Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.02.2017, Az. XII ZB 604/15

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 15994

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:080217BXIIZB604.15.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII [X.]/15
vom
8. Februar 2017
in der Betreuungssache
Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
ja
[X.]R:
ja
BGB §§ 1901 a, 1904 Abs. 1 Satz 1, 1904 Abs. 4
a)
Eine Patientenverfügung entfaltet nur dann unmittelbare Bindungswirkung, wenn sie neben den Erklärungen zu den ärztlichen Maßnahmen, in die der Ersteller einwilligt oder die er untersagt, auch erkennen lässt, dass sie in der konkreten Be-handlungssituation Geltung beanspruchen soll.
b)
Die schriftliche Äußerung, dass "lebensverlängernde Maßnahmen unterbleiben" sollen, enthält für sich genommen nicht die für eine bindende Patientenverfügung notwendige konkrete Behandlungsentscheidung des Betroffenen.
c)
Die erforderliche Konkretisierung kann sich im Einzelfall auch bei nicht hinreichend konkret benannten ärztlichen Maßnahmen durch die Bezugnahme auf [X.] spezifizierte Krankheiten oder Behandlungssituationen ergeben. Der Wille des Errichters der Patientenverfügung ist dann durch Auslegung der in der Verfü-gung enthaltenen Erklärungen zu ermitteln (im [X.] an den Senatsbeschluss vom 6.
Juli 2016

XII
ZB
61/16

FamRZ 2016, 1671).

[X.], Beschluss vom 8. Februar 2017 -
XII [X.]/15 -
LG [X.]

[X.]

-
2
-
Der XII. Zivilsenat des [X.] hat am 8.
Februar 2017
durch [X.], [X.], Dr.
Günter und Dr.
Botur und die Richterin Dr.
Krüger
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen und des weiteren [X.] zu 1 wird der Beschluss der 6.
Zivilkammer des [X.] vom 17.
November 2015 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des [X.], an das [X.] zurückverwiesen.
Das [X.] ist gerichtskostenfrei.
Wert: 5.000

Gründe:
I.
Die im Jahr 1940 geborene Betroffene erlitt im Mai 2008 einen Schlagan-fall und befindet sich seit einem hypoxisch bedingten [X.] im Juni 2008 in einem wachkomatösen Zustand ([X.]: [X.]). Sie wird seitdem über eine Magensonde ([X.]) künstlich ernährt und mit Flüssigkeit versorgt.
Bereits im Jahr 1998 hatte die Betroffene eine schriftliche "Patientenver-fügung"
folgenden Inhalts unterzeichnet:
1
2
-
3
-
"Für den Fall, daß ich (...) aufgrund von Bewußtlosigkeit oder [X.] (...) nicht mehr in der Lage bin, meinen Willen zu äußern, verfüge ich:
Solange eine realistische Aussicht auf Erhaltung eines erträgli-chen Lebens besteht, erwarte ich ärztlichen und pflegerischen [X.] unter Ausschöpfung der angemessenen Möglichkeiten.
Dagegen wünsche ich, daß lebensverlängernde Maßnahmen un-terbleiben, wenn medizinisch eindeutig festgestellt ist,
-
daß ich [X.] unabwendbar im unmittelbaren [X.], bei dem jede lebenserhaltende Therapie das Sterben oder
Leiden ohne Aussicht auf Besserung verlängern würde, oder
-
daß keine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewußtseins be-steht, oder
-
daß aufgrund von Krankheit oder Unfall ein schwerer Dauer-schaden des Gehirns zurückbleibt, oder
-
daß es zu einem nicht behandelbaren, dauernden Ausfall le-benswichtiger Funktionen meines Körpers kommt.
Behandlung und Pflege sollen in diesen Fällen auf die Linderung von Schmerzen, Unruhe und Angst gerichtet sein, selbst wenn durch die notwendige Schmerzbehandlung eine [X.] nicht auszuschließen ist. Ich möchte in Würde und Frieden sterben können, nach Möglichkeit in meiner vertrauten Umgebung.
Aktive Sterbehilfe lehne ich ab.
Ich bitte um menschliche und seelsorgerische Begleitung."

In derselben Urkunde erteilte sie für den Fall, dass sie außerstande sein sollte, ihren Willen zu bilden oder zu äußern, dem Beteiligten zu 1 (im [X.]: [X.]) als ihrer Vertrauensperson die Vollmacht,
"an meiner Stelle mit der behandelnden Ärztin (...) alle erforderli-chen Entscheidungen abzusprechen. Die Vertrauensperson soll 3
-
4
-
meinen Willen im Sinne dieser Patientenverfügung einbringen und in meinem Namen Einwendungen vortragen, die die Ärztin (...) be-rücksichtigen soll."

