Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 16.09.2014, Az. 7 VR 1/14

7. Senat | REWIS RS 2014, 2959

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Gegenstand

Vorläufiger Rechtsschutz gegen wasserrechtliche Erlaubnis für Kraftwerksbetrieb


Leitsatz

§ 4a Abs. 3 UmwRG modifiziert den Maßstab für die Prüfung von Anträgen nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO nur bezogen auf die gebotene Berücksichtigung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs. An dem Erfordernis einer umfassenden Interessenabwägung, in die weitere die Interessenlage der Beteiligten betreffende Gesichtspunkte eingehen können und die je nach Lage des Falles auch losgelöst von den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs vorgenommen werden kann, ändert sich hingegen nichts (im Anschluss an den Beschluss vom 13. Juni 2013 - BVerwG 9 VR 3.13 - juris Rn. 4).

Gründe

I.

1

Der Antragsteller, eine anerkannte Naturschutzvereinigung, wendet sich gegen die der [X.]eigeladenen erteilte Erlaubnis zu einer Gewässerbenutzung für den [X.]etrieb des [X.] in [X.] an der [X.].

2

Nach Durchführung des Anhörungsverfahrens, in dem der Antragsteller sich mit Einwendungen u.a. gegen die im Zusammenhang mit dem [X.]etrieb des Kraftwerks geplante Entnahme und [X.] von Elbwasser zum Zweck der Durchlaufkühlung gewandt hatte, erteilte die [X.]eklagte der [X.]eigeladenen mit [X.]escheid vom 30. September 2008 neben der in [X.]estandskraft erwachsenen immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für die Errichtung und den [X.]etrieb des Kraftwerks eine wasserrechtliche Erlaubnis zur Wasserentnahme von maximal 64,4 cbm/s unter [X.]eifügung von [X.]eschränkungen und Nebenbestimmungen. Aufgrund eines mit der [X.]eigeladenen geschlossenen Vergleichs ersetzte sie diese Erlaubnis mit [X.]escheid vom 4. Oktober 2010 unter Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit durch eine inhaltlich modifizierte Erlaubnis, ohne die grundsätzlich zulässige Entnahmemenge zu verändern. Diese Erlaubnis enthält zahlreiche Einschränkungen und Nebenbestimmungen; unter anderem wird die Höchstmenge der Wasserentnahme aus der [X.] insgesamt auf ein Drittel des jeweiligen [X.] begrenzt, bei Unterschreitung eines Mindestsauerstoffgehalts von 6,0 mg/l als gleitendem 24-Stunden-Mittelwert ist die Einleitmenge gestuft zu vermindern. Als technische Maßnahmen zur Schadensminderung sind eine elektrische Fischscheuchanlage am Entnahmebauwerk und eine Fischaufstiegsanlage bei [X.] vorgesehen. Durch Änderungsbescheid vom 21. Januar 2011 ist der [X.]eigeladenen erlaubt, zum Zweck der - alternativ zur Durchlaufkühlung möglichen - Kreislaufkühlung Wasser aus der [X.] zu entnehmen (maximale Entnahmemenge von 1 cbm/s).

