Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.01.2020, Az. XII ZB 410/19

12. Zivilsenat | REWIS RS 2020, 997

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Gegenstand

Betreuungssache: Beschwerdebefugnis naher Angehöriger gegen die Ablehnung eines Betreuerwechsels


Leitsatz

Für die Beschwerdebefugnis naher Angehöriger nach § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG ist maßgeblich, ob das Rechtsmittel dem objektiven Interesse des Betroffenen dient. Dabei ist ausreichend, dass der Rechtsmittelführer Interessen des Betroffenen zumindest mitverfolgt.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten zu 3 wird der Beschluss der 7. Zivilkammer des [X.] vom 19. Juli 2019 (Verwerfung der Beschwerde des weiteren Beteiligten zu 3) aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das [X.] zurückverwiesen.

Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.

Wert: 5.000 €

Gründe

I.

1

Für die unter einer Demenzerkrankung leidende Betroffene wurde im Juni 2016 der Beteiligte zu 1, einer ihrer beiden Söhne, als Betreuer für den Aufgabenkreis Gesundheitssorge, Aufenthaltsbestimmung, Vermögenssorge sowie Rechts-/Antrags- und Behördenangelegenheiten bestellt. Zur Ersatzbetreuerin mit dem Aufgabenkreis Gesundheitssorge und Aufenthaltsbestimmung wurde die Ehefrau des Beteiligten zu 1, die Beteiligte zu 2, bestellt. Im September 2018 hat der Beteiligte zu 3, der andere [X.] der Betroffenen, beim Amtsgericht beantragt, den Betreuer und die Ersatzbetreuerin zu entlassen und eine neutrale, familienfremde Person zum Betreuer zu bestellen.

2

Das Amtsgericht hat die Betreuung im bisherigen Umfang verlängert, den beantragten [X.] abgelehnt und die Entscheidung über die Erweiterung der Betreuung auf ein Umgangsrecht zurückgestellt. Die gegen die Ablehnung des [X.]s gerichtete Beschwerde des Beteiligten zu 3 hat das [X.] verworfen. Hiergegen wendet sich der Beteiligte zu 3 mit der Rechtsbeschwerde.

II.

3

Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.

4

1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (vgl. Senatsbeschluss vom 15. September 2010 - [X.] 166/10 - FamRZ 2010, 1897 Rn. 9 f.) und auch im Übrigen zulässig. Die Beschwerdebefugnis des Beteiligten zu 3 folgt für das Verfahren der Rechtsbeschwerde bereits daraus, dass seine Erstbeschwerde verworfen worden ist (Senatsbeschluss vom 25. Januar 2017 - [X.] 438/16 - FamRZ 2017, 552 Rn. 5 mwN).

5

2. Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

6

a) Das [X.] hat zur Begründung seiner Entscheidung folgendes ausgeführt:

7

Eine Beschwerdebefugnis des Beteiligten zu 3 folge nicht aus § 59 Abs. 1 FamFG, weil Angehörige eines Betroffenen durch betreuungsgerichtliche Entscheidungen grundsätzlich nicht in eigenen Rechten im Sinne dieser Vorschrift beeinträchtigt werden könnten. Auch aus § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG ergebe sich keine Beschwerdebefugnis des Beteiligten zu 3. Zwar sei dieser im erstinstanzlichen Verfahren beteiligt worden. Jedoch stehe beteiligten Angehörigen die Beschwerdebefugnis nach § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG nur zu, wenn die Beschwerdeeinlegung im Interesse des Betroffenen erfolge. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Nach den objektiven, sich aus dem gesamten Akteninhalt ergebenden Umständen verfolge der Beschwerdeführer lediglich seine eigenen Interessen. Die Betroffene habe bei ihrer letzten Anhörung ausdrücklich bekundet, dass sie keinen [X.] wünsche. Umstände, die eine Entlassung der bisherigen Betreuer als im Interesse der Betroffenen liegend erscheinen lassen, seien nicht ersichtlich. Das Betreuungsverfahren sei durchweg von den Auseinandersetzungen zwischen dem Betreuer und dem Beteiligten zu 3 geprägt gewesen. Die Betroffene wünsche nach ihrer ausdrücklichen Erklärung bei der Anhörung hingegen keine in einem gerichtlichen Verfahren ausgetragene Konfrontation, sondern eine durch Vernunft geprägte Verständigung ihrer Söhne zumindest insoweit, dass ein geordneter zwischenmenschlicher Umgang innerhalb der Familie gewährleistet sei. Zudem werde die Betroffene durch die in das Betreuungsverfahren hineingetragene persönliche Auseinandersetzung zwischen ihren Söhnen außerordentlich belastet. Dass die Beschwerde objektiv im Interesse der Betroffenen liege, sei daher nicht erkennbar. Ergänzend sei darauf hinzuweisen, dass die amtsgerichtliche Entscheidung in der Sache vollumfänglich zutreffend sei.