Zu nicht genauer festgestellten [X.]punkten von 1998 bis zu ihrem Schlaganfall äußerte die Betroffene mehrfach gegenüber verschiedenen Fami-lienangehörigen und Bekannten angesichts zweier Wachkoma-Patienten aus ihrem persönlichen Umfeld, sie wolle nicht künstlich ernährt werden, sie wolle nicht so am Leben erhalten werden, sie wolle nicht so daliegen, lieber sterbe sie. Sie habe durch eine Patientenverfügung vorgesorgt,
das könne ihr nicht passieren.
Im Juni 2008 erhielt die Betroffene einmalig nach dem Schlaganfall die Möglichkeit, trotz Trachealkanüle zu sprechen. Bei dieser Gelegenheit sagte sie ihrer Therapeutin: "Ich möchte sterben."
Unter Vorlage der Patientenverfügung von 1998 regte der [X.] der Be-troffenen im Jahr 2012 an, ihr einen Betreuer zu bestellen, und erklärte sich zur Übernahme der Betreuung bereit. Gleichzeitig bat
er darum, den Beteiligten zu
2 (im Folgenden: Ehemann) zum [X.] zu bestellen. Das Amtsge-richt bestellte daraufhin den [X.] und den Ehemann zu jeweils alleinvertre-tungsberechtigten Betreuern der Betroffenen.
Der [X.] der Betroffenen ist, im Einvernehmen mit dem bis dahin [X.] Arzt, seit 2014 der Meinung, die künstliche Ernährung und Flüssig-keitszufuhr solle eingestellt werden, da dies dem in der Patientenverfügung nie-dergelegten Willen der Betroffenen entspreche. Ihr Ehemann lehnt dies ab.
Den Antrag der Betroffenen, vertreten durch ihren [X.], auf Genehmi-gung der Therapiezieländerung dahingehend, dass künstliche Ernährung und Flüssigkeitszufuhr eingestellt werden sollten, hat das Amtsgericht abgelehnt. 4
5
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7
8
-
5
-
Die dagegen gerichtete Beschwerde
der Betroffenen hat das [X.] zu-rückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde wenden sich die Be-troffene und der Beteiligte zu
1 gegen diese Entscheidungen.

II.
Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des [X.] Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Landge-richt.
1. Das [X.] hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, es habe sich keine ausreichende Überzeugung davon bilden können, dass es dem Willen der Betroffenen entspräche, die künstliche Ernährung in der gegen-wärtigen Lage einzustellen. Aus der Patientenverfügung ergebe sich ein ent-sprechender Wille der Betroffenen nicht eindeutig. Es sei naheliegend, dass die Betroffene den hier in Frage stehenden Abbruch der künstlichen Ernährung als aktive Sterbehilfe verstanden habe, die sie in der Patientenverfügung ausdrück-lich abgelehnt habe. Auch ein mutmaßlicher Wille der Betroffenen für einen [X.] sei nicht feststellbar. Da die Betroffene in der Patientenverfügung aktive Sterbehilfe abgelehnt habe und die Einstellung der Ernährung und [X.] nach dem Wertesystem der Betroffenen eine solche darstelle, komme ein Rückgriff auf den mutmaßlichen Willen schon nicht in Betracht. Darüber hinaus sei auch ein
auf [X.] gerichteter mutmaßlicher Wille nicht feststellbar, obwohl die Betroffene gegenüber mehre-ren Zeugen geäußert hatte, nicht in eine Situation der künstlichen Ernährung geraten zu wollen. Denn sie habe sich gegenüber den Zeugen nicht dazu [X.], was passieren solle, wenn eine solche Situation schon bestehe und über den Abbruch zu entscheiden sei. Die Äußerungen gegenüber den Zeugen 9
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-
6
-
seien auch deswegen zur Ermittlung des mutmaßlichen Willens ungeeignet, weil sie sich auf die Schicksale Dritter bezogen, die im Pflegeheim versorgt [X.], während die Betroffene zuhause von ihrem Ehemann gepflegt werde. Auch ihr in der Patientenverfügung festgehaltener Wunsch, möglichst in ver-trauter Umgebung zu bleiben, stehe dem Behandlungsabbruch entgegen, da in einem solchen Fall die Verlegung auf eine Palliativstation erforderlich wäre, denn der Ehemann der Betroffenen könne die häusliche Pflege bei Abbruch der Ernährung nicht gewährleisten. Schließlich müsse berücksichtigt werden, dass die Festlegungen der Betroffenen in der Patientenverfügung so verstanden werden könnten, dass sie kein weiteres zusätzliches Leid erleben oder empfin-den wolle. Missempfindungen seien jedoch bei Einstellung von Ernährung und [X.] nicht auszuschließen. Die letzte sprachliche Äußerung, die die Betroffene vor Verfall in den jetzigen Zustand habe tätigen können, sei unbe-achtlich, weil sie sich nicht auf den nun eingetretenen Zustand bezogen habe. Es sei auch nicht klar, ob die Betroffene ihre vorher geäußerten Wünsche an-gesichts der jetzigen Haltung ihres Ehemanns, der sehr an ihr hänge und die Einstellung der Ernährung und [X.] vehement ablehne, noch [X.] würde. Insgesamt sei daher ein auf die aktuelle Situation [X.] mutmaßlicher Wille der Betroffenen nicht feststellbar.
2. Das hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
Die angegriffene Entscheidung kann bereits deshalb keinen Bestand ha-ben, weil das Beschwerdegericht sich nicht ausreichend mit der Frage befasst hat, ob es im vorliegenden Fall deshalb einer betreuungsgerichtlichen Geneh-migung gemäß
§
1904 Abs.
2, Abs.
3 BGB nicht bedarf, weil in der von der Be-troffenen errichteten Patientenverfügung gemäß §
1901
a Abs.
1 BGB eine wirksame Einwilligung in den vom [X.] der Betroffenen erstrebten Abbruch der künstlichen Ernährung und Flüssigkeitsversorgung enthalten ist.
11
12
-
7
-
a) Gemäß §
1904 Abs.
2 BGB bedarf die [X.] oder der [X.] der Einwilligung des Betreuers in einen ärztlichen Eingriff der Genehmi-gung des Betreuungsgerichts, wenn die Maßnahme medizinisch angezeigt ist und die begründete Gefahr besteht, dass der Betreute auf Grund des Abbruchs der Maßnahme stirbt. Der hier vom [X.] der Betroffenen beabsichtigte Wider-ruf der Einwilligung in die mit Hilfe einer [X.]-Magensonde ermöglichte künstli-che Ernährung wird vom Anwendungsbereich der Vorschrift erfasst und bedarf grundsätzlich der betreuungsgerichtlichen Genehmigung, wenn