3

Das Oberverwaltungsgericht hat die wasserrechtliche Erlaubnis unter Abweisung der Klage des Antragstellers im Übrigen aufgehoben, soweit sie die Entnahme und [X.] von Elbwasser zum Zweck der Durchlaufkühlung betrifft: Habitatrechtliche Erwägungen rechtfertigten die Aufhebung der Erlaubnis zwar nicht. Soweit der Antragsteller geltend mache, die Gewässerbenutzung führe zu erheblichen [X.]eeinträchtigungen von [X.] der unterhalb des Wehres von [X.] gelegenen Natura-2000-Gebiete, sei er mit seinem Vorbringen ausgeschlossen. [X.]ezogen auf die oberhalb des Wehres gelegenen Schutzgebiete liege kein Verstoß gegen die maßgeblichen Schutzvorschriften vor, weil durch [X.]au und [X.]etrieb der Fischaufstiegsanlage am Wehr erhebliche [X.]eeinträchtigungen der Schutzziele vermieden würden. Die Gewässerbenutzung für die Durchlaufkühlung verstoße aber gegen das Verschlechterungsverbot des § 27 Abs. 2 Nr. 1 [X.], das keine bloße Zielbestimmung darstelle, sondern bei der Erlaubniserteilung als unmittelbar geltendes Recht zu beachten sei und jede substanzielle Verschlechterung der Qualität des betroffenen Gewässers über eine durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gezogene Relevanzschwelle hinaus verbiete. Diese Schwelle werde mit den nachteiligen Auswirkungen auf den Sauerstoffgehalt der [X.] und [X.] West überschritten, die von der erlaubten Kühlwassernutzung für die Durchlaufkühlung trotz der in der Erlaubnis vorgesehenen Einschränkungen der Gewässerbenutzung in [X.] zu erwarten seien. Die Voraussetzungen für eine Ausnahme vom Verschlechterungsverbot lägen mit Rücksicht auf die umweltschonendere technische Alternative der Kreislaufkühlung als Regelbetrieb nicht vor.

4

Nach Einlegung der Revisionen gegen dieses Urteil durch die Antragsgegnerin und die [X.]eigeladene im Frühjahr 2013 hat der Antragsteller am 21. März 2014 beantragt, die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die wasserrechtliche Erlaubnis wiederherzustellen, soweit diese die Entnahme und [X.] von Elbwasser zum Zweck der Durchlaufkühlung betrifft. Zur [X.]egründung trägt er im Wesentlichen vor: Der Eilantrag sei nunmehr geboten, da die [X.]eigeladene die Aufnahme des Dauerbetriebs für [X.] 2014 plane und eine Aussetzung des Revisionsverfahrens bis zur Entscheidung des [X.] in dem das wasserrechtliche Verschlechterungsverbot betreffenden Vorabentscheidungsverfahren zur Weservertiefung ([X.]. [X.]/13) als möglich erscheine. [X.]ei Abwägung der betroffenen Interessen überwiege das Suspensionsinteresse gegenüber dem Vollzugsinteresse der [X.]eigeladenen. Selbst unabhängig vom Ausgang des Verfahrens vor dem [X.] müsse die Klage Erfolg haben, weil die angefochtene Erlaubnis gegen das Habitat- und das besondere Artenschutzrecht verstoße. Aber auch eine von den Erfolgsaussichten losgelöste Interessenabwägung gehe zugunsten des Antragstellers aus. Nach Errichtung des [X.]s könne die Inbetriebnahme des Kraftwerks unter Einsatz der Kreislaufkühlung erfolgen. Das Interesse der [X.]eigeladenen an der Nutzung der wirtschaftlich günstigeren Durchlaufkühlung habe geringeres Gewicht als das öffentliche Interesse am Schutz der [X.], denn schon für die Dauer des Hauptsacheverfahrens drohten irreversible Verstöße gegen das Naturschutzrecht und das Wasserrecht.

5

Die Antragsgegnerin und die [X.]eigeladene treten dem Antragsbegehren entgegen und beantragen,

den Antrag abzulehnen.

II.

6

Der Antrag hat keinen Erfolg.

7

1. Der Antrag ist zulässig. Das [X.] ist nach Einlegung der Revisionen das Gericht der Hauptsache im Sinne von § 80a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO.

8

Der Antragsteller ist befugt, gegen die nach § 8 [X.] erteilte Erlaubnis Klage zu erheben, § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UmwRG. Damit verbindet sich die Möglichkeit, gegenüber der gemäß § 80a Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ergangenen Anordnung der sofortigen Vollziehung einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung zu stellen, § 80a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO.