8

b) Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Der am erstinstanzlichen Verfahren beteiligte [X.] der Betroffenen ist gemäß § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG berechtigt, im eigenen Namen Beschwerde gegen die amtsgerichtliche Entscheidung zu führen, mit der der beantragte [X.] im Rahmen der Verlängerung der bestehenden Betreuung abgelehnt worden ist.

9

aa) Die Beschwerdebefugnis naher Angehöriger nach § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG erstreckt sich auch auf eine betreuungsgerichtliche Entscheidung, mit der im Rahmen einer Verlängerungsentscheidung ein beantragter [X.] abgelehnt worden ist (vgl. Senatsbeschluss vom 8. Juli 2015 - [X.] 292/14 - FamRZ 2015, 1701 Rn. 6).

bb) Entgegen der Auffassung des [X.]s hat der Beteiligte zu 3 mit seinem Rechtsmittel auch in dem von § 303 Abs. 2 FamFG geforderten Interesse der Betroffenen gehandelt.

(1) Dieses Tatbestandsmerkmal schließt ein Rechtsmittel eines der in § 303 Abs. 2 FamFG genannten Beteiligten nicht schon dann aus, wenn es dem - gegebenenfalls auch ausdrücklich erklärten - Willen des Betroffenen widerspricht (so aber MünchKommFamFG/[X.] 3. Aufl. § 303 Rn. 9, § 274 Rn. 13 f.). Vielmehr führt die tatbestandsmäßige Einschränkung nur zur Unzulässigkeit des Rechtsmittels, wenn der Beteiligte mit diesem lediglich seine eigenen Interessen verfolgt. Es besteht ein Gleichlauf zwischen der Kann-Beteiligung nach § 274 Abs. 4 Nr. 1 FamFG im Interesse des Betroffenen und der Beschwerdeberechtigung dieses Beteiligtenkreises nach § 303 Abs. 2 FamFG. Ebenso wie die Hinzuziehung der in § 274 Abs. 4 Nr. 1 FamFG genannten Kann-Beteiligten selbst gegen den Willen des Betroffenen in dessen objektivem Interesse möglich ist (Senatsbeschluss vom 25. Januar 2017 - [X.] 438/16 - FamRZ 2017, 552 Rn. 21), kann ein solcher Beteiligter im objektiven Interesse des Betroffenen - und damit auch gegen dessen Willen - das Rechtsmittel führen (Senatsbeschluss vom 18. Oktober 2017 - [X.] 336/17 - FamRZ 2018, 134 Rn. 6 mwN). Maßgeblich für die Beschwerdebefugnis naher Angehöriger nach § 303 Abs. 2 Satz 1 FamFG ist daher, ob das Rechtsmittel dem objektiven Interesse des Betroffenen dient. Eine Beschwerdebefugnis besteht nur dann nicht, wenn der Rechtsmittelführer erkennbar ausschließlich eigene Interessen verfolgt (vgl. Senatsbeschluss vom 18. Oktober 2017 - [X.] 336/17 - FamRZ 2018, 134 Rn. 6; [X.] FamFG/[X.] [Stand: 1. Oktober 2019] § 303 Rn. 7). Ausreichend ist, dass der Rechtsmittelführer Interessen des Betroffenen zumindest mitverfolgt ([X.] FamFG 20. Aufl. § 303 Rn. 25; [X.]/[X.] Betreuungsrecht 6. Aufl. § 303 FamFG Rn. 7).

(2) Auf dieser rechtlichen Grundlage hat das [X.] zu Unrecht angenommen, dass der Beteiligte zu 3 mit der Beschwerde nur eigene Interessen verfolgt und ihm deshalb keine Beschwerdebefugnis zusteht.