wie hier

durch den Abbruch der Maßnahme die Gefahr des Todes droht (Senatsbe-schluss [X.]Z 202,
226 =
FamRZ 2014, 1909 Rn.
12 [X.]).
b) Der Abbruch einer lebenserhaltenden Maßnahme bedarf jedoch dann nicht der betreuungsgerichtlichen Genehmigung nach §
1904 Abs.
2 BGB, wenn der Betroffene einen entsprechenden eigenen Willen bereits in einer wirk-samen Patientenverfügung (§
1901
a Abs.
1 BGB) niedergelegt hat und diese auf die konkret eingetretene Lebens-
und Behandlungssituation zutrifft. Enthält die schriftliche Patientenverfügung eine Entscheidung über die Einwilligung oder
[X.] in bestimmte ärztliche Maßnahmen, die auf die konkret eingetretene Lebens-
und Behandlungssituation zutrifft, ist eine Einwilligung des Betreuers, die dem betreuungsgerichtlichen Genehmigungserfordernis [X.], in die Maßnahme nicht erforderlich, da der Betroffene diese Entscheidung selbst in einer alle Beteiligten bindenden Weise getroffen hat. Dem Betreuer obliegt es in diesem Fall nach §
1901
a Abs.
1 Satz
2 BGB nur noch, dem in der Patientenverfügung niedergelegten Willen des Betroffenen Ausdruck und [X.] zu verschaffen (Senatsbeschluss [X.]Z 202, 226 =
FamRZ 2014, 1909 Rn.
13
f.).
Das Genehmigungserfordernis gemäß §
1904 Abs.
2 BGB greift indes ein, wenn nicht sämtliche Voraussetzungen einer wirksamen Patientenverfü-13
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8
-
gung nach §
1901
a Abs.
1 BGB vorliegen oder die Patientenverfügung nicht auf die konkret eingetretene Lebens-
und Behandlungssituation zutrifft. Da in diesem Fall der Willensbekundung des Betreuten keine unmittelbare Bindungs-wirkung zukommt, hat der Betreuer nach §
1901
a Abs.
2 BGB die Behand-lungswünsche oder den mutmaßlichen Willen des Betroffenen festzustellen und auf dieser Grundlage zu entscheiden. Entschließt sich der Betreuer danach, in den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen einzuwilligen, bedarf diese Ent-scheidung

vorbehaltlich der Regelung in §
1904 Abs.
4 BGB

der Genehmi-gung durch das Betreuungsgericht (Senatsbeschluss [X.]Z 202, 226 =
FamRZ 2014, 1909 Rn.
15).
c) Im vorliegenden Fall ist das Beschwerdegericht davon ausgegangen, dass die Betroffene eine den Anforderungen des §
1901
a Abs.
1 BGB genü-gende Patientenverfügung, der sich eine in der aktuellen Lebens-
und Behand-lungssituation bindende Entscheidung für den Abbruch der künstlichen Ernäh-rung entnehmen lässt, nicht erstellt hat. Diese Annahme ist nicht frei von Rechtsfehlern.
aa)
Unmittelbare Bindungswirkung entfaltet eine Patientenverfügung
im Sinne des §
1901
a Abs.
1 BGB nur dann, wenn ihr konkrete Entscheidungen des Betroffenen über die Einwilligung oder [X.] in bestimmte, noch nicht unmittelbar bevorstehende ärztliche Maßnahmen entnommen werden können (Senatsbeschluss [X.]Z 202, 226 =
FamRZ 2014, 1909 Rn.
29). Neben
Erklärungen des Erstellers der Patientenverfügung zu den ärztlichen Maßnahmen, in die er einwilligt oder die er untersagt, verlangt der [X.] aber auch, dass die Patientenverfügung erkennen lässt, ob sie in der konkreten Behandlungssituation Geltung beanspruchen soll (vgl. [X.]/[X.] 7.
Aufl. §
1901
a Rn.
19, 22). Eine [X.] ist nur dann ausreichend bestimmt, wenn sich feststellen lässt, in welcher 16
17
-
9
-
Behandlungssituation welche ärztliche Maßnahmen durchgeführt werden bzw. unterbleiben sollen (vgl. [X.] [Stand: 1.
November 2016] §
1901
a Rn.
9). Zudem ermöglichen Angaben zu den Behandlungssituationen, in der die Patientenverfügung eingreifen soll, dem Betreuer, der in §
1901
a Abs.
1 Satz
1 BGB enthaltenen Prüfungspflicht nachzukommen, ob die in der Patientenverfügung enthaltenen Festlegungen zu den [X.] auf die aktuelle Lebens-
und Handlungssituation des Erstellers der [X.] zutreffen.
Danach genügt eine Patientenverfügung, die einerseits konkret die Be-handlungssituationen beschreibt, in der die Verfügung gelten soll, und anderer-seits die ärztlichen Maßnahmen
genau bezeichnet, in die der Ersteller einwilligt oder die er untersagt, etwa durch Angaben zur Schmerz-
und Symptombehand-lung, künstlichen Ernährung und Flüssigkeitszufuhr, Wiederbelebung, künstli-chen Beatmung, Antibiotikagabe oder Dialyse, dem Bestimmtheitsgrundsatz. Die Anforderungen an die Bestimmtheit einer Patientenverfügung dürfen dabei nicht überspannt werden. Vorausgesetzt werden kann nur, dass der Betroffene umschreibend festlegt, was er in einer bestimmten Lebens-
und Behandlungssi-tuation will und was nicht (Senatsbeschluss [X.]Z 202, 226 =
FamRZ 2014, 1909 Rn.
29). Maßgeblich ist nicht, dass der Betroffene seine eigene Biografie als Patient vorausahnt und die zukünftigen Fortschritte in der Medizin vorweg-nehmend berücksichtigt. Insbesondere kann nicht ein gleiches Maß an Präzisi-on verlangt werden, wie es bei der Willenserklärung eines einwilligungsfähigen Kranken in die Vornahme einer ihm angebotenen Behandlungsmaßnahme er-reicht werden kann (Senatsbeschlüsse [X.]Z 202, 226 =
FamRZ 2014, 1909 Rn.
29
und vom 6.
Juli 2016