9

2. Der Antrag ist jedoch nicht begründet.

Der Prüfungsmaßstab für das Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes folgt aus § 4a Abs. 3 UmwRG. Danach ist § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO mit der Maßgabe anzuwenden, dass das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen oder wiederherstellen kann, wenn im Rahmen einer Gesamtabwägung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen. Mit dieser Regelung knüpft § 4a Abs. 3 UmwRG an den allgemein für Anträge auf gerichtliche Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs geltenden Maßstäbe an. In Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO bzw. § 80a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht auf der Grundlage einer eigenen Abwägung der widerstreitenden Vollzugs- und Suspensivinteressen. Wesentliches Element dieser Interessenabwägung ist die [X.]eurteilung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache, die dem Charakter des Eilverfahrens entsprechend nur aufgrund einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage erfolgen kann. Ist es - namentlich wegen der besonderen Dringlichkeit einer alsbaldigen Entscheidung - nicht möglich, die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache wenigstens summarisch zu beurteilen, so sind allein die einander gegenüberstehenden Interessen unter [X.]erücksichtigung der mit der Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einerseits und deren Ablehnung andererseits verbundenen Folgen zu gewichten (vgl. [X.]eschluss vom 22. März 2010 - [X.]VerwG 7 VR 1.10 - juris Rn. 13).

§ 4a Abs. 3 UmwRG modifiziert diesen Prüfungsmaßstab nur bezogen auf die gebotene [X.]erücksichtigung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs: Die Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung setzt hiernach voraus, dass bei der [X.]eurteilung der Erfolgsaussichten als Element der Interessenabwägung "ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen". An dem Erfordernis einer umfassenden Interessenabwägung, in die weitere die beiderseitige Interessenlage betreffende Gesichtspunkte eingehen können und die je nach Lage des Falles auch losgelöst von den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs vorgenommen werden kann, ändert sich hingegen ausweislich des Hinweises im Gesetzestext auf die Gesamtabwägung nichts (so bereits [X.]eschluss vom 13. Juni 2013 - [X.]VerwG 9 VR 3.13 - [X.] 310 § 80 VwGO Nr. 90 = juris Rn. 4 unter [X.]ezugnahme auf die Gesetzesbegründung, [X.]TDrucks 17/10957 S. 18).

Hiernach muss der Antrag erfolglos bleiben, weil der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen ist (a) und eine deshalb gebotene von den Erfolgsaussichten losgelöste Interessenabwägung zulasten des Antragstellers ausgeht (b).

a) [X.]ei summarischer Prüfung lässt sich kein Übergewicht der für oder gegen den Erfolg der Klage gegen die angefochtene wasserrechtliche Erlaubnis sprechenden Gründe feststellen.

Offen ist zunächst, ob das Oberverwaltungsgericht das wasserrechtliche Verschlechterungsverbot (§ 27 Abs. 2 Nr. 1 [X.], Art. 4 Abs. 1 [X.]uchst. a) i) WRRL) zutreffend ausgelegt hat. Das Oberverwaltungsgericht versteht § 27 Abs. 2 Nr. 1 [X.] als zwingendes, bei der Erlaubniserteilung unmittelbar zu beachtendes Recht und nicht bloß als umsetzungsbedürftige Zielvorgabe. Eine Verschlechterung des [X.] im Sinne der Vorschrift bejaht es überdies nicht erst bei einem Wechsel des Gewässers in eine schlechtere Zustandsklasse oder im Falle einer erheblichen Verschlechterung, sondern grundsätzlich bereits bei jeder substanziellen negativen Einwirkung auf das Gewässer oberhalb einer in der Vorschrift angelegten Relevanzschwelle. Der Senat neigt dieser Rechtsauffassung zu, hält sie aber nicht für eindeutig, wie dem [X.]eschluss vom 11. Juli 2013 - [X.]VerwG 7 A 20.11 - (DV[X.]l 2013, 1450 Rn. 23 ff.) zu entnehmen ist, mit dem er in einem Verfahren über die geplante Weservertiefung den [X.] unter anderem zur Klärung des [X.] in Art. 4 Abs. 1 [X.]uchst. a) i) WRRL angerufen hat. Wie der Gerichtshof die Vorlagefragen, deren Klärung auch für die Auslegung des § 27 Abs. 2 Nr. 1 [X.] entscheidend ist (vgl. [X.]eschluss vom 11. Juli 2013 a.a.[X.] Rn. 21), beantworten wird, ist offen. Dies wird dadurch unterstrichen, dass die im Vorabentscheidungsverfahren abgegebenen Stellungnahmen der [X.] und mehrerer Mitgliedstaaten zu unterschiedlichen Auslegungsergebnissen gelangen.

