Dezember
2011
in dem
Strafverfahren
gegen

1.
2.

wegen
zu 1.: Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung
u.a.

zu 2.: Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung

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Der 3. Strafsenat des [X.]ndesgerichtshofs hat nach Anhörung des [X.] sowie der Angeklagten und ihrer Verteidiger am 22. Dezember 2011 gemäß §§ 121, 122 StPO beschlossen:
Die Untersuchungshaft hat [X.].
Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den [X.]ndesge-richtshof findet in drei Monaten statt.
[X.]is zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem [X.] übertragen.

Gründe:
I.
Der Angeklagte O.

befindet sich seit dem 20. Juni 2011 aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des [X.]ndesgerichtshofs vom 25. März 2011 (2 [X.]), ergänzt durch [X.]eschluss vom 20. Juni 2011 (2 [X.] 313/11) sowie abgeändert und neu gefasst durch [X.]eschluss vom 26. Oktober 2011
(2 [X.] 564/11) in Untersuchungshaft.
Der Angeklagte [X.]

befindet sich seit dem 2. Juni 2011 aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des [X.]ndesgerichtshofs vom 3. Juni 2011 (2 [X.] 281/11), abgeändert und neu gefasst durch [X.]eschluss vom 26. Oktober 2011 (2 [X.] 565/11) in Untersuchungshaft.
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Gegenstand des Haftbefehls gegen den Angeklagten O.

ist der Vor-wurf, dieser habe spätestens Anfang September 2009 mit anderen Personen im [X.]n Grenzgebiet die terroristische Vereinigung Deut-sche Taliban
Mujahideen
gegründet und sich sodann bis zumindest Ende April 2010 an dieser Organisation als Mitglied beteiligt sowie sich danach durch eine weitere rechtlich selbstständige Handlung in derselben Region, in U.

und in Ö.

bis zu seiner Festnahme am 31. Mai 2011 als Mitglied in der [X.] betätigt. Gegenstand des Haftbefehls gegen den Angeklagten [X.]

ist der Vorwurf, dieser habe sich spätestens ab August 2010 im [X.]n Grenzgebiet, in U.

und in D.

bis zu seiner Fest-nahme am 16. Mai 2011 als Mitglied an der [X.] beteiligt. [X.]ei den Organi-sationen Deutsche Taliban Mujahideen
und [X.] handele es sich jeweils um eine Vereinigung im Ausland, deren Zwecke und deren Tätigkeit darauf ge-richtet sind, Mord (§ 211 StG[X.]) und Totschlag (§ 212 StG[X.]) zu begehen.
Der [X.] hat gegen die Angeklagten unter dem 11. No-vember 2011 Anklage zum [X.] in [X.] erhoben. Das [X.] hat mit [X.]eschluss vom 15. Dezember 2011 die Anklage zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Mit Verfügung vom 16. Dezember 2011 hat der Senatsvorsitzende den [X.]eginn der Hauptverhandlung auf den 25. Januar 2012 bestimmt.