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FamRZ 2016, 1671 Rn.
46).
Nicht ausreichend sind
allerdings
allgemeine Anweisungen, wie die [X.], ein würdevolles Sterben zu ermöglichen oder zuzulassen, wenn ein 18
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10
-
Therapieerfolg nicht mehr zu erwarten ist (Senatsbeschluss [X.]Z 202, 226 =
FamRZ 2014, 1909 Rn.
29 [X.]). Auch die Äußerung, "keine lebenserhalten-den Maßnahmen"
zu wünschen, enthält jedenfalls für sich genommen keine hinreichend konkrete Behandlungsentscheidung (Senatsbeschluss vom 6.
Juli 2016

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FamRZ 2016, 1671 Rn.
46
f.; BT-Drucks. 16/8442 S.
15). Die erforderliche Konkretisierung kann sich im Einzelfall aber auch bei einer weniger detaillierten Benennung bestimmter ärztlicher Maßnahmen durch die Bezugnahme auf ausreichend spezifizierte Krankheiten oder Behandlungssitua-tionen ergeben. Ob in solchen Fällen eine hinreichend konkrete [X.]
vorliegt,
ist dann durch Auslegung der in der Verfügung enthaltenen Erklä-rungen zu ermitteln (vgl. [X.] [Stand: 1.
November 2016] §
1901
a Rn.
9).
bb)
Danach geht das Beschwerdegericht schon zu Unrecht davon aus, dass die Betroffene in ihrer "Patientenverfügung"
eine konkrete Entscheidung dahingehend getroffen hat, in der nun eingetretenen Situation eine Fortsetzung der künstlichen Ernährung zu wollen. Das Beschwerdegericht möchte dies [X.] aus der Formulierung "aktive Sterbehilfe lehne ich ab", der es "nach dem Wertesystem der Betroffenen"
jeglichen Behandlungsabbruch unterfallen lässt.
Dies überschreitet die Grenzen der zulässigen Auslegung. Als eine der Schriftform unterfallende Erklärung muss die Patientenverfügung primär nach ihrem schriftlich niedergelegten Inhalt ausgelegt werden. Dabei ist der Gesamt-zusammenhang der Urkunde zu berücksichtigen und festzustellen, ob sich [X.] insgesamt ein hinreichend eindeutig zu bestimmender [X.] ergibt.
Die von der Betroffenen verfasste Urkunde
beinhaltet
in ihrem Gesamt-zusammenhang keine eindeutige Aussage dahingehend, dass die Betroffene die Fortsetzung der künstlichen Ernährung in ihrem derzeitigen Zustand 20
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22
-
11
-
wünscht. Die voranstehende Erklärung, "keine lebensverlängernden Maßnah-men"
zu wünschen, wenn eine der in der Patientenverfügung benannten Be-handlungssituationen eintritt, spricht in mindestens gleichem Umfang für den Abbruch der künstlichen Ernährung, wie die vom Beschwerdegericht herange-zogene Formulierung der Ablehnung aktiver Sterbehilfe deren Fortsetzung be-gründen könnte. Die von der Betroffenen verfasste Urkunde ist damit allenfalls widersprüchlich. Soweit das Beschwerdegericht in diesem Zusammenhang von einer eindeutigen, konkreten Festlegung für die aktuell bestehende Situation gegen den Abbruch und für die Fortsetzung der künstlichen Ernährung und Flüssigkeitsversorgung ausgeht, hat es weitere für die Auslegung wesentliche Gesichtspunkte nicht ausreichend berücksichtigt.
cc)
Im Übrigen hat das Beschwerdegericht in seine Auslegungserwägun-gen nicht eingestellt, dass die Betroffene in ihrer Patientenverfügung nicht nur pauschal bestimmt hat, lebensverlängernde Maßnahmen sollen in den von ihr beschriebenen Behandlungssituationen unterbleiben. Im weiteren Text der [X.] findet sich vielmehr auch eine Konkretisierung der ärztlichen Maßnah-men, die sie in diesen Fällen wünscht. Danach sollen Behandlung
und Pflege auf Linderung von Schmerzen, Unruhe und Angst gerichtet sein, selbst wenn durch die notwendige Schmerzbehandlung eine Lebensverkürzung nicht aus-zuschließen ist.
Zudem hat das Beschwerdegericht bei der Auslegung die in der [X.] bezeichneten Behandlungssituationen nicht ausreichend berück-sichtigt. Zwar ist die hier in Frage kommende Alternative eines schweren Dauerschadens
des Gehirns so wenig präzise, dass sie keinen Rückschluss
auf einen gegen konkrete Behandlungsmaßnahmen