An der Einschätzung der Erfolgsaussichten unter wasserrechtlichem [X.]lickwinkel ändert sich auch dann nichts, wenn die Ausführungen des [X.] zur Anwendung des Verschlechterungsverbots auf den Streitfall in die [X.]eurteilung einbezogen werden. Es spricht wenig dafür, dass dem Oberverwaltungsgericht dabei - ausgehend von seiner Auslegung des Verschlechterungsverbots - Fehler unterlaufen sind. Namentlich dürfte sich die [X.]edeutung, die das Gericht einer nachteiligen Veränderung der Qualitätskomponente Sauerstoffgehalt für die Frage einer Verschlechterung des ökologischen Potenzials der in Rede stehenden Oberflächenwasserkörper beigemessen hat, schlüssig aus dem von ihm zugrunde gelegten weiten Verschlechterungsbegriff ergeben. Dass die Sachverhaltsfeststellung und Überzeugungsbildung, soweit sie die Anwendung des Verschlechterungsverbots betreffen, verfahrensfehlerhaft zustande gekommen sind, liegt zumindest bezogen auf den [X.] fern; insbesondere drängt es sich nicht auf, dass das Gericht mit seiner Annahme, dem [X.] für die [X.] sei ein Zielwert von 6 mg O2/l zu entnehmen ([X.]), gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verstoßen hat (vgl. S. 7 des Wärmelastplans).

Ob die wasserrechtliche Erlaubnis in habitatrechtlicher Hinsicht der Überprüfung im Hauptsacheverfahren standhalten wird, ist ebenfalls offen. Das Oberverwaltungsgericht hat den Antragsteller mit seinen die [X.]eeinträchtigung von [X.] unterhalb des Wehres [X.] betreffenden [X.] für präkludiert gehalten, weil er hierzu im [X.] keine Einwendungen erhoben habe; eine erhebliche [X.]eeinträchtigung der Schutzgebiete oberhalb des Wehres von [X.] hat es verneint, weil der Eintritt der befürchteten [X.]eeinträchtigungen aquatischer Schutzziele durch die [X.]estimmungen der angefochtenen Erlaubnis über die Errichtung und den [X.]etrieb einer Fischaufstiegsanlage wirksam verhindert werden könnten.

Was zunächst die Präklusion anbelangt, ist nicht verlässlich abzuschätzen, ob sich die Erwägungen der Vorinstanz im Hauptsacheverfahren als tragfähig erweisen werden. Das [X.] hat die [X.] der einschlägigen gesetzlichen Präklusionsregelungen zwar schon mehrfach geprüft und bejaht (vgl. Urteil vom 14. Juli 2011 - [X.]VerwG 9 A 12.10 - [X.]VerwGE 140, 149 = [X.] 406.400 § 61 [X.]NatSchG 2002 Nr. 13; [X.]eschluss vom 17. Juni 2011 - [X.]VerwG 7 [X.] 79.10 - [X.] 406.254 URG Nr. 3), die [X.] hält diese Regelungen hingegen für unionsrechtswidrig und hat deswegen beim [X.] ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet ([X.]. [X.]/14). Wie der Gerichtshof entscheiden wird, erscheint vor allem im Hinblick auf die von den Umweltverbänden zu beachtenden vergleichsweise kurzen Auslegungs- und Einwendungsfristen als offen.