II.
Die Voraussetzungen der Untersuchungshaft und ihrer Fortdauer über sechs Monate
hinaus liegen bei beiden Angeklagten vor.
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1. Nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts im Wesentlichen von folgendem Geschehen auszu-gehen:
a) Die [X.] wurde im Jahre 1988 von [X.] und weite-ren Islamisten gegründet. Sie verfolgt das Ziel, Gottesstaaten auf der [X.]asis des [X.] Rechts zu errichten und den westlichen Einfluss in der muslimi-schen Welt zu eliminieren. Aus diesem Grund bekämpft [X.] im Rahmen des "[X.]" gewaltsam insbesondere die [X.] und [X.], aber auch die anderen westlichen [X.]. Ab 1996 entwickelte [X.]
zentralisierte organisatorische Strukturen und unterhielt vor allem in [X.] zahlreiche Ausbildungs-
und Rekrutierungslager.
In der Folgezeit führten Mitglieder der [X.] zahlreiche terroristische Anschläge durch, etwa auf die [X.] [X.]otschaft in [X.] am 7. August 1998 und in den Verei-nigten [X.] von Amerika am 11. September 2001.
Die dadurch ausgelösten
militärischen Reaktionen beeinträchtigten in der Folgezeit die operative Handlungsfähigkeit der Organisation, führten aber nicht zu einer vollständigen Zerschlagung sämtlicher Strukturen von Al
Qaida, sondern nur zu deren -
dem [X.] angepassten -
Modifizierung. Nach einer Änderung der Steuerungs-, Koordinations-
und Mobilisierungsme-chanismen führt [X.] den gewaltsamen "[X.]" fort. Zu den von ihr zentral gesteuerten Straftaten zählen etwa die Anschläge auf eine Synagoge auf der Insel Djerba
im April 2002, auf das [X.] Nahverkehrssystem im Juli 2005 sowie auf die [X.] [X.]otschaft in [X.] im Juni 2008.
An der Spitze der Organisation stand [X.]. Nach dessen Tod am 2. Mai 2011 wurde der bisherige Stellvertreter [X.] zu seinem Nachfolger bestimmt. Für die [X.]ereiche Militär, Außenbeziehun-6
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gen/Operationen, Finanzen sowie Medien/Propaganda bestehen nachgeordne-te Organisationsstrukturen mit jeweils eigenen Führungspersonen. Die von [X.] der [X.] geführten [X.] agieren zunehmend dezentral, d.h. sie orientieren sich an den Zielvorgaben und der strategischen Ausrichtung der Spitze der Organisation, führen die konkreten Anschläge jedoch eigenver-antwortlich durch.
Durch den vor allem über das [X.], aber auch über Rundfunk und Fernsehen verbreiteten Führungsanspruch von [X.]in
Laden und [X.] es, auch ohne die [X.]ildung eigenständiger Netzwerke neue Mitglieder der Organisation unter dem "Dach" der Al
Qaida zu rekrutieren. Zahlreiche Video-
und Audiobotschaften, deren Häufigkeit in den letzten Jahren noch zugenom-men hat, dienen als Propagandamittel, um insbesondere Mitglieder und [X.] zu Aktionen im Rahmen des gewaltsamen "[X.]s" aufzufordern, die Ziele der Organisation darzustellen und zu legitimieren, neue Mitglieder und Unterstützer zu rekrutieren sowie den "politischen Gegner" zu beeinflussen und einzuschüchtern.
Die [X.] versteht sich als Anlaufstelle und terroristischer Überbau zahlreicher Unternetzwerke, regionaler "[X.]"-Gruppen sowie autonomer [X.]. Diese sind mit der [X.] in vielfältiger Form vernetzt und werden von dieser finanziell und logistisch unterstützt. Zu diesen Gruppierungen zählen [X.] die Organisationen "[X.] im Zweistromland", "[X.] auf der [X.]" sowie die algerische frühere "[X.]", die sich mittlerweile in "Organisation [X.] im [X.]" umbenannt hat.
b) Der Angeklagte O.

reiste Ende Mai 2009 von [X.].

aus mit dem Ziel, sich einer den bewaffneten "[X.]" führenden Organisation anzuschließen, 10
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in das [X.] Grenzgebiet. Dort fand er sich mit anderen Personen zu der Gruppierung Deutsche Taliban Mujahideen
zusammen. Im Frühjahr 2010 verließ
er diese Gruppe und trat zu einem nicht näher bestimm-baren Zeitpunkt nach Ende April 2010 der [X.] bei. Der Angeklagte [X.]

verließ am 23. Mai 2009 seine Heimatstadt [X.]

