Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 25.11.2015, Az. 2 BvR 1461/15

2. Senat 1. Kammer | REWIS RS 2015, 1777

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

ÖFFENTLICHES RECHT BUNDESSOZIALGERICHT (BSG) HESSISCHER VERWALTUNGSGERICHTSHOF RICHTER KONKURRENTENKLAGE

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Gegenstand

Stattgebender Kammerbeschluss: Versagung einstweiligen Rechtsschutzes in Konkurrentenstreit um richterliche Beförderungsstelle - hier Vorsitzendestelle am BSG - verstößt gegen Art 33 Abs 2 iVm Art 19 Abs 4 GG - zur Dokumentationspflicht von Auswahlentscheidungen bei mehreren Beförderungsbewerbern


Tenor

Die Beschlüsse des [X.] vom 10. Juni 2015 - 1 [X.]/15 und 1 [X.]/15 - verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 33 Absatz 2 in Verbindung mit Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes.

Die Beschlüsse des [X.] vom 10. Juni 2015 - 1 [X.]/15 und 1 [X.]/15 - werden aufgehoben. Die Sache wird an den [X.] zurückverwiesen.

Die Beschlüsse des [X.] vom 15. Juli 2015 - 1 B 1204/15.R und 1 B 1205/15.R - werden gegenstandslos.

Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

Die [X.] und [X.] haben der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen jeweils zur Hälfte zu erstatten.

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 40.000,00 Euro (in Worten: vierzigtausend Euro) festgesetzt.

Gründe

A.

1

Die Verfassungsbeschwerde wendet sich gegen die Versagung einstweiligen Rechtsschutzes in einem Konkurrentenstreit um die Stelle einer Vorsitzenden [X.]in/eines Vorsitzenden [X.]s am [X.].

I.

2

Die Beschwerdeführerin ist seit dem [X.] [X.]in am [X.]. Unter dem 21. August 2012 erfolgte eine Ausschreibung von drei Stellen für Vorsitzende [X.]innen/Vorsitzende [X.] am [X.]. In der Stellenausschreibung wird als Anforderung an das Amt unter anderem eine "ausgeprägte Fach-, Sozial- und Genderkompetenz" genannt. Auf die Stellen bewarben sich neben der Beschwerdeführerin unter anderem die Beigeladenen der beiden fachgerichtlichen Verfahren, Prof. Dr. S. und [X.]

3

In einer auf den 23. Januar 2013 datierten dienstlichen Beurteilung der Beschwerdeführerin, die der Präsident des [X.]s verfasst hatte, hieß es, sie bringe "hinsichtlich Eignung und Befähigung sicherlich auch alle Voraussetzungen für das angestrebte [X.] mit". Die von ihr gezeigten Leistungen würden auf das für das Amt einer Vorsitzenden [X.]in erwartete Potential "deuten". Für das Amt einer Vorsitzenden [X.]in am [X.] "erschein[e] sie nicht geeignet". In der Beurteilung des Beigeladenen Prof. Dr. S. vom gleichen Tag schloss der Präsident mit der Bemerkung, er halte diesen für das angestrebte Amt "ohne jede Einschränkung für hervorragend geeignet". Die dienstliche Beurteilung der Beigeladenen [X.] enthielt die abschließende Bemerkung des Präsidenten, sie "erscheine" für das angestrebte Amt "hervorragend geeignet". Am 29. Januar 2013 unterbreitete der Präsident dem [X.] ([X.]) einen Besetzungsvorschlag mit einem Ranking, das den Beigeladenen Prof. Dr. S. an erster, die Beigeladene [X.] an zweiter und einen weiteren Bewerber an dritter Stelle aufführte; die Beschwerdeführerin wurde in diesem Ranking nicht berücksichtigt. Nachdem die Beschwerdeführerin mit Schreiben ihres Bevollmächtigten an das [X.] vom 22. Februar 2013 Mängel in der Beurteilung geltend gemacht hatte, formulierte der Präsident die Beurteilung unter dem 1. Juli 2013 um, ohne dass eine Änderung des Eignungsurteils erfolgte. Die Beschwerdeführerin erfülle nach den im Referenzzeitraum gezeigten Leistungen in jeder Hinsicht die an eine Berichterstatterin gestellten Anforderungen, ohne "jedoch bereits" die für die Aufgabe einer Vorsitzenden [X.]in am [X.] geforderte ausgeprägte Fachkompetenz bewiesen zu haben.