[X.]ezogen auf die [X.]eurteilung der Verträglichkeit des Vorhabens mit den aquatischen [X.] der oberhalb des Wehres von [X.] gelegenen Natura-2000-Gebiete bestehen gleichfalls Unsicherheiten, die sich im Eilverfahren nicht auflösen lassen. Dies gilt zumindest für die Einstufung der an dem Wehr vorgesehenen - und mittlerweile errichteten - Fischaufstiegsanlage als Schadensminderungsmaßnahme, die die [X.] sichern soll. In der Rechtsprechung des [X.]s ist bisher anerkannt, dass verbindlich geregelte Schutz- und Ausgleichsmaßnahmen dann als Schadensminderungsmaßnahmen berücksichtigt werden können, wenn sie sicherstellen, dass erhebliche [X.]eeinträchtigungen verhindert werden (Urteil vom 17. Januar 2007 - [X.]VerwG 9 A 20.05 - [X.]VerwGE 128, 1 Rn. 53 f. = [X.] 451.91 Europ UmweltR Nr. 26). Für Ausgleichsmaßnahmen wird sich diese Feststellung allerdings nur ausnahmsweise treffen lassen, da derartige Maßnahmen in der Regel erst deutlich verzögert wirken und ihr Erfolg selten mit einer jeden vernünftigen Zweifel ausschließenden Sicherheit vorhergesagt werden kann (Urteil vom 12. März 2008 - [X.]VerwG 9 A 3.06 - [X.]VerwGE 130, 299 Rn. 94 = [X.] 451.91 Europ UmweltR Nr. 30). Ob diese Rechtsprechung sich uneingeschränkt aufrechterhalten lässt, erscheint mit Rücksicht auf das Urteil des [X.] vom 15. Mai 2014 - [X.]. [X.]/12 - als zweifelhaft. Der Gerichtshof hat darin ausgeführt, in der Verträglichkeitsprüfung seien solche in das Projekt aufgenommene Maßnahmen zu berücksichtigen, mit denen unmittelbar verursachte schädliche Auswirkungen auf ein Natura-2000-Gebiet verhindert oder verringert, nicht dagegen solche Maßnahmen, mit denen schädliche Auswirkungen auf das Gebiet nur ausgeglichen werden sollen. Er hat hierzu darauf hingewiesen, dass die etwaigen positiven Auswirkungen der künftigen Schaffung eines neuen Lebensraums, der den Verlust an Fläche und Qualität desselben Lebensraumtyps in einem Schutzgebiet ausgleichen soll, sich im Allgemeinen nur schwer vorhersehen lassen und jedenfalls erst mit geraumer zeitlicher Verzögerung erkennbar sein werden; außerdem solle verhindert werden, dass die [X.]ehörde mit Maßnahmen, die in Wirklichkeit Ausgleichsmaßnahmen entsprechen, das spezifische Verfahren des Art. 6 Abs. 4 [X.] umgehe. Diese Vorgaben dürften nicht in jeder Hinsicht den bisher vom [X.] angelegten Maßstäben entsprechen. Welche Konsequenzen sich daraus für den Streitfall ergeben, bedarf eingehender Prüfung, die im Eilverfahren nicht verlässlich zu leisten ist. Namentlich muss insoweit der Klärung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben, ob die Fischtreppe als bloße Ausgleichsmaßnahme zu werten ist, weil sie nicht verhindert, dass ein Teil der Fische und des [X.] im Zuge der Durchlaufkühlung zu Schaden kommt, oder ob es sich um eine [X.] bzw. Schutzmaßnahme im eigentlichen Sinne handelt, weil die Stabilität der Fischpopulationen in den stromauf von [X.] gelegenen Schutzgebieten gesichert wird, indem anderen - zu den jeweiligen Populationen gehörenden - Fischen in größerer Anzahl der Aufstieg ermöglicht wird.

b) Sind demnach die Erfolgsaussichten der Klage offen, so überwiegt bei der im Übrigen gebotenen folgenorientierten Abwägung der wechselseitigen Interessen das Vollzugsinteresse der [X.]eigeladenen gegenüber dem vom Antragsteller als [X.] vertretenen Interesse, die Schaffung vollendeter Tatsachen durch Inbetriebnahme des Kraftwerks mit der genehmigten Durchlaufkühlung vor einer endgültigen Entscheidung in der Hauptsache zu verhindern.

Das Kraftwerk der [X.]eigeladenen ist baulich nach Maßgabe der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung vom 30. September 2008 in der Fassung der zur nachträglichen Errichtung des [X.]s erteilten Änderungsgenehmigung vom 23. Dezember 2010 vollendet. Es befindet sich zurzeit in der Erprobungsphase, die die Aufnahme des Regelbetriebs vorbereitet. In diesem Stadium richtet sich das Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes darauf, die Fortsetzung des Probebetriebs und die Aufnahme des Regelbetriebs mit der immissionsschutzrechtlich bestandskräftig genehmigten Durchlaufkühlung als Regelkühlung zu verhindern. Dieses Interesse hat nach den Umständen des Falles vergleichsweise geringes Gewicht.