hier die künstliche Ernäh-rung mittels [X.]-Sonde

gerichteten Willen der Betroffenen erlaubt (vgl. zu einer gleichlautenden "Patientenverfügung"
Senatsbeschluss vom 6.
Juli 2016 23
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47
f.). Etwas Anderes könnte sich [X.] aus der weiteren Alternative ergeben, wonach die Betroffene ihre Rege-lungen zu ärztlichen Maßnahmen an die medizinisch eindeutige Feststellung knüpft, dass bei ihr keine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins be-steht. Damit bezeichnet die Betroffene in ihrer Patientenverfügung konkret eine Behandlungssituation, in der sie keine weiteren lebensverlängernden Maßnah-men wünscht. Im Zusammenhang mit der Bestimmung der Betroffenen, dass die Behandlung und Pflege in diesem Fall auf die Linderung von Schmerzen, Unruhe und Angst gerichtet sein soll, könnte die Patientenverfügung [X.] auszulegen sein, dass die Betroffene in dieser besonderen gesundheitli-chen Situation, die aus medizinischer Sicht irreversibel ist, in den Abbruch der künstlichen Ernährung eingewilligt hat.
Ob der derzeitige Gesundheitszustand der Betroffenen im Wachkoma auf diese konkret bezeichnete Behandlungssituation zutrifft, hat das Beschwer-degericht bislang allerdings nicht festgestellt. Dies wird es

gegebenenfalls sachverständig beraten

nachholen müssen.
3. Die angegriffene Entscheidung ist daher aufzuheben. Da noch [X.] dazu zu treffen sind, ob der konkrete Zustand der Betroffenen im Wachkoma ihr Bewusstsein entfallen lässt und ob in diesem Fall
eine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins besteht, ist das Verfahren zur weiteren Behandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen. Wenn das [X.] auf dieser Grundlage eine wirksame Patientenverfügung iSv §
1901
a Abs.
1 Satz
1 BGB feststellen kann, die auf die aktuelle Lebens-
und Behandlungssituation zutrifft, hat es ein sogenanntes Negativattest zu erteilen
(vgl. Senatsbeschluss [X.]Z 202, 226 =
FamRZ 2014, 1909 Rn.
20).

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13
-
Sollte das Beschwerdegericht hingegen zu dem Ergebnis gelangen, dass der derzeitige Gesundheitszustand der Betroffenen nicht den Festlegungen der Patientenverfügung entspricht, weist der Senat für das weitere Verfahren auf folgendes hin:
a) Die Genehmigungsbedürftigkeit der Einwilligung des [X.]s der Be-troffenen in die beabsichtigte Therapiezieländerung entfiele nicht auf Grund von §
1904 Abs.
4 BGB.
Nach dieser Vorschrift werden die Entscheidungen des Betreuers nach §
1904 Abs.
1 und 2 BGB von der Genehmigungspflicht des Betreuungsgerichts ausgenommen, soweit der Betreuer und der behandelnde Arzt Einvernehmen darüber erzielen können, dass die Erteilung, die Nichterteilung oder der Wider-ruf der Einwilligung dem nach §
1901
a Abs.
2 BGB festgestellten Willen des Betroffenen entsprechen.
Stellt das Gericht dieses Einvernehmen im Sinne von §
1904 Abs.
4 BGB fest, hat es den Antrag auf betreuungsgerichtliche Geneh-migung ohne weitere Ermittlungen abzulehnen und ebenfalls ein sogenanntes Negativattest zu erteilen, aus dem sich ergibt, dass eine gerichtliche Genehmi-gung nicht erforderlich ist (Senatsbeschluss [X.]Z 202, 226 =
FamRZ 2014, 1909 Rn.
19
f.).
Im vorliegenden Fall bestand zwar zwischen dem [X.] [X.] der Betroffenen und dem zunächst behandelnden Arzt Einver-nehmen darüber, dass die künstliche Ernährung der Betroffenen nach ihrem Willen eingestellt werden soll. Dem steht jedoch die Haltung des zweiten allein-vertretungsberechtigten Betreuers, des Ehemanns der Betroffenen entgegen. Diese unterschiedlichen Auffassungen der beiden alleinvertretungsberechtigten Betreuer darüber, ob die Einstellung der künstlichen Ernährung in der derzeiti-gen Situation dem Willen der Betroffenen entspricht, lassen ein Einvernehmen 27
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-
14
-
zwischen Betreuer und behandelndem Arzt entfallen und stehen somit einem Wegfall des [X.] nach §
1904 Abs.
4 BGB entgegen.
b) Die betreuungsgerichtliche Genehmigung nach §
1904 Abs.
2 BGB
ist allerdings zu erteilen, wenn die [X.] oder der Widerruf der Einwilligung
dem Willen des Betreuten entspricht, §
1904 Abs.
3 BGB. Das Betreuungsgericht
hat die Entscheidung des Betreuers zum Schutz des Betreu-ten dahingehend
zu überprüfen, ob diese Entscheidung tatsächlich dem ermit-telten [X.]n entspricht. Gerichtlicher
Überprüfungsmaßstab ist nach §
1901
a Abs.
2 BGB der individuelle [X.] (BT-Drucks. 16/8442 S.
18). Dabei differenziert §
1901
a Abs.
2 Satz
1 BGB zwischen den [X.] einerseits und dem mutmaßlichen Willen des Betroffenen ande-rerseits (Senatsbeschluss [X.]Z 202, 226 = FamRZ 2014, 1909 Rn.
24).
aa) Behandlungswünsche im Sinne des §
1901
a Abs.
2 BGB können etwa alle Äußerungen eines Betroffenen sein, die Festlegungen für eine [X.] Lebens-
und Behandlungssituation enthalten, aber den Anforderungen an eine Patientenverfügung im Sinne des §
1901
a Abs.
1 BGB nicht genügen, etwa weil sie nicht schriftlich abgefasst wurden, keine antizipierenden Entschei-dungen treffen oder von einem minderjährigen Betroffenen verfasst wurden. Auch eine Patientenverfügung im Sinne des §
1901
a Abs.
1 BGB, die jedoch nicht sicher auf die aktuelle Lebens-
und Behandlungssituation des Betroffenen passt und deshalb keine unmittelbare Wirkung entfaltet, kann als Behand-lungswunsch Berücksichtigung finden. Behandlungswünsche sind insbesondere dann aussagekräftig, wenn sie in Ansehung der Erkrankung zeitnah geäußert worden sind, konkrete Bezüge zur aktuellen Behandlungssituation aufweisen und die Zielvorstellungen des Patienten erkennen lassen. An die Behandlungs-wünsche des Betroffenen ist der Betreuer nicht nur nach §
1901
a Abs.
2 BGB, sondern bereits nach §
1901 Abs.
2 und 3 BGB gebunden (Senatsbeschlüsse 31
32
-
15
-
[X.]Z 202, 226 =
FamRZ 2014, 1909 Rn.
25 [X.] und vom 6.
Juli 2016