Das [X.] begründet seine Auffassung im Wesentlichen damit, dass die Betroffene und ihr Ehemann keinen [X.] wünschten und darüber hinaus aus objektiver Sicht keine Gründe dafür vorlägen, die eine Entlassung der bisherigen Betreuer als im Interesse der Betroffenen erscheinen ließen. Damit hat das [X.] Fragen der Zulässigkeit und der Begründetheit der Beschwerde in unzulässiger Weise miteinander vermischt. Bei der Prüfung der Beschwerdebefugnis nach § 303 Abs. 2 Satz 1 FamFG ist nicht entscheidend, ob in der Sache die Voraussetzungen für einen [X.] vorliegen. Maßgeblich ist vielmehr, ob eine Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung aufgrund eines von einem nahen Angehörigen nach § 303 Abs. 2 Satz 1 FamFG eingelegten Rechtsmittels zumindest auch dem objektiven Interesse des Betroffenen dient. Dies schließt die vom [X.] gegebene Begründung nicht aus. Der Beteiligte zu 3 hat in seiner Beschwerdebegründung substantiiert Gründe dafür vorgetragen, warum der Beteiligte zu 1 das ihm übertragene Betreueramt in vermögensrechtlichen Angelegenheiten angeblich nicht zum Wohl der Betroffenen ausübe. Insbesondere hat er hierbei auf einen Interessenkonflikt des Beteiligten zu 1 hingewiesen, der sich daraus ergeben könnte, dass der Ehemann der Betroffenen dem Beteiligten zu 1 ein Darlehen gewährt hat, dessen Rückzahlung gefährdet sein könnte, sollte der Beteiligte zu 1 weiter zum Betreuer in Vermögensangelegenheiten bestellt bleiben. Sofern diese Behauptungen des Beteiligten zu 3 zutreffen, könnte es dem Wohl der Betroffenen entsprechen, einen [X.] vorzunehmen, um deren Vermögensinteressen zu schützen. Schon aus diesem Grund liegt die Beschwerdeeinlegung objektiv auch im Interesse der Betroffenen.

Zudem hat das [X.] bei seiner Entscheidung nicht in den Blick genommen, dass der Beteiligte zu 3 mit seiner Beschwerde die Bestellung eines neutralen Berufsbetreuers erreichen möchte. Auch dies könnte im Hinblick auf die gegen den Beteiligten zu 1 erhobenen Vorwürfe bei objektiver Betrachtung im wohlverstandenen Interesse der Betroffenen liegen, auch wenn sie und ihr Ehemann einen [X.] ablehnen. Insoweit weist die Rechtsbeschwerde zu Recht darauf hin, dass der Beteiligte zu 3 die Entscheidungen eines neutralen Berufsbetreuers auch dann zu akzeptieren habe, wenn sie seinen eigenen Interessen widersprechen.

3. Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben und die Sache ist an das [X.] zurückzuverweisen, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 74 Abs. 5, Abs. 6 Satz 1 und 2 FamFG).

Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgendes hin:

Ist im Zusammenhang mit der Entscheidung über die Verlängerung einer bereits bestehenden Betreuung über einen [X.] zu befinden, richtet sich die Auswahl der Person des Betreuers nicht nach § 1908 b Abs. 3 BGB, sondern nach der für die Neubestellung eines Betreuers maßgeblichen Vorschrift des § 1897 BGB (vgl. Senatsbeschluss vom 14. Februar 2018 - [X.] 507/17 - FamRZ 2018, 707 Rn. 7 mwN). Zudem wird das [X.] zu prüfen haben, ob im Hinblick auf den Umfang des angeordneten [X.] die Bestellung eines Verfahrenspflegers für die Betroffene erforderlich ist (vgl. Senatsbeschluss vom 30. Oktober 2019 - [X.] 144/19 - juris Rn. 7 mwN, 15).

4. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).

Dose     

      

[X.]     

      

Günter

      

Botur     

      

Krüger     

      

Meta

XII ZB 410/19

08.01.2020

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Osnabrück, 19. Juli 2019, Az: 7 T 399/19

§ 303 Abs 2 Nr 1 FamFG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.01.2020, Az. XII ZB 410/19 (REWIS RS 2020, 997)

Papier­fundstellen: MDR 2020, 499-500 REWIS RS 2020, 997

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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