Es ist nicht ersichtlich, dass die Einwirkungen durch den Kraftwerksbetrieb auf die betroffenen Schutzgüter so gravierend sein werden, dass bis zur Entscheidung über die Revisionen der Antragsgegnerin und der [X.]eigeladenen gewichtige und irreversible Nachteile eintreten.

Das gilt zum einen in wasserrechtlicher Hinsicht. Negative Auswirkungen sind in Gestalt einer Verstärkung der in den [X.]monaten schon infolge anderer Ursachen zeitweise auftretenden [X.] in [X.]etracht zu ziehen; die Entnahme von Kühlwasser aus der [X.] und dessen [X.] in erwärmtem Zustand führt prinzipiell zu einer Verminderung des [X.], mag diese auch örtlich begrenzt sein. Solche Auswirkungen sind aber nur bezogen auf einen kurzen Zeitraum in die Abwägung einzustellen und werden zudem durch die in der wasserrechtlichen Erlaubnis vorgesehenen [X.]etriebsbeschränkungen deutlich vermindert. Aufgrund von Reparaturarbeiten an den Dampferzeugern werden der erste [X.]lock des Kraftwerks voraussichtlich frühestens im Dezember 2014 und der zweite [X.]lock erst Ende des ersten Quartals 2015 in [X.]etrieb gehen, was wiederum voraussetzt, dass keine weiteren Störungen im Rahmen des Probebetriebs auftreten. Erst dann ist mit einer kontinuierlichen Ausschöpfung der erlaubten Wasserentnahmemenge zu rechnen, während im Verlauf des Probebetriebs überwiegend nur reduzierte Mengen entnommen und - teilweise nicht einmal erwärmt - wieder eingeleitet werden. Sollte in der kritischen Zeit der [X.]monate 2015 das Kraftwerk seinen vollen [X.]etrieb aufgenommen haben, werden die in der wasserrechtlichen Erlaubnis angeordneten [X.] bzw. [X.]sbeschränkungen nach Maßgabe des [X.] (Nr. 3.2), der Gewässertemperatur (Nr. 4.2) und des [X.] (Nr. 4.3) greifen. Da bis zum Frühjahr 2016 mit einem Abschluss des im März 2013 anhängig gewordenen Revisionsverfahrens zu rechnen ist, sind Einwirkungen, die im [X.] 2016 zur Verschärfung des Sauerstoffmangels führen könnten, nicht zu berücksichtigen. Sollte das Hauptsacheverfahren mit der Revisionsentscheidung zulasten der [X.]eigeladenen enden, hat dies nämlich die unmittelbare Einstellung einer Durchlaufkühlung und damit die [X.]eendigung der vom Antragsteller befürchteten Gewässerbelastung zur Folge. Sollte es hingegen zu einer Zurückverweisung an die Vorinstanz kommen, so hat der Antragsteller die Möglichkeit, mit Rücksicht auf die dann erfolgte rechtliche Vorklärung erneut um vorläufigen Rechtsschutz durch das Oberverwaltungsgericht nachzusuchen.

In naturschutzrechtlicher Hinsicht gilt Ähnliches. Trotz der am [X.] installierten Scheuchanlage muss zwar damit gerechnet werden, dass einzelne Exemplare geschützter Fischarten durch die Durchlaufkühlung zu Schaden kommen. Mit [X.]lick auf den voraussichtlich kurzen Zeitraum des Regelbetriebs bis zu einer Revisionsentscheidung liegt es aber fern, dass die betroffenen Fischpopulationen in den Natura-2000-Gebieten, in denen sie Gegenstand von [X.] sind, durch den Kraftwerksbetrieb destabilisiert werden. Dies trifft insbesondere für die stromauf von [X.] liegenden Gebiete zu, für die die am Wehr bei [X.] errichtete Fischaufstiegsanlage - unabhängig von der Frage ihrer Einordnung als Schadensminderungsmaßnahme - ihre Wirkung entfalten kann; dass die Aufstiegsanlage technisch ihre Funktion nicht erfüllt, hat der Antragsteller nicht substanziiert geltend gemacht.