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FamRZ 2016, 1671 Rn.
53).
Ebenso wie bei Vorliegen einer schriftlichen Patientenverfügung im Sinne des §
1901
a Abs.
1 BGB genügt allein der ermittelte Behandlungswunsch nicht, wenn sich dieser auf allgemein gehaltene Inhalte beschränkt (Senatsbe-schlüsse [X.]Z 202, 226 =
FamRZ 2014, 1909 Rn.
28
f. [X.] und vom 6.
Juli 2016

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FamRZ 2016, 1671 Rn.
54). Sollte das [X.] daher zu dem Ergebnis gelangen, dass die Patientenverfügung auch für die derzeitige Behandlungssituation der Betroffenen keine hinreichend be-stimmten Angaben zu den medizinischen Maßnahmen enthält, in die die Be-troffene einwilligt oder die sie ablehnt, dürften sich aus der Patientenverfügung ebenfalls keine ausreichend konkreten Behandlungswünsche der Betroffenen entnehmen lassen.
bb) Das Beschwerdegericht wird dann zu prüfen haben, ob ein Abbruch der künstlichen Ernährung dem mutmaßlichen Willen der Betroffenen ent-spricht. Der mutmaßliche Wille ist anhand konkreter Anhaltspunkte zu ermitteln, insbesondere anhand früherer mündlicher oder schriftlicher Äußerungen (die jedoch keinen Bezug zur aktuellen Lebens-
und Behandlungssituation aufwei-sen), ethischer oder religiöser Überzeugungen und sonstiger persönlicher Wertvorstellungen des Betroffenen (§
1901
a Abs.
2 Satz
2 und 3
BGB). Der Betreuer stellt letztlich eine These auf, wie sich
der Betroffene selbst in der konkreten Situation entschieden hätte, wenn er noch über sich selbst bestim-men könnte (Senatsbeschlüsse [X.]Z 202, 226 =
FamRZ 2014, 1909 Rn.
26 [X.] und vom 6.
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FamRZ 2016, 1671 Rn.
56).
(1) Die Betroffene hatte sich nach Angaben der genannten Zeugen aus-weislich des gerichtlichen Anhörungsvermerks immer wieder dahingehend ge-33
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äußert, dass sie nicht künstlich ernährt werden wolle. Diese Äußerungen habe sie insbesondere angesichts zweier künstlich ernährter Patienten aus ihrem persönlichen Umfeld getätigt. Zumindest einer dieser Patienten habe über [X.] gelegen; die Betroffene habe gegenüber den Zeugen angegeben, sie wolle nicht so daliegen, sie wolle nicht künstlich ernährt werden, sie wolle in einer solchen Situation lieber sterben. Weiterhin habe sie sich auf ihre Patientenverfügung berufen und gemeint, ihr könne so etwas nicht passieren.
(2) Soweit das Beschwerdegericht bei der Würdigung der Zeugenaussa-gen davon ausgeht, dass die von den Zeugen wiedergegebene Aussage der Betroffenen, dass sie nicht künstlich ernährt werden wolle, auf die aktuelle Situ-ation nicht zutrifft, weil der Abbruch der laufenden künstlichen Ernährung mit der Nichtaufnahme einer künstlichen Ernährung nicht gleichgesetzt werden könne, ist dies weder aus dem "Wertesystem der Betroffenen"
noch aus der heute bzw. 1998 geltenden Rechtslage heraus begründbar.
(a) Zum zugrunde gelegten Wertesystem der Betroffenen hat das Be-schwerdegericht lediglich feststellen können, dass diese nach Aussage einer Zeugin "gläubig und praktizierende Katholikin"
gewesen sei, die auch [X.] unternommen habe. Keiner der Zeugen konnte jedoch angeben, mit der Be-troffenen über Glaubensinhalte gesprochen zu haben. Damit sind
keine [X.] verbunden, die einem Abbruch der Behandlung entgegenstehen würden. Im Gegenteil: Festgestellt ist, dass die Betroffene gegenüber vielen Zeugen mehrfach betonte, sie wolle nicht künstlich ernährt werden. Das Werte-system der Betroffenen
trägt daher nicht die Annahme, die Einstellung der künstlichen Ernährung und Flüssigkeitszufuhr sei vom ausdrücklich geäußerten Willen der Betroffenen, sie wolle nicht künstlich
ernährt werden, nicht erfasst.
36
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17
-
(b) Die weitere Annahme des [X.], zur [X.] der [X.] der [X.] habe man allgemein den Behand-lungsabbruch als "aktive Sterbehilfe"
verstanden, beruht nicht auf einer tragfä-higen Begründung. Vielmehr wurde zu dieser [X.], anders als heute, ein Ein-greifen in
der Situation der Betroffenen überhaupt nicht als "Sterbehilfe"
ver-standen, da sie sich nicht im unmittelbaren Sterbeprozess befindet. Auch zu dieser [X.] wurde jedoch ein derartiger "Abbruch einer einzelnen lebenserhal-tenden Maßnahme"
als passiver und nicht als aktiver Eingriff verortet, [X.] die Frage gestellt, ob es sich um "passive Sterbehilfe"
handeln könnte, und nicht die Frage, ob "aktive Sterbehilfe"
geleistet worden sei (vgl. [X.]St 40, 257 =
NJW 1995, 204 [X.]). Die Rechtslage in der [X.] ab 1998 unterscheidet sich von der heutigen Rechtslage insofern, als heute