, um sich in ein terroristisches Ausbildungslager in [X.] zu begeben. In der Folgezeit wurde er entspre-chend dieser Absicht in einem Lager im [X.]n Grenzgebiet ausgebildet. Spätestens im August 2010 schloss er sich ebenfalls der [X.] an. [X.]eide Angeklagten lernten sich zu einem nicht näher bestimmbaren Zeit-punkt in Wa.

kennen. Sie erhielten eine Ausbildung, die unter anderem eine religiös-ideologische Schulung, den Umgang mit Waffen und Sprengstof-fen sowie die Anwendung von Verschlüsselungsprogrammen und sonstigen Techniken konspirativen Verhaltens umfasste. Die Führung der [X.] erteil-te ihnen den Auftrag, sich nach [X.] zu begeben, um dort für die [X.] Geld zu sammeln, Personen zu rekrutieren, sich auf nicht näher spezifizierte Operationen vorzubereiten und sich hierfür bereit zu halten.
Frühestens am 29. Januar 2011 traten die Angeklagten zur Ausführung dieses Auftrags die Rückreise nach [X.] an. Sie bedienten sich [X.] in [X.], dem [X.] sowie der [X.] und trafen spätestens Anfang Mai 2011 in [X.].

/U.

ein. Spätestens am 7. Mai 2011 reiste der Angeklagte O.

weiter nach [X.]

und nahm dort Kontakt mit dem [X.] geprägten [X.]ekanntenkreis des Angeklagten [X.]

auf, um dort u.a. Geld zu sammeln. Anschließend reiste er zurück nach [X.].

. Der Angeklagte O.

wollte ihm bekannte Mitglieder einer Gruppe von Islamisten in [X.].

dazu bringen, den "[X.]" materiell zu unterstützen oder sich ihm als Kämpfer anzu-schließen. Er beauftragte deshalb den Angeklagten [X.]

, sich nach [X.].

zu begeben, dort Personen mit islamistischem Gedankengut anzusprechen und sie für die Ausführung jihadistischer Tätigkeiten zu gewinnen. Hierfür stellte er 13
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dem Angeklagten [X.]

entsprechende Informationen zur Verfügung, die auf einem [X.] hinter unverfänglichen Dateien versteckt und verschlüsselt wurden. Der Angeklagte [X.]

reiste am 14. Mai 2011 nach [X.].

. Er führte u.a. sein Netbook, den genannten [X.] und eine SD-Speicherkarte mit sich. In [X.].

begab er sich zu mehreren Moscheen. Dort stellte er Erkundi-gungen nach bestimmten Personen an, die ihm der Angeklagte O.

benannt hatte, und nahm zu einem Teil von diesen Kontakt auf. Nachdem er in einer Moschee übernachtet hatte, wurde er am 16. Mai 2011 in Gewahrsam genom-men. Dabei fühatte. Der Angeklagte O.

reiste am 30. Mai 2011 nach [X.]

, wo er einen Tag später festgenommen wurde.
2. Der dringende Tatverdacht ergibt sich insbesondere aus den [X.]ekun-dungen der
Zeugen M.

und S.

sowie dem Inhalt der Dateien, die auf den Datenträgern sichergestellt wurden, die der Angeklagte [X.]

bei seiner Festnahme in [X.]esitz hatte. [X.]ezüglich der Einzelheiten wird auf die Ausführun-gen in den [X.]eschlüssen des Ermittlungsrichters des [X.]ndesgerichtshofs vom 26. Oktober 2011 sowie der Anklageschrift des [X.]s vom 11.
November 2011 [X.]ezug genommen.
3. Danach besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit dahin, dass die Ange-klagten sich wegen mitgliedschaftlicher [X.]eteiligung an einer terroristischen [X.] im Ausland nach § 129b Abs. 1 Satz 1, § 129a Abs. 1 Nr. 1 StG[X.] strafbar gemacht haben.
Die Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung hat das [X.]ndesminis-terium der Justiz für alle bereits begangenen und zukünftigen Taten im Zu-sammenhang mit der [X.] am 16. März 2009 erteilt (§
129b Abs. 1 Satz 3 und 4 StG[X.]). Die [X.] Strafgewalt ist aus den in den [X.]eschlüssen des Er-14
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mittlungsrichters des [X.]ndesgerichtshofs vom 26. Oktober 2011 angegebenen Gründen gegeben.
4. Da allein der Vorwurf der mitgliedschaftlichen [X.]eteiligung an der terro-ristischen Vereinigung [X.] auch bei dem Angeklagten O.