4

Mit Schreiben vom 2. Juli 2013 teilte der Präsident der [X.]esministerin mit, dass er auch im Lichte der neugefassten Beurteilung an seinem Besetzungsvorschlag festhalte. Daraufhin schlug die Abteilung Z des [X.] in einer begründeten Vorlage an einen Staatssekretär und die [X.]esministerin vom 12. Juli 2013 vor, den Vorschlag des Präsidenten des [X.]s zu billigen. Die [X.]esministerin entschied nach einem mehr als eineinhalbstündigen persönlichen Gespräch mit dem Präsidenten des [X.]s am 24. September 2013, zunächst nur zwei der drei ausgeschriebenen Stellen zu besetzen. In einer Gesprächsnotiz über eine persönliche Unterredung zwischen dem Ministerialdirigenten im [X.], einem Abteilungsleiter und einem Sachbearbeiter der zuständigen Fachabteilung vom 1. Oktober 2013 wurde abschließend vermerkt, dass dem Besetzungsvorschlag des Präsidenten einschließlich des Rankings gefolgt werde. Die Auswahlentscheidung bestätigte die [X.] einer entsprechenden Vorlage an das [X.] und Unterzeichnung der Entwürfe von Ernennungsurkunden. Mit Schreiben des [X.] vom 9. Oktober 2013 wurde der Beschwerdeführerin mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, die Stellen mit den beiden Beigeladenen zu besetzen und dass ihre Bewerbung nicht berücksichtigt werden könne.

5

Nach Eingang der Anträge der Beschwerdeführerin im einstweiligen Rechtsschutzverfahren trennte das [X.] mit Beschluss vom 29. Oktober 2013 das Verfahren bezüglich der Beigeladenen [X.] gemäß § 93 Satz 2 VwGO ab.

6

Jeweils mit Beschluss vom 9. Dezember 2014 hat das [X.] der Antragsgegnerin im fachgerichtlichen Verfahren im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig untersagt, die streitgegenständlichen Stellen mit einer Mitbewerberin/einem Mitbewerber der Beschwerdeführerin zu besetzen und führte zur Begründung im Wesentlichen aus: Aus der Beurteilung der Beschwerdeführerin werde deutlich, dass der Präsident des [X.]s das Merkmal der "ausgeprägten Fachkompetenz" im Sinne eines Ausschlusskriteriums gewertet habe, dessen Nichterfüllung einen Bewerber von vornherein als für das angestrebte Amt ungeeignet qualifiziere. Die fehlende Eignung der Beschwerdeführerin sei allein daraus abgeleitet worden, dass sie noch nicht die geforderte ausgeprägte Fachkompetenz unter Beweis gestellt habe. Mit dem [X.] der "ausgeprägten Fachkompetenz" stehe indes ein deskriptives Merkmal des Anforderungsprofils in Frage. Es erscheine keineswegs ausgeschlossen, dass die Beschwerdeführerin die in dem Anforderungsprofil neben der ausgeprägten Fachkompetenz genannten weiteren Qualifikationsanforderungen möglicherweise in besonders hohem Maße erfülle und auf diese Weise einen im Vergleich zu ihren Mitbewerbern festzustellenden Nachteil in der Ausprägung ihrer Fachkompetenz ausgleichen könne. Die Beurteilung und das damit verbundene Eignungsurteil stelle damit keine hinreichend belastbare Grundlage dar, um die Beschwerdeführerin von vornherein aus dem im Rahmen des Auswahlverfahrens vorzunehmenden Leistungsvergleich auszunehmen. Hierin liege eine Verletzung der Beschwerdeführerin in ihrem Recht aus Art. 33 Abs. 2 GG.