seit der Entscheidung [X.]St 55, 191 =
[X.], 1551 Rn.
28
ff.

ein Behandlungsabbruch (bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen) als straffrei angesehen wird, unab-hängig davon, ob er durch Unterlassen der weiteren Behandlung oder durch [X.], etwa durch Durchschneiden der versorgenden Schläuche, verwirk-licht wird. Sie unterscheidet sich jedoch nicht in dem Punkt, dass auch schon vor 2010 der Abbruch einer Behandlung in Form der Unterlassung der [X.] (also konkret: Abbruch der künstlichen Ernährung dadurch, dass an die Magensonde keine neue Flasche mit Nahrung angehängt wird) genauso be-handelt wurde wie das Unterlassen des Beginns der künstlichen Ernährung. Beides wurde in den 90er Jahren strafrechtlich als Unterlassen angesehen ([X.] explizit etwa [X.]St 40, 257 =
NJW 1995, 204; die frühere Rechtslage dar-stellend auch [X.]St 55, 191 =
[X.], 1551 Rn.
27).
(3) Soweit das Beschwerdegericht darauf abstellt, dass sich die Situation der Betroffenen, die sich in der häuslichen Pflege durch ihren Ehemann [X.], von der ihrer Tante und ihres Nachbarn, die im Pflegeheim versorgt [X.], unterscheidet, so ist dies bei der Ermittlung des mutmaßlichen Willens oh-38
39
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18
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ne Belang. In diesem Zusammenhang ist es nicht erforderlich, dass die frühere Willensäußerung der Betroffenen situativ genau die nun eingetretene Lage be-schreibt. Vielmehr besteht die Ermittlung des mutmaßlichen Willens