Hiervon ausgehend ist das Interesse der [X.]eigeladenen an der Inbetriebnahme des Kraftwerks mittels Durchlaufkühlung als Regelkühlung höher zu bewerten als das Suspensivinteresse des Antragstellers. Die Kreislaufkühlung verursacht wegen ihres verstärkten Energiebedarfs Mehrkosten, die jährlich im hohen einstelligen oder gar im zweistelligen Millionenbereich liegen dürften. Überdies schlägt ein Umweltaspekt zu [X.]uche. Ungeachtet der Frage, ob die Annahme des [X.] zutrifft, der [X.] für die Kreislaufkühlung könne mittel- bis langfristig in erheblichem Maße aus regenerativen Quellen gedeckt werden, hat der Antragsteller nicht substanziiert infrage gestellt, dass jedenfalls aktuell bis zur Entscheidung über die Revisionen der für die Kreislaufkühlung entstehende Mehrbedarf einen erhöhten Ausstoß von klimaschädlichem Kohlendioxid nach sich zieht. Dieser Nachteil stärkt ebenfalls das Interesse, die Kreislaufkühlung als Regelkühlung zu vermeiden. Außerdem verweist die [X.]eigeladene schlüssig darauf, dass die Erfahrungsbasis für den Einsatz der Kreislaufkühlung mittels [X.]s bislang noch sehr schmal ist. Sie führt - vom Antragsteller unwidersprochen - hierzu an, dass bundesweit lediglich zwei Kraftwerke mit einem [X.] betrieben werden und dass es insbesondere an betriebspraktischen Erfahrungen für den [X.]etrieb eines Kohlekraftwerks in der Kombination von Durchlaufkühlung als Regelkühlung und Kreislaufkühlung in Ausnahmesituationen fehlt. Insoweit in Rechnung zu stellende Ausfallrisiken erhöhen sich umso mehr, wenn die wenig erprobte Kreislaufkühlung mittels [X.]s als Regelkühlung eingesetzt werden soll. Nicht von der Hand zu weisen ist ferner ein Interesse der [X.]eigeladenen, die Inbetriebnahmephase des Kraftwerks auf der Grundlage der geplanten Kombinationskühlung zu Ende zu bringen. Wäre die [X.]eigeladene gezwungen, diese Phase allein auf der [X.]asis einer Kreislaufkühlung weiterzuführen, würde die Inbetriebsetzung anderer Gewerke des Kraftwerks erheblich behindert; sollte die [X.]eigeladene schließlich im Hauptsacheverfahren obsiegen, müsste die unterbrochene Inbetriebnahme der Durchlaufkühlung wieder aufgenommen werden und die automatisierten Umschaltvorgänge zwischen [X.] und Kreislaufkühlung müssten erprobt und optimiert werden, wofür das Kraftwerk tageweise vom Netz zu trennen wäre. All dies spricht angesichts des vergleichsweise geringen Suspensivinteresses des Antragstellers für die [X.]eibehaltung der Vollzugsanordnung.

Meta

7 VR 1/14

16.09.2014

Bundesverwaltungsgericht 7. Senat

Beschluss

Sachgebiet: VR

§ 80 Abs 5 S 1 VwGO, § 80a Abs 3 S 2 VwGO, § 4a Abs 3 UmwRG, § 27 Abs 2 Nr 1 WHG 2009, Art 4 Abs 1 Buchst a Buchst i EGRL 60/2000

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 16.09.2014, Az. 7 VR 1/14 (REWIS RS 2014, 2959)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 2959

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Referenzen
Wird zitiert von

1 L 660/18.MZ

3 M 286/15

1 L 1119/17.MZ

M 1 SN 16.2024

8 CS 15.2510

22 C 15.197

15 CS 20.3007

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