die Untersu-chungshaft trägt, kann dahinstehen, ob darüber hinaus bezüglich dieses Ange-klagten der dringende Tatverdacht besteht, er habe sich wegen seiner Tätigkei-ten im Zusammenhang mit der Gruppe Deutsche Taliban Mujahideen
wegen Gründung und mitgliedschaftlicher [X.]eteiligung an einer terroristischen Vereini-gung im Ausland strafbar gemacht. Der Senat ist deshalb vor allem mit [X.]lick auf die Ausführungen des Sachverständigen Dr. St.

in dessen Gutach-ten vom 21. Februar 2011, der zu dem Ergebnis gekommen ist, die Gruppie-rung Deutsche Taliban Mujahideen
weise nicht alle notwendigen Merkmale [X.] eigenständigen terroristischen Organisation auf, nicht gehalten, in diesem Stadium des Verfahrens zu entscheiden, ob nach dem Ergebnis der übrigen Ermittlungen gleichwohl auch insoweit eine hohe [X.] besteht. Dem Ergebnis der in der Hauptverhandlung durchzuführenden [X.]eweisaufnahme vorzubehalten ist somit insbesondere, ob es sich bei der Gruppe Deutsche Taliban Mujahideen
um eine eigenständige, alle Merkmale einer Vereinigung im Sinne der § 129a Abs. 1, § 129b StG[X.] erfüllende Perso-nenmehrheit handelt und ob der Angeklagte O.

gegebenenfalls deren Grün-dung wesentlich förderte, indem er einen für das Zustandekommen der Verei-nigung weiterführenden und richtungsweisenden [X.]eitrag leistete ([X.]GH, [X.]e-schluss vom 10. Januar 2006 -
3 [X.], [X.], 267, 269). Ver-tiefter [X.]etrachtung bedarf auch nicht die unter Umständen in den [X.]lick zu neh-mende Frage, ob die Angehörigen der Gruppierung Deutsche Taliban Muja-hideen
möglicherweise wegen deren Verhältnisses zur Islamischen [X.] Union als Mitglieder dieser Organisation anzusehen sein könnten.
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5. Es liegt der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) vor; denn es ist mit [X.]lick vor allem auf die persönlichen Lebensumstände der Ange-klagten sowie die Straferwartung wahrscheinlich, dass
diese, in Freiheit belas-sen, sich dem Verfahren entziehen werden. Wegen der Einzelheiten wird auf die zutreffenden Erwägungen in den [X.]eschlüssen des Ermittlungsrichters des [X.]ndesgerichtshofs vom 26. Oktober 2011 verwiesen. Weniger [X.] Maßnahmen nach § 116 Abs. 1 StPO vermögen nicht die Erwartung zu be-gründen, dass durch sie der Zweck der Untersuchungshaft jeweils erreicht wer-den kann.
6. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersu-chungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor. Die be-sondere Schwierigkeit und der besondere Umfang der Ermittlungen haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen die Fortdauer der Untersu-chungshaft. Das Verfahren ist bislang mit der in Haftsachen gebotenen [X.]e-schleunigung geführt worden. Seit der Festnahme der Angeklagten wurden zeit-
und arbeitsintensive Ermittlungsmaßnahmen durchgeführt. So wurden [X.] zahlreiche, teils umfangreiche elektronische Dateien aufwändig entschlüs-selt, verschriftet und ausgewertet, Zeugen vernommen sowie Ermittlungsmaß-nahmen im Wege der Rechtshilfe vorgenommen. Trotz dieses Umfangs der Ermittlungen hat der [X.] noch im November 2011 Anklage erhoben. Das [X.] in [X.] hat die Anklage bereits zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet; die Hauptverhandlung soll noch im Januar 2012 beginnen.
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7. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht zu dem gegen die Angeklagten jeweils erhobenen Tatvorwurf der mitgliedschaftlichen [X.]eteiligung an der [X.] nicht außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
[X.]ecker Hubert Schäfer

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Meta

AK 22/11 und AK 23/11

22.12.2011

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: AK

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.12.2011, Az. AK 22/11 und AK 23/11 (REWIS RS 2011, 94)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 94

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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