7

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin hat der [X.]hof mit Beschlüssen vom 10. Juni 2015 die Beschlüsse des [X.] aufgehoben und den Antrag der Beschwerdeführerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Der Bewerbungsverfahrensanspruch der Beschwerdeführerin sei zunächst nicht dadurch verletzt worden, dass die Antragsgegnerin in fehlerhafter Weise das Anforderungsmerkmal der "ausgeprägten Fachkompetenz" als konstitutives Anforderungsmerkmal im Sinne eines Ausschlusskriteriums behandelt habe. Insbesondere ergebe sich aus dem Auswahlvermerk vom 12. Juli 2013, dass die Antragsgegnerin die Beschwerdeführerin in das Auswahlverfahren einbezogen und sie gerade nicht im Sinne eines gestuften Auswahlverfahrens von der eigentlichen Auswahlentscheidung im Wege einer [X.] ausgeschlossen habe. Dass der Beurteiler dem Anforderungsmerkmal der "ausgeprägten Fachkompetenz" insoweit eine entscheidende Bedeutung beigemessen habe, als er die Erfüllung dieses [X.] für die Annahme einer Eignung eines Bewerbers als unverzichtbar angesehen habe oder von der Nichterfüllung dieses einzelnen Merkmals auf eine mangelnde Eignung geschlossen habe, sei im Hinblick auf die Anforderung des angestrebten Amtes nachvollziehbar und sachlich gerechtfertigt.

8

Gegen diese beiden Beschlüsse gerichtete Anhörungsrügen der Beschwerdeführerin hat der [X.]hof mit Beschlüssen vom 15. Juli 2015 zurückgewiesen.

II.

9

Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin gegen die Beschlüsse des [X.]hofs vom 10. Juni 2015 und vom 15. Juli 2015 sowie gegen den Beschluss des [X.] Kassel vom 29. Oktober 2013 und rügt eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 33 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 97 GG sowie Art. 103 Abs. 1 GG. Unter anderem rügt sie, dass die Leitung des [X.] keine Auswahlentscheidung getroffen habe. Ein Vermerk eines nachgeordneten Bediensteten des [X.] darüber, dass die Hausleitung die Auswahlentscheidung mündlich getroffen habe, genüge den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht. Dieser Mangel des Verwaltungsverfahrens verstoße gegen Art. 19 Abs. 4 GG in Verbindung mit Art. 33 Abs. 2 GG, was der [X.]hof verkannt habe. Der Trennungsbeschluss des [X.] verletze sie in ihren Grundrechten auf ein faires Verfahren und aus Art. 19 Abs. 4 GG, da das Verwaltungsgericht von dem ihm nach § 93 Satz 2 VwGO zustehenden Ermessen nicht in verfassungskonformer Weise Gebrauch gemacht habe. Da das [X.] eine einheitliche Auswahlentscheidung bezüglich zwei der ausgeschriebenen Stellen getroffen habe, wäre eine einheitliche Entscheidung des [X.] erforderlich gewesen.

III.

Das [X.] hat die Akten des Ausgangsverfahrens beigezogen und dem [X.] Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Das [X.] ist der Ansicht, die angegriffenen Entscheidungen verstießen nicht gegen den Grundsatz der Bestenauslese und den Anspruch der Beschwerdeführerin auf effektiven Rechtsschutz (Art. 33 Abs. 2 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG). Weitere Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte der Beschwerdeführerin seien ebenfalls nicht verletzt. Im Übrigen könne das Begehren der Beschwerdeführerin keinen Erfolg haben, weil ihre Auswahl auch in einem neuen Verfahren dem Prinzip der Bestenauslese widerspräche. Alle gegenüber der Beschwerdeführerin besser bewerteten Mitbewerber seien in ihrer dienstlichen Kerntätigkeit beim [X.] nicht nur hervorragend beurteilt worden, sondern der Beschwerdeführerin weit überlegen. Nicht nur die Beurteilungen vom 23. Januar und 1. Juli 2013, sondern auch die weiteren Beurteilungen vom 3. Dezember 2014 und 16. Juni 2015 würden bestätigen, dass die Leistungen der Beschwerdeführerin seit Aufnahme ihrer Tätigkeit beim [X.] unter Berücksichtigung der gezeigten Mängel, Schwächen und fehlenden Impulse lediglich den Durchschnittsleistungen einer Berichterstatterin entsprächen.

B.

I.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b [X.] in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts der Beschwerdeführerin aus Art. 33 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG angezeigt ist. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c [X.]). Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Fragen hat das [X.] bereits entschieden.

Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet.