im Ge-gensatz zum Behandlungswunsch

gerade
notwendig darin, allgemein gehal-tene oder der konkreten Situation nicht vollständig entsprechende frühere [X.] auf die eingetretene Situation zu übertragen.
Die Betroffene hat sich zwar in ihrer "Patientenverfügung"
für häusliche Pflege, wo möglich, ausgesprochen. Sie hat jedoch nicht ihre weiteren [X.], nämlich den Verzicht auf lebenserhaltende Maßnahmen, von der [X.] abhängig gemacht. Es besteht daher kein Anhaltspunkt dafür, dass die von der Betroffenen mündlich geäußerten
Wünsche unter dem Vorbehalt ge-standen hätten, nur im Fall der Versorgung im Pflegeheim zu gelten. Aus den Äußerungen der Betroffenen, soweit sie von den Zeugen wiedergegeben [X.] oder sich in der unterzeichneten "Patientenverfügung"
finden, ergibt sich kein Anhalt dafür, dass die Betroffene ihr derzeitiges Leben anders beurteilen würde als das der Patienten, die sie selbst kennengelernt hatte. Soweit das Be-schwerdegericht darauf abstellt, dass die Betroffene auch aus dem Bett kommt, ins Freie gefahren wird und nicht ununterbrochen von Sauerstoffzufuhr abhän-gig ist, ergeben sich daraus wiederum keine Rückschlüsse auf den mutmaßli-chen Willen der Betroffenen.
(4) Die Annahme des [X.], ein Sterben ohne Begleitung durch den Ehemann dürfte dem mutmaßlichen Willen der Betroffenen zuwider-laufen, ist nicht auf hinreichende Tatsachen gegründet. Der Ehemann der Be-troffenen beruft sich auf ein besonders enges Verhältnis, das zwischen ihm und der Betroffenen gerade in den Jahren der Pflege gewachsen sei. Aus der [X.] vor dem Wachkomazustand der Betroffenen hat jedoch weder der Ehemann der Betroffenen noch einer der Zeugen Angaben dazu gemacht, dass die Be-40
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troffene in besonderer Weise ihre Wünsche von der Anwesenheit ihres Ehe-manns abhängig gemacht hätte.
(5) Gleiches gilt für die Überlegung, dass die Betroffene heute mit [X.] auf die Wünsche des Ehemanns möglicherweise auf ihren [X.] verzichten würde. Auch diesbezüglich sind bisher keine Feststellungen getrof-fen, etwa dass die Betroffene auch in der Vergangenheit regelmäßig ihre eige-nen Vorstellungen zurückgestellt hätte, um denen ihres Ehemanns gerecht zu werden. Derartige Feststellungen wären jedoch für einen dahingehenden mut-maßlichen Willen Voraussetzung. Auch insoweit kann nicht allein
auf die vom Ehemann geschilderte Bindung in den Jahren der Pflege abgestellt werden.
Eine Berücksichtigung des Willens des Ehemanns kommt nur dann in Betracht, wenn dieser mutmaßlich den Willen der Betroffenen beeinflusst hätte. Dagegen scheidet ein unmittelbares Abstellen auf den Willen des Ehemanns, auch mit Blick auf Art.
6
Abs.
1
GG, aus. Durch die Ehe ist die Betroffene aber nicht in ihren Möglichkeiten eingeschränkt, in den rechtlichen Grenzen über ihr eigenes Leben oder dessen Beendigung genauso wie eine nicht verheiratete Person zu entscheiden. Demzufolge kann auch bei der hier zu entscheidenden Frage ausschließlich der mutmaßliche Wille der Betroffenen, daneben aber nicht auch der Wille des Ehemanns als entscheidend berücksichtigt werden (zu einer vergleichbaren Abwägung zwischen Grundrechten des Betroffenen und Grundrechten Dritter

dort Art.
4 GG

Senatsbeschluss [X.]Z 163, 195 =
FamRZ 2005, 1474, 1475
f.).
(6) Dagegen hat das Beschwerdegericht bei der Ermittlung des mutmaß-lichen Willens zu
Unrecht unberücksichtigt gelassen, dass die Betroffene in ih-rer "Patientenverfügung"
gerade ausschließlich ihren [X.] und nicht ihren Ehemann als Vertrauensperson benannt hat. Auch dieser Umstand ist als Hin-42
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20
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weis dahin zu sehen, dass aus Sicht der Betroffenen im Zweifel eher der [X.] als der Ehemann in der Lage sein wird, ihren eigenen

mutmaßlichen

Willen zu artikulieren.
(7) Ebenfalls fehlerhaft sind die Überlegungen des [X.] zu möglichen Schmerzen oder Missempfindungen bei der Einstellung der [X.] und Flüssigkeitszufuhr. Zutreffend geht das Beschwerdegericht zwar davon aus, dass die Betroffene möglichst keine Schmerzen und Missempfin-dungen erleiden möchte. Dies ergibt sich auch aus ihrer "Patientenverfügung". Insofern ist es als Aspekt zu berücksichtigen, der gegen die Durchführung einer bestimmten Maßnahme spricht, wenn diese Maßnahme mit Schmerzen oder Missempfindungen verbunden wäre. Unzulässig ist es allerdings, hier auf den reinen Abbruch der Ernährung und Flüssigkeitszufuhr abzustellen, ohne die be-absichtigten begleitenden medizinischen Maßnahmen zu berücksichtigen. Aus den eingeholten Gutachten ergibt sich, dass etwaige Schmerzen und Missemp-findungen, die (noch nicht einmal sicher oder wahrscheinlich, aber möglicher-weise) auftreten können, palliativmedizinisch behandelt werden müssen, aber auch können. Unter entsprechender medikamentöser und pflegerischer Versor-gung ist jedoch davon auszugehen, dass die Betroffene im Wesentlichen schmerzfrei wird versterben können. Vor diesem
Hintergrund besteht kein An-lass, hinsichtlich der konkret in Rede stehenden Maßnahme den mutmaßlichen Willen der Betroffenen als von Angst vor Schmerzen beeinflusst anzusehen.
(8) Schließlich hat das Beschwerdegericht zu Unrecht den kurz vor Be-ginn des
Wachkomas ausdrücklich geäußerten [X.] der Betroffenen unberücksichtigt gelassen. Zwar lag darin kein auf die aktuelle Situation bezo-gener Behandlungswunsch, da, wie das Beschwerdegericht richtig festgestellt hat, die Betroffene zu diesem [X.]punkt noch eine gute Prognose hatte und ihre Situation mit der heutigen nicht vergleichbar war. Dennoch spielt bei der Ermitt-45
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lung des mutmaßlichen Willens auch eine Rolle, wie ein Betroffener sich grund-sätzlich oder in anderen Situationen zum Sterben verhält. Hier durfte nicht un-berücksichtigt bleiben, dass die letzte willentliche Äußerung der Betroffenen

nach dem Schlaganfall, aber vor dem hypoxischen Hirnschaden

den [X.] Wunsch zu sterben beinhaltete.

Dose

Schilling

Günter

Botur

Krüger
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 29.06.2015 -
XVII 157/12 -

LG [X.], Entscheidung vom 17.11.2015 -
64 T 1826/15 -

Meta

XII ZB 604/15

08.02.2017

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.02.2017, Az. XII ZB 604/15 (REWIS RS 2017, 15994)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 15994

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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