1. Die Beschlüsse des [X.]hofs vom 10. Juni 2015 verkennen die Anforderungen an einen wirksamen Rechtsschutz der Beschwerdeführerin in einem Stellenbesetzungsverfahren. Sie verletzen die Beschwerdeführerin daher in ihrem Recht aus Art. 33 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG.

a) Aus der Verfahrensabhängigkeit des sich aus Art. 33 Abs. 2 GG ergebenden Anspruchs eines Beförderungsbewerbers ergeben sich auch Vorwirkungen für das Verwaltungsverfahren. Das dem gerichtlichen Rechtsschutzverfahren vorgelagerte Verwaltungsverfahren darf nicht so ausgestaltet sein, dass es den gerichtlichen Rechtsschutz vereitelt oder unzumutbar erschwert (vgl. [X.] 22, 49 <81 f.>; 61, 82 <110>; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 23. Juni 2015 - 2 BvR 161/15 -, juris, Rn. 38). Zur Sicherung des Gebotes effektiven Rechtsschutzes folgt aus Art. 33 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG auch die Verpflichtung, die wesentlichen Auswahlerwägungen schriftlich niederzulegen (vgl. [X.]K 11, 398 <403 f.>; 12, 106 <110>; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 25. November 2011 - 2 BvR 2305/11 -, NVwZ 2012, S. 368 <369>). Nur durch eine schriftliche Fixierung der wesentlichen Auswahlerwägungen - deren Kenntnis sich der unterlegene Bewerber gegebenenfalls durch Akteneinsicht verschaffen kann - wird der Mitbewerber in die Lage versetzt, sachgerecht darüber befinden zu können, ob er die Entscheidung des Dienstherrn hinnehmen soll oder ob Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen den Anspruch auf faire und chancengleiche Behandlung seiner Bewerbung bestehen und er daher gerichtlichen Eilrechtsschutz in Anspruch nehmen will. Darüber hinaus eröffnet erst die Dokumentation der maßgeblichen Erwägungen auch dem Gericht die Möglichkeit, die angegriffene Entscheidung eigenständig nachzuvollziehen (vgl. [X.]K 11, 398 <403>).

b) Die Beschlüsse des [X.]hofs verkennen, dass der Dienstherr dieser Dokumentationspflicht bei der Auswahlentscheidung nicht nachgekommen ist.

Die Möglichkeit der Beschwerdeführerin zur Erlangung effektiven Rechtsschutzes wurde dadurch verkürzt, dass die Gründe für die getroffene Personalentscheidung nicht in einer Auswahlentscheidung aktenkundig gemacht wurden.

Die Vorlage an die Ministerin und den Staatsekretär vom 12. Juli 2013 diente lediglich der Vorbereitung der Auswahlentscheidung durch die [X.] des [X.]s und ersetzte diese nicht. Die spätere Auswahlentscheidung deckte sich gerade nicht mit dem Votum in dieser Vorlage. Abweichend von der Vorlage und von dem Besetzungsvorschlag des Präsidenten des [X.]s entschied die Ministerin nämlich nach einem Gespräch mit dem Präsidenten, nur zwei der drei Vorsitzendenstellen zu besetzen. Dies verkennt der [X.]hof, wenn er davon ausgeht, eine Auswahlentscheidung der Ministerin sei in der Billigung des Vermerks vom 12. Juli 2013 zu sehen. Die Gründe der letztlich getroffenen Entscheidung des [X.]s sind nicht schriftlich dokumentiert; auch die interne Gesprächsnotiz des [X.]s vom 1. Oktober 2013 nimmt lediglich Bezug auf den Besetzungsvorschlag des Präsidenten vom 29. Januar 2013. Welche Gründe die Ministerin infolge eines Gesprächs mit dem Präsidenten des [X.]s veranlassten, eine der drei Stellen zunächst nicht zu besetzen und weshalb die beiden Beigeladenen und nicht der dritte in dem Besetzungsvorschlag des Präsidenten und der Vorlage an die [X.] des [X.] genannte [X.] ausgewählt wurden, ist nicht aktenkundig. Es kann der Beschwerdeführerin nicht zugemutet werden, die Auswahlentscheidung ihres Dienstherrn gewissermaßen "ins Blaue hinein" in einem gerichtlichen Eilverfahren angreifen zu müssen, um erst in diesem beschleunigt betriebenen Verfahren die tragenden Auswahlerwägungen zu erfahren. Auch der Schriftsatz der Antragsgegnerin im Eilverfahren vom 20. Februar 2014, in dem diese ausweislich der Beschlüsse des [X.]hofs vom 15. Juli 2015 dargelegt haben soll, auf welchem Wege die Auswahlentscheidung von der Ministerin getroffen worden sei, genügt angesichts dessen der Dokumentationspflicht nicht. Die unzureichende Transparenz des vorliegenden Auswahlverfahrens in der "Entscheidungsphase" unterstreicht die Notwendigkeit einer Dokumentation der Auswahlentscheidung.

2. Dahinstehen kann, ob die Beschlüsse des [X.]hofs weitere Rechte der Beschwerdeführerin verletzen.

II.

Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch zur Durchsetzung von Rechten der Beschwerdeführerin angezeigt, § 93a Abs. 2 Buchstabe b [X.]. Der verwaltungsgerichtliche Eilrechtsschutz setzt zur Sicherung des Bewerbungsverfahrensanspruchs lediglich voraus, dass die Aussichten der Beschwerdeführerin, im Falle eines ordnungsgemäßen Auswahlverfahrens zum Zuge zu kommen, offen sind, das heißt ihre Auswahl muss als möglich erscheinen (vgl. [X.]K 6, 273 <275 f.>; 9, 1 <6 f.>).

Die Fachgerichte haben zu der Frage einer offensichtlichen Chancenlosigkeit der Bewerbung der Beschwerdeführerin keine Feststellungen getroffen. Die nunmehr getroffene Einschätzung des [X.] deckt sich nicht mit der Bewertung in der Vorlage der Abteilung Z des [X.]s an die [X.] vom 12. Juli 2013, in der ausgeführt wird, dass die Beschwerdeführerin "noch" nicht die ausgeprägte Fachkompetenz bewiesen habe, dass sie jedoch über das Potential verfügen dürfte, diese ihr "noch fehlende Fachkompetenz zu einem späteren Zeitpunkt in näherer Zukunft" zu erfüllen. Die Bewertung schließt mit dem Hinweis, dass die übrigen Voraussetzungen für das Amt einer Vorsitzenden [X.]in gegeben seien. Angesichts der so bewerteten Qualifikation der Beschwerdeführerin mögen derzeit - auch im Lichte der weiteren Beurteilungen vom 3. Dezember 2014 und 16. Juni 2015 - zwar mehr Gründe gegen ihre Auswahl sprechen. Ihre Ernennung ist aber nicht vollkommen ausgeschlossen. Abschließend kann die Frage einer "offensichtlichen Chancenlosigkeit" der Beschwerdeführerin im Auswahlverfahren erst beantwortet werden, wenn eine ordnungsgemäß dokumentierte Auswahlentscheidung vorliegt, anhand derer der Leistungsvergleich zwischen den Bewerbern nachvollzogen werden kann. Daran fehlt es hier.

III.

Die Beschlüsse des [X.]hofs vom 15. Juli 2015 über die Anhörungsrüge der Beschwerdeführerin werden mit der Aufhebung der Beschwerdeentscheidungen gegenstandslos.

IV.

Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen den Trennungsbeschluss des [X.] vom 29. Oktober 2013 richtet, wird sie nicht zur Entscheidung angenommen. Von einer Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

C.

Die Anordnung der Auslagenerstattung zu Gunsten der mit ihren Anträgen im Wesentlichen erfolgreichen Beschwerdeführerin folgt aus § 34a Abs. 2 und Abs. 3 [X.]. Die Auslagen sind der Beschwerdeführerin zu gleichen Teilen vom [X.] und vom [X.] zu erstatten. Die aufgehobenen Entscheidungen wurden von Gerichten des [X.] getroffen, während die unzureichende Dokumentation der Auswahlentscheidung vom [X.] als Dienstherrn zu verantworten ist. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. [X.] 79, 365 <366 ff.>).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

2 BvR 1461/15

25.11.2015

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 1. Kammer

Stattgebender Kammerbeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend Hessischer Verwaltungsgerichtshof, 15. Juli 2015, Az: 1 B 1204/15.R, Beschluss

Art 19 Abs 4 GG, Art 33 Abs 2 GG, § 34a Abs 2 BVerfGG, § 34a Abs 3 BVerfGG, § 37 Abs 2 S 2 BVerfGG, § 93c Abs 1 S 3 BVerfGG, § 14 Abs 1 RVG, § 37 Abs 2 S 2 RVG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 25.11.2015, Az. 2 BvR 1461/15 (REWIS RS 2015, 1777)

Papier­fundstellen: NJW 2016, 309 REWIS RS 2015, 1777

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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